Bearbeitete Mitschrift der Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner bei der Dreikönigskundgebung 2018 in Stuttgart:
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
ich wünsche Ihren Familien und Ihnen persönlich am Beginn dieses neuen Jahres alles Gute, Glück und Gesundheit.
Das Jahr 2017 war turbulent. Ich verspreche Ihnen, das Jahr 2018 wird genauso werden. Das ist ja das Reizvolle an den Freien Demokraten. Wir sind eine Partei mit eingebautem Nervenkitzel. Ich freue mich, dass so viele Bürgerinnen und Bürger, die der FDP nicht angehören, den Weg zu dieser Veranstaltung heute gefunden haben. Das ist immer für uns ein wichtiger Indikator, ein Zeichen, wo steht die FDP zu Beginn des Jahres. Willkommen Ihnen also bei dem gegenwärtig berüchtigsten und spannendsten, was die politische Landschaft in Deutschland zu bieten hat. Ich gratuliere Ihnen, die erste Mutprobe des Jahres, die haben Sie schon bestanden.
Meine Damen und Herren, das Dreikönigstreffen ist ein besonderes Ereignis im politischen Kalender, für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wegen der Bedeutung dieses Jahresauftakts für die Rednerinnen und Redner, weil es eine außerordentliche, eine ganz besondere Atmosphäre hier in Stuttgart ist. Jeder, der schon einmal hier hat sprechen dürfen, erinnert sich daran. Es ist aber vor allen Dingen eine für uns außerordentliche Veranstaltung aufgrund der Tradition des Dreikönigstreffens seit den 1860er Jahren. Andere sprechen verächtlich von den sogenannten Altparteien, wir sind stolz, eine liberale Traditionspartei zu sein, denn diese Tradition gibt uns Orientierung und sie ist für uns eine fortdauernde Verpflichtung.
Man schaut jetzt an diesem 6. Januar zurück, wir schauen nach vorne. Ich erinnere mich, als ich vor acht Jahren zum ersten Mal hier habe sprechen dürfen, ich erinnere mich genau an die Situation. Und an das, was folgte. Denn im Juni 2010 lag die FDP in der politischen Stimmung noch bei drei Prozent. Als Regierungspartei mit starken Persönlichkeiten im Kabinett, ich nenne hier exemplarisch, weil sie hier vorne sitzt, unsere verdienstvolle liebe Freundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wir haben seinerzeit Verantwortung gelegentlich bei anderen gesucht für unsere schwierige Lage. Aber die Situation der FDP hatte nichts mit anderen zu tun, das Problem waren wir selbst. Wir haben nach der Wahl aus den Augen verloren, welche Ideen und Werte unsere Anhänger vor der Wahl begeistert haben und diese historische Lektion haben wir gelernt.
Ich erinnere mich an die erste Rede, die ich als Parteivorsitzender halten durfte, Anfang 2014. Michael Theurer und ich, wir haben gerade darüber gefrotzelt, seinerzeit kamen die Sternsinger nicht. Weil nach der Niederlage der FDP bei der Bundestagswahl die Gemeinde der Auffassung war, die FDP gäbe es ja nicht mehr. Na ja, so fernliegend war der Gedanke nicht. Denn wenn jemals eine Partei in Deutschland komplett aus dem Deutschen Bundestag vorher ausgeschieden war, dann kam sie niemals wieder zurück. Bislang. Die vergangenen vier Jahre waren für uns harte Jahre. Aber sie haben uns geprägt, sie haben uns verändert. Wir kommen als eine traditionsreiche Partei zurück in den Deutschen Bundestag, aber die FDP, die in den Deutschen Bundestag zurückgekehrt ist, es ist nicht mehr dieselbe FDP, wie die, die aus dem Bundestag ausgeschieden ist.
Schauen Sie, kein Unternehmen, keine Organisation, auch keine Partei ist ein Selbstzweck. Das ist das Wesen von Marktwirtschaft und Demokratie. Was seinen Zweck erfüllt hat, das geht, das wird ersetzt durch anderes. Schumpeter sprach von der „schöpferischen Zerstörung“. Und somit war auch gar nicht klar, ob der FDP ein Comeback gelingen könnte. Sicher, wofür wir stehen, das ergibt sich aus der schottischen Philosophie, aus den Gedanken der amerikanischen Verfassungs- und Unabhängigkeitsbewegung, der französischen Revolution und der deutschen Aufklärung. Das kannten wir alles. Aber war das der starke Grund, warum wir selbst einmal Freie Demokraten geworden sind und nicht Christ-, Sozialdemokraten oder Grüne? Wir haben uns also die Frage nach dem wirklichen Warum gestellt. Warum sind wir selbst Freie Demokraten und warum braucht es eine Partei wie die FDP in Deutschland? Und die Antwort ist die Einstellung zum Leben. Es ist der Wunsch nach Selbstbestimmung und die Bereitschaft, zum eigenen unabhängigen Urteil. Es ist die Schaffensfreude und die Offenheit für den Wandel und es ist die Neugier auf neue Technologien und die Toleranz gegenüber Menschen, die ihr Leben anders führen wollen als man selbst. Wir haben uns befreit aus der taktischen Abhängigkeit anderer Parteien. Wir haben uns befreit von der Ängstlichkeit vor Kritik. Und wir haben uns befreit vom Einfluss organisierter Interessen.
Liebe Freunde, meine Damen und Herren, weil wir selbst wieder wissen, wer wir sind und was uns am Herzen liegt, können wir auch andere wieder für uns begeistern. Und deshalb möge der Druck auch noch so groß werden, diese innere Überzeugung und Haltung geben wir nicht mehr auf. Von der lassen wir uns leiten.
Die vergangenen vier Jahre waren harte Arbeit. Und der Erfolg ist nicht die Leistung weniger oder gar nur die Leistung eines einzelnen. Es waren alle Mitglieder unserer Partei, es waren die Kandidatinnen und Kandidaten bei den unterschiedlichen Wahlen. Es waren die Tausenden Ehrenamtler, die in unserer Partei arbeiten. Es waren unsere 63.000 Mitglieder, die diesen Erfolg gemeinsam ermöglicht haben.
Wir sind eine Partei von Individualisten. Und wie sollte es auch anders sein? Aber wir haben gelernt, dass eine Partei von Individualisten dann stark ist, wenn sie zu Teamwork fähig ist und deshalb danke ich jedem einzelnen ganz herzlich für den Einsatz während der vergangenen vier Jahre. Daran knüpfen wir an.
Sie verfolgen das vielleicht auch, es gibt durchaus Anwürfe an die FDP, und, also warum ist die Partei denn dennoch so geschlossen? Und die erste Antwort, die dann gegeben wird, ist, das hängt mit dem autoritären Führungsstil des Vorsitzenden zusammen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass wir einer Meinung sind und in dieselbe Richtung arbeiten wollen. Wäre ja naheliegender.
Also zu Beginn dieses Jahres 2018 schauen wir auf die FDP. Und wir haben eine Haltung gefunden und dokumentiert. Und mit dieser Haltung übernehmen wir Verantwortung in Regierung und Opposition. Das zeigen wir jeden Tag, dass wir bereit sind zur Verantwortung. In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. 2016 hatte Volker Wissing die Courage, in eine Ampelkoalition einzutreten, weil dort und in dieser Konstellation ein Politikwechsel für das Land möglich war. 2017 haben Wolfgang Kubicki und Heiner Garg in Schleswig-Holstein eine Jamaikakoalition verhandeln können, weil dort in dieser Konstellation ein Politikwechsel möglich war.
Joachim Stamp und ich, wir haben im größten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, im Sommer des letzten Jahres eine schwarz-gelbe Koalition mittragen können, weil dort in dieser Konstellation ein Politikwechsel möglich war. Die Freien Demokraten regieren mit SPD, mit Grünen, mit der CDU, weil wir jedes Mal aufs Neue schauen, ob ein Politikwechsel möglich ist. Und das zeigt, wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung, aber wir sind auch eine eigenständige Gestaltungspartei, die nicht in das Lager irgendeiner anderen Partei gehört.
Und hier in Baden-Württemberg, ich weiß das noch genau, hier in Baden-Württemberg ist unser Freund Uli Rülke hart dafür kritisiert worden, dass er nicht stellvertretender Ministerpräsident in einem Kabinett Kretschmann wird. Aber diese Entscheidung war genauso mutig wie die von Volker Wissing, denn in dieser Konstellation hier wäre eben kein Politikwechsel möglich gewesen.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, wer den Status quo überwinden will, der darf sich nicht am Applaus des Tages orientieren, sondern nur an den Überzeugungen, für die man bereit ist zu streiten im Plenarsaal und auf dem Marktplatz. Nur da.
Meine Damen und Herren, jetzt haben wir zu Beginn dieses Jahres sieben Landesminister und 80 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Wir haben die Organisation unserer Arbeit im Deutschen Bundestag gegenüber früheren Zeiten verändert. Wir haben jetzt starke stellvertretende Fraktionsvorsitzende, die ein eigenes fachliches Ressort führen. Und damit für die unterschiedlichen Themen das politische Gesicht sind. Katja Suding, Alexander Graf Lambsdorff, Michael Theurer, Stephan Thomae, Frank Sitta, Christian Dürr. Wir haben Nicola Beer als Generalsekretärin, den stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Kubicki und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, unsere parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann, Stefan Ruppert und Florian Toncar, die alle können jetzt wirken. Uns wurde vorgehalten, die FDP sei eine One-Man-Show. Ich muss sagen, zurzeit der außerparlamentarischen Opposition ist One-Man-Show besser als eine No-Man-Show.
Aber die Lage hat sich jetzt verändert. In der Sache stehen wir für Individualität und Vielfalt und deshalb sind jetzt alle auch aufgerufen, die Individualität und Vielfalt der FDP zu leben. Das ist unser Ziel. Jeder hat jetzt die Möglichkeit dazu.
Übrigens wurde verschiedentlich gesagt, ja, die FDP-Bundestagsfraktion, die habe so wenig Regierungserfahrung. Das stimmt gar nicht, wenn man sich die Fraktionen, die Biografien im einzelnen ansieht. Wahr ist, in unserer Parlamentsfraktion sind auch viele neue Persönlichkeiten, die zuvor in Wirtschaft, in Kultur und in Wissenschaft Erfahrung gesammelt haben. Und ich freue mich darauf, von Ihnen und dem frischen Denken jetzt auch zu lernen. Aber mangelnde Regierungserfahrung ist nach meinem Geschmack in Deutschland zu oft nur ein Tarnwort für weiter so. Und wenn Politik, wenn Regierung und Parlament eins brauchen, dann frische Ideen und das sollte das Markenzeichen der FDP sein, eine Brücke zwischen Gesellschaft und Politik zu schlagen.
Meine Damen und Herren, Deutschland geht es gut. Aber die gegenwärtige Stärke unseres Landes führt uns alle natürlich in Versuchung, uns in der Komfortzone einzurichten. Dabei ändert sich gegenwärtig um uns herum und in unserer Gesellschaft Grundlegendes. Erstens, die Vereinigten Staaten sind unser traditioneller Bündnispartner, aber auf Sicht der nächsten Jahre keine verlässliche Größe mehr. China hingegen strebt jetzt mit Macht auf die Weltbühne und hat seine Jahrzehnte lang geübte politische und ökonomische Zurückhaltung aufgegeben. Wie ist die Antwort darauf? Abschottung und die Augen verschließen? Das darf nicht die Antwort sein. Die Antwort muss sein die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit Europas und das aktive Eintreten für weltweiten Freihandel, das muss die Antwort sein.
Und deshalb muss der Deutsche Bundestag natürlich schnellstmöglich das Freihandelsabkommen mit Kanada ratifizieren. CDU und SPD und FDP sind dafür, die breite Mehrheit in Deutschland ist also für diesen Freihandel, das Land darf sich nicht bremsen lassen durch Grüne, Linke und AfD, die da dagegen sind und zeigen, welche geistige Verwandtschaft sie haben.
Zweitens verändert die digitale Revolution alles. Unser Leben. Unsere Gehirne. Die Machtstrukturen in der Gesellschaft und Biografien. Die Antwort darauf kann doch nicht Teilnahmslosigkeit sein. Die Antwort muss mehr Tempo sein, beim Ausbau der Infrastruktur, der Modernisierung des Rechts, insbesondere für fairen Wettbewerb, auch bei der Digitalisierung und endlich eine Politik, die erkennt, dass die Digitalisierung auch für den Staat selbst eine Chance ist, wir können uns nicht erlauben, länger Zeit zu verlieren.
Drittens erreicht uns in diesen Jahren endgültig der demografische Wandel. In wie vielen Klassen sind Kinder aus ursprünglich deutschen Familien heute in der Minderheit? Wie viele Familien leben von Sozialleistungen, ein starker Grund für die wachsende Kinderarmut, weil sie keinen Tritt am Arbeitsmarkt fassen. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner steigt. Sie übersteigt die Zahl derjenigen, die neu ins Berufsleben eintreten. Und der Fachkräftemangel ist dabei, zu einem großen Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes zu werden. Die Antwort darauf kann aber doch nicht Mütterrente und Mindestlohndokumentationsverordnung sein. Die Antwort darauf muss sein, eine Priorität für Bildungspolitik, ein flexibler Sozialstaat und endlich eine liberale Einwanderungspolitik in unserem Land.
