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20.11.2015 - 11:00Überwachung kann keine absolute Sicherheit garantieren
Im "Handelsblatt"-Gastbeitrag setzt sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit den politischen Folgen der Paris-Anschläge auseinander. Unter dem Titel "Nicht auf Kosten der Freiheit" plädiert sie für Vorsicht bei der Debatte über neue Sicherheitsmaßnahmen. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Terroristen "auch das unbedingte Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten" angreifen wollten, verdeutlicht sie. Einige Politiker seien versucht, Ängste vor weiteren Attacken aufzunehmen und auf politischen Aktionismus zu setzen. Aber auch ein Rechtsstaat, der seine Grundlagen aufgebe, könne keine absolute Sicherheit gewähren, stellt die Freidemokatin klar.
"New York, Washington, Madrid, London und Paris konnten nicht verhindert werden, obwohl es Unmengen an Informationen gab", hebt die ehemalige Bundesjustizministerin vor. Bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung handele es sich weniger um ein Instrument der präventiven Terrorismusbekämpfung als um eine Strafverfolgungsmethode. Es sei auch falsch zu behaupten, dass nicht genügend Datenberge zur Auswertung vorhanden wären, unterstreicht Leutheusser-Schnarrenberger. "Es kommt vielmehr darauf an, wie die Sicherheitsbehörden ausgestattet sind, in welchen Strukturen sie europaweit arbeiten, kurzum: ob sie mit den vorhandenen Informationen überhaupt etwas anfangen können", betont sie.
Leutheusser-Schnarrenberger fordert eine Rückbesinnung auf freiheitliche Grundprinzipien: "Es ist unsere Werteordnung, die den Schutz der Privatsphäre zur Quelle einer selbstbestimmten Lebensführung macht." Schon der Gedanke der permanenten Überwachung führe zu Einschränkungen des eigenen Lebensentwurfs. "Würde das im Rechtsstaat angelegte Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit zerstört, hätten die Terroristen ein wesentliches Ziel erreicht. Europa darf sich nicht zu einem Überwachungsstaat entwickeln", mahnt sie.
Lesen Sie hier den gesamten Gastbeitrag.
Die Terroranschläge von Paris offenbaren, wie zerbrechlich das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit ist. Nach den fürchterlichen Anschlägen gegen "Charlie Hebdo" hatte Frankreich bereits die Befugnisse der Geheimdienste massiv ausgebaut, so dass Kritiker vom Ende der "liberté", der Freiheit, in Frankreich sprachen.
Jetzt setzt die französische Regierung auf die Verlängerung und Verschärfung des Ausnahmezustands. Hinzu kommt ein Bündel von europaweiten Vorschlägen, das neben kritischen auch sinnvolle Ansätze umfasst. Das von Frankreich betriebene Austrocknen der Finanzströme der islamistischen Terroristen in Europa hätte bereits längst energisch angepackt werden müssen. Helfen kann auch die europaweite Verschärfung des Waffenrechts.
Leider überwiegen aber Ideen, die auf einen einseitigen Ausbau der Überwachung setzen. So soll jetzt die europäische Fluggastdatenspeicherung eingeführt werden, die bei jedem Flug jedes EU-Bürgers fünf Jahre lang alle möglichen Daten speichert. Das Prinzip ist das Gleiche wie bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Erst einmal werden für jeden Einzelnen gigantische Datenberge angelegt, um dann im Bedarfsfall zu schauen, ob mit den gespeicherten Daten Ermittlungserfolge erzielt werden können. Ist es zumutbar, dass für Millionen Menschen gespeichert wird, wohin sie reisen, wo sie wohnen, welche Kreditkarte zur Zahlung eingesetzt wurde, wie die Kontonummer lautet, ob sie allein fliegen oder ob sie jemanden mitnehmen und wen, wie und wo sie erreichbar sind und sogar, welche Essenswünsche sie haben - für fünf Jahre?
Die Unschuldsvermutung schützt unsere Freiheit
Immer neue Möglichkeiten, persönliche Daten der Bürgerinnen und Bürger zu erfassen und zu verwenden, schafft nicht mehr Sicherheit. Genau wie bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gilt auch hier, dass es sich weniger um ein Instrument der präventiven Terrorismusbekämpfung handelt. Angesichts der vielfältigen Datenberge in staatlicher Verantwortung und der Datensammelwut privater Unternehmen ist es auch falsch zu behaupten, dass nicht genügend Datenberge zur Auswertung vorhanden wären. Es kommt vielmehr darauf an, wie die Sicherheitsbehörden ausgestattet sind, in welchen Strukturen sie europaweit arbeiten, kurzum: ob sie mit den vorhandenen Informationen überhaupt etwas anfangen können. New York, Washington, Madrid, London und Paris konnten nicht verhindert werden, obwohl es Unmengen an Informationen gab.
