14.07.2017FDPFDP

BEER-Interview: Wir nennen es German Mut

Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gab der „Huffington Post“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Torsten Preuß:

Frage: Frau Beer, Sie sind Generalsekretärin der einzigen Partei, die in Deutschland noch für Freiheit und Selbstbestimmung eintritt. Beides ist hier immer stärker gefährdet, wie man auch rund um den G20 Gipfel in Hamburg wieder erleben konnte. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie mitten aus Deutschland Bilder wie aus einem Bürgerkriegsland gesehen haben?

Beer: Die Demonstrationsfreiheit ist ein sehr hohes Gut unserer Demokratie. Wer sich allerdings hinter einer Vermummung versteckt und Flaschen oder schlimmer noch, Steine auf unsere Polizisten wirft, hat keine politische Agenda, sondern begeht klar Straftaten.

Frage: Wie könnte man so etwas in Zukunft verhindern?

Beer: Damit so etwas nicht mehr passiert, muss der Rechtsstaat auf dem rechten wie dem linken Auge wachsam sein.

Frage: Dafür braucht es eine unabhängige, starke, Kraft, die sich dafür einsetzt und dabei vielleicht ganz neu denkt. Sind Sie nach ihrem Absturz 2013 schon so weit?

Beer: Wir haben seitdem jedenfalls versucht, so viele Partner wie möglich zu finden, die eine neue Zukunft für Deutschland gestalten wollen. Partner, die wieder mehr auf Freiheit und Selbstbestimmung setzen.

Frage: Und, wie kam das an?

Beer: Wir haben einen enormen Zuwachs an neuen Mitgliedern, allein in der ersten Jahreshälfte 2017 schon mehr als 6.000. Das geht quer durch alle Altersgruppen, sehr viele junge, aber auch ältere.

Frage: Warum kommen die jetzt wieder zu Ihnen?

Beer: Die Älteren wollen, dass auch ihre Kinder und Enkelkinder noch in Freiheit und Selbstbestimmung leben können. Unsere Agenda 2030 ist eine Aufforderung: Sei Teil eines Projektes, sei Teil einer Bewegung, lass nicht alles die dort in Berlin machen, wie es immer heißt, sondern bringe dich selbst ein.

Frage: Für die meisten ist Politik heute eher abschreckend. Viel Streit und nichts kommt dabei heraus.

Beer: Auch wir halten es für einen Fehler, dass Politik immer kurzatmiger wird. Ob ein medialer Aufreger tragfähig ist, ob es Verbündete dafür gibt, interessiert oft viel weniger als die plötzliche Aufmerksamkeit für den Stichwortgeber.

Frage: Woran liegt das?

Beer: Das liegt an der kurzen Aufmerksamkeitsspanne und auch einem Missverständnis über den Wert von Nachrichten. So entsteht dann der Eindruck vom Raumschiff Berlin als Ort abgehobener Politik.

Frage: Darin saßen Sie bis zur letzten Wahl noch selbst. Und so wie die Umfragen es sagen, bald wieder. Was unterscheidet Sie heute von den anderen?

Beer: Wir sind 2013 hart gelandet. Danach haben wir die Partei aus den Kommunen und den Ländern heraus ganz neu aufgebaut. Notgedrungen, ich wünsche keinem diese harte Zeit, die wir hinter uns haben. Aber wir haben das auch als Chance begriffen, zu dem zurückzukommen, was unser Kern, ja unser Herzblut ist, was uns antreibt. Jetzt steht jeder vom Ortsverband bis in die Spitze zu diesen Inhalten und ist bis zu den Haarspitzen motiviert. Da geht jeder raus und hält die freidemokratische Fahne hoch. In den Diskussionen am Arbeitsplatz, auf der Party, im Verein oder in der Kirchengemeinde. Ich meine, es ist unser Zukunftsoptimismus, der ansteckt.

Frage: Das klingt wie eine Graswurzelbewegung.