Mein vierter Punkt: 15 Jahre haben wir in Deutschland von der Reformdividende Gerhard Schröders gelebt. Wir haben auf den Weltmärkten profitiert davon, dass die anderen schwächer waren als wir. Danach haben wir profitiert von der Notenbankpolitik, dem Außenwert des Euro und dem Zins. Jetzt beginnt sich alles zu verändern. Die Reformdividende von Gerhard Schröder ist jetzt endgültig verbraucht, andere ändern ihre und verbessern ihre Standortbedingungen und bei uns verschlechtern sie sich. Wie ist darauf die Antwort? Weiter nur umverteilen des Status quo? Das darf doch nicht die Antwort sein. Die Antwort muss eine neue Wachstumsagenda sein, mit der die Kräfte dieses Landes wieder entfesselt werden, um neuen Wohlstand zu erwirtschaften. Und das ist eine Frage der Staatsräson.
Und die fünfte Zeitenwende, die ich exemplarisch ansprechen will, das ist das Ergebnis der Bundestagswahl selbst. Das markiert nämlich eine historische Zäsur in der Entwicklung unserer Republik. Mit der Alternative für Deutschland gehören unserem Parlament erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung unserer Republik eine Fraktion an, die keine klare Trennlinie zieht zur Fremdenangst oder Rassismus und Antisemitismus und die wieder völkisches Denken salonfähig machen will, also die Vorstellung einer ethnischen oder kulturellen oder religiösen Einheit des Volkes. Wenn das Volk ethnisch, kulturell und religiös eine solche Einheit ist, dann braucht es natürlich auch nur eine Partei, die diesen Willen ausspricht. Das ist der Kern dieses autoritären Denkens. Die Antwort auf die AfD im Parlament kann doch nicht sein Ignorieren oder Moralisieren, erst recht nicht die Übernahme von Parolen. Die Antwort muss die nüchterne Zurückweisung sein und eine andere Bundespolitik, die die Probleme wieder klein macht, die die AfD vorher groß gemacht haben. Das muss die Antwort darauf sein.
Meine Damen und Herren, wir, auch andere, die westliche Welt, wir stehen in einer Zeitenwende. Das betrifft nicht nur uns. In Frankreich antwortet man auf diese Zeitenwende mit einer neuen Generation Frankreich. Neue Generation bezieht sich da nicht auf das Alter der Personen, sondern auf das Alter der Ideen und Konzepte. In Frankreich öffnet man sich offensiv für neue Ideen. Für neue großartige Talente der ganzen Welt, für Waren, man geht zu Hause strukturelle Reformen an, die lange vorher verschleppt worden sind. Der neue französische Präsident Macron ist bereit, dafür sogar Konflikte in seiner Gesellschaft einzugehen. Wenn sie der Preis dafür sind, dass sich etwas verändern kann. Was soll die deutsche Antwort darauf sein? Dieser inzwischen auch legendäre Satz der Bundeskanzlerin am Tag nach der Bundestagswahl: „Ich weiß nicht, was wir hätten anders machen sollen.“ Man kann ein Land mit Taten überfordern, man kann eine Gesellschaft mit Ambitionslosigkeit aber auch unterfordern.
Wir jedenfalls, meine Damen und Herren, wir wollen als Antwort an Frankreich und andere auch an einer neuen Generation Deutschland arbeiten. In der alte Ideen und schwach gewordene Konzepte durch neue ersetzt werden. Wir wollen Teil einer neuen Generation, einer politischen Generation Deutschland, Teil eines Erneuerungsprojektes sein. Wenn es eine solche Erneuerungspolitik gibt, dann haben wir Freude an der Gestaltung und sind bereit auch zum Konflikt, wenn im Zweifel für Grundüberzeugungen, die erst populär gemacht werden müssen, auf der Straße geworben werden müssen. Dazu sind wir bereit.
Und jetzt weiß ich ja, dass viele in dieser Jamaikakoalition genau dieses Erneuerungsprojekt gesehen haben. Auch hier im Saal. 2013 gab es schon einmal schwarz-grüne Sondierungen. Und schon damals konnte man diese Diskussion über eine mögliche Erneuerung verfolgen. Da kommt jetzt wirtschaftliche Vernunft und ökologisches Gewissen zusammen, um das alles unter der Schirmherrschaft der Präsidialkanzlerin Angela Merkel, die dafür sorgt, dass sich in Wahrheit doch nichts verändert. Und so wie manche Schwarz-grün 2013 gewollt hätten und dann jahrelang dieser Konstellation nachgetrauert haben, so ist jetzt dann 2017 Jamaika zu einem politischen Sehnsuchtsort verklärt worden. Wir waren da. Und mussten den Eindruck tatsächlich gewinnen, dass jetzt das Versäumnis von 2013 einer schwarz-grünen Zusammenarbeit getilgt werden sollte und zwar unter willfähriger Beteiligung der FDP um den anderen den Steigbügel zu halten. Wenn wir eines aber gewiss nicht mehr sind, dann ist es Steigbügelhalter für irgendwelche anderen. Das machen wir nicht.
In Deutschland gibt es einen verbreiteten Glauben, widersprüchliche Wahlprogramme von Parteien seien im Grunde schädlich. Widersprüche zwischen den Parteien seien falsch für das Gemeinwohl. Und müssten dann irgendwie auf angenehme Weise verbunden werden, damit dann gute gemeinwohlorientierte Politik rauskommt. Das ist eine spezifisch deutsche und im Übrigen auch vordemokratische Form der politischen Romantik, meine Damen und Herren.
Vor 50 Jahren hat hier Ralf Dahrendorf gesprochen, 1968. Bei diesem Dreikönigstreffen. Und er hat seinerzeit gewarnt vor politischen Utopien, die einen anderen Menschen formen wollen, und er hat für die Offenheit der Gesellschaften geworben. Und als Voraussetzung für diese Offenheit der Gesellschaft hat Dahrendorf vor 50 Jahren an dieser Stelle dafür plädiert, auch das, was es an Unterschieden in einer Gesellschaft gibt, es auszuleben. Eine Gesellschaft, in der versucht wird, alles so in einem Gleichgewicht schwebend zu halten, in einer solchen Gesellschaft geht der Antrieb für Fortschritt und die Möglichkeit zur Korrektur von Fehlentscheidungen verloren. Und deshalb: Es gibt in unserer Demokratie nicht nur die Pflicht zum Kompromiss unter Demokraten, es gibt auch die Pflicht zur Kontroverse unter Demokraten, die den Wettbewerb lebendig hält.
Der liberale Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat einmal was Bemerkenswertes notiert. Ich zitiere ihn. „Es waren immer die Konservativen, die dem Sozialismus Zugeständnisse gemacht haben und ihm zuvorkamen.“ Das kann man natürlich heute nicht mehr wörtlich nehmen. Denn die CDU unter Angela Merkel ist ja keine konservative Partei mehr.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, hat auf seinem Parteitag ausgeführt, jetzt nach dem Scheitern dieser Jamaikasondierungen, „die Grünen seien die letzte handlungsfähige linke Partei“. Davon konnten wir uns während der Sondierungen selbst einen Eindruck verschaffen. Und wir haben Pragmatiker getroffen. Keine Partei ist ein monolithischer Block, wir haben dort Pragmatiker getroffen mit fremden, aber interessanten Ideen. Besonders inspirierend waren aber die Abende mit dem eigentlichen Verhandlungsführer der Grünen, nämlich Herrn Trittin. Und dieser Teil der Grünen, dieser linke Flügel der Grünen, der vertritt eine Politik, die mit dem Staat und mit dem Gesetzesbefehl die Gesellschaft lenken möchte, Unterschiede planieren will und Menschen umerziehen möchte. Eine solche Haltung darf man vertreten, aber als Liberale können, als Liberale dürfen wir einer solchen Haltung nicht zur Macht verhelfen.
Wenn Wahlprogramme überhaupt noch irgendeinen Sinn haben sollen, dann muss man die Entscheidungen, die nach Wahlen getroffen werden auch an ihnen messen. Wir haben aus staatspolitischer Verantwortung die Oppositionsrolle gewählt und das stärkt unsere Demokratie, es ist eine Kampfansage an Politikverdrossenheit und Protestwahlverhalten, denn niemand kann mehr sagen, in der bürgerlichen Mitten der Politik gäbe es keine Unterschiede, die zur Wahl stünden.
Ich bin in einem Interview von einer Journalistin gefragt worden, ob wir denn hoffen würden, dass bei der nächsten Wahl die Wählerinnen und Wähler vergessen hätten, dass wir jetzt nicht in diese Regierung eingetreten sind. Wieso vergessen? Ganz im Gegenteil. Unser Nein war ein konstruktives Nein. Es war ein Nein zum Status quo. Es war eine Investition in unsere Glaubwürdigkeit, eine Investition, die sich dann bezahlt machen wird, wenn wir dereinst bei einem Erneuerungsprojekt unseres Landes wirkliche Gestaltungsmacht brauchen. Also warum vergessen? Im Gegenteil.
Ich würde also meiner Partei empfehlen, im Prinzip die gleichen Entscheidungen noch einmal zu treffen, mit einer Ausnahme. Dieses Verfahren wochenlang, dutzende Verhandler auf dem Balkon, die Papiere aufschreiben, in denen noch genauer immer notiert wird, wo man sich nicht einig ist. Ein solches Verfahren würde ich nicht ein zweites Mal wiederholen, meine Damen und Herren, das hat falsche Erwartungen geweckt.
Nun hat Deutschland keine Koalition. Und in seinem Jahresrückblick sagte der Kabarettist Dieter Nuhr einen Satz, der mich sehr beeindruckt hat. Der sagte, und vielleicht ist das ein Denkanstoß, will ich mal sagen. Der sagte: „Ja, wir haben keine Regierung“ und dann weiter: „Regiert werden ist weniger wichtig als das, was man selber in der Zeit tun könnte“. Und dahinter steckt eine höhere Weisheit. Jetzt ist der Verzicht auf eine Koalition kein Dauer- und Idealzustand. Aber ist das eine Krise? Ist das eine Staatskrise? Ist das eine Verfassungskrise? Wir haben einen funktionierenden Deutschen Bundestag, wir haben funktionierende Institutionen, wir haben eine funktionierende öffentliche Verwaltung. Ich hab den Eindruck, wir haben sogar schon hinreichend viele Gesetze, dass nicht sofort Anarchie ausbricht. Also insofern es ist keine Krise.
Es ist keine Krise und es wird ja auch kein Dauerzustand sein. Voraussichtlich gibt es jetzt eine Große Koalition. Und diese Große Koalition wird eine andere sein als die der vergangenen vier Jahre. Während der letzten vier Jahre wurde die Regierung nämlich immer nur von links im Deutschen Bundestag kritisiert. Diese neue Große Koalition, wenn sie denn kommt, die hat sich gegenüber auch einer Opposition aus der Mitte des Parlaments, die daran erinnert, dass man erst einmal der Eigeninitiative der Bürger eine Chance geben sollte, bevor man nötigenfalls den Staat zu Hilfe ruft. Und das verändert das politische Spiel.
Das verändert das politische Spiel. Jetzt wird uns gesagt, na ja, dass es diese Große Koalition gibt, das hättet ihr verhindern müssen. Ihr hättet Jamaika machen müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Das ist nun der kärglichste Gestaltungsanspruch, den man haben könnte. Und im Übrigen bin ich gar nicht sicher und halte es für offen, ob jetzt nun eine Jamaikakoalition in der Sache bessere Entscheidungen getroffen hätte als eine neue Große Koalition. Das wird man erst im Vergleich dann sehen. Mehr noch, es wird der Versuch unternommen, zu sagen, für all das, was die Große Koalition jetzt macht, trägt die FDP mit ihrer Verweigerungshaltung die Verantwortung. Ich habe mal eine Frage. Welche Verantwortung trägt denn eigentlich noch die Bundeskanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz?
Das ist doch der Versuch, wieder eine Alternativlosigkeit zu konstruieren. Wieder eine Alternativlosigkeit, die FDP hat sich verweigert, also Große Koalition. Und deshalb ist die CDU gezwungen, alles mitzumachen, was die SPD fordert. Diese Alternativlosigkeit aber sie gibt es nicht. Die erste Alternative zu einer Großen Koalition wäre eine Minderheitsregierung. Auch das ist kein Dauerzustand.
Auch das kein Ideal-, kein Dauerzustand, es ist in unsere Verfassung aber vorgeschrieben. Also erste Option, um sich nicht von der SPD erpressen lassen zu müssen, ist eine Minderheitsregierung. Die ist fraglos unbequem. Denn dann müsste Frau Merkel wieder ins Parlament kommen und für ihre Politik werben, ihre Politik erklären, überhaupt einmal eine eigene politische Meinung haben. Unbequem.
Mir fällt in dem Zusammenhang ein Satz ein, den der Kandidat für den Parteivorsitz der Grünen, Robert Habeck, dieser Tage in einer „Bild“-Zeitungsmeldung oder einem Interview gesagt hat, Wolfgang Kubicki hat mich gestern darauf aufmerksam gemacht. Befragt nach den Gründen für das Scheitern von Jamaika, hat Herr Habeck als er Grüne wohlgemerkt, als ersten Grund angegeben die Mangelnde Autorität der Bundeskanzlerin in ihrer eigenen Partei. Also die Option ist Minderheitsregierung, auch wenn das für die Regierungschefin selber unbequem ist. Und es ist kein Dauerzustand, aber es könnte sich dennoch für eine gewisse Phase zumindest als übergangsweise vorteilhaft herausstellen, denn wir haben in unserem Land schon sehr lange ein Übergewicht der Regierung über dem Parlament. Sehr lange schon.
