03.11.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für das "Westfalenblatt"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Westfalenblatt" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte REINHARD BROCKMANN:

Frage: War alles nur ein Unfall, wie Andrea Nahles sagt?

WESTERWELLE: Das war kein Unfall sondern mindestens ein bedingter Vorsatz. Man hat den Rücktritt von Franz Müntefering billigend in Kauf genommen. In Wahrheit steckt dahinter eine Richtungsfrage. Viele in der SPD wollen die Möglichkeit eines linken Bündnisses ins Auge fassen und dazu gehört auch Frau Nahles.

Frage: Wie stark sind die Linken? Hatte womöglich Schröder bereits mehr Not mit ihnen, als nach außen erkennbar war?

WESTERWELLE: Schon die Agenda 2010, die nur der unzureichende Beginn einer Runderneuerung unseres Landes war, war nicht mehr richtig durchsetzbar in der SPD. Dieser zaghafte Beginn eines Richtungswechsels hat die Sozialdemokraten überfordert. Die politische Linke ist in der SPD weit stärker als der Teil, der sich der ökonomischen und wirtschaftlichen Vernunft verpflichtet fühlt. In diesem Zustand ist die SPD nicht regierungsfähig. Herr Schröder und Herr Müntefering hatten im Bundestagswahlkampf eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen. Jetzt sind beide weg. Jetzt kommen Politiker wie Klaus Wowereit, Andrea Nahles und Sigmar Gabriel nach vorne, die eine Linksregierung mindestens als Option im Verborgenen weiter verfolgen werden.

Frage: Was erwarten Sie von Michael Glos als Wirtschaftsminister?

WESTERWELLE: Ich bin optimistisch, daß Herr Glos sich von dem staatsdirigistischen Interventionismus, der in der bayerischen Politik oft genug stattfindet, nicht anstecken läßt. Wir werden Herrn Glos bei allem, was Deutschland voranbringt, auch als Oppositionspartei unterstützen. Allerdings ist die CSU auch mit dem eher sozialdemokratischen Horst Seehofer im Kabinett vertreten. Wie das zwischen den beiden gut gehen soll, weiß ich nicht.

Frage: Neben Müntefering bricht auch Angela Merkel alles weg.

WESTERWELLE: Die Einschläge kommen immer näher. Daß Edmund Stoiber nach Bayern geht, macht die Große Koalition zur Schaukelpartie. Edmund Stoiber verhält sich mit seiner Flucht aus der Verantwortung faktisch so wie einst Oskar Lafontaine. Wenn man einen Wählerauftrag bekommen hat, sich sein Ministerium genehm zusammengeschneidert hat und dann plötzlich Reißaus nimmt in die überschaubaren Gefilde einer Staatskanzlei, dann ist das eine Flucht aus der Verantwortung, die ich nicht für möglich gehalten habe. Ich frage mich und darf das Wort von Herrn Stoiber aus dem letzten Sommer einmal aufnehmen: Wer ist hier der Leichtmatrose? Das ist das erste Mal, daß ein CSU-Vorsitzender sein Schicksal an einen SPD-Vorsitzenden knüpft.

Frage: Stoiber kann Merkel nicht mehr gefährlich werden. Entlastung für die künftige Kanzlerin?

WESTERWELLE: Angela Merkel tut mir in diesen Tagen fast leid, aber auch nur fast. Denn aus meiner Sicht wäre es vernünftiger auch die Optionen jenseits einer Großen Koalition Stichwort: Jamaika noch einmal ernsthaft zu sondieren. Daß es keine ernsten Gespräche über den Politikwechsel mit Union, FDP und den Grünen gegeben hat, lag zum einen an den Grünen. Es lag aber auch an der CSU, die nicht in diese Richtung wollte. Jetzt wird erkennbar: die Große Koalition wird außer Steuererhöhungen und Mehrbelastungen der Bürger nicht viel zustande bringen. Die absehbare Mehrwertsteuererhöhung ist Gift für die Konjunktur, bringt mehr Arbeitslosigkeit und wird deshalb die Staatsfinanzen schwächen, nicht stärken. Vor diesem Hintergrund wäre es vernünftig, wenn alle Beteiligten noch einmal über ihren Schatten sprängen und Optionen jenseits einer Großen Koalition ernsthaft sondiert würden.

Frage: Müssen sie nicht eher über Neuwahlen nachdenken, nachdem Bütikofer Sie ziemlich drastisch zurückgewiesen hat?

WESTERWELLE: Herr Bütikofer zählt nicht zu denen, auf die es wirklich ankäme. Er gehört nicht einmal dem Bundestag an. Es kommt auf die Abgeordneten an, die vom Volk mit der Arbeit beauftragt wurden. Auch bei den grünen Abgeordneten gibt es die ersten, die sich sehr klar über die Möglichkeiten eines Jamaika-Bündnisses äußern. Soeben wird mitgeteilt, daß wir mehr als 4,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland haben. Daß sich die beiden größeren Parteien an diesem Tag mehr mit sich selbst beschäftigen als mit der Frage, wie man Millionen Menschen wieder in Arbeit bringt, ist eine Frechheit.

Social Media Button