Beer: Wir sind das Start-up-Unternehmen der deutschen Politik

Frage: Mit welchem Ziel?

Beer: Wir kämpfen dafür, dass in Deutschland Dinge wieder mutiger angegangen werden. Wir nennen es „German Mut“. Es ist doch spürbar, dass viele Menschen tief verunsichert sind in einer Welt, die sich immer stärker verändert, die immer schneller, immer tiefgreifender anders wird, wo man sich als einzelner die Frage stellt: Was macht das mit mir, was macht das mit meinem Leben, mit meinem Arbeitsplatz, wie wird meine Zukunft aussehen? Wer aber bei der Angst stehen bleibt, wird immer wieder die wählen, die dafür sorgen, dass sich nichts verändert. Dadurch haben wir heute quasi eine Art Schockfrostung für Deutschland.

Frage: Und Sie wollen die auftauen.

Beer: Wir Freien Demokraten sind der festen Überzeugung, dass wir mit einem Auf-der-Stelle-treten die Zukunft nicht gewinnen können, sondern schließlich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wir machen Menschen stark, in diesen Veränderungen sogar ihre eigenen Chancen, ihre eigenen persönlichen Erfolge zu suchen. Genau auf dieses Potenzial setzen wir. Den Mut zu haben, nicht ständig die Verantwortung an große Kollektive abzugeben, egal ob das der Staat ist, die Gewerkschaften oder Verbände, in denen ich dann mitschwimmen, sondern zu sagen, he, du bist ein Macher, du kannst das, knie dich rein, es wird anstrengend, aber du bist in der Lage, voran zu kommen.

Frage: Ich war lange Zeit in Australien, da steht das in jedem Schulbuch.

Beer: Wir müssen auch hier auf diesen Mentalitätswechsel hinarbeiten. Das kommt der ganzen Gesellschaft zugute. Wir sehen, Menschen sind vernunftbegabt, sie übernehmen gern Verantwortung. Nicht nur für sich, sondern auch für ihr Umfeld. Also Freiheit und Verantwortung und nicht Freiheit von der Verantwortung.

Frage: Verantwortung zu übernehmen macht vielen Deutschen eher Angst.

Beer: Deshalb sind wir auch die einzigen, deren Geschäftsmodell nicht die Angst ist. Unsere Botschaft ist: du kannst etwas, traue es dir zu, das auf die Probe zu stellen.

Frage: Und welche Rolle spielt der Staat dabei? Der wären sie nach einer erfolgreichen Wahl ja wieder.

Beer: Wir wollen, dass der Staat die Räume nicht immer enger macht, immer stärker reguliert. Sauber, sicher, satt – das reicht uns als Versprechen nicht aus. Wir sagen, der Staat ist dafür da, dir den Weg frei zu machen, einen Rahmen aufzuspannen, der faire Spielregeln vorsieht. Wie ein Schiedsrichter, der die Einhaltung der Spielregeln überwacht, aber nicht selbst mitspielt. Der Staat hat mir nicht vorzuschreiben, wie ich zu leben habe, was ich essen soll, wie ich mich zu bewegen habe oder gar, was ich denken soll.

Frage: Also viel weniger Staat als heute. Oder am besten gar keinen mehr?

Beer: Es geht nicht darum, dass wir keinen Staat brauchen. Der ist weiter notwendig. Er muss nur besser funktionieren. Zum Beispiel hat die Durchsetzungsfähigkeit unseres Rechtsstaates in den vergangenen Jahren sehr gelitten.

Frage: In wie weit?

Beer: Sie sehen ja, wir haben nicht mal ausreichend Personal und Ausrüstung für unsere Polizei und unsere Justiz, um längst identifizierte Gefährder so rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen, dass sie nicht mit einem LKW über einen Berliner Weihnachtsmarkt fahren können. Oder Gewaltbereite, wie in Hamburg, stundenlang randalieren können. Das ist der Punkt, wo wir ansetzen müssen. Polizei und Justiz müssen ordentlich ausgestattet sein.

