FDPDas aktuelle Interview

Das Verhalten der CSU ist inakzeptabel

Christian LindnerChristian Lindner vergleicht die CSU mit Griechenland
10.08.2015

FDP-Chef Christian Lindner hat im Interview das Verhalten der CSU bei der Energiewende mit dem Griechenlands in der Schuldenkrise verglichen. "Das Spiel, das die Griechen in Europa beim Euro aufführen, macht in Deutschland mitunter die CSU bei der Energiepolitik: keine Bewegung, aber ständig neue Forderungen", sagte Lindner der "Mittelbayerischen Zeitung". Sich bei allen Fragen ohne eigenen Beitrag herauszustehlen, sei inakzeptabel. Im Interview spricht er auch über die Flüchtlingskrise und die Rolle der FDP.

Er zählt im Interview einige Bereiche auf, wo die FDP fehlt: "Denken Sie an die Wirtschaft, an die schrecklich bürokratische Mindestlohn-Dokumentationspflicht." Bei den öffentlichen Finanzen würde das Geld "rausgehauen wie Süßigkeiten beim Rosenmontagszug." Dabei gebe es jetzt die Gelegenheit, "den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, unsere Sozialversicherungssysteme auch Enkel-fit zu machen. Und Investitionen in Bildung und Infrastruktur bleiben unterhalb dessen, was möglich ist." Im Bundestag fehle eine Stimme der Marktwirtschaft und der Bürgerrechte.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Herr Lindner, die EU wollte eine Quote zur Verteilung der Flüchtlinge, hat sich aber nicht einigen können. Nun soll es eine freiwillige Verteilung geben. Ist das europäische Solidarität?

Nein, das ist ein Armutszeugnis. Es besorgt mich, dass Europa nicht in der Lage ist, seine Probleme gemeinsam in den Griff zu bekommen. Wir brauchen Europa auch auf lange Sicht als Wohlstandssicherer und Garanten für Frieden und Stabilität. Da muss es gelingen, dass man sich auf gemeinsames Recht verständigt und eben auch Lasten fair verteilt. Beides kann ich gegenwärtig nicht erkennen.

Würden Sie sagen, Europa versagt angesichts der Flüchtlingskrise?

Offensichtlich, weil wir ja auch die Fluchtursachen nicht mit der nötigen Vehemenz angehen. Für mich gehört dazu der offensive Kampf gegen Schlepper mit militärisch-polizeilichen Mitteln.

Auch auf die Gefahr hin, dass Europa sich dann in militärische Konflikte, etwa mit Libyen, verstricken würde?

Wir dürfen nicht tolerieren, dass das Mittelmeer zum Massengrab für die Schwächsten wird.

Grexit ist für Griechenland gefährlich

 Wenn wir schon über das Versagen Europas sprechen: Versagt der Kontinent auch im Kampf gegen die griechische Schuldenkrise?

Die Euro-Länder dürfen nicht vor Herrn Tsipras einknicken. Wenn sie das täten, hätte das eine fatale Ausstrahlung auf die Länder, die bereits Reformen umgesetzt hätten – mal ganz abgesehen davon, dass das Verhalten der griechischen Regierung nicht akzeptabel ist. Es darf nicht belohnt werden, dass sie ganz Europa ein halbes Jahr lang am Nasenring durch die Manege zieht.

Fürchten Sie den Grexit?

Letztlich ist der Grexit für Griechenland gefährlich, aber nicht mehr für Europa. Ein geordneter Grexit ist für Europa weniger gefährlich als ein Verbleib Griechenlands unter falschen Bedingungen. Das würde einen Ansteckungseffekt für andere Länder bedeuten.

Wir haben bei der Energiewende eine klare Linie

Bei der Energiewende hat es lange gehapert. Nun liegt ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch, am Mittwoch wollen Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel bei einem Koalitionsgipfel die Kuh vom Eis holen. Glauben Sie, dass das funktioniert?

Wenn es gelingt, dann nicht ohne Gesichtsverlust für eine Seite. Ich habe kein Verständnis für die Position der bayerischen Staatsregierung. Das Spiel, das die Griechen in Europa beim Euro aufführen, macht in Deutschland mitunter die CSU bei der Energiepolitik: keine Bewegung, aber ständig neue Forderungen. Ich halte es für unrealistisch zu glauben, man könnte sich bei allen Fragen rausstehlen und müsste keine Beiträge leisten. Das halte ich für inakzeptabel. Die Debatte um die Energiewende zeigt aber eines: Der Ausstieg aus der Kernenergie ist noch nicht verdaut. Das sieht man eben daran, dass Trassen oder Stromspeicher fehlen. Jetzt wäre es töricht, das nächste Hauruck-Projekt hinterher zu schieben: den Verzicht auf die Kohle. Was jetzt nötig ist, wäre eine kritische Debatte über die deutschen Klimaziele, die deutlich oberhalb der europäischen sind.

