FDPDas aktuelle Interview

Wir wollen, dass Europa Zukunft hat

Christian LindnerChristian Lindner
25.07.2015

Beim Kompromiss zwischen Griechenland und den Geldgebern haben alle verloren. Der griechische Premier Alexis Tsipras müsse das Gegenteil seiner Rhetorik umsetzen und die Geldgeber wüssten, dass die 80 Milliarden Euro nicht zurückgezahlt würden, erläutert FDP-Chef Christian Lindner im Gespräch mit dem "Focus". Er plädiert für die Einführung "einer Insolvenzordnung für die Euro-Zone".

Er habe die Sorge, dass die Euro-Zone auf die schiefe Ebene gerät, erklärt Lindner. Er führt aus: "Aus dem Euro wird jetzt eine Transferunion, aus dem Rettungsschirm ESM wird eine Art Länderfinanzausgleich." Dies hätten die Freien Demokraten immer verhindern wollen, "weil es Verantwortung verwischt und falsche Anreize setzt". Europa werde dadurch geschwächt, warnt der FDP-Chef.

Für die Zukunft Europas brauche es Regeln, "die geachtet werden, und wirtschaftliche Vernunft", stellt Lindner klar. Der liberale Gegenvorschlag liege auf der Hand: "Grexit und Umschuldung, um dann über die Abwertung einer neuen Währung zum Beispiel im Tourismus wieder attraktiv zu werden. Zweckgebundene EU-Investitionshilfen für Mittelstand, Verwaltung und Infrastruktur hätten das unterstützen können."

Lesen Sie das gesamte Interview hier:

Herr Lindner, Ihr Dreitagebart ist jetzt länger. Soll Sie das reifer und die Partei seriöser machen?

Dahinter steckt keine Strategie. Heute ist einfach mein erster Tag nach dem Urlaub. Wenn unser Gespräch erscheint, ist er wieder so kurz wie immer.

Ihren Urlaub haben Sie auf Mallorca verbracht. In Spanien könnten ähnliche Kräfte wie in Griechenland das Ruder übernehmen – oder was erwarten Sie nach der Grundsatzentscheidung für ein drittes Hilfspaket?

Der Griechenland-Kompromiss hat nur Verlierer produziert – inklusive Tsipras, der das Gegenteil seiner Rhetorik umsetzen muss. Und jeder weiß: Die mehr als 80 Milliarden Euro werden niemals zurückgezahlt. Der Internationale Währungsfonds sieht auf Dauer keine Schuldentragfähigkeit in Athen. Wer aber einem Überschuldeten Geld gibt, schenkt es ihm in Wahrheit. Ich habe die Sorge, dass die Euro-Zone auf die schiefe Ebene gerät.

Was bedeutet das?

Aus dem Euro wird jetzt eine Transferunion, aus dem Rettungsschirm ESM wird eine Art Länderfinanzausgleich. Das hatte die FDP immer verhindern wollen, weil es Verantwortung verwischt und falsche Anreize setzt. Europa wird dadurch nicht stärker, sondern schwächer.

Verstößt das nicht gegen alle Gesetze und Regeln?

Ja. Wir erleben jetzt durch Aufweichung des Rechts die Lirafizierung des Euro. Das griechische Volk und seine Regierung lehnen die Reformen ab, die sie jetzt umsetzen müssen. Deshalb glaube ich nicht an deren nachhaltige Wirksamkeit. Es muss gelten: keine Reformen, kein Hilfspaket! Alles spricht aber dafür, dass auf das dritte Hilfspaket noch vor der Bundestagswahl ein viertes folgt – und danach ein fünftes, sechstes und so weiter.

Sind Sie mit Ihrer FDP jetzt die klare Grexit-Partei?

Wir wollen, dass Europa Zukunft hat. Dafür braucht es Regeln, die geachtet werden, und wirtschaftliche Vernunft. Deshalb hätten wir im Bundestag nicht zugestimmt. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM haben wir in unserer Regierungszeit Brandmauern für den Fall geschaffen, dass von der Finanzkrise eines Staates Ansteckungsgefahren für den Euro-Raum ausgehen. Die Bundesregierung hat über Monate diese Ansteckungsgefahr bestritten – trotzdem soll nun der ESM genutzt werden! Dafür wird das Recht gebeugt. Vor allem hat Griechenland selbst in einem Referendum die Spar- und Reformpolitik abgelehnt. Deshalb hätte man einen anderen Weg gehen müssen: Grexit und Umschuldung, um dann über die Abwertung einer neuen Währung zum Beispiel im Tourismus wieder attraktiv zu werden.

