12.10.2015FDPAsylpolitik

LINDNER-Interview: Das liberale Deutschland darf sich nicht verändern

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte WILFRIED GOEBELS:

Frage: Die hohen Flüchtlingszahlen verändern das Land. Müssen wir Zuwanderern deutlicher sagen, dass unsere freiheitlichen Werte nicht verhandelbar sind?

LINDNER: Deutschland kann stolz sein auf seine liberale Verfassungskultur. Freiheit ist garantiert, beide Geschlechter haben dieselben Rechte. Bei uns ist auch Satire über Mohammed erlaubt und schwule Paare dürfen Hand in Hand durch die Stadt gehen. Mancher Flüchtling muss sich also ändern, keinesfalls darf sich aber das liberale Deutschland verändern. Der Staat des Grundgesetzes ist aber kein christlicher Club, sondern offen für alle, die seine Werte teilen.

Frage: Viele männliche Flüchtlinge haben ein steinzeitartiges Frauenbild. Sehen Sie da keine Risiken?

LINDNER: Auch mancher CSU-Politiker hat ein Frauenbild von gestern. Für alle gilt: In Sachen innerer Liberalität und Toleranz kann es für niemanden Rabatt geben. Wer das nicht respektiert, ist falsch bei uns.

Frage: Ein Großteil der Flüchtlinge verfügt über keine Schul- und Berufsausbildung. Wollen wir so die Fachkräftelücke füllen?

LINDNER: Flüchtlinge aufzunehmen ist eine Frage der Humanität. Aber auch unsere Kräfte sind begrenzt. Es wäre naiv zu glauben, dass aus einem Flüchtling schnell eine Fachkraft wird. Das dauert. Wir müssen mehr in Bildung investieren und die bürokratischen Hürden und Wachstumsbremsen von Andrea Nahles lösen. Etwa mit dem Mindestlohn hat die Große Koalition Hürden für niedrig qualifizierte Flüchtlinge erhöht. Wir müssen den vielen jungen Männern aber eine Aufgabe geben. Nur so können wir langfristig von ihnen profitieren.

Frage: Was kann die Politik Ihrer Meinung nach denn dafür tun?

LINDNER: Bund und Länder müssen Handwerk, Industrie und Gewerkschaften schnell für ein Bündnis für Integration in Arbeit an einen Tisch holen. So könnten mehr freie Plätze in der betrieblichen und überbetrieblichen Ausbildung für Flüchtlinge angeboten werden. Wir sollten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Qualifikation der Flüchtlinge prüfen. Daran anschließen müssen sich Orientierungspraktika in Betrieben.

Frage: Befürchten Sie eine Zuwanderung in die Sozialsysteme?

LINDNER: Klar ist, wir werden einen deutlichen Anstieg der Sozialhilfe- und Arbeitslosenzahlen haben. Das kann Deutschland bei einer Jahreswirtschaftsleistung von 2,7 Billionen Euro eine Zeit lang verkraften. Aber nur, wenn wir die Lethargokratie der letzten Jahre beenden und die Weichen wieder auf mehr Investitionen stellen. Fehler wie die Rente mit 63 und die gescheiterte Energiepolitik dürfen sich nicht wiederholen.

Frage: Teile der CDU lehnen ein Einwanderungsgesetz weiter ab, weil die Zahl der Flüchtlinge schon jetzt zu hoch sei. Was sagen Sie?

LINDNER: Gerade deshalb brauchen wir noch vor 2017 ein Einwanderungsgesetz, das von der ungeordneten zur geordneten Zuwanderung führt. Wozu verfügt die Große Koalition über eine Mehrheit von 80 Prozent im Bundestag, wenn sie die objektiven Probleme nicht löst?

Frage: Bundeskanzlerin Merkel gerät wegen ihrer offenen Flüchtlingspolitik unter Druck. Wie bewerten Sie ihre Rolle?

LINDNER: Angela Merkel hat edle Motive, aber keinen guten Plan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Erst macht sie die Grenzen auf, dann am nächsten Wochenende wieder zu. Das war der schwerste Fehler ihrer Amtszeit. Auf nichts kommt es so sehr an, wie die Einhaltung klarer Regeln. Ich frage mich bei allem Respekt vor Frau Merkel wie ein Helmut Schmidt die Krise gesteuert hätte. Ich sehe zu oft eine Fukushima-Kanzlerin, die zu kurzfristig agiert.

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