FDPAsyl und Einwanderung

Hass und Hetze nicht salonfähig machen

Christian LindnerChristian Lindner erteilt den Ressentiments der AfD eine deutliche Absage
23.10.2015

In der heiklen Diskussion über die Flüchtlingspolitik versucht die AfD, sich durch das gezielte Schüren von Ängsten zu profilieren. Im Interview mit dem "Bonner General-Anzeiger" warnte FDP-Chef Christian Lindner andere Parteien davor, im AfD-Stil mit Ressentiments zu spielen. Die Strategie der Angstmache lehnt die FDP entschieden ab: Stattdessen gelte es, die Menschen zu ermutigen, als Gesellschaft zusammenzurücken und die Herausforderung gemeinsam zu bewältigen. Dies habe Deutschland nach dem Krieg und bei der Einheit geschafft, und dies werde das Land auch jetzt schaffen, wenn es richtig handele, betonte er.

Die anti-islamische Bewegung Pegida darf aus Lindners Sicht weder verharmlost noch salonfähig gemacht werden. "Das sind keine besorgten Bürger, das sind Menschen, die bestenfalls Ängste haben, oft genug aber schlimme Ressentiments", stellte er klar. "Ein besorgter Bürger applaudiert nicht islamfeindlichen Parolen, der diskreditiert unser frei gewähltes Parlament nicht als Quatschbude, und das Privileg freier Medien kritisiert er nicht als Lügenpresse."

Pragmatismus statt Panik oder Schönmalerei

Um die Fluchtbewegungen in geordnete Bahnen zu lenken, müsse die Bundeskanzlerin ihre Politik korrigieren, forderte Lindner. "Frau Merkel hat fahrlässigerweise den Eindruck erweckt, Deutschlands Aufnahmemöglichkeiten seien unbegrenzt. Dieses 'Wir schaffen das, tschakka' ähnelt ja eher einem Motivationstrainer als der Bundeskanzlerin." Vielmehr brauche es konkrete Strategien. Seine Forderungen: "Ein einheitliches europäisches Asylrecht mit gleichen Standards, eine massive Unterstützung mit deutscher Logistik und deutschem Geld in den Auffanglagern in der Türkei, in Jordanien und im Libanon, damit die Menschen heimatnah dort bleiben können." Darüber hinaus müssten die Asylanträge schneller bearbeitet und die Unterbringung besser geplant werden.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Die politische Stimmung in Deutschland ist so aufgeheizt wie lange nicht. Sind Sie ganz froh, jetzt nicht in der Verantwortung zu stehen?

Nein, im Gegenteil. Ich glaube, dass alle, die sich dem Grundgesetz verpflichtet fühlen, aufgerufen sind, diese Werte von Freiheit, Verantwortung, Solidarität und Weltoffenheit offensiv zu verteidigen. Das würde ich liebend gern auch im Bundestag tun.

Wie halten Sie es mit Pegida?

Nicht verharmlosen oder salonfähig machen. Das sind keine besorgten Bürger, das sind Menschen, die bestenfalls Ängste haben, oft genug aber schlimme Ressentiments. Ein besorgter Bürger applaudiert nicht islamfeindlichen Parolen, der diskreditiert unser frei gewähltes Parlament nicht als Quatschbude, und das Privileg freier Medien kritisiert er nicht als Lügenpresse.

Die AfD schimpft auf Politik und Politiker. Brauchen wir mehr Engagement für die Demokratie?

Ich wünsche mir das. Unsere Demokratie ist nicht geprägt von Polit-Profis wie in den USA mit großen Privatvermögen. Ich bin Vorsitzender einer Partei von 55 000 Menschen, die ehrenamtlich tätig sind, die Freizeit und privates Geld investieren, weil sie an die Ideen glauben. Wenn man lieber auf der Couch sitzt und schimpft, wäre das ein großer Verlust.

Könnte der Aufstieg der AfD zu einer dauerhaften Veränderung des Parteiensystems führen?

Falsch wäre, wenn die Parteien beginnen würden, die Erklärungsversuche der AfD zu übernehmen und sich ihr nicht entgegenstellen. Einige spielen ja jetzt schon mit Ressentiments.

Denken Sie da an die CSU?

