24.08.2017FDPBildung

BEER-Interview: Nicht wieder die klebrigen Hände der Finanzminister

Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab „hessenschau.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Frank van Bebber, Sonja Süß und Wolfgang Jeck:

Frage: Frau Beer, nach 18 Jahren in der Landespolitik wollen Sie in den Bundestag. Ist Ihnen der Landtag zu klein geworden?

Beer: Nein, aber die Herausforderungen auf der Bundeseben sind so immens. Es ist wahnsinnig viel erstarrt. Wir möchten gerne Mut machen für Zukunft, für Reformen, für Beschleunigung. Da sehe ich eine Aufgabe, auch weil ich mitgeholfen habe, die Freien Demokraten nach dem Desaster 2013 neu aufzustellen.

Frage: Was wollen Sie in Berlin für Hessen erreichen, was Ihnen in Wiesbaden noch nicht gelungen ist?

Beer: Es gibt viele Frage, wo Kompetenzen ineinandergreifen. Wir müssen Bildung zum prioritären Projekt unserer Gesellschaft machen. Mich stört dieses Schwarze-Peter-Spiel: Wofür bist du zuständig, wer hat Schuld? Das interessiert eine Mutter, einen Vater nicht. Deswegen müssen wir gesamtgesellschaftlich über alle Ebenen einfordern, dass wir uns das Ziel setzen: weltbeste Bildung. Dass wir international unter die Top 5 wollen. Bildung ist Grundlage dafür, dass ich persönlich glücklich und erfolgreich bin, aber auch die Gesellschaft weltoffen und innovativ ist.

Frage: Und was können Sie dafür ganz konkret in Berlin tun

Beer: Dass wir zum Beispiel einen Zukunftspakt für die Qualität der Bildung organisieren. Wir haben vorgeschlagen, einen Mehrwertsteuerpunkt aus dem bisherigen Mehrwertsteueraufkommen zu nehmen. Das wären schon einmal zehn Milliarden Euro im Jahr. Die wollen wir direkt an die Schulen geben. Ich möchte nicht wieder die klebrigen Hände von irgendwelchen Bundes- oder Landesfinanzministern dazwischen haben.

Frage: Sie waren selbst Kultusministerin in Hessen. Wie klebrig waren Ihre Hände?

Beer: Wir haben Gott sei Dank damals so viel Druck auf den Finanzminister ausgeübt, dass wir eine 105-prozentige Lehrerversorgung im Landesschnitt in Hessen organisieren konnten. Und dass wir mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt haben. Das hat sich in dieser Wahlperiode wieder geändert. Die 105 Prozent sind angeknabbert, aus den Grundschulen wurden Stellen für grüne Spezialprojekte abgesaugt. Das halte ich für einen Fehler.

Frage: Wenn man das FDP-Programm für die Bundestagswahl liest, wollen sie ziemlich viel auf Bundesebene regeln, etwa Standards für Schulen. War die FDP nicht immer die Partei des Wettbewerbs, auch des Wettbewerbs der Länder?

Beer: Bundeseinheitliche Standards sind notwendig, wenn ich Schulen selbstständig machen und ihnen die Verantwortung für Personal, Budget und Organisation geben will. Wenn ich viele Wege zulasse, um das Ziel zu erreichen, muss klar sein, was das Ziel ist. Wir wollen klarmachen, was Schüler und Eltern vor Ort an Ergebnis erwarten können. Insofern ist das kein Zentralismus, sondern Qualitätskontrolle.

Frage: Thema Geld für Bildung. Sie fordern im Wahlprogramm für den Bund höhere Einkommen für Lehrer und Kita-Beschäftigte. Machen Sie es sich da nicht einfach – denn zahlen müssten das am Ende Land und Kommunen?

Beer: Deswegen sagen wir ja, dass das ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt ist, den Länder und Kommunen nicht alleine stemmen können. Wir wollen nur sichergehen, dass die Gelder ankommen. Darum wollen wir einen Staatsvertrag, weil wir zum Beispiel die Erfahrung gemacht haben, dass die zusätzlichen Bafög-Gelder des Bundes von 80 Millionen Euro im Jahr in Hessen beim Finanzminister hängen geblieben sind. Ein Fehler, den man beim nächsten Mal verhindern muss.