Da müssen dann über Nacht Hunderte Seiten von Abgeordneten gelesen und bewertet werden, weil am nächsten Tag entschieden werden muss. Wenn eine Phase einer Minderheitsregierung, die ich nicht als Ideal achte und die wir auch nicht empfehlen oder anstreben, wenn während der Phase einer Minderheitsregierung es dazu käme, dass das Parlament nicht mehr Zulieferbetrieb der Regierung ist, wenn es dazu käme, dass die spannendsten Debatten nicht bei „Anne Will“ geführt werden, sondern wieder im Plenarsaal, dann kann ich daraus jedenfalls keinen Nachteil für unsere Demokratie erkennen.
Wenn also die Bundeskanzlerin eine solche Konstellation, Minderheitsregierung nicht will, weil sie unbequem ist, muss sie dennoch der SPD keine Zugeständnisse machen. Und wenn die Union der SPD Zugeständnisse macht, dann muss sie selbst dafür die Verantwortung übernehmen. Denn es gäbe immer auch die zweite Alternative. Und die zweite Alternative, sich nicht von anderen erpressen zu lassen, das ist, die Wählerinnen und Wähler wieder zu befragen, wie sie die vollständig veränderte politische Lage in unserem Land einschätzen, vor einer Neuwahl fürchten wir uns nicht. Und es ist das Recht der Menschen, ein neues Urteil zu treffen.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir beobachten, was bei anderen passiert, aber die treffen ihre Entscheidungen, wir unsere. Bei unserer Arbeit konzentrieren wir uns darauf, dass Projekt „Neue Generation Deutschland“ möglich zu machen. Zum einen dadurch, dass wir unser eigenes politisches Gewicht erhöhen. In diesem Jahr stehen wieder zwei Landtagswahlen an. In Hessen und in Bayern. René Rock und Daniel Föst, der bayerische Landesvorsitzende, ihr könnt euch sicher sein, wir werden euch bei euren Wahlen wieder so unterstützen, wie wir das zur Zeit der außerparlamentarischen Opposition gemacht haben, denn es geht bei euch nicht nur um regionale Fragen, sondern auch um Entscheidungen für Deutschland und deshalb werden wir gemeinsam mit euch in diese Wahlkämpfe gehen.
Beide haben mich übrigens ausdrücklich gebeten, unsere Haltung bei diesen Wahlen noch mal zu unterstreichen. Das ist nämlich die gleiche Haltung, die wir in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Nämlich die Haltung, dass wir bei diesen beiden Landtagswahlen bereit sind, auch Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht um jeden Preis. Wenn es möglich ist, zu gestalten, in Hessen und in Bayern, und Politikwechsel zu erreichen, dann wird die FDP das tun. Und wenn es nicht möglich ist, dann werden wir unsere Glaubwürdigkeit ein weiteres Mal dokumentieren, in dem wir die Oppositionsrolle annehmen. Auch das würde unsere Position in der politischen Landschaft stärken.
Und zum anderen arbeiten wir an einer neuen Konstellation für die „Neue Generation Deutschland“, durch unsere Facharbeit im Deutschen Bundestag. Mit der man natürlich die Mitbewerber auch zu einer fachlichen Auseinandersetzung zwingen kann. Es wird immer gesagt, ja, in der Opposition kann man überhaupt gar nichts bewegen. Während der Zeit unserer außerparlamentarischen Opposition, Nicola Beer hat es gesagt, haben wir der Digitalisierung Priorität gegeben. Wir haben Positionen bezogen. Und haben Zielgruppen angesprochen und hatten am Ende von allen Parteien den höchsten Kompetenzwert bei dieser Zukunftsfrage Digitalisierung als außerparlamentarischer Opposition und im Ergebnis haben unsere geschätzten Mitbewerber ebenfalls die Priorität für dieses Thema erkannt. Man kann also aus der Oppositionsrolle heraus gestalten. Wer das verneint, der verneint die Kraft des besseren Arguments und er drückt eine Geringschätzung gegenüber dem Parlamentarismus aus. Also das werden wir jetzt tun. Wir haben damit begonnen.
Wir haben damit begonnen, unsere erste Initiative war ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerrechte. Es enthielt beispielsweise die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Ein Gesetz, das grade ja traurige Aktualität hat. Wegen der völlig inakzeptablen Tweets und Postings von AfD-Politiker. Die AfD ist auch für die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Offensichtlich, weil sie so einen Schmutz gerne weiter verbreiten will und ihn unter den Deckel der Meinungsfreiheit bringen will. Wir sind gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, weil wir glauben, dass solche Fragen nicht entschieden werden sollten von den Sachbearbeitern kommerzieller Dienste, sondern vom Staatsanwalt. Das ist der Unterschied zwischen uns und denen.
Ich will im Blick nach vorne, was unsere fachlichen Themen sind, fünf kurze Gedanken zur Ankündigung nur bringen. Fünf kurze Gedanken, Themenfelder, die uns beschäftigen werden. Ich fang bewusst mit diesem an: Die FDP setzt sich als liberale Partei für die Lebenschance eines jeden einzelnen ein. Wer sich für die Lebenschancen eines jeden einzelnen einsetzt, der muss sich aber auch für die Überlebenschancen der Menschheit engagieren. Wir tragen ökologische Verantwortung, daran muss uns niemand erinnern. Die FDP war die erste Partei, die den Umweltschutz im Programm und im Kabinett verantwortet hat. Ein Evergreen. Hans-Dietrich Genscher hat das Umweltbundesamt gegründet, als Joschka Fischer noch mit Steinen auf Polizisten geworfen hat. Also da muss uns niemand dran erinnern.
Und deshalb stehen wir zum Klimaschutzabkommen von Paris. Aber es fordert von uns eben auch einen neuen Realismus. Der Klimaschutz ist eine globale Aufgabe, wir werden ihn alleine nicht leisten können. Zu versuchen, bei uns im Alleingang Klimaziele zu erreichen und Arbeitsplätze und Wohlstand infrage zu stellen, wird nur die Akzeptanz dieser Politik infrage stellen. Die Menschen erwarten von uns, dass wir einen smarten Weg finden, Ökologie und Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Wohlstand zu vereinbaren, das erwarten die Menschen. Nicht Planwirtschaft und Fahrverbot.
Das erwarten die Menschen und deshalb sollten wir global denken in diesen Fragen des Klimaschutzes. Wir sind eine hochentwickelte, hocheffiziente Volkswirtschaft. Eine Industrienation. Wir haben inzwischen die höchsten Kosten zur Vermeidung einer Tonne CO2 weltweit, weil wir schon so gut sind. Mit unserem Geld und mit unserer Technologie könnten wir erreichen, dass andere auf der Welt sich selbst viel ambitioniertere Ziele setzen könnten. Dirk Niebel als Entwicklungsminister hat eine solche internationale Kompensation bei Klimazielen seinerzeit gefördert und unterstützt. Es wäre im doppelten Sinne ein Nutzen. Es sind neue Absatzmärkte für unsere Technologien einerseits und andererseits ist der Beitrag zum Klimaschutz größer, deshalb sollte unser Land seinen Klimanationalismus überwinden, um global zu denken.
Aber oft genug geht es darum nicht, ich erinnere eine bemerkenswerte Situation, Wolfgang Kubicki war dabei, während der Jamaikaverhandlungen, als Herr Hofreiter von den Grünen den Satz sagte, er habe sein ganzes Leben Politik gemacht gegen den Satz „freie Fahrt für freie Bürger“. Und das zeigt eines. Wer symbolisches Handeln will, und er wer bei einer globalen Frage wie dem Klimaschutz nur national denkt, dem geht es gar nicht um die Bewahrung der Schöpfung und die Nachhaltigkeit, sondern dem geht es um ein anderes Leben für die Menschen in Deutschland. Und das ist nicht ökologisch, sondern ideologisch.
Globale Verantwortung zu übernehmen, heißt aber nicht bei uns in Deutschland, nicht besser werden zu können und zu müssen, in Fragen des Klima- und Umweltschutzes. Nur unsere Energiewende, wie wir sie machen, ist doch längst in eine Sackgasse geraten. In dieser Woche hat der Netzbetreiber Tennet mitgeteilt, dass im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro aufgewendet werden mussten, um die Stabilität der Netze sicherzustellen, durch immer neue Eingriffe. Das kann man doch in der Weise nicht fortsetzen, dass wir Ökostrom produzieren, den wir ins Ausland entsorgen müssen. Und deshalb müssen wir uns lösen vom Denken in Quotenverboten und Subventionen. Man kann ein Problem nicht mit den Instrumenten lösen, die das Problem verursacht haben. Wir brauchen neues Denken.
Und deshalb wollen wir, dass CO2 einen Preis bekommt, europäisch wirksam gehandelt wird, wer CO2 verbraucht beziehungsweise ausstößt, der zahlt. Und zwar sektorübergreifend in ganz Europa. Das wirft den Innovationsmotor Marktwirtschaft an. Und wir wollen, dass Theologen und Politologen wie ich, in den Parlamenten die Ziele festlegen dürfen, aber die Zielerreichung, die legen wir wieder in die Hände der Techniker und Naturwissenschaftler.
Zweiter Punkt: Wir sind stolz auf unsere wirtschaftliche Stärke. Und sie zu erhalten ist Staatsräson. Es ist die Marktwirtschaft, die die Pflöcke einschlägt, an denen das soziale Netz aufgehangen ist. Wer soziale Verantwortung wahrnimmt, der sorgt sich um die wirtschaftliche Stärke unseres Landes. Die Quellen unseres Wohlstands sind aber im Prinzip 100 Jahre alt. Also müssen wir uns darum bemühen, dass sie in die neue Zeit kommen, aber zugleich brauchen wir auch mehr Gründergeist in unserem Land. Wir müssen dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Erneuerung auch durch sozusagen ausgelagerte Labore in Form von neugegründeten Unternehmen stattfindet. Vieles ist dazu zu sagen, ein entwickelter wirksamerer Kapitalmarkt ist erforderlich. Vor allen Dingen müssen wir aber mehr Menschen in die Lage versetzen, aus einer Idee auch einen Betrieb zu machen. Ich nenne nur ein Beispiel für eine Maßnahme. In Nordrhein-Westfalen führen wir jetzt ein Gründerstipendium ein, eine FDP-Initiative. Für diejenigen, die noch nicht einen fertigen Geschäftsplan haben, mit dem sie zu einer Bank oder zu einem Investor gehen können, sondern für diejenigen, die zum Beispiel als Studienabsolventen aus dem Patent erst einmal einen Geschäftsplan machen. Die aber nicht aus der Familie heraus die finanziellen Möglichkeiten haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Für die gibt es nun 1.000 Euro für zwölf Monate im Jahr. Nicht mit irgendeinem bürokratischen Nachweis für Büromaterial, sondern ausschließlich darum, dass man sich keine Sorgen muss, ob der Kühlschrank gefüllt ist, denn Unternehmergeist darf nicht davon abhängen, ob die eigene Familie schon wohlhabend war, sondern er darf nur davon abhängen, ob eine Idee gut ist und sich durchsetzen kann.
Ich könnte länger sprechen über Bürokratie, ein Hemmnis für uns alle. Ich nenne nur das Stichwort. Vor allen Dingen sorge ich mich darum, dass sich inzwischen auf der internationalen Bühne die finanziellen Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg fundamental verändert haben. Frankreich macht eine Unternehmenssteuerreform. Herr Macron setzt das gegen große Widerstände durch. Man mag von Herrn Trump halten, und von seinen Politiken, was man will, aber dass er jetzt eine Steuerreform durchgesetzt hat, ist eine Realität. Die sich auswirkt auch auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer exportorientierten Wirtschaft. Und deshalb müssen wir darauf reagieren. Durch verbesserte Abschreibungsbedingungen für Investitionen. Eine steuerliche Förderung von Forschung und dadurch, dass der Solidaritätszuschlag der Menschen und Betriebe entlastet ausläuft zu dem Zeitpunkt, wie es versprochen worden ist: 2019.
Wir haben das ja in der Debatte erlebt und in den Verhandlungen, dass es heißt, ja, wir können uns steuerliche Entlastungen nicht leisten. Wir sind ja auch bescheiden schon geworden in unseren Vorschlägen. An große Steuerreformen unter dieser Konstellation dachten wir ja schon gar nicht mehr. Wir können uns nicht eine breitere Entlastung leisten. Ich sehe es genau andersrum. Weil sich alles verändert hat, muss sich auch unsere Haltung, unsere deutsche Haltung dazu ändern. Die anderen sagen, wir können uns nicht leisten, die Belastungen zu reduzieren. Ich sage, wir können uns nicht leisten, bald die höchsten Unternehmenssteuern der Welt zu haben. Weil das nämlich am Ende Arbeitsplätze kosten wird.
Und beim Solidaritätszuschlag ist das vielmehr als eine fiskalische Frage, es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt.
Es ist zugesagt worden, dass diese Ergänzungsabgabe entfällt, wenn der Grund ihrer Erhebung entfallen ist, 2019. Nach unserer Auffassung ist es dann auch ein Gebot unserer Verfassung, wie der politischen Hygiene dieser Ankündigung Taten folgen zu lassen. Wenn andere dazu nicht bereit sind, dann werden wir vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen eine Abgabe erheben, die nicht mehr rechtlich von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt werden darf. Dann gehen wir eben den Weg.