Frage: Dazu sagen die Leute auf der Straße nur noch „bla, bla, bla“, denn das hören sie schon seit Jahren, aber es wird nicht umgesetzt. Mit dem Ergebnis, dass die Bürger von so einer Art Staat die Nase voll haben. Immer die gleichen Reden und Versprechen und nichts passiert. Die Schulen verrotten, die Straßen auch, und die Polizei bleibt weiterhin schlecht ausgestattet.

Beer: Wir haben unsere Lektion gelernt. Wir lassen uns beim Wort nehmen. Zu unserem Optimismus gehört, dass wir da auch Verbündete finden. Eben weil es diese starken Erwartungen bei den Wählern gibt. Durchwursteln ist keine Alternative – und Resignation auch nicht. Mit einer offenen Debatte ist schon ein Anfang gemacht.

Frage: Auch das ist bis heute nicht wirklich geschehen. Warum? In einer Demokratie ist das ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Beer: Der heutige Bundestag ist allerdings kein leuchtendes Beispiel. Die Große Koalition hat sich in Selbstzufriedenheit geaalt. Und die Opposition ist dabei sanft entschlafen.

Frage: Und mit ihnen würde sich das ändern?

Beer: Wenn die Freien Demokraten mit einer tatendurstigen Mannschaft wieder im Bundestag sitzen sollten, haben wir schon mal die Möglichkeit, die bewegenden Themen auf die politische Agenda zu setzen.

Frage: Welches am liebsten?

Beer: Für uns ist enorm wichtig, in Bildung zu investieren.

Frage: Dass sagen alle anderen auch vor der Wahl.

Beer: Aber die haben nicht wirklich ein Interesse daran, dass der Einzelne lernt, stark zu sein, sondern die wollen lieber große Kollektive, in denen die Menschen ihre Verantwortung abgeben, weil sie sich selbst als kleinen Mann empfinden. Die CDU, die SPD, die AfD, alle reden vom kleinen Mann auf der Straße.

Frage: Vielleicht weil sich die Mehrheit selbst so sieht. „Der Untertan“ ist ein bekanntes Buch über die deutsche Mentalität. Sie meinen es bestimmt ernst, aber es fehlt vielleicht das Volk dazu. Wer soll das umerziehen? Sie?

Beer: Umerziehen, das ist nicht unser Ding. Liberale Ansätze in allen Politikbereichen, dafür werben wir allerdings. Natürlich sind wir nicht vermessen, und wir werden für mutige Veränderung nicht wie Macron in Frankreich die Mehrheit gewinnen. Doch mit einem Achtungserfolg am 24. September kann sich etwas in Bewegung setzen. Und Sie wissen, dass mit einer gewissen kritischen Masse auch eine große träge Masse über die entsprechende Hebelwirkung in Bewegung zu setzen ist.

Frage: Im Ausland wundern sie sich immer über solche Worte. Für die meisten Menschen ist Deutschland ein Vorbild, voller mutiger Leute, die immer kämpfen, nie aufgeben. Alle lieben Deutschland schon deshalb. Nur wir selbst haben den Glauben an uns verloren. Woran liegt das?

Beer: Es liegt ja an jedem Einzelnen, sich auf seine Stärken zu besinnen. Mut verlangt zwei Dinge: den Willen zum Erfolg und das Wissen um das Risiko, auch mal scheitern zu können. Dafür müssen wir wieder eine Kultur aufbauen der zweiten, der dritten, vielleicht auch der vierten Chance, die dem Scheitern nicht das Verliereretikett anklebt, sondern die sagt: Ja, wenn er oder sie daraus lernt, hat es auch geholfen.

Frage: Also amerikanisch denken. Das ist gerade nicht sehr populär.

