30.06.2013FDP, FDP-Fraktion

RÖSLER-Interview für die "Welt am Sonntag"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende Bundeswirtschaftsminister DR. PHILIPP RÖSLER gab der "Welt am Sonntag" heutige Ausgabe das folgende Interview. Die Fragen stellten JOCHEN GAUGELE und THORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Herr Rösler, wie geht es Rainer Brüderle?

RÖSLER: Gut. Ich habe ihn im Krankenhaus besucht, und wir haben über die weitere Wahlkampfplanung gesprochen. Wir telefonieren fast täglich über das, was an politischen Themen anliegt. Also, das geht wirklich gut, und er wird bald auch wieder ganz mit dabei sein.

Frage: Hat er Ihnen erzählt, wie es zu dem Treppensturz gekommen ist?

RÖSLER: Das hat keine Rolle gespielt. Ich bin ja nicht sein Arzt.

Frage: Zur Situation der FDP passt ein berühmtes Fußballerzitat: Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu ...

RÖSLER: Einspruch! Der Satz passt hervorragend zur SPD - und nicht zur FDP. Klar, der Unfall war nicht schön. Wenn man dem Ganzen überhaupt etwa Gutes abgewinnen will, sage ich: Es ist besser, so etwas passiert jetzt kurz vor der parlamentarischen Sommerpause als direkt im heißen Wahlkampf. Bis dahin ist das längst wieder vergessen.

Frage: Sind Sie einstweilen die Vertretung des Spitzenkandidaten?

RÖSLER: Wir teilen die Termine auf, wie es zeitlich gerade passt: zwischen den Bundesministern, dem Generalsekretär, den anderen Spitzenpersonen der FDP und mir.

Frage: Brüderle ist 68, und Knochenbrüche heilen nicht immer schnell. Gibt es einen Notfallplan?

RÖSLER: Jetzt sage ich doch mal was als Mediziner. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen, was das Alter und das Verheilen von Brüchen angeht. Das wird alles gut laufen.

Frage: Könnten Sie sich einen Spitzenkandidaten auf Krücken oder im Rollstuhl vorstellen?

RÖSLER: Entscheidend ist, dass er politisch den Wahlkampf führt. Er gibt ja schon wieder Interviews.

Frage: Der Wahlkampf der Liberalen verläuft eher unauffällig. Die Plakate ("Starke Mitte, starke Leistung") erinnern an die Zeit von Helmut Kohl ...

RÖSLER: Rot und Grün planen mit ihren Steuererhöhungsplänen einen Generalangriff auf die Mitte in unserem Land. Da passt das ganz genau.

Frage: Haben Sie sich ein persönliches Mindestziel gesetzt? Oder wollen Sie die Liberalen in jedem Fall über die Bundestagswahl hinaus führen?

RÖSLER: Jetzt konzentriere ich mich auf den anstehenden Wahlkampf. Wir haben allerbeste Chancen auf Fortsetzung dieser Regierungskoalition. Aber wir müssen sie auch nutzen.

Frage: 100 Tage nach der Neuaufstellung auf dem Sonderparteitag und 80 Tage vor der Bundestagswahl verharren die Liberalen im Umfragetief. Sie werden ein Kaninchen aus dem Hut zaubern müssen ...

RÖSLER: Die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt erst im September - zwei Wochen vor der Wahl. Jetzt ist die Zeit, unsere Themen weiter nach vorn zu bringen: Keine neuen Schulden, stabiles Geld, keine weiteren Belastungen. Man muss am Wahlabend stark sein. Das ist entscheidend.

Frage: Andere in Ihrer Partei werden unruhig. Die Spitzenmänner brächten liberale Themen zu selten auf die Titelseiten, heißt es.

RÖSLER: Es ist in der Öffentlichkeit längst angekommen, dass das Thema solide Haushalte und keine Steuererhöhungen bei uns am besten aufgehoben ist. Die Menschen wissen: Nur mit der FDP wird es keine weiteren Belastungen geben.

Frage: Haben Sie Angela Merkel mal gefragt, warum im Wahlprogramm der Union jedes Bekenntnis zu Schwarz-Gelb fehlt?