Der dritte Punkt: Die Migrationspolitik ist überall auf der Welt geeignet, Gesellschaften zu sprengen, Fliehkräfte auszulösen und die Menschen gegeneinander auszuspielen. Überall auf der Welt, in jeder Gesellschaft. Es ist eine der sensibelsten politischen Fragen, die es überhaupt gibt. Denn es mit Identität und mit Ängsten zu tun. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ist gescheitert. Sie hat in Deutschland Fliehkräfte ausgelöst, und in Europa Einigkeit verspielt. Wir wollen, dass Deutschland sich nicht abschottet, sondern ein weltoffenes Land bleibt. Wir stehen für Toleranz und für Vielfalt. Die Religion, die Herkunft, die Ethnie spielt für Liberale keine Rolle, und wir wollen, dass Deutschland weiter ein so liberal geprägtes Land bleibt, die Voraussetzung dafür ist aber, dass es klare Regeln und geordnete Verfahren gibt, auf die die Menschen sich verlassen können, egal, ob sie neu nach Deutschland kommen oder hier schon immer gewohnt haben. Das ist die Voraussetzung dafür. Und das muss hergestellt werden.
Und das muss hergestellt werden und deshalb muss man sich an die wirklichen Probleme heranbewegen. Die CSU hat jetzt beschlossen, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr bis zu 36 Monaten gewährt werden, sondern nur noch bis zu 15 Monaten und es danach reduziert wird. 36 Monate, 15 Monate, die Frage ist doch nicht, ob dann die Leistungen reduziert werden, die eigentliche Frage ist doch, wieso kann es sein, dass Asylverfahren in Deutschland überhaupt 15 oder 36 Monate dauern, die müssen schneller abgeschlossen werden, statt solche Neiddebatten zu führen.
Das ist doch eine symbolhafte Neiddebatte, mit der Ängste und Ressentiments geschürt werden sollen. Das Problem ist nicht die Leistung, die Menschen erhalten, während sie sich um einen Aufenthaltsstatus bei uns bewerben und bemühen, das Problem ist, dass die Verfahren zu lange dauern und dass es keine einheitlichen Standards gibt. Wir haben es jetzt wieder gesehen bei der Gesundheitsprüfung dieser harten Debatte. Wir achten und schätzen und verteidigen die Rechte, insbesondere die Würde aller Menschen, die zu uns kommen und sich um einen Aufenthaltsstatus bewerben. Aber diejenigen, die hier sind, haben auch ein Recht zu erfahren, wer das ist, der da kommt. Und deshalb brauchen wir da bundeseinheitliche Standards in dieser Frage. Also darum geht’s uns.
Darum geht’s uns und weil es so viele Jahre in dieser Debatte jetzt keine Bewegung und keine Initiativen gegeben hat, ergreifen wir die Initiative, es werden Freie Demokraten sein, die den Gesetzentwurf für ein neues Einwanderungsgesetz in Deutschland in Bundesrat und Bundestag einbringen, damit in dieser Frage bei der Lebenslüge, unser Land sei kein Einwanderungsland, wir endlich eine „Neue Generation Deutschland“ werden und ankommen in der Realität.
Vierter Punkt, vorletzter Punkt. Haben Sie dieses Urteil gelesen des Bundesverfassungsgerichts zum Numerus clausus? Was für eine Blamage für das ganze deutsche Bildungssystem, das inzwischen höchst richterlich festgehalten wird, dass die Abiturnoten in den 16 Ländern nicht vergleichbar sind und deshalb kein zumindest alleiniger Maßstab für die Aufnahme eines Hochschulstudiums sein kann. Was für eine Situation.
In welcher Situation sind wir? Klar ist doch, ein Land, das so auf die Mobilität seiner Menschen setzt, braucht doch endlich mehr Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Ländern und mehr Mobilität zwischen den 16 Schulsystemen. Es ist eine Lebenslüge, dass die Konkurrenz von 16 Ländern unser Land stark macht, sie führt nur zu Reibungsverlusten und deshalb muss der Bildungsföderalismus in Deutschland endlich einer Reform unterzogen werden.
Und selbst bei den ersten, bei den Anfangsfragen, Uli Rülke hat es ausgeführt, kommt man da gegenwärtig in Deutschland nicht weiter. Winfried Kretschmann sagt, keine Kooperation in finanzieller Hinsicht, weil damit inhaltliche Vorgaben verbunden sein könnten. Ich bin gegen eine Verfassungsänderung. Das sagt die CSU, gerade noch mal bei ihrer Klostertagung beschlossen. Beide sagen, die Bayern mit mehr Recht als die Baden-Württemberger, wir sind ja im Vergleich der Bundesländer gut. Ja, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, ja, sicher ist Bayern besser als Bremen. Aber wenn man sich damit zufrieden gibt, haben wir in Deutschland ein Problem, denn nicht Bayern steht im Wettbewerb mit Bremen, Deutschland steht im Wettbewerb mit Nordamerika und den asiatischen Ländern. Und deshalb müssen wir im Weltmaßstab denken.
Der Bundesfinanzminister Christian Lindner - das war noch nicht die Pointe - und ich finde das auch nicht ... na ja, der Bundesfinanzminister Christian Lindner, der hätte Schulen in Burundi und Botswana sanieren dürfen, aber nicht in Böblingen und Bonn. Und deshalb werden wir als Bundestagsfraktion eine Initiative zur Veränderung unseres Bildungsföderalismus in Deutschland einbringen.
Letzter Punkt: Wir stehen vor einer Dekade der Gestaltung Europas. Ist keine Sache von wenigen Wochen und Monaten, eine Reformdekade und wir brauchen sie. Wir brauchen ein starkes Europa, es gibt keine Frage von Belang, die man ohne oder gegen Europa lösen kann, alle großen Fragen kann man nur mit und in Europa gestalten. Deshalb wollen wir ein starkes Europa.
Und wir betonen nur, dass auf der einen Seite die Stärke beim Grenzschutz, beim digitalen Binnenmarkt, bei der Sicherheit, dass diese Stärke eine Voraussetzung hat. Nämlich die Konzentration auf die wirklich wichtigen Aufgaben, und es gibt andere Aufgaben, die muss man nicht allgemein europäisch regeln. Manche sehen darin eine Europaskepsis. Das Gegenteil ist richtig. Wer das starke Europa will, der muss dafür sorgen, dass es sich um die wirklich wichtigen Fragen kümmert, und ansonsten mehr Rücksichtnahme auf regionale Unterschiede erlauben. Das erst macht Europa stark.
Und bei den großen Fragen wünschen wir uns jetzt mehr Dynamik. Herr Macron hat vorgeschlagen eine Initiative für eine stärkere Integration der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa. Was für eine großartige Idee. In den 50er Jahren ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft am Veto Frankreichs gescheitert. Wenn jetzt, 2017 war das, ein französischer Präsident diese Initiative neu ergreift, dann darf der Kontinent kein zweites Mal dieses Rendezvous mit der Geschichte verpassen. Ergreifen wir also diese Hand.
Natürlich, wir haben dezidiert bestimmte Auffassungen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Uns geht es um die finanzpolitische Eigenverantwortung der einzelnen Staaten. Weil diese Eigenverantwortung die Voraussetzung dafür ist, und den Anreiz bietet, die eigenen Probleme und Reformen anzugehen. Ein Fanal, dass in Italien jetzt Silvio Berlusconi wieder in die Politik eingreift, denn die gegenwärtige Schwäche Italiens hat nichts zu tun mit der Stabilitätspolitik Europas, sondern nur mit den Versäumnissen der Generation Berlusconi in Europa und Italien selbst. Also ein Fanal. Und deshalb sind wir für finanzpolitische Eigenverantwortung, um Reformanreize zu bilden. Herr Macron will Investitionen in disruptive Technologien. Und da stimmen wir ihm zu. Aber warum machen wir das nicht über zweckgebundene Fonds für privatwirtschaftliche Projekte? Meinetwegen bilateral zwischen Deutschland und Frankreich ein Industrieprojekt zur Förderung von neuer Batterietechnologie für die Elektromobilität? Aber es ist alle mal besser, bilateral oder multilateral zweckgebundene Fonds für Investitionen zu begründen, als für alle wieder die Regeln des Stabilitätspakts aufzuweichen, denn das macht den Kontinent nicht stärker, sondern wieder schwächer. Führt uns zurück in die Krise.
Und liebe Freunde, dieses Beispiel der Wirtschafts- und Währungsunion, wenn man es sich genauer ansieht, enthält vielleicht so einen Blick darauf, welches unterschiedliche Verständnis es in europäischen Fragen gibt. War ja auch ein Punkt bei Jamaika und es gibt so diese Vorhaltung, FDP sei Europaskeptikerpartei gewordne. Die Partei von Hans-Dietrich Genscher, aber gut, politische Machtauseinandersetzung, dann kommen solche Vorwürfe. Man muss sie nur in der Praxis prüfen. Und da haben wir gegenwärtig eine interessante Konstellation. Denn der Deutsche Bundestag und die französische Nationalversammlung werden aus Anlass des 55. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags eine gemeinsame Resolution verabschieden, die für uns unser Freund Michael Link verhandelt. Und in den Gesprächen zwischen französischer Nationalversammlung und Deutschem Bundestag und den in ihnen vertretenen Fraktionen, da zeigt sich eins, ich lass jetzt mal die Ränder Le Pen, AfD weg. Es zeigt sich eins, ganz oft ist die Konstellation En Marche, Macron und FDP und CDU einerseits und die versammelte Linke, inklusive der Grünen andererseits. Weil der Konflikt bei diesen Gesprächen nicht ist, Deutschland gegen Frankreich, auch nicht Europaskeptiker und Eurobefürworter, der Konflikt ist ein ganz anderer. Es ist der Konflikt nämlich zwischen der Frage, wollen wir die bestehende Stärke nur neu und anders in Europa verteilen oder wollen wir uns gemeinsam auf den Weg machen, als Europäer neue Stärke zu gewinnen. Und da ist die Differenz, da sind wir näher bei Macron als bei den Grünen, mit Macron könnten wir leichter Koalitionsverhandlungen abschließen als mit Jürgen Trittin. Das haben wir gelernt.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme zum Schluss, nachdem die FDP die Jamaikasondierungen verlassen hat, gab es Motivspekulationen. Da wurde eine Strategie vermutet, die Grünen haben uns gar einen Rechtsruck attestiert. Ich habe gelesen, die FDP sei auf dem Weg, eine rechtspopulistische Partei nach dem Vorbild der FPÖ in Österreich zu werden. Sagte der große politische Analytiker Oskar Lafontaine, der muss es ja wissen, denn mit Populismus kennt er sich aus.
Also solche Vorhalten gibt es. Nur jetzt schauen wir uns die mal an, die FDP. Die FDP ist eine liberale, eine individualistische, eine weltoffene, eine progressive und säkulare Partei. Fällt Ihnen was auf? Das waren früher mal linke Attribute. Was können wir aber dafür, dass die jetzt gleichmacherisch, staatsfixiert, kirchennah und protektionistisch sind. Die Vorhaltung der Grünen an die FDP sagt mehr über die aus als über uns, meine Damen und Herren.
Nein, wir haben vier Jahre während der außerparlamentarischen Opposition jeden Tag jeder Versuchung widerstanden, um mit Parolen oder mit Provokationen Aufmerksamkeit zu erzielen. Es waren schattige Jahre außerhalb der Scheinwerferkegel. Aber wir haben nicht ein einziges Mal dieser Versuchung nachgegeben. Wir sind den Eurohassern keinen Zentimeter nachgelaufen, sondern haben für Europa geworben. Wir haben uns nicht an die Seite derjenige gestellt, die gegen den Freihandel polemisiert haben, wir haben für TTIP und CETA demonstriert. Wir haben nicht versucht, aus Fremdenangst Kapital zu schlagen, sondern wir haben für eine liberale weltoffene Einwanderungsstrategie wie Kanada sie hat geworben. Die Bürgerinnen und Bürger haben diesen Kurs der FDP bestätigt. Mit 10,7 Prozent haben sie uns als Partei der Mitte, als Partei des vernünftigen Arguments, als Partei des Wandels, wieder in den Deutschen Bundestag gewählt. Weil die Mitte dort zu lange verwaist war. Wir wären verrückt, wenn wir diesen Platz in der Mitte des Parlaments jetzt wieder aufgeben würden. Wir wollen nicht nach links oder rechts, nach vorne! Nach vorne!
Wir wollen nach vorne! Und die eigentliche Auseinandersetzung ist gar nicht die zwischen links und rechts, die eigentliche Auseinandersetzung ist immer noch die, die Ralf Dahrendorf in seiner Rede hier vor 50 Jahren beschrieben hat. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Vielfalt und Intoleranz. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Abschottung und Weltoffenheit. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Vernunft und moralischer Überheblichkeit. Zwischen Individualität und dem Versuch, mit dem Staat zu lenken. In einem Satz: Es ist die Auseinandersetzung zwischen den Verfechtern einer offenen Gesellschaft und ihren Gegnern. Egal, ob in Regierungsverantwortung oder als Oppositionspartei, wir sind der Freiheit des Einzelnen verpflichtet und deshalb kämpfen wir, egal, ob die Gegner links oder rechts stehen, für die Offenheit dieser Gesellschaft. In dieser Tradition stehen wir, in dieser Tradition bleiben wir!
Ich danke Ihnen!
