29.10.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Westdeutsche Zeitung"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Westdeutschen Zeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDER MARINOS:

Frage: Herr Westerwelle, daß ein FDP-Vorsitzender Oppositionsführer im Bundestag wird, ist ja eher ungewöhnlich. Sollen wir Sie bedauern oder zu dem Job beglückwünschen?

WESTERWELLE: Die FDP und auch mich können Sie zu unserem hervorragenden
Wahlergebnis beglückwünschen. Deutschland sollten Sie in Anbetracht der zu erwartenden Politik einer Großen Koalition bedauern.

Frage: Wenn Sie sich die riesigen Haushaltslöcher ansehen, mit denen die neue Regierung zu kämpfen hat: Sind Sie da nicht ein bißchen froh, dafür keine Verantwortung tragen zu müssen?

WESTERWELLE: Nein: Wir haben in diesem Jahr vorgerechnet, wie mehr als 35
Milliarden Euro durch Einsparungen, Umschichtungen und durch den Abbau von
steuerlichen Ausnahmetatbeständen erwirtschaftet werden können. Damit ließe sich eine Steuersenkungsreform ebenso finanzieren wie der Abbau von Schulden und Investitionen in Bildung.

Frage: Die 35 Milliarden reichen so gerade zum Schuldenabbau. Wie wollen Sie da noch die Steuern senken und in Bildung investieren? Das, was Sie beschreiben, klingt wie die Quadratur des Kreises, kurz: unrealistisch.

WESTERWELLE: Unsere Nachbarländer haben genau dies geschafft. Warum sollte uns das nicht auch gelingen? Nehmen Sie folgende einfache Rechnung: Wir wollen die Bürger durch niedrigere Steuern um 17 bis 19 Milliarden Euro entlasten, damit die Konjunktur anspringt. Gleichzeitig hat der scheidende Bundeskanzler allein für die Steinkohle 16 Milliarden Euro an Subventionen für die nächsten Jahre zugesagt. Die Steuereinnahmen des Staates steigen jedes Jahr. Aber die Ausgaben steigen noch viel schneller. Der Staat hat nicht zu wenig Geld, sondern er gibt unser Steuergeld falsch aus.

Frage: Union und SPD brechen jetzt nicht nur ihre Wahlversprechen, sondern planen sogar eine Steuererhöhungs-Politik, die auf das Gegenteil des Versprochenen hinausläuft. Erleben wir gerade den größten Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik?
WESTERWELLE: Es sitzen zwei Wahlverlierer am Verhandlungstisch, die auch noch die Umfaller der Nation sind. Es ist ein Fehler zu glauben, daß man mit höheren Belastungen der Bürger die Staatsfinanzen in den Griff bekommt. Das Gegenteil ist richtig. Die Staatsfinanzen wären besser, hätten wir niedrigere, einfachere und gerechtere Steuersätze, weil nur so die
Konjunktur anspringt und Arbeitsplätze entstehen.

Frage: Wie sehr sind Sie von Ihrem Wunsch-Koalitionspartner enttäuscht?

WESTERWELLE: Vor der Wahl ging es in der Union um Steuersenkungen und -vereinfachung, und jetzt ist davon nichts mehr übrig. Das ist eine Re-Sozialdemokratisierung der Union.

Frage: Wäre es dann nicht konsequent, wenn sich die FDP deutlicher von der Union distanziert?

WESTERWELLE: Noch sind die Gemeinsamkeiten mit der Union am größten. Wenn
Parteien sich unserem Programm annähern, rennen wir nicht weg, und wenn Parteien sich inhaltlich von uns entfernen, laufen wir nicht hinterher. Ich hätte mir mehr Prinzipienfestigkeit von allen gewünscht, die in der Union Verantwortung tragen. Von dieser Kritik kann ich Angela Merkel und Edmund Stoiber leider nicht ausnehmen.

Frage: Sie haben bereits angekündigt, Angela Merkel nicht zur Kanzlerin einer Großen Koalition wählen zu wollen. Da Sie mit ihr bekanntlich per Du sind, freuen Sie sich aber trotzdem für sie persönlich?

WESTERWELLE: Die private Sympathie für Angela Merkel ist bei mir unverändert
vorhanden und wird auch bleiben, weshalb ich mich für sie persönlich freue, daß sie nun Kanzlerin wird. Das ist eine große Ehre für sie. Aber das Programm, für das sie nun stehen wird, kann ich nicht unterstützen. Die Union hat sich vom einst angestrebten Politikwechsel verabschiedet. Wenn das mit der Großen Koalition so weitergeht, dann wird Angela Merkel die erste Kanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung.

Frage: Deutschland braucht eine stabile Regierung. Wünschen Sie der Großen Koalition, so sie denn kommt, Glück und daß sie vier Jahre hält?

WESTERWELLE: Ich wünsche unserem Land Glück. Das, was die großen Parteien vorhaben, ist leider ein Chancenminimierungsprogramm für unser Land.

Frage: Also wünschen Sie sich lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende?

WESTERWELLE: Ob diese Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners vier Jahre hält, darf bezweifelt werden.

Frage: Uns geht es nicht um Ihre Prognose. Die Frage lautete: Was ist Ihr politischer Wunsch?

WESTERWELLE: Die Frage ist müßig. Die Wahlen haben stattgefunden, und in der
Politik ist es wie im Leben: Wunschkonzerte sind eher selten.

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