Letztes Bollwerk der Freiheit gegen eine überbordende Sicherheitsgesetzgebung war lange Zeit das Bundesverfassungsgericht, so mit seinen Entscheidungen zum Luftsicherheitsgesetz, zur Onlinedurchsuchung und zur Vorratsdatenspeicherung. Der Europäische Gerichtshof machte erst in jüngster Vergangenheit mit seinen Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung und zu Safe Harbor einen entscheidenden Schritt in Richtung eines europäischen Verfassungsgerichtsverbundes. In ihrer Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung listen die europäischen Richter detailliert Gründe auf, weshalb die unionsrechtliche anlasslose Speicherungspflicht grundrechtswidrig ist. Es würden Daten von Personen gespeichert, die nicht einmal in einem entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen.
Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben nicht in das Gewaltmonopol des Staates eingewilligt, der sie als Verdächtige, als potenzielle Kriminelle oder als Terroristen behandelt. Es ist gerade die Unschuldsvermutung als die konstitutive Bedingung des Gesellschaftsvertrages, die unsere Grundrechtsordnung prägt und unsere Freiheit schützt.
Die rechtsstaatlichen Garantien leuchten Teilen der Öffentlichkeit leider manchmal weniger ein als das Bedürfnis nach möglichst schlagkräftigen und frühzeitigen staatlichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Wie häufig hört man Sätze der schlichten Art, dass der rechtschaffene Bürger keine staatlichen Interventionen zu fürchten hätte.
Terrorismus zielt auf die Freiheit der Gesellschaft
Auch werden die rechtsstaatlichen Schranken gern als formale Spitzfindigkeiten gering geschätzt und als Täterschutz diffamiert, wie es beim verfassungsrechtlich gebotenen Datenschutz der Fall ist. Gerade in Zeiten terroristischer Bedrohung muss von neuem der Sinn dafür geschärft werden, dass die rechtsstaatlichen Garantien ein Doppelziel verfolgen, den Schuldigen zu bestrafen und den Unschuldigen gegen ungerechtfertigte Maßnahmen der staatlichen Gewalt zu schützen.
Bei der notwendigen Abwägung zwischen der kollektiven Sicherheit und individueller Freiheit darf nicht vergessen werden, dass die Terroristen auch das unbedingte Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten angreifen. Terroristen setzen in der Regel auf einen Überraschungseffekt, um den Schrecken und die Angst vor neuen Anschlägen zu steigern. So verunsichert nicht nur der Horror des Anschlags, sondern sein plötzlicher Einbruch in eine bis dahin weitgehend als sicher wahrgenommene Umwelt, die Unbestimmtheit und das Risiko weiterer Attacken. Einige Politiker sind versucht, Ängste aufzunehmen und auf politischen Aktionismus zu setzen. Dieser Ansatz lässt die Protagonisten als Macher und Anpacker erscheinen, die mehr Sicherheit erreichen. Indes: Auch ein Rechtsstaat, der seine Grundlagen aufgeben würde, könnte keine absolute Sicherheit gewähren. Das zeigt der Blick in autoritäre Staaten dieser Welt, allen voran in das heutige Russland.
Die deutschen Sicherheitsbehörden erhielten nach dem 11. September 2001 mit die schärfsten Sicherheitsgesetze der Welt. Zwischen 2001 und 2009 nahm das Stakkato immer neuer Sicherheitsgesetze kein Ende. Sehenden Auges nahmen die rot-grünen und schwarz-roten Bundesregierungen immer wieder verfassungswidrige Gesetze in Kauf. Erst der FDP gelang es in der schwarz-gelben Koalition bis 2009, die bestehenden Sicherheitsgesetze zu entschärfen und rechtsstaatliche Korsettstangen einzuziehen. Eine dauerhafte Trendwende gelang nicht, weil Union und SPD nach dem Regierungswechsel an ihren alten gemeinsamen Weg anknüpften.
