FDPDas aktuelle Interview

Die FDP muss nicht um jeden Preis regieren

Christian LindnerChristian Lindner will mit Themen punkten
06.09.2016

Die Freien Demokraten wollen in den Bundestag zurück, der Weg dahin bleibt aber noch mühsam. FDP-Chef Christian Lindner spricht im Interview mit "Spiegel Online" über die Rolle seiner Partei - und über Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl. Er macht klar, dass er über vieles nachdenke, nur nicht über Koalitionen. "Wir wollen mit unseren Projekten punkten." Dazu gehört für ihn: "Weltbeste Bildung inklusive Reform des kleinteiligen Bildungsföderalismus. Eine marktwirtschaftliche Erneuerung, die die Bürokratie für Mittelstand und Handwerk abbaut, aber klare Regeln für Banken und Silicon-Valley-Unternehmen durchsetzt. Ein handlungsfähiger Staat, der aber nicht fortwährend in Bürgerrechte einschneidet."

Auch die Steuerpolitik bleibe ein Schwerpunkt: "Denn gerade weil wir an der Union gescheitert sind, ist die Aufgabe noch dringlicher." Gleichzeitig betont er: "Wir sind bereit zur Verantwortung. Aber wenn man in der Regierung keine liberalen Akzente setzen kann, dann gehen wir lieber in die Opposition, um liberale Argumente vorzutragen. Die FDP wird nicht um jeden Preis regieren."

Mit Blick auf die anstehende Wahl eines neuen Bundespräsidenten erzählt Lindner, welchen Kandidaten er sich wünscht: "Eine Persönlichkeit, die dafür sorgt, dass Deutschland in diesen bewegten Zeiten die Fassung bewahrt und die unsere Liberalität - nicht im parteipolitischen Sinne - verkörpert." Die Parteizugehörigkeit sei für die FDP zweitrangig. Auch das Gender-Thema sei ordentlich gelöst: "Es muss nicht eine evangelische Theologieprofessorin aus Ostdeutschland sein. Wegen mir dürfte es auch einmal eine charismatische Führungsfigur aus der Wirtschaft sein."

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Frage: Herr Lindner, die Bundes-FDP liegt in Umfragen zwischen fünf und sieben Prozent. Im Frühjahr hatten sie Erfolg in zwei westdeutschen Ländern, in Mecklenburg-Vorpommern werden Sie aller Voraussicht nach am Sonntag nicht reinkommen. Frustriert Sie das?

LINDNER: Die FDP hat bei fünf Wahlen in Folge zugelegt. Wer hätte das 2013 für möglich gehalten? Mecklenburg-Vorpommern ist ein schwieriges Pflaster für uns. Aber dort können sich inzwischen 22 Prozent der Menschen vorstellen, FDP zu wählen. Um diese Menschen werben wir bis zur Schließung der Wahllokale, damit es im Landtag eine Stimme für Marktwirtschaft und Liberalität gibt.

Frage: Sie haben die FDP früh scharf gegen die AfD abgegrenzt. Hatten Sie Angst, Ihre Partei könnte nach dem Desaster bei der Bundestagswahl 2013 ebenfalls mit Rechtspopulismus liebäugeln?

LINDNER: Nein, wir sind eine liberale Kraft, die auf den Einzelnen vertraut und Vielfalt liebt. Die AfD will für ein angeblich rassisch homogenes Volk sprechen, am besten mit einer Stimme – das ist autoritäre Politik im Stile Erdogans oder Putins. Die FDP ist der schärfste Kontrast dazu.

Frage: Angesichts des Erfolgs der AfD und des Abschmelzens der großen Parteien könnte die FDP sehr schnell als Koalitionspartner in Frage kommen, sollte sie in den Bundestag einziehen. Sind Sie darauf vorbereitet?