LINDNER-Rede: Eine neue Generation Deutschland
Bearbeitete Mitschrift der Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner bei der Dreikönigskundgebung 2018 in Stuttgart:
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
ich wünsche Ihren Familien und Ihnen persönlich am Beginn dieses neuen Jahres alles Gute, Glück und Gesundheit.
Das Jahr 2017 war turbulent. Ich verspreche Ihnen, das Jahr 2018 wird genauso werden. Das ist ja das Reizvolle an den Freien Demokraten. Wir sind eine Partei mit eingebautem Nervenkitzel. Ich freue mich, dass so viele Bürgerinnen und Bürger, die der FDP nicht angehören, den Weg zu dieser Veranstaltung heute gefunden haben. Das ist immer für uns ein wichtiger Indikator, ein Zeichen, wo steht die FDP zu Beginn des Jahres. Willkommen Ihnen also bei dem gegenwärtig berüchtigsten und spannendsten, was die politische Landschaft in Deutschland zu bieten hat. Ich gratuliere Ihnen, die erste Mutprobe des Jahres, die haben Sie schon bestanden.
Meine Damen und Herren, das Dreikönigstreffen ist ein besonderes Ereignis im politischen Kalender, für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wegen der Bedeutung dieses Jahresauftakts für die Rednerinnen und Redner, weil es eine außerordentliche, eine ganz besondere Atmosphäre hier in Stuttgart ist. Jeder, der schon einmal hier hat sprechen dürfen, erinnert sich daran. Es ist aber vor allen Dingen eine für uns außerordentliche Veranstaltung aufgrund der Tradition des Dreikönigstreffens seit den 1860er Jahren. Andere sprechen verächtlich von den sogenannten Altparteien, wir sind stolz, eine liberale Traditionspartei zu sein, denn diese Tradition gibt uns Orientierung und sie ist für uns eine fortdauernde Verpflichtung.
Man schaut jetzt an diesem 6. Januar zurück, wir schauen nach vorne. Ich erinnere mich, als ich vor acht Jahren zum ersten Mal hier habe sprechen dürfen, ich erinnere mich genau an die Situation. Und an das, was folgte. Denn im Juni 2010 lag die FDP in der politischen Stimmung noch bei drei Prozent. Als Regierungspartei mit starken Persönlichkeiten im Kabinett, ich nenne hier exemplarisch, weil sie hier vorne sitzt, unsere verdienstvolle liebe Freundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wir haben seinerzeit Verantwortung gelegentlich bei anderen gesucht für unsere schwierige Lage. Aber die Situation der FDP hatte nichts mit anderen zu tun, das Problem waren wir selbst. Wir haben nach der Wahl aus den Augen verloren, welche Ideen und Werte unsere Anhänger vor der Wahl begeistert haben und diese historische Lektion haben wir gelernt.
Ich erinnere mich an die erste Rede, die ich als Parteivorsitzender halten durfte, Anfang 2014. Michael Theurer und ich, wir haben gerade darüber gefrotzelt, seinerzeit kamen die Sternsinger nicht. Weil nach der Niederlage der FDP bei der Bundestagswahl die Gemeinde der Auffassung war, die FDP gäbe es ja nicht mehr. Na ja, so fernliegend war der Gedanke nicht. Denn wenn jemals eine Partei in Deutschland komplett aus dem Deutschen Bundestag vorher ausgeschieden war, dann kam sie niemals wieder zurück. Bislang. Die vergangenen vier Jahre waren für uns harte Jahre. Aber sie haben uns geprägt, sie haben uns verändert. Wir kommen als eine traditionsreiche Partei zurück in den Deutschen Bundestag, aber die FDP, die in den Deutschen Bundestag zurückgekehrt ist, es ist nicht mehr dieselbe FDP, wie die, die aus dem Bundestag ausgeschieden ist.
Schauen Sie, kein Unternehmen, keine Organisation, auch keine Partei ist ein Selbstzweck. Das ist das Wesen von Marktwirtschaft und Demokratie. Was seinen Zweck erfüllt hat, das geht, das wird ersetzt durch anderes. Schumpeter sprach von der „schöpferischen Zerstörung“. Und somit war auch gar nicht klar, ob der FDP ein Comeback gelingen könnte. Sicher, wofür wir stehen, das ergibt sich aus der schottischen Philosophie, aus den Gedanken der amerikanischen Verfassungs- und Unabhängigkeitsbewegung, der französischen Revolution und der deutschen Aufklärung. Das kannten wir alles. Aber war das der starke Grund, warum wir selbst einmal Freie Demokraten geworden sind und nicht Christ-, Sozialdemokraten oder Grüne? Wir haben uns also die Frage nach dem wirklichen Warum gestellt. Warum sind wir selbst Freie Demokraten und warum braucht es eine Partei wie die FDP in Deutschland? Und die Antwort ist die Einstellung zum Leben. Es ist der Wunsch nach Selbstbestimmung und die Bereitschaft, zum eigenen unabhängigen Urteil. Es ist die Schaffensfreude und die Offenheit für den Wandel und es ist die Neugier auf neue Technologien und die Toleranz gegenüber Menschen, die ihr Leben anders führen wollen als man selbst. Wir haben uns befreit aus der taktischen Abhängigkeit anderer Parteien. Wir haben uns befreit von der Ängstlichkeit vor Kritik. Und wir haben uns befreit vom Einfluss organisierter Interessen.
Liebe Freunde, meine Damen und Herren, weil wir selbst wieder wissen, wer wir sind und was uns am Herzen liegt, können wir auch andere wieder für uns begeistern. Und deshalb möge der Druck auch noch so groß werden, diese innere Überzeugung und Haltung geben wir nicht mehr auf. Von der lassen wir uns leiten.
Die vergangenen vier Jahre waren harte Arbeit. Und der Erfolg ist nicht die Leistung weniger oder gar nur die Leistung eines einzelnen. Es waren alle Mitglieder unserer Partei, es waren die Kandidatinnen und Kandidaten bei den unterschiedlichen Wahlen. Es waren die Tausenden Ehrenamtler, die in unserer Partei arbeiten. Es waren unsere 63.000 Mitglieder, die diesen Erfolg gemeinsam ermöglicht haben.
Wir sind eine Partei von Individualisten. Und wie sollte es auch anders sein? Aber wir haben gelernt, dass eine Partei von Individualisten dann stark ist, wenn sie zu Teamwork fähig ist und deshalb danke ich jedem einzelnen ganz herzlich für den Einsatz während der vergangenen vier Jahre. Daran knüpfen wir an.
Sie verfolgen das vielleicht auch, es gibt durchaus Anwürfe an die FDP, und, also warum ist die Partei denn dennoch so geschlossen? Und die erste Antwort, die dann gegeben wird, ist, das hängt mit dem autoritären Führungsstil des Vorsitzenden zusammen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass wir einer Meinung sind und in dieselbe Richtung arbeiten wollen. Wäre ja naheliegender.
Also zu Beginn dieses Jahres 2018 schauen wir auf die FDP. Und wir haben eine Haltung gefunden und dokumentiert. Und mit dieser Haltung übernehmen wir Verantwortung in Regierung und Opposition. Das zeigen wir jeden Tag, dass wir bereit sind zur Verantwortung. In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. 2016 hatte Volker Wissing die Courage, in eine Ampelkoalition einzutreten, weil dort und in dieser Konstellation ein Politikwechsel für das Land möglich war. 2017 haben Wolfgang Kubicki und Heiner Garg in Schleswig-Holstein eine Jamaikakoalition verhandeln können, weil dort in dieser Konstellation ein Politikwechsel möglich war.
Joachim Stamp und ich, wir haben im größten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, im Sommer des letzten Jahres eine schwarz-gelbe Koalition mittragen können, weil dort in dieser Konstellation ein Politikwechsel möglich war. Die Freien Demokraten regieren mit SPD, mit Grünen, mit der CDU, weil wir jedes Mal aufs Neue schauen, ob ein Politikwechsel möglich ist. Und das zeigt, wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung, aber wir sind auch eine eigenständige Gestaltungspartei, die nicht in das Lager irgendeiner anderen Partei gehört.
Und hier in Baden-Württemberg, ich weiß das noch genau, hier in Baden-Württemberg ist unser Freund Uli Rülke hart dafür kritisiert worden, dass er nicht stellvertretender Ministerpräsident in einem Kabinett Kretschmann wird. Aber diese Entscheidung war genauso mutig wie die von Volker Wissing, denn in dieser Konstellation hier wäre eben kein Politikwechsel möglich gewesen.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, wer den Status quo überwinden will, der darf sich nicht am Applaus des Tages orientieren, sondern nur an den Überzeugungen, für die man bereit ist zu streiten im Plenarsaal und auf dem Marktplatz. Nur da.
Meine Damen und Herren, jetzt haben wir zu Beginn dieses Jahres sieben Landesminister und 80 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Wir haben die Organisation unserer Arbeit im Deutschen Bundestag gegenüber früheren Zeiten verändert. Wir haben jetzt starke stellvertretende Fraktionsvorsitzende, die ein eigenes fachliches Ressort führen. Und damit für die unterschiedlichen Themen das politische Gesicht sind. Katja Suding, Alexander Graf Lambsdorff, Michael Theurer, Stephan Thomae, Frank Sitta, Christian Dürr. Wir haben Nicola Beer als Generalsekretärin, den stellvertretenden Parteivorsitzenden Wolfgang Kubicki und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, unsere parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann, Stefan Ruppert und Florian Toncar, die alle können jetzt wirken. Uns wurde vorgehalten, die FDP sei eine One-Man-Show. Ich muss sagen, zurzeit der außerparlamentarischen Opposition ist One-Man-Show besser als eine No-Man-Show.
Aber die Lage hat sich jetzt verändert. In der Sache stehen wir für Individualität und Vielfalt und deshalb sind jetzt alle auch aufgerufen, die Individualität und Vielfalt der FDP zu leben. Das ist unser Ziel. Jeder hat jetzt die Möglichkeit dazu.
Übrigens wurde verschiedentlich gesagt, ja, die FDP-Bundestagsfraktion, die habe so wenig Regierungserfahrung. Das stimmt gar nicht, wenn man sich die Fraktionen, die Biografien im einzelnen ansieht. Wahr ist, in unserer Parlamentsfraktion sind auch viele neue Persönlichkeiten, die zuvor in Wirtschaft, in Kultur und in Wissenschaft Erfahrung gesammelt haben. Und ich freue mich darauf, von Ihnen und dem frischen Denken jetzt auch zu lernen. Aber mangelnde Regierungserfahrung ist nach meinem Geschmack in Deutschland zu oft nur ein Tarnwort für weiter so. Und wenn Politik, wenn Regierung und Parlament eins brauchen, dann frische Ideen und das sollte das Markenzeichen der FDP sein, eine Brücke zwischen Gesellschaft und Politik zu schlagen.
Meine Damen und Herren, Deutschland geht es gut. Aber die gegenwärtige Stärke unseres Landes führt uns alle natürlich in Versuchung, uns in der Komfortzone einzurichten. Dabei ändert sich gegenwärtig um uns herum und in unserer Gesellschaft Grundlegendes. Erstens, die Vereinigten Staaten sind unser traditioneller Bündnispartner, aber auf Sicht der nächsten Jahre keine verlässliche Größe mehr. China hingegen strebt jetzt mit Macht auf die Weltbühne und hat seine Jahrzehnte lang geübte politische und ökonomische Zurückhaltung aufgegeben. Wie ist die Antwort darauf? Abschottung und die Augen verschließen? Das darf nicht die Antwort sein. Die Antwort muss sein die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit Europas und das aktive Eintreten für weltweiten Freihandel, das muss die Antwort sein.
Und deshalb muss der Deutsche Bundestag natürlich schnellstmöglich das Freihandelsabkommen mit Kanada ratifizieren. CDU und SPD und FDP sind dafür, die breite Mehrheit in Deutschland ist also für diesen Freihandel, das Land darf sich nicht bremsen lassen durch Grüne, Linke und AfD, die da dagegen sind und zeigen, welche geistige Verwandtschaft sie haben.
Zweitens verändert die digitale Revolution alles. Unser Leben. Unsere Gehirne. Die Machtstrukturen in der Gesellschaft und Biografien. Die Antwort darauf kann doch nicht Teilnahmslosigkeit sein. Die Antwort muss mehr Tempo sein, beim Ausbau der Infrastruktur, der Modernisierung des Rechts, insbesondere für fairen Wettbewerb, auch bei der Digitalisierung und endlich eine Politik, die erkennt, dass die Digitalisierung auch für den Staat selbst eine Chance ist, wir können uns nicht erlauben, länger Zeit zu verlieren.
Drittens erreicht uns in diesen Jahren endgültig der demografische Wandel. In wie vielen Klassen sind Kinder aus ursprünglich deutschen Familien heute in der Minderheit? Wie viele Familien leben von Sozialleistungen, ein starker Grund für die wachsende Kinderarmut, weil sie keinen Tritt am Arbeitsmarkt fassen. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner steigt. Sie übersteigt die Zahl derjenigen, die neu ins Berufsleben eintreten. Und der Fachkräftemangel ist dabei, zu einem großen Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes zu werden. Die Antwort darauf kann aber doch nicht Mütterrente und Mindestlohndokumentationsverordnung sein. Die Antwort darauf muss sein, eine Priorität für Bildungspolitik, ein flexibler Sozialstaat und endlich eine liberale Einwanderungspolitik in unserem Land.