RÖSLER: Angela Merkel lässt nie einen Zweifel daran, dass sie die Fortsetzung dieser erfolgreichen Koalition will. Alles andere macht auch keinen Sinn. Schauen Sie sich die Haushaltszahlen, die Arbeitsmarktdaten, die Wachstumszahlen an - das waren vier gute Jahre für unser Land. Und wir treten gemeinsam für vier weitere gute Jahre an.

Frage: Das Unionsprogramm weist erhebliche Schnittmengen mit der SPD auf. Ein Berliner würde sagen: Nachtigall, ick hör dir trapsen ...

RÖSLER: Ein Liberaler sagt: Alle rücken nach links, wir bleiben in der Mitte. Schauen Sie nur nach Berlin: Hier erhöhen SPD und CDU gerade die Grunderwerbssteuer. Das trägt auch nicht dazu bei, das Angebot an Wohnraum zu erhöhen, den wir gerade jetzt vermehrt brauchen. Eine große Koalition bedeutete Stillstand für unser Land und käme die Menschen sehr teuer. Die FDP ist das Korrektiv, auf das es gerade jetzt ankommt.

Frage: Diese Rolle könnten die Liberalen auch in einer Ampelkoalition übernehmen. Schließen Sie aus, dass Sie Peer Steinbrück zum Bundeskanzler wählen?

RÖSLER: Eine Ampelkoalition ist völlig ausgeschlossen. Die Roten wollen in Deutschland die Steuern erhöhen, um die Schulden der anderen in Europa zu bezahlen. Schwarz-Gelb ist ein Anker der Stabilität und Solidität. Wir wollen die Koalition mit der Union fortsetzen, damit Deutschland stark bleibt.

Frage: Herr Rösler, Kroatien tritt als 28. Staat der Europäischen Union bei. Ist Erweiterung das Gebot der Stunde?

RÖSLER: Die Aufnahme Kroatiens ist ein gutes Signal für Europa. Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht, als der Balkan im Krieg versunken ist? Unabhängig davon müssen wir über die Strukturen in Europa nachdenken: Wie können wir das Europäische Parlament stärken? Müssen wir weitere Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagern? Wenn wir die akute Phase der Krise überwunden haben, sollten wir uns an grundlegende Reformen machen.

Frage: Welche Perspektive sehen Sie für die Türkei?

RÖSLER: Ob und wann die Türkei in die EU aufgenommen wird, ist völlig offen. Wir haben jetzt genau den richtigen Weg eingeschlagen: Wir eröffnen im Herbst neue Verhandlungskapitel, machen aber deutlich, dass wir nicht akzeptieren, was aktuell in der Türkei vor sich geht.

Frage: Wäre es nicht ehrlicher, den Türken zu sagen, dass es nichts mehr wird mit dem Beitritt?

RÖSLER: Ergebnisoffen heißt ergebnisoffen.

Frage: Die einen fordern mehr Europa, den anderen geht die Vertiefung schon zu weit - etwa bei der Umweltgesetzgebung. Welche Haltung haben Sie?

RÖSLER: Europa mischt sich auf vielen Feldern zu sehr in Detailfragen ein, die man besser den Mitgliedstaaten überlassen sollte.

Frage: Zählen Sie dazu auch Klimaschutzvorgaben für die Autoindustrie?

RÖSLER: Was wir brauchen, ist ein sinnvoller Kompromiss. Einheitliche CO2-Grenzwerte sind nicht nur eine umweltpolitische Frage. Dahinter stehen handfeste Wettbewerbsfragen. Die Regelung, die wir jetzt in Brüssel verhindern konnten, hätte die deutschen Premiumhersteller klar benachteiligt. Als Wirtschaftsminister geht es mir darum, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie zu erhalten. Das ist ausdrücklich im gesamteuropäischen Interesse. Ich erinnere daran, dass Daimler, Volkswagen und BMW auch in anderen europäischen Staaten produzieren, mit Zulieferungen von Herstellern dort. Wenn man den deutschen Autoherstellern Steine in den Weg legt, schadet man der europäischen Industrie insgesamt.

Frage: Welchen Kompromiss streben Sie jetzt an?