LINDNER: Ich denke über vieles nach, aber nicht über Koalitionen. Wir wollen mit unseren Projekten punkten. Weltbeste Bildung inklusive Reform des kleinteiligen Bildungsföderalismus. Eine marktwirtschaftliche Erneuerung, die die Bürokratie für Mittelstand und Handwerk abbaut, aber klare Regeln für Banken und Silicon-Valley-Unternehmen durchsetzt. Ein handlungsfähiger Staat, der aber nicht fortwährend in Bürgerrechte einschneidet.

Frage: Und was ist mit der Steuerpolitik, mit der Sie in der schwarz-gelben Koalition an Angela Merkel gescheitert sind?

Frage: Und was ist mit der Steuerpolitik, mit der Sie in der schwarz-gelben Koalition an Angela Merkel gescheitert sind?

LINDNER: Die bleibt ein Schwerpunkt. Denn gerade weil wir an der Union gescheitert sind, ist die Aufgabe noch dringlicher. Wir aktualisieren gerade unser steuerpolitisches Konzept. Ich halte eine jährliche Entlastung von bis zu 30 Milliarden bis zum Ende des Jahrzehnts für möglich – von 100 Milliarden, die der Staat zusätzlich einnimmt. Zehn Jahre hat es keine Entlastungen gegeben, stattdessen hat die Große Koalition die Sozialabgaben noch erhöht. Es ist völlig inakzeptabel, dass eine Familie aus der Mitte der Gesellschaft keine Chance hat, ein ähnliches Wohlstandsniveau zu erreichen wie ihre Eltern, weil der Staat so stark zugreift. Themen sind wichtiger als Koalitionstaktik.

Frage: Also dann lieber Opposition?

LINDNER: Wir sind bereit zur Verantwortung. Aber wenn man in der Regierung keine liberalen Akzente setzen kann, dann gehen wir lieber in die Opposition, um liberale Argumente vorzutragen. Die FDP wird nicht um jeden Preis regieren.

Wir haben keine natürlichen Verbündeten

Frage: Mit dem möglichen Einzug der AfD wird eine Regierungsbildung nach 2017 schwerer.

LINDNER: Die Umfragen zeigen eines: Die AfD-Wähler stärken paradoxerweise Angela Merkel. Denn mit jeder Stimme für die AfD steigt die Wahrscheinlichkeit auf eine Fortsetzung der Großen Koalition. Und genau das kommt Frau Merkel doch entgegen, weil sie eine Entscheidung für ein neues Bündnis vermeiden kann. Die große Koalition ist bequemes Weiter so.

Frage: In Rheinland-Pfalz hat die FDP mit SPD und Grünen eine Ampel-Koalition gebildet. Wäre das ein Vorbild?

LINDNER: Nein, dafür reicht meine Fantasie nicht. Mit der SPD in Rheinland-Pfalz haben wir bis 2006 erfolgreich regiert. Im Bund erklären Rot und Grün das Freihandelsabkommen TTIP für tot, obwohl es noch nicht einmal ausgehandelt ist, beide wollen noch mehr Staat, beide sind gegen eine rationale Energiepolitik – nein, das passt so nicht.

Frage: Dann bleibt Ihnen nur die CDU/CSU.

LINDNER: Die Krux ist, dass die Union inhaltlich entkernt ist. Wo sind in der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Europapolitik noch Unterschiede zwischen Union, Grünen und SPD? Die CDU ist heute in weiten Teilen eine sozialdemokratische Partei.

Frage: Merkel hat in der schwarz-gelben Koalition ihre Steuersenkungspläne ausgebremst. Was haben Sie daraus gelernt?

LINDNER: Dass wir keine natürlichen Verbündeten haben. Als Frau Merkel die Steuerreform abgeräumt hat, hätten wir sagen müssen: Frau Bundeskanzlerin, die Koalition ist beendet oder wir verhandeln neu. Stattdessen haben wir – auch ich – geschwiegen. Das hat uns viel Glaubwürdigkeit gekostet.

Warum schlägt die SPD nicht Gerhard Schröder vor?

Frage: Im Frühjahr steht in der Bundesversammlung die Wahl eines neuen Bundespräsidenten an. Ihre Partei stellt rund 30 Wahlmänner und -frauen. Welchen Kandidaten wünschen Sie sich?