Mein vierter Punkt: 15 Jahre haben wir in Deutschland von der Reformdividende Gerhard Schröders gelebt. Wir haben auf den Weltmärkten profitiert davon, dass die anderen schwächer waren als wir. Danach haben wir profitiert von der Notenbankpolitik, dem Außenwert des Euro und dem Zins. Jetzt beginnt sich alles zu verändern. Die Reformdividende von Gerhard Schröder ist jetzt endgültig verbraucht, andere ändern ihre und verbessern ihre Standortbedingungen und bei uns verschlechtern sie sich. Wie ist darauf die Antwort? Weiter nur umverteilen des Status quo? Das darf doch nicht die Antwort sein. Die Antwort muss eine neue Wachstumsagenda sein, mit der die Kräfte dieses Landes wieder entfesselt werden, um neuen Wohlstand zu erwirtschaften. Und das ist eine Frage der Staatsräson.
Und die fünfte Zeitenwende, die ich exemplarisch ansprechen will, das ist das Ergebnis der Bundestagswahl selbst. Das markiert nämlich eine historische Zäsur in der Entwicklung unserer Republik. Mit der Alternative für Deutschland gehören unserem Parlament erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung unserer Republik eine Fraktion an, die keine klare Trennlinie zieht zur Fremdenangst oder Rassismus und Antisemitismus und die wieder völkisches Denken salonfähig machen will, also die Vorstellung einer ethnischen oder kulturellen oder religiösen Einheit des Volkes. Wenn das Volk ethnisch, kulturell und religiös eine solche Einheit ist, dann braucht es natürlich auch nur eine Partei, die diesen Willen ausspricht. Das ist der Kern dieses autoritären Denkens. Die Antwort auf die AfD im Parlament kann doch nicht sein Ignorieren oder Moralisieren, erst recht nicht die Übernahme von Parolen. Die Antwort muss die nüchterne Zurückweisung sein und eine andere Bundespolitik, die die Probleme wieder klein macht, die die AfD vorher groß gemacht haben. Das muss die Antwort darauf sein.
Meine Damen und Herren, wir, auch andere, die westliche Welt, wir stehen in einer Zeitenwende. Das betrifft nicht nur uns. In Frankreich antwortet man auf diese Zeitenwende mit einer neuen Generation Frankreich. Neue Generation bezieht sich da nicht auf das Alter der Personen, sondern auf das Alter der Ideen und Konzepte. In Frankreich öffnet man sich offensiv für neue Ideen. Für neue großartige Talente der ganzen Welt, für Waren, man geht zu Hause strukturelle Reformen an, die lange vorher verschleppt worden sind. Der neue französische Präsident Macron ist bereit, dafür sogar Konflikte in seiner Gesellschaft einzugehen. Wenn sie der Preis dafür sind, dass sich etwas verändern kann. Was soll die deutsche Antwort darauf sein? Dieser inzwischen auch legendäre Satz der Bundeskanzlerin am Tag nach der Bundestagswahl: „Ich weiß nicht, was wir hätten anders machen sollen.“ Man kann ein Land mit Taten überfordern, man kann eine Gesellschaft mit Ambitionslosigkeit aber auch unterfordern.
Wir jedenfalls, meine Damen und Herren, wir wollen als Antwort an Frankreich und andere auch an einer neuen Generation Deutschland arbeiten. In der alte Ideen und schwach gewordene Konzepte durch neue ersetzt werden. Wir wollen Teil einer neuen Generation, einer politischen Generation Deutschland, Teil eines Erneuerungsprojektes sein. Wenn es eine solche Erneuerungspolitik gibt, dann haben wir Freude an der Gestaltung und sind bereit auch zum Konflikt, wenn im Zweifel für Grundüberzeugungen, die erst populär gemacht werden müssen, auf der Straße geworben werden müssen. Dazu sind wir bereit.
Und jetzt weiß ich ja, dass viele in dieser Jamaikakoalition genau dieses Erneuerungsprojekt gesehen haben. Auch hier im Saal. 2013 gab es schon einmal schwarz-grüne Sondierungen. Und schon damals konnte man diese Diskussion über eine mögliche Erneuerung verfolgen. Da kommt jetzt wirtschaftliche Vernunft und ökologisches Gewissen zusammen, um das alles unter der Schirmherrschaft der Präsidialkanzlerin Angela Merkel, die dafür sorgt, dass sich in Wahrheit doch nichts verändert. Und so wie manche Schwarz-grün 2013 gewollt hätten und dann jahrelang dieser Konstellation nachgetrauert haben, so ist jetzt dann 2017 Jamaika zu einem politischen Sehnsuchtsort verklärt worden. Wir waren da. Und mussten den Eindruck tatsächlich gewinnen, dass jetzt das Versäumnis von 2013 einer schwarz-grünen Zusammenarbeit getilgt werden sollte und zwar unter willfähriger Beteiligung der FDP um den anderen den Steigbügel zu halten. Wenn wir eines aber gewiss nicht mehr sind, dann ist es Steigbügelhalter für irgendwelche anderen. Das machen wir nicht.
In Deutschland gibt es einen verbreiteten Glauben, widersprüchliche Wahlprogramme von Parteien seien im Grunde schädlich. Widersprüche zwischen den Parteien seien falsch für das Gemeinwohl. Und müssten dann irgendwie auf angenehme Weise verbunden werden, damit dann gute gemeinwohlorientierte Politik rauskommt. Das ist eine spezifisch deutsche und im Übrigen auch vordemokratische Form der politischen Romantik, meine Damen und Herren.
Vor 50 Jahren hat hier Ralf Dahrendorf gesprochen, 1968. Bei diesem Dreikönigstreffen. Und er hat seinerzeit gewarnt vor politischen Utopien, die einen anderen Menschen formen wollen, und er hat für die Offenheit der Gesellschaften geworben. Und als Voraussetzung für diese Offenheit der Gesellschaft hat Dahrendorf vor 50 Jahren an dieser Stelle dafür plädiert, auch das, was es an Unterschieden in einer Gesellschaft gibt, es auszuleben. Eine Gesellschaft, in der versucht wird, alles so in einem Gleichgewicht schwebend zu halten, in einer solchen Gesellschaft geht der Antrieb für Fortschritt und die Möglichkeit zur Korrektur von Fehlentscheidungen verloren. Und deshalb: Es gibt in unserer Demokratie nicht nur die Pflicht zum Kompromiss unter Demokraten, es gibt auch die Pflicht zur Kontroverse unter Demokraten, die den Wettbewerb lebendig hält.
Der liberale Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat einmal was Bemerkenswertes notiert. Ich zitiere ihn. „Es waren immer die Konservativen, die dem Sozialismus Zugeständnisse gemacht haben und ihm zuvorkamen.“ Das kann man natürlich heute nicht mehr wörtlich nehmen. Denn die CDU unter Angela Merkel ist ja keine konservative Partei mehr.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, hat auf seinem Parteitag ausgeführt, jetzt nach dem Scheitern dieser Jamaikasondierungen, „die Grünen seien die letzte handlungsfähige linke Partei“. Davon konnten wir uns während der Sondierungen selbst einen Eindruck verschaffen. Und wir haben Pragmatiker getroffen. Keine Partei ist ein monolithischer Block, wir haben dort Pragmatiker getroffen mit fremden, aber interessanten Ideen. Besonders inspirierend waren aber die Abende mit dem eigentlichen Verhandlungsführer der Grünen, nämlich Herrn Trittin. Und dieser Teil der Grünen, dieser linke Flügel der Grünen, der vertritt eine Politik, die mit dem Staat und mit dem Gesetzesbefehl die Gesellschaft lenken möchte, Unterschiede planieren will und Menschen umerziehen möchte. Eine solche Haltung darf man vertreten, aber als Liberale können, als Liberale dürfen wir einer solchen Haltung nicht zur Macht verhelfen.
Wenn Wahlprogramme überhaupt noch irgendeinen Sinn haben sollen, dann muss man die Entscheidungen, die nach Wahlen getroffen werden auch an ihnen messen. Wir haben aus staatspolitischer Verantwortung die Oppositionsrolle gewählt und das stärkt unsere Demokratie, es ist eine Kampfansage an Politikverdrossenheit und Protestwahlverhalten, denn niemand kann mehr sagen, in der bürgerlichen Mitten der Politik gäbe es keine Unterschiede, die zur Wahl stünden.
Ich bin in einem Interview von einer Journalistin gefragt worden, ob wir denn hoffen würden, dass bei der nächsten Wahl die Wählerinnen und Wähler vergessen hätten, dass wir jetzt nicht in diese Regierung eingetreten sind. Wieso vergessen? Ganz im Gegenteil. Unser Nein war ein konstruktives Nein. Es war ein Nein zum Status quo. Es war eine Investition in unsere Glaubwürdigkeit, eine Investition, die sich dann bezahlt machen wird, wenn wir dereinst bei einem Erneuerungsprojekt unseres Landes wirkliche Gestaltungsmacht brauchen. Also warum vergessen? Im Gegenteil.
Ich würde also meiner Partei empfehlen, im Prinzip die gleichen Entscheidungen noch einmal zu treffen, mit einer Ausnahme. Dieses Verfahren wochenlang, dutzende Verhandler auf dem Balkon, die Papiere aufschreiben, in denen noch genauer immer notiert wird, wo man sich nicht einig ist. Ein solches Verfahren würde ich nicht ein zweites Mal wiederholen, meine Damen und Herren, das hat falsche Erwartungen geweckt.
Nun hat Deutschland keine Koalition. Und in seinem Jahresrückblick sagte der Kabarettist Dieter Nuhr einen Satz, der mich sehr beeindruckt hat. Der sagte, und vielleicht ist das ein Denkanstoß, will ich mal sagen. Der sagte: „Ja, wir haben keine Regierung“ und dann weiter: „Regiert werden ist weniger wichtig als das, was man selber in der Zeit tun könnte“. Und dahinter steckt eine höhere Weisheit. Jetzt ist der Verzicht auf eine Koalition kein Dauer- und Idealzustand. Aber ist das eine Krise? Ist das eine Staatskrise? Ist das eine Verfassungskrise? Wir haben einen funktionierenden Deutschen Bundestag, wir haben funktionierende Institutionen, wir haben eine funktionierende öffentliche Verwaltung. Ich hab den Eindruck, wir haben sogar schon hinreichend viele Gesetze, dass nicht sofort Anarchie ausbricht. Also insofern es ist keine Krise.
Es ist keine Krise und es wird ja auch kein Dauerzustand sein. Voraussichtlich gibt es jetzt eine Große Koalition. Und diese Große Koalition wird eine andere sein als die der vergangenen vier Jahre. Während der letzten vier Jahre wurde die Regierung nämlich immer nur von links im Deutschen Bundestag kritisiert. Diese neue Große Koalition, wenn sie denn kommt, die hat sich gegenüber auch einer Opposition aus der Mitte des Parlaments, die daran erinnert, dass man erst einmal der Eigeninitiative der Bürger eine Chance geben sollte, bevor man nötigenfalls den Staat zu Hilfe ruft. Und das verändert das politische Spiel.
Das verändert das politische Spiel. Jetzt wird uns gesagt, na ja, dass es diese Große Koalition gibt, das hättet ihr verhindern müssen. Ihr hättet Jamaika machen müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Das ist nun der kärglichste Gestaltungsanspruch, den man haben könnte. Und im Übrigen bin ich gar nicht sicher und halte es für offen, ob jetzt nun eine Jamaikakoalition in der Sache bessere Entscheidungen getroffen hätte als eine neue Große Koalition. Das wird man erst im Vergleich dann sehen. Mehr noch, es wird der Versuch unternommen, zu sagen, für all das, was die Große Koalition jetzt macht, trägt die FDP mit ihrer Verweigerungshaltung die Verantwortung. Ich habe mal eine Frage. Welche Verantwortung trägt denn eigentlich noch die Bundeskanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz?
Das ist doch der Versuch, wieder eine Alternativlosigkeit zu konstruieren. Wieder eine Alternativlosigkeit, die FDP hat sich verweigert, also Große Koalition. Und deshalb ist die CDU gezwungen, alles mitzumachen, was die SPD fordert. Diese Alternativlosigkeit aber sie gibt es nicht. Die erste Alternative zu einer Großen Koalition wäre eine Minderheitsregierung. Auch das ist kein Dauerzustand.
Auch das kein Ideal-, kein Dauerzustand, es ist in unsere Verfassung aber vorgeschrieben. Also erste Option, um sich nicht von der SPD erpressen lassen zu müssen, ist eine Minderheitsregierung. Die ist fraglos unbequem. Denn dann müsste Frau Merkel wieder ins Parlament kommen und für ihre Politik werben, ihre Politik erklären, überhaupt einmal eine eigene politische Meinung haben. Unbequem.
Mir fällt in dem Zusammenhang ein Satz ein, den der Kandidat für den Parteivorsitz der Grünen, Robert Habeck, dieser Tage in einer „Bild“-Zeitungsmeldung oder einem Interview gesagt hat, Wolfgang Kubicki hat mich gestern darauf aufmerksam gemacht. Befragt nach den Gründen für das Scheitern von Jamaika, hat Herr Habeck als er Grüne wohlgemerkt, als ersten Grund angegeben die Mangelnde Autorität der Bundeskanzlerin in ihrer eigenen Partei. Also die Option ist Minderheitsregierung, auch wenn das für die Regierungschefin selber unbequem ist. Und es ist kein Dauerzustand, aber es könnte sich dennoch für eine gewisse Phase zumindest als übergangsweise vorteilhaft herausstellen, denn wir haben in unserem Land schon sehr lange ein Übergewicht der Regierung über dem Parlament. Sehr lange schon.