Union und SPD müssen jetzt ihre Hausaufgaben für eine substanziell bessere Kontrolle der Geheimdienste und für die Verhinderung umfassender und anlassloser Überwachung durch ausländische Nachrichtendienste erst noch machen. Manche Sicherheitspolitiker werden "nach Paris" versucht sein, strukturelle Reformen auf die lange Bank zu schieben.
Die bestehenden Gesetze und Strukturen eröffnen die Möglichkeit für eine funktionierende Terrorismusbekämpfung. Wir brauchen keine Phantomdebatte über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, genauso wenig wie neue Sicherheitsgesetze.
Bei Europas Jugend ansetzen
Wieso wird nicht intensiv über Prävention diskutiert, damit in Europa lebende Menschen nicht von islamistischen Terroristen rekrutiert werden können? Warum werden belgische und französische Nachbarn derart radikalisiert? Warum fallen alle menschlichen Hemmschwellen, kennt die Brutalität keine Grenzen? Untersuchungen zeigen, dass es teilweise um junge Menschen geht, die weder in der Schule noch in einer Ausbildung Anerkennung erfahren. Gestörte Familienverhältnisse und radikale Freunde spielen dabei eine entscheidende Rolle. Offensichtlich ist es nicht die Religion, sondern die perverse Wahrnehmung, mit Macht über das Leben anderer richten zu können, die einen solchen Terrorismus antreibt. Weil die islamistische Gehirnwäsche und Manipulation funktioniert, muss man gerade hier ansetzen. Stattdessen sieht der Diskurs anders aus.
Für viele Sicherheitspolitiker weltweit ist die Privatsphäre einfach ein lästiges Hemmnis beim Vorgehen gegen Kriminalität und Terrorismus. Das nicht wegzubekommende Motto "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" oder die Diffamierung des Datenschutzes als Täterschutz sollen dazu führen, generell die Privatsphäre der Sicherheit, der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung unterzuordnen.
Es ist unsere Werteordnung, die den Schutz der Privatsphäre zur Quelle einer selbstbestimmten Lebensführung macht. Schon der Gedanke der permanenten Überwachung führt zu Einschränkungen des eigenen Lebensentwurfs. Würde das im Rechtsstaat angelegte Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit zerstört, hätten die Terroristen ein wesentliches Ziel erreicht. Europa darf sich nicht zu einem Überwachungsstaat entwickeln.
Überwachung kann keine absolute Sicherheit garantieren
Im "Handelsblatt"-Gastbeitrag setzt sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit den politischen Folgen der Paris-Anschläge auseinander. Unter dem Titel "Nicht auf Kosten der Freiheit" plädiert sie für Vorsicht bei der Debatte über neue Sicherheitsmaßnahmen. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Terroristen "auch das unbedingte Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten" angreifen wollten, verdeutlicht sie. Einige Politiker seien versucht, Ängste vor weiteren Attacken aufzunehmen und auf politischen Aktionismus zu setzen. Aber auch ein Rechtsstaat, der seine Grundlagen aufgebe, könne keine absolute Sicherheit gewähren, stellt die Freidemokatin klar.
"New York, Washington, Madrid, London und Paris konnten nicht verhindert werden, obwohl es Unmengen an Informationen gab", hebt die ehemalige Bundesjustizministerin vor. Bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung handele es sich weniger um ein Instrument der präventiven Terrorismusbekämpfung als um eine Strafverfolgungsmethode. Es sei auch falsch zu behaupten, dass nicht genügend Datenberge zur Auswertung vorhanden wären, unterstreicht Leutheusser-Schnarrenberger. "Es kommt vielmehr darauf an, wie die Sicherheitsbehörden ausgestattet sind, in welchen Strukturen sie europaweit arbeiten, kurzum: ob sie mit den vorhandenen Informationen überhaupt etwas anfangen können", betont sie.
Leutheusser-Schnarrenberger fordert eine Rückbesinnung auf freiheitliche Grundprinzipien: "Es ist unsere Werteordnung, die den Schutz der Privatsphäre zur Quelle einer selbstbestimmten Lebensführung macht." Schon der Gedanke der permanenten Überwachung führe zu Einschränkungen des eigenen Lebensentwurfs. "Würde das im Rechtsstaat angelegte Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit zerstört, hätten die Terroristen ein wesentliches Ziel erreicht. Europa darf sich nicht zu einem Überwachungsstaat entwickeln", mahnt sie.
Lesen Sie hier den gesamten Gastbeitrag.