LINDNER: Eine Persönlichkeit, die dafür sorgt, dass Deutschland in diesen bewegten Zeiten die Fassung bewahrt und die unsere Liberalität – nicht im parteipolitischen Sinne – verkörpert.

Frage: Muss es ein Politiker sein?

LINDNER: Nein, aber es darf einer sein.

Frage: Gibt es bereits Gespräche?

LINDNER: Hin und wieder spricht man zwischen den Parteivorsitzenden. Im Augenblick verhalten sich vor allem die Grünen taktisch, weil sie es sich weder mit der CDU noch der SPD, ihren potenziellen Koalitionspartnern, verscherzen wollen.

Frage: Merkel hat sich jüngst mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann getroffen. Wäre der Grüne jemand, den die FDP wählen würde?

LINDNER: Herr Kretschmann hat Zweifel an seiner Integrität geweckt. Die Grünen beklagen mangelnde Transparenz bei TTIP, während Herr Kretschmann geheime Nebenabsprachen mit der CDU trifft. Übrigens auch zu Steuererhöhungen für Familien, die sich ein Eigenheim kaufen wollen. Der Säulenheilige Kretschmann ist zum Scheinheiligen geworden.

Frage: Was spricht gegen einen Lager-Wahlkampf in der Bundesversammlung?

LINDNER: Gibt es denn noch Lager? Die Parteizugehörigkeit ist für uns zweitrangig. Warum schlägt die SPD nicht Gerhard Schröder vor?

Frage: Sie haben den Altkanzler gefragt?

LINDNER: Ja, aber nur zum Spaß.

Frage: Wäre es nicht mal Zeit für eine Bundespräsidentin?

LINDNER: Da wir seit über zehn Jahren von einer Kanzlerin regiert werden, ist das Gender-Thema ordentlich gelöst. Es muss nicht eine evangelische Theologieprofessorin aus Ostdeutschland sein. Wegen mir dürfte es auch einmal eine charismatische Führungsfigur aus der Wirtschaft sein.

Ich stelle mir eine EU-Grenzpolizei vor

Frage: Vor einem Jahr wurde von Frau Merkel und dem österreichischen Kanzler die Grenzen geöffnet, begann der Zuzug von Flüchtlingen. Sie haben Frau Merkel dafür kritisiert. Wie fällt Ihre Bilanz heute aus?

LINDNER: Die wesentlichen Fragen sind nicht gelöst – mit dem Flüchtlingsdeal hat Frau Merkel uns in die Abhängigkeit von Erdogan gebracht. Mich beschämt der Eiertanz der Bundesregierung bei der Armenien-Resolution. Wir brauchen stattdessen einen Plan B für den Schutz unserer Außengrenzen.

Frage: An was denken Sie?

LINDNER: Ich stelle mir eine EU-Grenzpolizei vor. Es gibt keine Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern nach Nordafrika, da erwarte ich mehr Robustheit in den Gesprächen – notfalls auch mit dem Hinweis, dass Entwicklungszusammenarbeit keine Selbstverständlichkeit ist. Immer noch fehlt ein Einwanderungsgesetz, das zwischen dem zeitweiligen Schutz für Flüchtlinge und dem dauerhaften Aufenthalt für ausgewählte Einwanderer unterscheidet.

Frage: War Merkel naiv?

LINDNER: Ich will nicht in einen Wettstreit der Beschimpfungen eintreten. Es sind von Frau Merkel schwere Fehler gemacht worden. Eine Politik der grenzenlosen Aufnahme ist am Ende unverantwortlich und unsozial, weil sie Fliehkräfte in den europäischen Gesellschaften in Kauf nimmt und eine Einigung in der EU erschwert hat. Die europäischen Staaten müssen weiter entscheiden können, wen sie einladen seine Zukunft bei ihnen zu gestalten und mit wem sind sie zeitweilig solidarisch sind. Deutschland kann Europa nicht seine ethischen Motive vorschreiben.

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