Da müssen dann über Nacht Hunderte Seiten von Abgeordneten gelesen und bewertet werden, weil am nächsten Tag entschieden werden muss. Wenn eine Phase einer Minderheitsregierung, die ich nicht als Ideal achte und die wir auch nicht empfehlen oder anstreben, wenn während der Phase einer Minderheitsregierung es dazu käme, dass das Parlament nicht mehr Zulieferbetrieb der Regierung ist, wenn es dazu käme, dass die spannendsten Debatten nicht bei „Anne Will“ geführt werden, sondern wieder im Plenarsaal, dann kann ich daraus jedenfalls keinen Nachteil für unsere Demokratie erkennen.
Wenn also die Bundeskanzlerin eine solche Konstellation, Minderheitsregierung nicht will, weil sie unbequem ist, muss sie dennoch der SPD keine Zugeständnisse machen. Und wenn die Union der SPD Zugeständnisse macht, dann muss sie selbst dafür die Verantwortung übernehmen. Denn es gäbe immer auch die zweite Alternative. Und die zweite Alternative, sich nicht von anderen erpressen zu lassen, das ist, die Wählerinnen und Wähler wieder zu befragen, wie sie die vollständig veränderte politische Lage in unserem Land einschätzen, vor einer Neuwahl fürchten wir uns nicht. Und es ist das Recht der Menschen, ein neues Urteil zu treffen.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir beobachten, was bei anderen passiert, aber die treffen ihre Entscheidungen, wir unsere. Bei unserer Arbeit konzentrieren wir uns darauf, dass Projekt „Neue Generation Deutschland“ möglich zu machen. Zum einen dadurch, dass wir unser eigenes politisches Gewicht erhöhen. In diesem Jahr stehen wieder zwei Landtagswahlen an. In Hessen und in Bayern. René Rock und Daniel Föst, der bayerische Landesvorsitzende, ihr könnt euch sicher sein, wir werden euch bei euren Wahlen wieder so unterstützen, wie wir das zur Zeit der außerparlamentarischen Opposition gemacht haben, denn es geht bei euch nicht nur um regionale Fragen, sondern auch um Entscheidungen für Deutschland und deshalb werden wir gemeinsam mit euch in diese Wahlkämpfe gehen.
Beide haben mich übrigens ausdrücklich gebeten, unsere Haltung bei diesen Wahlen noch mal zu unterstreichen. Das ist nämlich die gleiche Haltung, die wir in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Nämlich die Haltung, dass wir bei diesen beiden Landtagswahlen bereit sind, auch Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht um jeden Preis. Wenn es möglich ist, zu gestalten, in Hessen und in Bayern, und Politikwechsel zu erreichen, dann wird die FDP das tun. Und wenn es nicht möglich ist, dann werden wir unsere Glaubwürdigkeit ein weiteres Mal dokumentieren, in dem wir die Oppositionsrolle annehmen. Auch das würde unsere Position in der politischen Landschaft stärken.
Und zum anderen arbeiten wir an einer neuen Konstellation für die „Neue Generation Deutschland“, durch unsere Facharbeit im Deutschen Bundestag. Mit der man natürlich die Mitbewerber auch zu einer fachlichen Auseinandersetzung zwingen kann. Es wird immer gesagt, ja, in der Opposition kann man überhaupt gar nichts bewegen. Während der Zeit unserer außerparlamentarischen Opposition, Nicola Beer hat es gesagt, haben wir der Digitalisierung Priorität gegeben. Wir haben Positionen bezogen. Und haben Zielgruppen angesprochen und hatten am Ende von allen Parteien den höchsten Kompetenzwert bei dieser Zukunftsfrage Digitalisierung als außerparlamentarischer Opposition und im Ergebnis haben unsere geschätzten Mitbewerber ebenfalls die Priorität für dieses Thema erkannt. Man kann also aus der Oppositionsrolle heraus gestalten. Wer das verneint, der verneint die Kraft des besseren Arguments und er drückt eine Geringschätzung gegenüber dem Parlamentarismus aus. Also das werden wir jetzt tun. Wir haben damit begonnen.
Wir haben damit begonnen, unsere erste Initiative war ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerrechte. Es enthielt beispielsweise die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Ein Gesetz, das grade ja traurige Aktualität hat. Wegen der völlig inakzeptablen Tweets und Postings von AfD-Politiker. Die AfD ist auch für die Aufhebung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Offensichtlich, weil sie so einen Schmutz gerne weiter verbreiten will und ihn unter den Deckel der Meinungsfreiheit bringen will. Wir sind gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, weil wir glauben, dass solche Fragen nicht entschieden werden sollten von den Sachbearbeitern kommerzieller Dienste, sondern vom Staatsanwalt. Das ist der Unterschied zwischen uns und denen.
Ich will im Blick nach vorne, was unsere fachlichen Themen sind, fünf kurze Gedanken zur Ankündigung nur bringen. Fünf kurze Gedanken, Themenfelder, die uns beschäftigen werden. Ich fang bewusst mit diesem an: Die FDP setzt sich als liberale Partei für die Lebenschance eines jeden einzelnen ein. Wer sich für die Lebenschancen eines jeden einzelnen einsetzt, der muss sich aber auch für die Überlebenschancen der Menschheit engagieren. Wir tragen ökologische Verantwortung, daran muss uns niemand erinnern. Die FDP war die erste Partei, die den Umweltschutz im Programm und im Kabinett verantwortet hat. Ein Evergreen. Hans-Dietrich Genscher hat das Umweltbundesamt gegründet, als Joschka Fischer noch mit Steinen auf Polizisten geworfen hat. Also da muss uns niemand dran erinnern.
Und deshalb stehen wir zum Klimaschutzabkommen von Paris. Aber es fordert von uns eben auch einen neuen Realismus. Der Klimaschutz ist eine globale Aufgabe, wir werden ihn alleine nicht leisten können. Zu versuchen, bei uns im Alleingang Klimaziele zu erreichen und Arbeitsplätze und Wohlstand infrage zu stellen, wird nur die Akzeptanz dieser Politik infrage stellen. Die Menschen erwarten von uns, dass wir einen smarten Weg finden, Ökologie und Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Wohlstand zu vereinbaren, das erwarten die Menschen. Nicht Planwirtschaft und Fahrverbot.
Das erwarten die Menschen und deshalb sollten wir global denken in diesen Fragen des Klimaschutzes. Wir sind eine hochentwickelte, hocheffiziente Volkswirtschaft. Eine Industrienation. Wir haben inzwischen die höchsten Kosten zur Vermeidung einer Tonne CO2 weltweit, weil wir schon so gut sind. Mit unserem Geld und mit unserer Technologie könnten wir erreichen, dass andere auf der Welt sich selbst viel ambitioniertere Ziele setzen könnten. Dirk Niebel als Entwicklungsminister hat eine solche internationale Kompensation bei Klimazielen seinerzeit gefördert und unterstützt. Es wäre im doppelten Sinne ein Nutzen. Es sind neue Absatzmärkte für unsere Technologien einerseits und andererseits ist der Beitrag zum Klimaschutz größer, deshalb sollte unser Land seinen Klimanationalismus überwinden, um global zu denken.
Aber oft genug geht es darum nicht, ich erinnere eine bemerkenswerte Situation, Wolfgang Kubicki war dabei, während der Jamaikaverhandlungen, als Herr Hofreiter von den Grünen den Satz sagte, er habe sein ganzes Leben Politik gemacht gegen den Satz „freie Fahrt für freie Bürger“. Und das zeigt eines. Wer symbolisches Handeln will, und er wer bei einer globalen Frage wie dem Klimaschutz nur national denkt, dem geht es gar nicht um die Bewahrung der Schöpfung und die Nachhaltigkeit, sondern dem geht es um ein anderes Leben für die Menschen in Deutschland. Und das ist nicht ökologisch, sondern ideologisch.
Globale Verantwortung zu übernehmen, heißt aber nicht bei uns in Deutschland, nicht besser werden zu können und zu müssen, in Fragen des Klima- und Umweltschutzes. Nur unsere Energiewende, wie wir sie machen, ist doch längst in eine Sackgasse geraten. In dieser Woche hat der Netzbetreiber Tennet mitgeteilt, dass im vergangenen Jahr eine Milliarde Euro aufgewendet werden mussten, um die Stabilität der Netze sicherzustellen, durch immer neue Eingriffe. Das kann man doch in der Weise nicht fortsetzen, dass wir Ökostrom produzieren, den wir ins Ausland entsorgen müssen. Und deshalb müssen wir uns lösen vom Denken in Quotenverboten und Subventionen. Man kann ein Problem nicht mit den Instrumenten lösen, die das Problem verursacht haben. Wir brauchen neues Denken.
Und deshalb wollen wir, dass CO2 einen Preis bekommt, europäisch wirksam gehandelt wird, wer CO2 verbraucht beziehungsweise ausstößt, der zahlt. Und zwar sektorübergreifend in ganz Europa. Das wirft den Innovationsmotor Marktwirtschaft an. Und wir wollen, dass Theologen und Politologen wie ich, in den Parlamenten die Ziele festlegen dürfen, aber die Zielerreichung, die legen wir wieder in die Hände der Techniker und Naturwissenschaftler.
Zweiter Punkt: Wir sind stolz auf unsere wirtschaftliche Stärke. Und sie zu erhalten ist Staatsräson. Es ist die Marktwirtschaft, die die Pflöcke einschlägt, an denen das soziale Netz aufgehangen ist. Wer soziale Verantwortung wahrnimmt, der sorgt sich um die wirtschaftliche Stärke unseres Landes. Die Quellen unseres Wohlstands sind aber im Prinzip 100 Jahre alt. Also müssen wir uns darum bemühen, dass sie in die neue Zeit kommen, aber zugleich brauchen wir auch mehr Gründergeist in unserem Land. Wir müssen dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Erneuerung auch durch sozusagen ausgelagerte Labore in Form von neugegründeten Unternehmen stattfindet. Vieles ist dazu zu sagen, ein entwickelter wirksamerer Kapitalmarkt ist erforderlich. Vor allen Dingen müssen wir aber mehr Menschen in die Lage versetzen, aus einer Idee auch einen Betrieb zu machen. Ich nenne nur ein Beispiel für eine Maßnahme. In Nordrhein-Westfalen führen wir jetzt ein Gründerstipendium ein, eine FDP-Initiative. Für diejenigen, die noch nicht einen fertigen Geschäftsplan haben, mit dem sie zu einer Bank oder zu einem Investor gehen können, sondern für diejenigen, die zum Beispiel als Studienabsolventen aus dem Patent erst einmal einen Geschäftsplan machen. Die aber nicht aus der Familie heraus die finanziellen Möglichkeiten haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Für die gibt es nun 1.000 Euro für zwölf Monate im Jahr. Nicht mit irgendeinem bürokratischen Nachweis für Büromaterial, sondern ausschließlich darum, dass man sich keine Sorgen muss, ob der Kühlschrank gefüllt ist, denn Unternehmergeist darf nicht davon abhängen, ob die eigene Familie schon wohlhabend war, sondern er darf nur davon abhängen, ob eine Idee gut ist und sich durchsetzen kann.
Ich könnte länger sprechen über Bürokratie, ein Hemmnis für uns alle. Ich nenne nur das Stichwort. Vor allen Dingen sorge ich mich darum, dass sich inzwischen auf der internationalen Bühne die finanziellen Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg fundamental verändert haben. Frankreich macht eine Unternehmenssteuerreform. Herr Macron setzt das gegen große Widerstände durch. Man mag von Herrn Trump halten, und von seinen Politiken, was man will, aber dass er jetzt eine Steuerreform durchgesetzt hat, ist eine Realität. Die sich auswirkt auch auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer exportorientierten Wirtschaft. Und deshalb müssen wir darauf reagieren. Durch verbesserte Abschreibungsbedingungen für Investitionen. Eine steuerliche Förderung von Forschung und dadurch, dass der Solidaritätszuschlag der Menschen und Betriebe entlastet ausläuft zu dem Zeitpunkt, wie es versprochen worden ist: 2019.
Wir haben das ja in der Debatte erlebt und in den Verhandlungen, dass es heißt, ja, wir können uns steuerliche Entlastungen nicht leisten. Wir sind ja auch bescheiden schon geworden in unseren Vorschlägen. An große Steuerreformen unter dieser Konstellation dachten wir ja schon gar nicht mehr. Wir können uns nicht eine breitere Entlastung leisten. Ich sehe es genau andersrum. Weil sich alles verändert hat, muss sich auch unsere Haltung, unsere deutsche Haltung dazu ändern. Die anderen sagen, wir können uns nicht leisten, die Belastungen zu reduzieren. Ich sage, wir können uns nicht leisten, bald die höchsten Unternehmenssteuern der Welt zu haben. Weil das nämlich am Ende Arbeitsplätze kosten wird.
Und beim Solidaritätszuschlag ist das vielmehr als eine fiskalische Frage, es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt.
Es ist zugesagt worden, dass diese Ergänzungsabgabe entfällt, wenn der Grund ihrer Erhebung entfallen ist, 2019. Nach unserer Auffassung ist es dann auch ein Gebot unserer Verfassung, wie der politischen Hygiene dieser Ankündigung Taten folgen zu lassen. Wenn andere dazu nicht bereit sind, dann werden wir vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen eine Abgabe erheben, die nicht mehr rechtlich von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt werden darf. Dann gehen wir eben den Weg.