Die Terroranschläge von Paris offenbaren, wie zerbrechlich das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit ist. Nach den fürchterlichen Anschlägen gegen "Charlie Hebdo" hatte Frankreich bereits die Befugnisse der Geheimdienste massiv ausgebaut, so dass Kritiker vom Ende der "liberté", der Freiheit, in Frankreich sprachen.
Jetzt setzt die französische Regierung auf die Verlängerung und Verschärfung des Ausnahmezustands. Hinzu kommt ein Bündel von europaweiten Vorschlägen, das neben kritischen auch sinnvolle Ansätze umfasst. Das von Frankreich betriebene Austrocknen der Finanzströme der islamistischen Terroristen in Europa hätte bereits längst energisch angepackt werden müssen. Helfen kann auch die europaweite Verschärfung des Waffenrechts.
Leider überwiegen aber Ideen, die auf einen einseitigen Ausbau der Überwachung setzen. So soll jetzt die europäische Fluggastdatenspeicherung eingeführt werden, die bei jedem Flug jedes EU-Bürgers fünf Jahre lang alle möglichen Daten speichert. Das Prinzip ist das Gleiche wie bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Erst einmal werden für jeden Einzelnen gigantische Datenberge angelegt, um dann im Bedarfsfall zu schauen, ob mit den gespeicherten Daten Ermittlungserfolge erzielt werden können. Ist es zumutbar, dass für Millionen Menschen gespeichert wird, wohin sie reisen, wo sie wohnen, welche Kreditkarte zur Zahlung eingesetzt wurde, wie die Kontonummer lautet, ob sie allein fliegen oder ob sie jemanden mitnehmen und wen, wie und wo sie erreichbar sind und sogar, welche Essenswünsche sie haben - für fünf Jahre?
Die Unschuldsvermutung schützt unsere Freiheit
Immer neue Möglichkeiten, persönliche Daten der Bürgerinnen und Bürger zu erfassen und zu verwenden, schafft nicht mehr Sicherheit. Genau wie bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gilt auch hier, dass es sich weniger um ein Instrument der präventiven Terrorismusbekämpfung handelt. Angesichts der vielfältigen Datenberge in staatlicher Verantwortung und der Datensammelwut privater Unternehmen ist es auch falsch zu behaupten, dass nicht genügend Datenberge zur Auswertung vorhanden wären. Es kommt vielmehr darauf an, wie die Sicherheitsbehörden ausgestattet sind, in welchen Strukturen sie europaweit arbeiten, kurzum: ob sie mit den vorhandenen Informationen überhaupt etwas anfangen können. New York, Washington, Madrid, London und Paris konnten nicht verhindert werden, obwohl es Unmengen an Informationen gab.
Letztes Bollwerk der Freiheit gegen eine überbordende Sicherheitsgesetzgebung war lange Zeit das Bundesverfassungsgericht, so mit seinen Entscheidungen zum Luftsicherheitsgesetz, zur Onlinedurchsuchung und zur Vorratsdatenspeicherung. Der Europäische Gerichtshof machte erst in jüngster Vergangenheit mit seinen Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung und zu Safe Harbor einen entscheidenden Schritt in Richtung eines europäischen Verfassungsgerichtsverbundes. In ihrer Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung listen die europäischen Richter detailliert Gründe auf, weshalb die unionsrechtliche anlasslose Speicherungspflicht grundrechtswidrig ist. Es würden Daten von Personen gespeichert, die nicht einmal in einem entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen.
Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben nicht in das Gewaltmonopol des Staates eingewilligt, der sie als Verdächtige, als potenzielle Kriminelle oder als Terroristen behandelt. Es ist gerade die Unschuldsvermutung als die konstitutive Bedingung des Gesellschaftsvertrages, die unsere Grundrechtsordnung prägt und unsere Freiheit schützt.
Die rechtsstaatlichen Garantien leuchten Teilen der Öffentlichkeit leider manchmal weniger ein als das Bedürfnis nach möglichst schlagkräftigen und frühzeitigen staatlichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Wie häufig hört man Sätze der schlichten Art, dass der rechtschaffene Bürger keine staatlichen Interventionen zu fürchten hätte.
Terrorismus zielt auf die Freiheit der Gesellschaft
Auch werden die rechtsstaatlichen Schranken gern als formale Spitzfindigkeiten gering geschätzt und als Täterschutz diffamiert, wie es beim verfassungsrechtlich gebotenen Datenschutz der Fall ist. Gerade in Zeiten terroristischer Bedrohung muss von neuem der Sinn dafür geschärft werden, dass die rechtsstaatlichen Garantien ein Doppelziel verfolgen, den Schuldigen zu bestrafen und den Unschuldigen gegen ungerechtfertigte Maßnahmen der staatlichen Gewalt zu schützen.