Auch an die CSU. Aber bleiben wir bei der AfD: Sie will, dass Menschen Angst haben, weil sie auf der Angstwelle ins Parlament kommen will. Meine Partei will auch ins Parlament - wir wollen den Menschen aber die Ängste nehmen. Wir machen ihnen Mut, dass unsere Gesellschaft jede Herausforderung bewältigen kann. Das hat sie nach dem Krieg und bei der Einheit geschafft, und sie wird das auch jetzt bewältigen, wenn sie richtig handelt.

Die Zahl der Flüchtlinge muss senken

Sie haben Angela Merkel einen Unsicherheitsfaktor genannt und ihr vorgeworfen, den Amtseid gebrochen zu haben. Müssten demokratische Parteien nicht maßvollere Töne anschlagen?

Ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn ich schwerwiegende Defizite in unserer Politik sehe.

Was werfen Sie der Bundeskanzlerin denn vor?

Frau Merkel hat fahrlässigerweise den Eindruck erweckt, Deutschlands Aufnahmemöglichkeiten seien unbegrenzt. Jetzt ist nötig, dass Frau Merkel ihre Politik korrigiert. Dieses „Wir schaffen das, tschakka“ ähnelt ja eher einem Motivationstrainer als der Bundeskanzlerin. Mich überzeugt das nicht. Ich will wissen, wie wir das schaffen können.

Was schlagen Sie vor?

Ein einheitliches europäisches Asylrecht mit gleichen Standards, eine massive Unterstützung mit deutscher Logistik und deutschem Geld in den Auffanglagern in der Türkei, in Jordanien und im Libanon, damit die Menschen heimatnah dort bleiben können. Ich erwarte, dass Asylanträge schneller bearbeitet werden und bei der Unterbringung vorausschauender geplant wird. Die Zahl der Flüchtlinge muss sinken, weil es unsere Gesellschaft auf Dauer nicht verkraftet, wenn 10 000 Flüchtlinge am Tag kommen.

Man wird das Asylrecht verändern müssen. Ist das mit liberalen Grundsätzen vereinbar?

Es bestehen Möglichkeiten unterhalb der Schließung von Grenzen und einer Änderung des Asylrechts. Nach der Genfer Konvention haben Bürgerkriegsflüchtlinge ein Recht auf aktuellen Schutz, aber nicht auf dauerhaftes Asyl. Das haben wir in den 90er Jahren mit Blick auf die Balkanflüchtlinge so gehandhabt. Warum nicht auch jetzt? Das wäre ein klares Signal in die Herkunftsregionen.

Es ist zu vermuten, dass der Strom nach Deutschland dennoch nicht abreißt.

Wenn 215 Bürgermeister aus Nordrhein-Westfalen erklären, im nächsten Jahr drohe bei der Unterbringung der Kollaps, dann ist das ein Alarmzeichen. Wir müssen Maßnahmen erreichen, um die Zahlen zu reduzieren. Es kann zum Beispiel niemand in Deutschland asylberechtigt sein, wenn er aus einem sicheren Drittland wie Österreich durchgeschleust wird. Nun will ich nicht die Grenze nach Österreich dichtmachen, aber man muss etwa mit Österreich über eine gemeinsame Politik sprechen.

Den Einzelnen stark machen

Themenwechsel: Wo sehen Sie die FDP im Erneuerungsprozess?

Wir haben unseren Kern wieder freigelegt. Es geht uns darum, den Einzelnen – etwa durch Bildung – stark zu machen und nicht den Staat, der leider zu oft abkassiert, bevormundet, bespitzelt oder bürokratisiert.

Wo muss die FDP deutlich präsenter werden?

Wir wollen für Deutschland das beste Bildungssystem der Welt, dafür müssen wir viel tun und der Bund muss mehr Verantwortung übernehmen. Und wir haben den Anspruch, die Partei zu sein, die die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf alle Lebensbereiche am stärksten durchdingt.

Wollen Sie die Piraten beerben?

Ich will, dass die FDP da eine Meinungsführerschaft hat, weil die Digitalisierung für uns eine Chance ist – auf wirtschaftliches Wachstum, soziale Teilhabe und Komfort im Alltag, aber die muss gestaltet werden. Vielen fehlt heute aber noch der Breitbandzugang. Für mich ist das ein Teil der Daseinsvorsorge, in dem der Staat investieren sollte.