Das heißt, sie wollen einen längeren Betrieb von Kohlekraftwerken?

Ja! Wir müssen, um Wohlstand und Wachstum in Deutschland nicht zu gefährden, unsere Klimaschutzziele wieder auf das Niveau der anderen europäischen Länder zurückfahren. Die Regierung muss sich von dem Glauben verabschieden, sie könnte zwischen Ostfriesland und den Alpen das Weltklima im Alleingang retten. Das europäische Ziel einer CO2-Reduzierung von 30 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 ist ohnehin ambitioniert, weil wir es ohne den Einsatz von Kernkraftwerken erreichen wollen.

Bayern hat nicht nur die Stromtrassen, sondern auch die Rücknahme von Atommüll als Pfund in die Waagschale bei den Verhandlungen zur Energiewende geworfen. Glauben Sie, die Staatsregierung hätte das auch getan, wenn es noch eine Koalitionsregierung aus CSU und FDP in Bayern gäbe?

Die FDP war und ist gegen eine Beschleunigung der Energiewende. Wir sehen das Erneuerbare Energien Gesetz und die Dauersubventionierung von Erneuerbaren Energien hochgradig kritisch. Wir unterscheiden uns aber von der CSU, dass wir bei der Energiewende eine klare Linie haben, die ich bei der CSU bis dato nicht sehe.

Was sehen Sie dann bei der CSU?

Ich sehe ein großes Verständnis für die Subventionierung der Photovoltaikhersteller und wenig Verständnis für die steigenden Stromkosten für die Rentnerin. Bei uns ist das genau anders herum.

Es fehlt eine Stimme der Marktwirtschaft und der Bürgerrechte

Wo sehen Sie in der Politik in Deutschland konkret, dass die FDP fehlt?

Wo nicht? Denken Sie an die Wirtschaft, an die schrecklich bürokratische Mindestlohn-Dokumentationspflicht, mit der Bäckereifachverkäuferinnen kriminalisiert und eingeschüchtert werden durch bewaffnete Zollbeamte, die in Handwerksbetriebe einfallen müssen. Oder bei den öffentlichen Finanzen, wo das Geld rausgehauen wird wie Süßigkeiten beim Rosenmontagszug. Dabei wäre jetzt die Gelegenheit, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, unsere Sozialversicherungssysteme auch Enkel-fit zu machen. Und Investitionen in Bildung und Infrastruktur bleiben unterhalb dessen, was möglich ist. Ich sehe einen sozialdemokratisierten deutschen Bundestag, in dem sich die Parteien nur graduell dadurch unterscheiden, wie viel Umverteilung und Bürokratie sie wollen.

Konkret: Hätte es mit Ihnen eine Vorratsdatenspeicherung gegeben?

Nein. Wir haben es jahrelang verhindert, dass alle Bürger unter einen Generalverdacht gestellt werden, sobald sie ihr Handy nutzen – und das ohne dass damit ein Sicherheitsgewinn verbunden wäre. Deswegen werden wir gegen das Gesetz klagen.

Würden Sie die BND-NSA-Affäre anders handhaben?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss gegen die NSA Ermittlungen aufnehmen. In Deutschland ist geheimdienstliche Tätigkeit untersagt - auch von hoch geschätzten Verbündeten. Von russischen und chinesischen Diensten würden wir uns das nicht gefallen lassen. Diese Grenzüberschreitung können wir auch durch einen Freund wie die USA nicht akzeptieren. Es darf kein Recht erster und zweiter Klasse geben. Es ist vorderste Aufgabe der Bundesregierung, für die Einhaltung des Rechts zu sorgen.

Sehen Sie also ein Versagen der Bundesregierung?

Ich sehe eine mich irritierende Zurückhaltung. Ich erwarte, dass die Bundesregierung unsere Grundrechte nachhaltiger und vehementer verteidigt. Sie darf in dieser Frage nicht versagen.

Das Nummernschild Ihres Dienstwagen lautet „D - CL 2017“. Ist das eine Botschaft?

Es ist eine Mahnung an mich selbst. Mein Vertrag mit den Wählern läuft bis 2017, dann wird in meinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen neu gewählt. Dann muss der Vertrag erneuert werden.

2017 ist aber auch Bundestagswahl...

... bei der ich für die FDP antreten werde. Die Bundestagswahl 2017 wird unsere Schicksalswahl. Eine Periode außerhalb des Parlaments kann man als Periode der Erneuerung nehmen. Bei zwei fangen die Wähler doch an, sich an einen Bundestag ohne uns zu gewöhnen. Aber vor allem fehlt im Bundestag doch eine Stimme der Marktwirtschaft und der Bürgerrechte.

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