Bei der notwendigen Abwägung zwischen der kollektiven Sicherheit und individueller Freiheit darf nicht vergessen werden, dass die Terroristen auch das unbedingte Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten angreifen. Terroristen setzen in der Regel auf einen Überraschungseffekt, um den Schrecken und die Angst vor neuen Anschlägen zu steigern. So verunsichert nicht nur der Horror des Anschlags, sondern sein plötzlicher Einbruch in eine bis dahin weitgehend als sicher wahrgenommene Umwelt, die Unbestimmtheit und das Risiko weiterer Attacken. Einige Politiker sind versucht, Ängste aufzunehmen und auf politischen Aktionismus zu setzen. Dieser Ansatz lässt die Protagonisten als Macher und Anpacker erscheinen, die mehr Sicherheit erreichen. Indes: Auch ein Rechtsstaat, der seine Grundlagen aufgeben würde, könnte keine absolute Sicherheit gewähren. Das zeigt der Blick in autoritäre Staaten dieser Welt, allen voran in das heutige Russland.
Die deutschen Sicherheitsbehörden erhielten nach dem 11. September 2001 mit die schärfsten Sicherheitsgesetze der Welt. Zwischen 2001 und 2009 nahm das Stakkato immer neuer Sicherheitsgesetze kein Ende. Sehenden Auges nahmen die rot-grünen und schwarz-roten Bundesregierungen immer wieder verfassungswidrige Gesetze in Kauf. Erst der FDP gelang es in der schwarz-gelben Koalition bis 2009, die bestehenden Sicherheitsgesetze zu entschärfen und rechtsstaatliche Korsettstangen einzuziehen. Eine dauerhafte Trendwende gelang nicht, weil Union und SPD nach dem Regierungswechsel an ihren alten gemeinsamen Weg anknüpften.
Union und SPD müssen jetzt ihre Hausaufgaben für eine substanziell bessere Kontrolle der Geheimdienste und für die Verhinderung umfassender und anlassloser Überwachung durch ausländische Nachrichtendienste erst noch machen. Manche Sicherheitspolitiker werden "nach Paris" versucht sein, strukturelle Reformen auf die lange Bank zu schieben.
Die bestehenden Gesetze und Strukturen eröffnen die Möglichkeit für eine funktionierende Terrorismusbekämpfung. Wir brauchen keine Phantomdebatte über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, genauso wenig wie neue Sicherheitsgesetze.
Bei Europas Jugend ansetzen
Wieso wird nicht intensiv über Prävention diskutiert, damit in Europa lebende Menschen nicht von islamistischen Terroristen rekrutiert werden können? Warum werden belgische und französische Nachbarn derart radikalisiert? Warum fallen alle menschlichen Hemmschwellen, kennt die Brutalität keine Grenzen? Untersuchungen zeigen, dass es teilweise um junge Menschen geht, die weder in der Schule noch in einer Ausbildung Anerkennung erfahren. Gestörte Familienverhältnisse und radikale Freunde spielen dabei eine entscheidende Rolle. Offensichtlich ist es nicht die Religion, sondern die perverse Wahrnehmung, mit Macht über das Leben anderer richten zu können, die einen solchen Terrorismus antreibt. Weil die islamistische Gehirnwäsche und Manipulation funktioniert, muss man gerade hier ansetzen. Stattdessen sieht der Diskurs anders aus.
Für viele Sicherheitspolitiker weltweit ist die Privatsphäre einfach ein lästiges Hemmnis beim Vorgehen gegen Kriminalität und Terrorismus. Das nicht wegzubekommende Motto "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" oder die Diffamierung des Datenschutzes als Täterschutz sollen dazu führen, generell die Privatsphäre der Sicherheit, der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung unterzuordnen.
Es ist unsere Werteordnung, die den Schutz der Privatsphäre zur Quelle einer selbstbestimmten Lebensführung macht. Schon der Gedanke der permanenten Überwachung führt zu Einschränkungen des eigenen Lebensentwurfs. Würde das im Rechtsstaat angelegte Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit zerstört, hätten die Terroristen ein wesentliches Ziel erreicht. Europa darf sich nicht zu einem Überwachungsstaat entwickeln.