28.07.2011FDP

BAHR-Interview für die "Sächsische Zeitung"

Berlin. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied, Bundesgesundheitsminister DANIEL BAHR gab der "Sächsischen Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SVEN SIEVERT:

Frage: Herr Bahr, Sie sind seit zweieinhalb Monaten Minister...

BAHR: Gefühlt schon länger.

Frage: Promotionsaffären, FDP-Neustart, Euro-Krise - alles in den letzten paar Monaten…

BAHR: Ja, das war schon einiges.

Frage: Sie waren schon seit Herbst 2009 Parlamentarischer Staatssekretär unter Philipp Rösler. Wie lange haben Sie schon gedacht: Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen?

BAHR: Ich hätte auch gern als Staatssekretär bei Philipp Rösler weitergemacht. Aber es war nötig, dass wir in der FDP eine neue Aufstellung finden. Philipp Rösler erhält als neuer Parteivorsitzender und Vizekanzler im Amt des Wirtschaftsministers mehr Wirkungskraft in der Koalition. So wurde der Posten des Gesundheitsministers frei. Und da war für mich allerdings klar, dass ich meine Hand hebe. Ich mache seit Jahren Gesundheitspolitik und habe die wichtigen Reformschritte im Gesundheitswesen zusammen mit Philipp Rösler gestaltet.

Frage: Geht man als junger Mann in die Politik und sagt: Ich will mindestens Bundesminister werden?

BAHR: Quatsch, das kann man nicht planen. Ich bin ja durch Zufall in die Politik gekommen. Dass man einen gewissen Gestaltungswillen in der Politik braucht, das gehört zwangsläufig dazu.

Frage: Als Gesundheitspolitiker hat man mit Fallpauschalen oder dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz zu tun. Zu Beginn Ihrer Amtszeit ging es gleich um Leben und Tod: Ehec. Hatten Sie sich Ihren Job so vorgestellt?

BAHR: Nein, so habe ich mir den Start weder vorgestellt noch gewünscht. Als ich die Nachricht bekam, es war am Wochenende, habe ich gleich zu meiner Frau gesagt: Das kann eine Situation werden wie BSE und Schweinegrippe.

Frage: Würden Sie im Nachhinein etwas anders machen? Würden Sie auf den Tisch hauen und sagen: Ihr Wissenschaftler, hört auf, jeden Tag eine andere Gurke durchs Dorf zu treiben?

BAHR: Ich bin Realist genug, dass ich weiß, dass in einer solchen Situation ganz viele Spekulationen durch die Medien laufen. Ich wusste, dass unsere Wissenschaftler am Robert Koch-Institut mit Hochdruck Tag und Nacht daran gearbeitet haben, die Infektionswege aufzuklären. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass viele der selbst ernannten Experten mit ihren Theorien etwas zurückhaltender aufgetreten wären. Zum Teil haben ja die gleichen Experten an einem Tag erklärt, es ist die Gurke, am nächsten, es sind die Schnittblumen...

Frage: Stichwort: Versorgungsgesetz. Wird es Ihnen gelingen, die drohende medizinische Unterversorgung in vielen ländlichen Gebieten in den Griff zu kriegen?

BAHR: Wir müssen feststellen, dass in einigen Regionen Tausende Ärzte keinen Nachfolger finden. Deswegen müssen wir gezielt Anreize setzen. Bisher hieß es, wir haben keinen Mangel, die Ärzte müssen nur besser umverteilt werden. Nur, die jungen Mediziner wollten lieber in die Großstädte. Sie haben Angst, dass sie doppelt bestraft werden, wenn sie in die Fläche gehen: Mehr Patienten, mehr Arbeit, aber weniger Honorar je Fall und dann noch Regressforderungen, weil sie zu viele Arzneimittel verschreiben. Genau da setzen wir an, wir geben den jungen Medizinern jetzt eine verlässliche Perspektive. Wenn sie in die Fläche gehen, können sie sich darauf verlassen, dass es eine leistungsgerechte Vergütung gibt.

Frage: Mit dem Finanzministerium haben Sie sich lange gestritten, weil man dort fand, dass Ihre Anreizprogramme für den Steuerzahler zu teuer werden könnten.

BAHR: Das wird den Bundeshaushalt ja gar nicht belasten. Im Gegenteil: Unterversorgung führt zu mehr Rettungsfahrten und Krankenhauseinweisungen, die mehr Geld kosten als unsere Anreize.

Frage: Gehören Sie zu den FDP-Politikern, die meinen, Finanzminister Wolfgang Schäuble mache sich einen Spaß daraus, die jungen Kerls von der FDP zu ärgern?

BAHR: Ich nehme das nicht so ernst. Jeder pflegt seinen Stil. Für mich zählt das Ergebnis. Dass die geplanten Verbesserungen in der medizinischen Versorgung jetzt unverändert ins Kabinett kommen, zeigt ja, dass Herr Schäuble erkannt hat, dass schon der Gesundheitsminister auf die Kosten achtet.