Beer: Ich glaube, dass das nicht etwas ist, was nur amerikanisch ist. Das hängt davon ab, ob sie zukunftsoptimistisch, mit einem gewissen gesunden Selbstvertrauen ausgestattet ihre Potenziale nutzen oder ob sie sich in Abhängigkeit von anderen begeben und sagen, kümmere du dich um mich.

Frage: Zur Freiheit gehört auch, dass man sie ab und zu verteidigen muss. Bis zu welcher Grenze sind sie denn bereit dazu, sollten sie wieder mitregieren. Die Welt ist ein Pulverfass, da wird es immer schwerer, zu entscheiden.

Beer: Die Freien Demokraten haben ja zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten, gerade über das Amt des Außenministers, gezeigt, dass sie Verantwortung auch international einbezogen übernehmen. Wir setzen uns für Bürger- und Menschenrechte weltweit ein. Auch dafür muss Deutschland besser aufgestellt sein.

Frage: Was schlagen sie vor?

Beer: Insbesondere die momentan sehr nebeneinander her existierenden Ressourcen des Auswärtigen Amtes, der Verteidigung und der Entwicklung müssten stärker miteinander vernetzt sein.

Frage: Kompetenzen lässt sich aber niemand gerne nehmen.

Beer: Eine derartige Verzahnung würde uns aber effizienter machen. Wenn ich vor Ort schon mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit präventiv bin, kann ich vielleicht den einen oder anderen Konflikt von vornherein vermeiden helfen und habe zusätzlich noch die Möglichkeiten, über die Diplomatie der Außenpolitik Einfluss zu nehmen, um gar nicht erst militärisch eingreifen zu müssen.

Frage: Und wenn das dann doch notwendig wäre?

Beer: Wenn Menschen in ihren Rechten bedroht und unterdrückt werden, müssen wir im Rahmen internationaler Einsätze der UN auch Verantwortung übernehmen. Das bedeutet natürlich, dass auch unsere Bundeswehr wieder besser ausgestattet werden muss.

Frage: Also wären sie auch für die berühmten 2 Prozent Rüstungsausgaben?

Beer: Wir meinen, es wäre zu kurz gedacht, nur über die 2 Prozent zu sprechen. Wenn wir Diplomatie, Entwicklungshilfe und Verteidigungshaushalt zusammenbringen, sollten wir 3 Prozent als Summe für diese drei Bereiche investieren.

Frage: Auch innenpolitisch gilt es die Freiheit des Einzelnen und sein Recht auf Selbstbestimmung immer wieder zu verteidigen. Wie gefährdet ist beides in Deutschland wirklich gerade wieder?

Beer: Ich finde es unglaublich, wie momentan quasi auf den letzten Drücker, weil man nur noch zwei Sitzungswochen hat, Gesetze durchgedrückt werden, die unser aller Freiheit über die Maße einschränken. So geschehen bei der Nutzung von Mautdaten, dem Einsatz von Staatstrojanern oder dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Zur Bekämpfung des Terrorismus sind die nicht wirklich nötig. Das BKA und der Staatsschutz sind ausreichend ermächtigt, dagegen vorzugehen. Aber mit den neuen Gesetzen ist es nun möglich, dass auch völlig Unbeteiligte komplett ausgespäht werden.

Frage: Würden sie das wieder ändern?

Beer: Das ist unsere Aufgabe. Wir wollen Sicherheit im Rahmen unseres Rechtsstaates organisieren. Offensichtlich sind ein SPD-Justizminister und ein CDU-Innenminister gerade dabei, den Rechtsstaat immer weiter auszuhöhlen. Es geht aber darum, Sicherheit im Rahmen des Rechtsstaates zu gewährleisten und nicht den Rechtsstaat für eine Generalbespitzelung zu opfern.

Frage: Das ist aber schwierig in Zeiten wie diesen.

Beer: Die Freien Demokraten – eben gerade nach den Erfahrungen der Vergangenheit – treten nicht als Schönwetterpolitiker an. Wir sind in der Lage, Verantwortung zu übernehmen.

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