FDPInterview

Comeback-Potenzial in Sachsen-Anhalt

Christian LindnerChristian Lindner spricht über die anstehende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
19.09.2015

Für die FDP hat die Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt eine besondere Bedeutung. Im Interview mit der "Mitteldeutschen Zeitung" spricht FDP-Chef Christian Lindner über die Rolle des Ostens für den Erfolg der Trendwende. "Es ist für uns unerträglich, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall in den ostdeutschen Parlamenten keine liberale Stimme gibt – das wollen wir ändern", betont er. Die Aussichten seien gut: "Die Menschen hier schauen sehr genau hin und sind bereit, den Liberalen eine neue Chance zu geben." Außerdem zeichnet der FDP-Chef ein Bild der Lage des Bildungssystems und Strategien bei der Flüchtlingshilfe.

Die Freien Demokraten stünden "für eine Offenheit für Fortschritt, wirtschaftliche Vernunft und eine gesamtstaatliche Bildungsoffensive", erläutert Lindner. Gerade in diesem Bereich müsse auch der Bund mehr Verantwortung übernehmen und durch ausreichende Finanzierung für höhere Qualität an deutschen Schulen sorgen.

Mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik fordert Lindner, die Staaten des Balkans zu sicheren Herkunftsländern zu erklären und dort die Visa-Pflicht wieder einzuführen. "Gleichzeitig sollten wir ein Einwanderungsgesetz schaffen, das die Einreise qualifizierter Menschen erleichtert", verdeutlicht er. Zum Abbau des Staus unentschiedener Asylverfahren sollen Anträge von Menschen aus dem Irak, Eritrea und Syrien nach einer Sicherheitsüberprüfung pauschal angenommen werden. Darüber hinaus müsse der Bund 100 Prozent der Kosten während des Asylverfahrens übernehmen und die Organisation zentral steuern.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Herr Lindner, wissen Sie, wer der Oberbürgermeister von Dessau ist?

Ich weiß, dass er in der FDP ist. Aber wir kennen uns bislang nicht persönlich.

Aber Peter Kuras ist bei der Oberbürgermeisterwahl in Dessau als unabhängiger Kandidat angetreten. Was heißt das für Ihre Partei?

Das ist eine Tendenz, die wir überall beobachten. Die Wahlen für die Spitzen unserer Städte und Gemeinden haben einen starken Persönlichkeitscharakter, die Parteien sind nachrangig. Ich finde es auch nicht schlecht, die Persönlichkeit ins Zentrum zu stellen - im Gegenteil: Es ist eine Stärkung unserer Demokratie.

Nach einer Durststrecke hat die FDP in diesem Jahr in Hamburg und Bremen wieder gute Wahlergebnisse eingefahren. Ist das schon die Trendwende?

Ich spreche noch nicht von einer Trendwende. Wir haben ein Signal bekommen, dass die Richtung unserer Erneuerung stimmt. Eine Trendwende können wir uns erst nächstes Jahr im März erarbeiten. Die drei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind der Gradmesser und werden zeigen, ob die Trendwende gelingt. Das wird die erste kleine Vorwahl für den Bundestag. Insbesondere Sachsen-Anhalt hat für die FDP eine enorme symbolische Bedeutung. Es ist für uns unerträglich, dass es 25 Jahre nach dem Mauerfall in den ostdeutschen Parlamenten keine liberale Stimme gibt – das wollen wir ändern.

Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen

Welche Erwartungen haben Sie an die Wahlen im nächsten Jahr?

Gerade in Sachsen-Anhalt haben wir schon einige Male bewiesen, dass die FDP echtes Comeback-Potenzial hat. Die Menschen hier schauen sehr genau hin und sind bereit, den Liberalen eine neue Chance zu geben. Wir stehen jetzt an der Schwelle, wieder ins Parlament einzuziehen. Für den Landtag würde das jedenfalls eine enorme Belebung der Debatten bedeuten.

Welche Schwerpunkte würden Sie denn in den Debatten setzen?

Wir stehen für eine Offenheit für Fortschritt, wirtschaftliche Vernunft und eine gesamtstaatliche Bildungsoffensive. Gerade in diesem Bereich muss auch der Bund mehr Verantwortung übernehmen und durch ausreichende Finanzierung für höhere Qualität an deutschen Schulen sorgen. Auch die Vergleichbarkeit der Bildung ist wichtig.

Sind Sie für ein Zentral-Abitur?