Frage: Und das wollen Sie als Bundesbildungsministerin tun….

Beer: Wir wollen erst einmal in den Bundestag, alles andere wäre vermessen. Das ist auch der Punkt, an dem ich als Generalsekretärin zur Not den General rausholen würde, wenn Leute schon anfangen sollten, sich jetzt irgendwelche Büros einzurichten. Wir schauen dann nach der Wahl, ob man sich mit anderen auf eine so mutige Politik einigen kann.

Frage: In Ihrer Zeit als Kultusministerin wurde der islamische Religionsunterricht in Hessen eingeführt, in Zusammenarbeit mit dem umstrittenen türkischen Ditib-Verband. Haben Sie Erdogan den Weg an die Schulen geöffnet?

Beer: Das ist ja ein Verband der Moscheegemeinden in Deutschland, insofern ist es keine staatliche türkische Organisation. Wir haben auch keinen türkischen Religionsunterricht, sondern einen sunnitischen – mit hessischen Lehrkräften unter hessischer Fachaufsicht. Aber auch uns macht es Sorge, dass durch die Entwicklungen in der Türkei indirekt Einfluss auf die Ditib ausgeübt wird. Das gilt mitnichten nur für die Lehrkräfte, die für den Religionsunterricht eingestellt sind, sondern für alle mit einem türkeistämmigen Hintergrund. Sie muss man schützen. Die durch das Kultusministerium veranlasste Prüfung, ob die von uns eingeführten Sicherungen unter dem Druck aus der Türkei noch halten, dauert uns zu lange. Mich treibt die Sorge um, dass die Türkei einen islamischen Religionsunterricht durch deutsche Lehrkräfte auf Grundlage eines deutschen Lehrplans unter deutscher Aufsicht bewusst kippen will, um die Kinder wieder in die Moscheegemeinden zu bekommen. Dort hat sie direkt Einfluss.

Frage: Ein großes Thema ist auch: Wie sollen sich die Einwanderer in eine Mehrheitsgesellschaft einfügen. Die FDP spricht sich für große individuelle Freiheit aus und gegen ein Burka-Verbot. Warum?

Beer: Für uns sind der Gradmesser Rechtsstaat und Grundgesetz, ohne Abstriche. Kein Laissez-faire also, aber solange ich mich im Bereich des Rechtsstaats bewege, muss mein Gegenüber auch akzeptieren, dass ich mich anders bewege, als er selbst es für sich entscheidet. Für uns ist wichtig, dass man Menschen in die Augen schauen kann: im Straßenverkehr, auf der Behörde, vor Gericht und in der Schule. Aber jenseits davon ist es eine Entscheidung, die man vielleicht schwer nachvollziehen kann, wo man aufpassen muss, wo man am Ende aber auch akzeptieren muss, wenn selbstbewusste Frauen sagen: Ich will mich so kleiden. Das ist schwer abzuwägen und als Gegenüber manchmal auch schwer zu ertragen.

Frage: Sie haben hier in Hessen Schwarz-Grün beobachtet. In Ihrem Wahlprogramm ist beim Thema Flüchtlinge von Chaos und Organisationsversagen die Rede. Mal ehrlich: Beides haben die Menschen in Hessen nicht erlebt, oder?

Beer: Ich habe das alles andere als reibungslos wahrgenommen 2015 und auch noch heute. Gott sei Dank, hat es eine unfassbare Unterstützung aus der Bevölkerung, aus der Zivilgesellschaft gegeben, um abzufangen, was Behörden und Verwaltung nicht in der Lage waren zu leisten. Aber wir haben immer noch keine flächendeckende Erfassung von Qualifikationen von Flüchtlingen. Wir haben immer noch Verfahren, wo Leute monatelang zum Däumchen drehen verurteilt sind. Die andere Sache ist, dass uns nach wie vor ein Einwanderungsgesetz fehlt, obwohl es notwendig ist zwischen Asyl, Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge und einer gesteuerten Zuwanderung nach einem Punktesystem zu unterscheiden. Ich glaube, es tut sich in der nächsten Legislaturperiode ein Zeitfenster dafür auf. Mit welchem Partner werden wir dann sehen. Es ist uns wichtig, dass dieses Thema vorangebracht wird.

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