12.10.2005FDP

NIEBEL-Interview für NDR Info

Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab heute das folgende Interview dem NDR Info-Radio. Die Fragen stellte SVEN HASENCLEVER.
Frage: Herr NIEBEL, FDP in Zusammenhang mit größter Fraktion, das klingt irgendwie gut, auch wenn es nur die Opposition ist, oder?

NIEBEL: Lieber groß und schön als klein und fein, aber wir hätten doch lieber regiert.

Frage: Wie haben Sie denn den Sondierungspoker der vergangen Tage erlebt?

NIEBEL: Ich fand, es war ein wirklich unsägliches Gezerre, das da stattgefunden hat, das teilweise für jemanden, der hauptamtlich Politik macht, schon schwer zu ertragen gewesen ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der normale Bürger das empfunden hat.

Frage: Was hat Ihnen besonders mißfallen?

NIEBEL: Die Art und Weise, wie gute demokratische Gepflogenheiten außer Kraft gesetzt worden sind und man versucht hat, persönlich sein Ego in den Vordergrund zu stellen. Es ging hier weniger um Deutschland, sondern nur noch um die eigene Sache.

Frage: Wie ist es denn zu bewerten, daß schon vorab versucht wird, die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin zu beschneiden?

NIEBEL: Das ist natürlich ein wirklich unsäglicher Vorgang. Sie können mir glauben, wir werden eine gute Opposition sein. Deswegen ist es nicht meine Aufgabe, die zu wählende Kanzlerin zu verteidigen, aber selbstverständlich kann das Grundgesetz nicht außer Kraft gesetzt werden, nur weil man eine Wahl verloren hat. Und deswegen bin ich zwar schon sehr verwundert über die Stimmen aus der SPD in dieser Richtung, aber daß aus der CSU heraus ähnliche Stimmen kommen, das ist schon ein wirklich bemerkenswerter Vorgang.

Frage: Wie können Sie sich diesen Vorstoß STOIBERS erklären?

NIEBEL: Ich kann mir das nicht erklären. Man könnte natürlich jetzt Erklärungsmuster herausziehen aus der Schublade, daß man sagt, vielleicht verstoßene Liebe oder Nachtreten. Aber ich halte es schlicht für nicht erklärbar, weil es nicht verantwortbar ist, und deswegen ist das eine unsägliche Diskussion, die zwingend beendet werden muß.

Frage: In der großen Koalition der sechziger Jahre waren es die Fraktionsvorsitzenden, die sehr mächtig waren. Glauben Sie, daß das dieses Mal auch wieder so sein wird, daß die Kanzlerin in diesem Fall mehr so eine Art wandelnder Vermittlungsausschuß sein könnte?

NIEBEL: Wir sind immer der Ansicht gewesen als FDP, daß eine große Koalition nur auf dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner vorankommen kann, weil die Unterschiede so groß sind. In der Bevölkerung denkt man oft, große Koalitionen bringen große Lösungen, aber das Gegenteil ist nachweislich der Fall gewesen. In Baden-Württemberg, wo sich nichts bewegt hat bei der großen Koalition, in Berlin, wo das Land wirklich gegen die Wand gefahren worden ist, gerade was die Finanzen anbetrifft. So gesehen ist natürlich bei der ohnehin vorhandenen Wichtigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung die entscheidende Größe immer auch die Fraktion, die eine Regierung prägt, weil dadurch stehen und fallen die Mehrheiten, so daß man immer miteinander reden muß. Richtlinienkompetenz hin oder her, das Gespräch, das bleibt zwingend notwenig, aber irgendwann muß auch eine Entscheidung getroffen werden, daß politisch richtige Dinge durchgesetzt werden. Das scheint bei dieser zu bildenden Regierung wohl eher schwierig zu sein.

Frage: Es sind auch schon viele Namen für Ministerposten im Gespräch. Wen hielten Sie für die krasseste Fehlbesetzung?

NIEBEL: Wenn es wirklich dazu käme, daß das Wirtschafts- und Arbeitsministerium wieder getrennt wird, was so aussieht, was ich übrigens für völlig falsch halte, weil Wirtschaft und Arbeit nicht voneinander zu trennen sind, hört man, daß ANDREA NAHLES im Gespräch ist als Arbeitsministerin. Das wäre eindeutig die krasseste Fehlbesetzung. Jemand, der sein Leben lang über ein Literaturwissenschaftsstudium hinaus nur bei der IG-Metall Gewerkschaftsinteressen, Funktionärsinteressen vertreten hat, sollte auf keinen Fall mit der Bewältigung der Arbeitsmarktprobleme in Deutschland betraut werden.

Frage: Jetzt wollen wir auch nicht alles schlecht machen, wenn es geht jedenfalls. Sehen Sie auch positive Entwicklungen, oder können Sie all dem im Moment gar nichts abgewinnen?

NIEBEL: Die positive Entwicklung ist, daß dieses Gezerre der vergangenen drei Wochen zu Ende ist. Das konnte wirklich kein Mensch mehr nachvollziehen. Was inhaltlich passiert, kann ich nicht positiv bewerten, denn vor dem ersten Koalitionsgespräch ist bei dem, was inhaltlich vereinbart worden ist, schon klar ersichtlich, daß wir keinen Politikwechsel in Deutschland bekommen werden. Ich sehe kein einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem, ich sehe keinen Abbau von bürokratischen Hemmnissen, ganz besonders nicht am Arbeitsmarkt, und ich sehe keine Option für eine dauerhafte Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, so daß noch im Vorfeld von Koalitionsverhandlungen eine dramatische Sozialdemokratisierung der Bundesrepublik eingesetzt hat, die mir Sorgen macht.

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