Sie sind in der Öffentlichkeit oft der Alleinunterhalter der FDP. Müssten Sie nicht viel mehr Themen auch mit Gesichtern verbinden?

Es fehlen uns nicht die Gesichter. Ich zähle sie Ihnen auf: Wolfgang Kubicki, der liberales Lebensgefühl mit jedem Augenaufschlag ausdrückt, Katja Suding und Lencke Steiner als sehr qualifizierte Wahlgewinnerinnen aus dem Norden, Marie-Agnes Strack Zimmermann, eine gestanden Frau aus der Kommunalpolitik, Alexander Graf Lambsdorff mit seiner außenpolitischen Expertise, Hermann Otto Solms für die Haushalts- und Finanzpolitik, Michael Theurer als Vorsitzender des Luxleaks-Untersuchungsausschusses im Europäischen Parlament und Volker Wissing, von dem sogar der politische Gegner in Rheinland-Pfalz sagt, er könnte aus dem Stand Wirtschafts- oder Finanzminister werden.

Als FDP-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im März droht ihm aber im Frauendreikampf zwischen Malu Dreyer, Julia Klöckner und Eveline Lemke das Schicksal, nicht beachtet zu werden?

Das glaube ich nicht. In dem emotionalen Wahlkampf wird er mit seiner grundsoliden und hochseriösen Art sozusagen der richtige Quotenmann sein.

Für beste Bildung und einen wettbewerbsfähigen Standort

Wie mühsam ist es, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, ohne im Bundestag zu sitzen?

Als außerparlamentarische Partei wird man von der Tagesschau kaum gefragt. Das muss kompensiert werden durch Arbeit vor Ort. Deshalb beackern wir die Fläche umso mehr. Und wissen Sie was? Mir macht das Spaß. Ich habe jeden Tag drei, vier, fünf Termine. Etwa letzte Woche ein Festzelt mit 1500 Menschen, Betriebsbesichtigungen, ein Wirtschaftskongress mit 500. Das ist motivierend.

Sie sind weiter Landesvorsitzender der NRW-FDP und Fraktionschef im Landtag. Sie haben jüngst gesagt, die Landesregierung arbeite den Koalitionsvertrag „lustlos“ ab. Wo würden Sie denn mit mehr Eifer rangehen?

Erstens bei der Bildung: Frau Löhrmann hat für alles Mögliche Lehrerstellen übrig, aber nicht für eine verlässliche Unterrichtsversorgung an Gymnasien und Realschulen. Das sind nicht ihre Lieblingsschulformen. Deshalb gibt es da weniger Ganztag, weniger Fachlehrer und mehr Unterrichtsausfall. Zweitens müssen wir mehr in die Infrastruktur investieren. Seit 2010 sind wir von über 90 auf 30 Millionen Euro Investitionen in die Landesstraßen runter, obwohl die öffentlichen Einnahmen gestiegen sind. Drittens: Wenn die Einbruchskriminalität in fünf Jahren um über 50 Prozent gestiegen ist, wird der Staat der Aufgabe, die Bürger zu schützen, nicht gerecht. Statt Blitzermarathons durchzuführen, sollte man lieber auf Autobahnen Schwerpunktkontrollen durchführen.

Das wird ja auch gemacht.

Aber offenbar nicht hinreichend. Eine Bürgerin erzählte mir, dass sie nach einem Einbruch das Diebesgut bei Ebay gefunden hätte. Der Polizei fiel aber nichts Besseres ein als zu sagen, wir heften den Ausdruck an die Akte, haben aber nicht die technischen und personellen Möglichkeiten, dem nachzugehen. Das ist eine Kapitulationserklärung.

Wo sehen Sie in der wieder aufgeflammten Bonn/Berlin-Debatte die Möglichkeiten der Stadt Bonn?

Ich glaube, dass Bonn um die internationale Kompetenz kämpfen muss, die die Bundesregierung hier angesiedelt hat, damit sich der UN-Standort weiterentwickeln kann.

Was heißt das konkret?

Es kann nicht nur um die Konservierung des Status quo gehen, sondern es muss ein Konzept entwickelt werden, das zukunftsweisend die Interessen des Standorts Bonn und seine Stärken ins Zentrum rückt. Da kann vielleicht in Veränderungen auch eine Chance liegen.

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