Cornelia Pieper, die ehemalige stellvertretende FDP-Vorsitzende, hat lange Zeit wegen ihres Engagements für das Zentralabitur viel Prügel bekommen. Hier hat sich die FDP sehr gewandelt. Früher verstand sich die Partei als Bewahrerin des Bildungsföderalismus. Wir haben aber erkannt, dass Bildung kein Wettbewerb zwischen Politikern und Bürokraten sein sollte.

Streben Sie bei der Wahl in Sachsen-Anhalt eine Regierungskoalition mit der CDU an?

Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das unterscheidet die FDP von Protestparteien. Die Frage ist immer, ob es hinreichende Gemeinsamkeiten mit einem möglichen Partner gibt. Sie sprechen so selbstverständlich von der CDU. Wir stellen uns ganz unabhängig auf. Wir möchten gewählt werden als Freie Demokraten, nicht als Hilfstruppe von irgendjemandem. Mir fällt es jedenfalls zunehmend schwer, im politischen Tagesgeschäft noch Unterschiede zwischen CDU und SPD zu erkennen.

Sie könnten sich also auch eine Koalition mit der SPD oder den Grünen vorstellen?

Natürlich muss das theoretisch möglich sein. Aber praktisch haben SPD und Grüne nichts mehr zu tun mit den Parteien, die sie zu Zeiten des Erneuerungsimpulses „Agenda 2010“ waren.

Wird es wieder eine Zweitstimmenkampagne geben?

Die Zweitstimme ist die wichtigste Stimme im Wahlrecht, natürlich werden wir wieder um diese Stimmen werben. Wir werden sagen: Wählt FDP - aber nicht, damit jemand anderes irgendetwas werden kann. Sondern wählt uns, wenn ihr die Stimme der Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Toleranz stärken wollt.

Zur geordneten Zuwanderung

Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt die deutsche Politik momentan vor große Probleme. Wie würde die Debatte laufen, wenn die FDP noch im Bundestag wäre?

Ich würde konkret drei Punkte vorschlagen. Erstens müssen wir von der ungeordneten zur geordneten Zuwanderung kommen. Die Staaten des Balkans sollten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden und zugleich muss die Visa-Pflicht wiedereingeführt werden. Gleichzeitig sollten wir ein Einwanderungsgesetz schaffen, das die Einreise qualifizierter Menschen erleichtert. Zweitens haben wir einen Stau unbearbeiteter Asylanträge.

Asylanträge von Menschen aus dem Irak, aus Eritrea und aus Syrien sollten nach einer Sicherheitsüberprüfung pauschal angenommen werden. Sie werden ohnehin zu 99,5 Prozent bewilligt. Drittens sind Länder und Kommunen überfordert. Der Bund sollte 100 Prozent der Kosten während des Asylverfahrens übernehmen und die Organisation zentral steuern.

Vor kurzem haben Sie gesagt, dass Sie Flüchtlinge eher in ländlichen Regionen als in Ballungsgebieten unterbringen würden. In Sachsen-Anhalt gibt es viele solcher ländlichen Regionen. Würden Sie also mehr Flüchtlinge hier unterbringen, als momentan geplant?

Es geht um die Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung während der Prüfung des Asylantrags. Ich halte es nicht für sinnvoll, ausgerechnet dort Flüchtlinge unterzubringen, wo Wohnraum ohnehin knapp ist. Etwas anderes ist es, wenn der Asylantrag genehmigt worden ist. Dann müssen die Menschen dorthin, wo es Arbeit gibt, also eher weg von ländlichen Gebieten.

Die AfD hat sich nach einer kurzen Blütezeit gespalten. Wie stehen Sie zu ehemaligen AfD-Mitgliedern, die gern in die FDP eintreten wollen?

Kritisch. Eine Partei kann sich ihre Mitglieder bei der Aufnahme aussuchen. Da sollte man auf die Leute schauen, die die eigenen Grundüberzeugungen teilen und verteidigen. Wer bei der AfD war oder ist, hat viele Ressentiments mitgetragen. Stichworte wären Pegida, „Lügenpresse“, „Altparteien“. Die AfD vertritt völkisches Gedankengut. Wir als Liberale schauen dagegen auf den Einzelnen, jeden Einzelnen. Die AfD ist also das Gegenteil von uns. Wer von dieser Partei zu uns wechseln will, ist genauso glaubwürdig wie jemand, der von der Linkspartei zur FDP will. Die Motive sind zumindest fragwürdig.  AfD-Mitglieder werden deshalb nur nach strenger Einzelfall-Prüfung aufgenommen.

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