Haben Sie Grexit-Befürworter Wolfgang Schäuble schon Asyl angeboten?

Nein, aber es ist doch kein Zufall, dass Herr Schäuble und sein Vorgänger Peer Steinbrück mit uns einer Meinung sind. Wir brauchen umgehend eine Insolvenzordnung für die Euro-Zone. Der Bundestag hat Herrn Schäuble bereits 2010 aufgefordert, daran zu arbeiten.

Auch Kanzlerin Angela Merkel will vom Grexit nichts wissen.

Das Motiv der Bundeskanzlerin, Europa zusammenzuhalten, teilen wir – ich bezweifele nur, dass es so gelingt. Die Verhandlungsführung war schwach. Ein unpopulärer Schuldenerlass soll verhindert werden, aber zugleich der Internationale Währungsfonds im Boot gehalten werden, der genau diesen fordert. Einen Schuldenschnitt kann es zudem nur außerhalb der Währungsunion geben, aber auch der Grexit soll ausgeschlossen werden. Herr Schäuble hat offengelegt, dass die Bundesregierung nicht geschlossen, sondern orientierungslos ist.

Tritt der Finanzminister jetzt zurück?

Das glaube ich nicht. Aber Herr Schäuble hat nun die Pflicht, in der deutschen Innenpolitik die Folgen aus den Gipfel-Entscheidungen darzulegen. Weil ihm in Europa Kanzlerin und Vizekanzler in die Parade gefahren sind, erhöhen sich die Risiken für Deutschland. Herr Schäuble sollte in der Konsequenz eine strikte Haushaltspolitik durchsetzen, Konsumausgaben kappen und eine Wachstumsinitiative einleiten. Nur mit einem Politikwechsel sind wir krisenfest.

Wie denn?

Mein Leitsatz heißt: Investieren vor Verteilen, Freiheit statt Bürokratie. Mit den niedrigen Zinsen spart er so viel, dass er auf den Soli verzichten kann. Mit einer degressiven Abschreibung für Betriebe würden auch deren Investitionen beschleunigt. Die mittelstandsfeindliche Erbschaftsteuer, die teure Energiepolitik, die verrückte Bürokratie beim Mindestlohn und die Rente mit 63 gehören dafür schnell gestoppt.

Solidarische Deutsche haften mit über 80 Milliarden für Griechenlands Pleite. Können Sie die Deutschland-Beschimpfungen aus Athen noch verstehen?

Ich habe Verständnis für die schwierige Lage der Menschen dort. Deren Ursprung ist aber das jahrzehntelange Versagen der griechischen Politik. Deshalb hätte sich Frau Merkel gegen die zerstörerische Demagogie von Tsipras und Varoufakis wehren müssen.

Gibt es nach Gabriels Lavieren beim Euro noch eine Zukunft für SPD und FDP?

Nennen wir es ruhig Zickzackkurs. Vorratsdatenspeicherung statt Bürgerrechte, Rente mit 63 statt fairer Generationenvertrag, Transferunion statt zukunftssicheres Europa, Mindestlohnbürokratie statt guter Bildungspolitik. Aus dem Projekt von Gabriel, die SPD zu einer liberalen Kraft zu machen, ist bisher nichts geworden.

Jetzt hat Ex-AfD-Gründer Bernd Lucke eine neue Alfa-Partei gegründet. Zittern Sie vor der FDP-Ausgabe für Professoren?

Herr Lucke hat gesagt, er sei kein Liberaler. Also ist Alfa auch keine liberale Partei. Ich wünsche Herrn Lucke, dass sein Rachefeldzug gegen die AfD-Vorsitzende Petry nicht so endet wie Martin Walsers Roman „Finks Krieg“.

Also wie?

Böse. Herr Lucke hasst den Euro und Frau Petry. Frau Petry hasst den Islam, Herrn Lucke und den Euro. So kann man nicht Politik machen.

Wie wollen Sie mit AfD-Flüchtlingen umgehen, die bei der FDP an die Pforte klopfen?

Wir prüfen jeden Einzelfall. Aber in der Regel nehmen wir sie nicht auf.

Das ist nicht gerade liberal gegenüber reuigen Sündern.

Die FDP ist nicht die katholische Kirche …

… und Sie könnten mit so wenig Vergebung nicht Papst werden.

Wer bis gestern die Ressentiments gegen Minderheiten, Lügenpresse, Altparteien und Europa beklatscht hat, kann doch heute nicht Mitglied der liberalen Traditionspartei sein. Das ist eine Charakterfrage.

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