Der dritte Punkt: Die Migrationspolitik ist überall auf der Welt geeignet, Gesellschaften zu sprengen, Fliehkräfte auszulösen und die Menschen gegeneinander auszuspielen. Überall auf der Welt, in jeder Gesellschaft. Es ist eine der sensibelsten politischen Fragen, die es überhaupt gibt. Denn es mit Identität und mit Ängsten zu tun. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ist gescheitert. Sie hat in Deutschland Fliehkräfte ausgelöst, und in Europa Einigkeit verspielt. Wir wollen, dass Deutschland sich nicht abschottet, sondern ein weltoffenes Land bleibt. Wir stehen für Toleranz und für Vielfalt. Die Religion, die Herkunft, die Ethnie spielt für Liberale keine Rolle, und wir wollen, dass Deutschland weiter ein so liberal geprägtes Land bleibt, die Voraussetzung dafür ist aber, dass es klare Regeln und geordnete Verfahren gibt, auf die die Menschen sich verlassen können, egal, ob sie neu nach Deutschland kommen oder hier schon immer gewohnt haben. Das ist die Voraussetzung dafür. Und das muss hergestellt werden.
Und das muss hergestellt werden und deshalb muss man sich an die wirklichen Probleme heranbewegen. Die CSU hat jetzt beschlossen, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr bis zu 36 Monaten gewährt werden, sondern nur noch bis zu 15 Monaten und es danach reduziert wird. 36 Monate, 15 Monate, die Frage ist doch nicht, ob dann die Leistungen reduziert werden, die eigentliche Frage ist doch, wieso kann es sein, dass Asylverfahren in Deutschland überhaupt 15 oder 36 Monate dauern, die müssen schneller abgeschlossen werden, statt solche Neiddebatten zu führen.
Das ist doch eine symbolhafte Neiddebatte, mit der Ängste und Ressentiments geschürt werden sollen. Das Problem ist nicht die Leistung, die Menschen erhalten, während sie sich um einen Aufenthaltsstatus bei uns bewerben und bemühen, das Problem ist, dass die Verfahren zu lange dauern und dass es keine einheitlichen Standards gibt. Wir haben es jetzt wieder gesehen bei der Gesundheitsprüfung dieser harten Debatte. Wir achten und schätzen und verteidigen die Rechte, insbesondere die Würde aller Menschen, die zu uns kommen und sich um einen Aufenthaltsstatus bewerben. Aber diejenigen, die hier sind, haben auch ein Recht zu erfahren, wer das ist, der da kommt. Und deshalb brauchen wir da bundeseinheitliche Standards in dieser Frage. Also darum geht’s uns.
Darum geht’s uns und weil es so viele Jahre in dieser Debatte jetzt keine Bewegung und keine Initiativen gegeben hat, ergreifen wir die Initiative, es werden Freie Demokraten sein, die den Gesetzentwurf für ein neues Einwanderungsgesetz in Deutschland in Bundesrat und Bundestag einbringen, damit in dieser Frage bei der Lebenslüge, unser Land sei kein Einwanderungsland, wir endlich eine „Neue Generation Deutschland“ werden und ankommen in der Realität.
Vierter Punkt, vorletzter Punkt. Haben Sie dieses Urteil gelesen des Bundesverfassungsgerichts zum Numerus clausus? Was für eine Blamage für das ganze deutsche Bildungssystem, das inzwischen höchst richterlich festgehalten wird, dass die Abiturnoten in den 16 Ländern nicht vergleichbar sind und deshalb kein zumindest alleiniger Maßstab für die Aufnahme eines Hochschulstudiums sein kann. Was für eine Situation.
In welcher Situation sind wir? Klar ist doch, ein Land, das so auf die Mobilität seiner Menschen setzt, braucht doch endlich mehr Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Ländern und mehr Mobilität zwischen den 16 Schulsystemen. Es ist eine Lebenslüge, dass die Konkurrenz von 16 Ländern unser Land stark macht, sie führt nur zu Reibungsverlusten und deshalb muss der Bildungsföderalismus in Deutschland endlich einer Reform unterzogen werden.
Und selbst bei den ersten, bei den Anfangsfragen, Uli Rülke hat es ausgeführt, kommt man da gegenwärtig in Deutschland nicht weiter. Winfried Kretschmann sagt, keine Kooperation in finanzieller Hinsicht, weil damit inhaltliche Vorgaben verbunden sein könnten. Ich bin gegen eine Verfassungsänderung. Das sagt die CSU, gerade noch mal bei ihrer Klostertagung beschlossen. Beide sagen, die Bayern mit mehr Recht als die Baden-Württemberger, wir sind ja im Vergleich der Bundesländer gut. Ja, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, ja, sicher ist Bayern besser als Bremen. Aber wenn man sich damit zufrieden gibt, haben wir in Deutschland ein Problem, denn nicht Bayern steht im Wettbewerb mit Bremen, Deutschland steht im Wettbewerb mit Nordamerika und den asiatischen Ländern. Und deshalb müssen wir im Weltmaßstab denken.
Der Bundesfinanzminister Christian Lindner - das war noch nicht die Pointe - und ich finde das auch nicht ... na ja, der Bundesfinanzminister Christian Lindner, der hätte Schulen in Burundi und Botswana sanieren dürfen, aber nicht in Böblingen und Bonn. Und deshalb werden wir als Bundestagsfraktion eine Initiative zur Veränderung unseres Bildungsföderalismus in Deutschland einbringen.
Letzter Punkt: Wir stehen vor einer Dekade der Gestaltung Europas. Ist keine Sache von wenigen Wochen und Monaten, eine Reformdekade und wir brauchen sie. Wir brauchen ein starkes Europa, es gibt keine Frage von Belang, die man ohne oder gegen Europa lösen kann, alle großen Fragen kann man nur mit und in Europa gestalten. Deshalb wollen wir ein starkes Europa.
Und wir betonen nur, dass auf der einen Seite die Stärke beim Grenzschutz, beim digitalen Binnenmarkt, bei der Sicherheit, dass diese Stärke eine Voraussetzung hat. Nämlich die Konzentration auf die wirklich wichtigen Aufgaben, und es gibt andere Aufgaben, die muss man nicht allgemein europäisch regeln. Manche sehen darin eine Europaskepsis. Das Gegenteil ist richtig. Wer das starke Europa will, der muss dafür sorgen, dass es sich um die wirklich wichtigen Fragen kümmert, und ansonsten mehr Rücksichtnahme auf regionale Unterschiede erlauben. Das erst macht Europa stark.
Und bei den großen Fragen wünschen wir uns jetzt mehr Dynamik. Herr Macron hat vorgeschlagen eine Initiative für eine stärkere Integration der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa. Was für eine großartige Idee. In den 50er Jahren ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft am Veto Frankreichs gescheitert. Wenn jetzt, 2017 war das, ein französischer Präsident diese Initiative neu ergreift, dann darf der Kontinent kein zweites Mal dieses Rendezvous mit der Geschichte verpassen. Ergreifen wir also diese Hand.
Natürlich, wir haben dezidiert bestimmte Auffassungen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Uns geht es um die finanzpolitische Eigenverantwortung der einzelnen Staaten. Weil diese Eigenverantwortung die Voraussetzung dafür ist, und den Anreiz bietet, die eigenen Probleme und Reformen anzugehen. Ein Fanal, dass in Italien jetzt Silvio Berlusconi wieder in die Politik eingreift, denn die gegenwärtige Schwäche Italiens hat nichts zu tun mit der Stabilitätspolitik Europas, sondern nur mit den Versäumnissen der Generation Berlusconi in Europa und Italien selbst. Also ein Fanal. Und deshalb sind wir für finanzpolitische Eigenverantwortung, um Reformanreize zu bilden. Herr Macron will Investitionen in disruptive Technologien. Und da stimmen wir ihm zu. Aber warum machen wir das nicht über zweckgebundene Fonds für privatwirtschaftliche Projekte? Meinetwegen bilateral zwischen Deutschland und Frankreich ein Industrieprojekt zur Förderung von neuer Batterietechnologie für die Elektromobilität? Aber es ist alle mal besser, bilateral oder multilateral zweckgebundene Fonds für Investitionen zu begründen, als für alle wieder die Regeln des Stabilitätspakts aufzuweichen, denn das macht den Kontinent nicht stärker, sondern wieder schwächer. Führt uns zurück in die Krise.
Und liebe Freunde, dieses Beispiel der Wirtschafts- und Währungsunion, wenn man es sich genauer ansieht, enthält vielleicht so einen Blick darauf, welches unterschiedliche Verständnis es in europäischen Fragen gibt. War ja auch ein Punkt bei Jamaika und es gibt so diese Vorhaltung, FDP sei Europaskeptikerpartei gewordne. Die Partei von Hans-Dietrich Genscher, aber gut, politische Machtauseinandersetzung, dann kommen solche Vorwürfe. Man muss sie nur in der Praxis prüfen. Und da haben wir gegenwärtig eine interessante Konstellation. Denn der Deutsche Bundestag und die französische Nationalversammlung werden aus Anlass des 55. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags eine gemeinsame Resolution verabschieden, die für uns unser Freund Michael Link verhandelt. Und in den Gesprächen zwischen französischer Nationalversammlung und Deutschem Bundestag und den in ihnen vertretenen Fraktionen, da zeigt sich eins, ich lass jetzt mal die Ränder Le Pen, AfD weg. Es zeigt sich eins, ganz oft ist die Konstellation En Marche, Macron und FDP und CDU einerseits und die versammelte Linke, inklusive der Grünen andererseits. Weil der Konflikt bei diesen Gesprächen nicht ist, Deutschland gegen Frankreich, auch nicht Europaskeptiker und Eurobefürworter, der Konflikt ist ein ganz anderer. Es ist der Konflikt nämlich zwischen der Frage, wollen wir die bestehende Stärke nur neu und anders in Europa verteilen oder wollen wir uns gemeinsam auf den Weg machen, als Europäer neue Stärke zu gewinnen. Und da ist die Differenz, da sind wir näher bei Macron als bei den Grünen, mit Macron könnten wir leichter Koalitionsverhandlungen abschließen als mit Jürgen Trittin. Das haben wir gelernt.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme zum Schluss, nachdem die FDP die Jamaikasondierungen verlassen hat, gab es Motivspekulationen. Da wurde eine Strategie vermutet, die Grünen haben uns gar einen Rechtsruck attestiert. Ich habe gelesen, die FDP sei auf dem Weg, eine rechtspopulistische Partei nach dem Vorbild der FPÖ in Österreich zu werden. Sagte der große politische Analytiker Oskar Lafontaine, der muss es ja wissen, denn mit Populismus kennt er sich aus.
Also solche Vorhalten gibt es. Nur jetzt schauen wir uns die mal an, die FDP. Die FDP ist eine liberale, eine individualistische, eine weltoffene, eine progressive und säkulare Partei. Fällt Ihnen was auf? Das waren früher mal linke Attribute. Was können wir aber dafür, dass die jetzt gleichmacherisch, staatsfixiert, kirchennah und protektionistisch sind. Die Vorhaltung der Grünen an die FDP sagt mehr über die aus als über uns, meine Damen und Herren.
Nein, wir haben vier Jahre während der außerparlamentarischen Opposition jeden Tag jeder Versuchung widerstanden, um mit Parolen oder mit Provokationen Aufmerksamkeit zu erzielen. Es waren schattige Jahre außerhalb der Scheinwerferkegel. Aber wir haben nicht ein einziges Mal dieser Versuchung nachgegeben. Wir sind den Eurohassern keinen Zentimeter nachgelaufen, sondern haben für Europa geworben. Wir haben uns nicht an die Seite derjenige gestellt, die gegen den Freihandel polemisiert haben, wir haben für TTIP und CETA demonstriert. Wir haben nicht versucht, aus Fremdenangst Kapital zu schlagen, sondern wir haben für eine liberale weltoffene Einwanderungsstrategie wie Kanada sie hat geworben. Die Bürgerinnen und Bürger haben diesen Kurs der FDP bestätigt. Mit 10,7 Prozent haben sie uns als Partei der Mitte, als Partei des vernünftigen Arguments, als Partei des Wandels, wieder in den Deutschen Bundestag gewählt. Weil die Mitte dort zu lange verwaist war. Wir wären verrückt, wenn wir diesen Platz in der Mitte des Parlaments jetzt wieder aufgeben würden. Wir wollen nicht nach links oder rechts, nach vorne! Nach vorne!
Wir wollen nach vorne! Und die eigentliche Auseinandersetzung ist gar nicht die zwischen links und rechts, die eigentliche Auseinandersetzung ist immer noch die, die Ralf Dahrendorf in seiner Rede hier vor 50 Jahren beschrieben hat. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Vielfalt und Intoleranz. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Abschottung und Weltoffenheit. Es ist die Auseinandersetzung zwischen Vernunft und moralischer Überheblichkeit. Zwischen Individualität und dem Versuch, mit dem Staat zu lenken. In einem Satz: Es ist die Auseinandersetzung zwischen den Verfechtern einer offenen Gesellschaft und ihren Gegnern. Egal, ob in Regierungsverantwortung oder als Oppositionspartei, wir sind der Freiheit des Einzelnen verpflichtet und deshalb kämpfen wir, egal, ob die Gegner links oder rechts stehen, für die Offenheit dieser Gesellschaft. In dieser Tradition stehen wir, in dieser Tradition bleiben wir!
Ich danke Ihnen!