Frage: Stimmt der Eindruck, dass Teile Ihrer Partei den Glauben verloren haben, die FDP könne sich bis zur Wahl 2013 noch erholen?

BAHR: Nein, die Wählerinnen und Wähler entscheiden sich immer kurzfristiger. Wenn Fukushima nicht gewesen wäre, dann hätten wir in Baden-Württemberg die Regierungsbeteiligung verteidigt. Wir haben jetzt gerade mal Halbzeit in dieser Legislaturperiode. Und im Fußball weiß man, selbst wenn man zurückliegt, das Spiel ist nicht vorbei. Ich weiß, dass wir in der zweiten Halbzeit noch genügend Tore schießen können und die Bürgerinnen und Bürger noch sehen, dass es einen Unterschied macht und gut für Deutschland ist, dass die FDP mit in der Regierung ist und Einfluss darauf nimmt.

Frage: Was war der zentrale Fehler des ersten Regierungsjahres?

BAHR: Wir traten als "Wunschkoalition" an, haben das aber nicht erfüllt. Und durch die Finanz- und Wirtschaftskrise sind wir mit dem Thema der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger nicht so schnell vorangekommen, wie wir es wollten.

Frage: Jetzt erwarten alle, dass im Herbst der Streit um Steuer- und Abgabensenkungen wieder losgeht.

BAHR: Das erwarte ich nicht, weil die Entscheidung schon feststeht. Es gibt eine Selbstverpflichtung der Koalition. Über den konkreten Weg und die Höhe der Entlastung werden wir noch beraten. Aber es ist festgelegt, dass wir die Bürgerinnen und Bürger bei Steuern und Abgaben entlasten wollen. Da sind wir auf dem richtigen Weg. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, an dem Aufschwung, den sie mit erarbeitet haben, teilzuhaben.

Frage: Für die Krankenkassenbeiträge sind Sie zuständig. Gibt es da Spielraum für eine Senkung?

BAHR: Wenn es die gäbe, würde ich sie nutzen. Die aktuellen Zahlen geben aber aus meiner Sicht nicht Anlass, Beiträge zu senken. Wir haben bei 180 Milliarden Euro Gesamtausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung gerade einen kleinen Puffer von 1,8 Milliarden Euro, das entspricht einem Prozent. Und da bin ich vorsichtig, weil ich sage, lasst uns verlässlich bleiben, lasst uns in Ruhe die Entwicklung anschauen.

Frage: Stichwort: Pflegereform. Sie wollen eine private Zusatzvorsorge. Das kostet die Versicherten doch auch wieder mehr Geld?

BAHR: In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren. Das heißt, es gibt immer weniger erwerbstätige Beitragszahler. Um das aufzufangen, müssen wir in der Pflege anders vorsorgen. Die Alterung wird zu einer höheren Nachfrage nach Pflegeleistungen führen. Das geht nicht zum Nulltarif. Wir müssen jetzt vorsorgen, damit die Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben können. Das wünschen sich ja auch die meisten.

Frage: Das heißt: Sie senken Steuern und Abgaben, aber wir zahlen mehr für eine private Vorsorge.

BAHR: Wir werden ein gutes und ausgewogenes Reformkonzept vorlegen. Bei der Rente sehen wir doch heute, dass der Einstieg in die ergänzende private Vorsorge richtig war…

Frage: Riester.

BAHR: …ja, weil klar war, wir werden mehr Rentner und weniger Arbeitnehmer haben. Bei der Pflegeversicherung haben wir eine Festlegung für eine ergänzende, individuelle Vorsorge getroffen. Die Details werden in der Koalition noch beraten.

Frage: Also auch als FDP-Politiker hat man kein Rezept, die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung zu senken?

BAHR: Die demografische Entwicklung kann keine Partei wegreformieren. Eine Partei, die behauptet, Gesundheit wird in den nächsten Jahrzehnten billiger, die verkennt die Realität. Wir müssen die Lasten fair verteilen. Und wir müssen vor allem etwas tun, um Kosten zu vermeiden.

Frage: Sie sitzen jetzt auf dem Stuhl, auf dem neun Jahre lang Ulla Schmidt von der SPD gesessen hat. Haben Sie Respekt vor der Leistung, sich über so lange Zeit in dem Amt halten zu können?

BAHR: Absolut. Ich habe mich zwar in der Sache mit Ulla Schmidt viel gestritten, und wir haben unterschiedliche Vorstellungen von der Ausgestaltung des Gesundheitssystems. Aber ich habe einen guten persönlichen Umgang mit ihr gepflegt. Sie hat neun Jahre lang ganz schön viel Druck, Stress und Häme aushalten müssen. Ein Gesundheitsminister schafft es nie, es allen recht zu machen. Das macht einen aber vielleicht auch ein bisschen unabhängiger.

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