RÖSLER: Unser Vorschlag bleibt auf dem Tisch. Die deutsche Autoindustrie ist jetzt schon sehr gut, was Abgasvermeidung angeht - auch dank der Entwicklung von Elektroautos. Es muss möglich sein, diese Leistung auf die Grenzwerte anzurechnen, die ab 2020 gelten sollen.

Frage: Ein Symptom der Krise ist der dramatische Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Was kann der Gipfel mit dem französischen Präsidenten Hollande leisten, der nächste Woche im Kanzleramt stattfindet?

RÖSLER: Es ist gut, dass es diesen Gipfel gibt. Er ist ein klares Signal, dass Europa zusammensteht, wenn es darum geht, eines der größten Probleme zu lösen: die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wenn wir es nicht schaffen, sie zu beseitigen, müssen wir von einer verlorenen Generation sprechen. Die EU stellt in den kommenden Jahren sechs Milliarden Euro bereit ...

Frage: ... die der SPD-Kanzlerkandidat als unzureichend kritisiert. Steinbrück fordert 20 Milliarden Euro ...

RÖSLER: … die wiederum nicht realistisch sind. Es macht doch keinen Sinn, sich im Wahlkampf gegenseitig mit Zahlen zu überbieten. Mit den sechs Milliarden, die zur Verfügung stehen, leistet die EU einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Entscheidender als Beschäftigungsprogramme sind allerdings strukturelle Reformen in den jeweiligen Ländern. Nur mit Arbeitsmarktreformen und mehr Flexibilität werden wir die Jugendarbeitslosigkeit langfristig beseitigen. Das lässt Steinbrück völlig außer Acht. Er ignoriert auch die Anstrengungen, die die deutsche Wirtschaft bereits unternommen hat. Im vergangenen Jahr haben deutsche Unternehmen fast jeden fünften neuen Job im europäischen Ausland geschaffen. In der kommenden Woche werde ich gemeinsam mit Wolfgang Schäuble einen Vertrag mit Spanien unterzeichnen, mit dem wir für kleine und mittelständische Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern. Das ist ein Modell auch für andere Staaten in Südeuropa. Und es wird helfen, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen.

Frage: Die duale Berufsausbildung in Deutschland ist selbst vom amerikanischen Präsidenten gelobt worden. Was genau kann sie in der Krise leisten?

RÖSLER: Die duale Ausbildung spielt eine Schlüsselrolle. Es ist ein Erfolgsmodell, das besonders in Südeuropa auf großes Interesse stößt. Wir werden auch künftig unser know-how zur Verfügung stellen, damit ein solches System aufgebaut werden kann. Gleichzeitig laden wir junge Menschen aus den südeuropäischen Ländern herzlich ein: Kommt nach Deutschland! Macht bei uns eine Berufsausbildung! Unsere Wirtschaft klagt Jahr für Jahr über Zehntausende freie Ausbildungsplätze. Ich will diese Lücke ein Stück weit schließen.

Frage: Wie viele junge Spanier oder Griechen wollen Sie nach Deutschland holen?

RÖSLER: Für Schulabgänger ist es sicher keine leichte Entscheidung, mindestens drei Jahre in ein fremdes Land zu gehen. Aber die Tür für junge Südeuropäer steht auf, sie sind willkommen. Aber wir müssen deutlich machen, dass sie die Perspektive haben, als Fachkräfte zu bleiben - auch mit doppelter Staatsbürgerschaft. Im Internet werben wir mit dem Slogan: "Make it in Germany."

Frage: Sie haben in den vergangenen Monaten viele Startup-Firmen besucht. Welchen Beitrag leisten sie im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit?

RÖSLER: Diese Unternehmen entwickeln spannende Technologien, Sprachprobleme gibt es nicht, weil alle Englisch sprechen. Das sind ideale Voraussetzungen für die Ausbildung junger Menschen aus anderen Ländern. Berlin gehört zu den wichtigsten Orten für Startups - neben dem Silicon Valley, London und Tel Aviv.

Frage: Herr Rösler, es gibt viele Fotos, auf denen Sie Menschen umarmen - Freunde, Journalisten, Politiker. Prägen Sie einen neuen Vizekanzlerstil?

RÖSLER: Ich bin, wie ich bin.

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