FDP-Fraktion, StiftungAntisemitismus

Die Gesellschaft ist gefordert

Otto FrickeOtto Fricke
10.04.2013

Über Antisemitismus und jüdisches Leben in Deutschland haben Vertreter der FDP-Fraktion und des Bildungswerkes ELES auf Einladung der Stiftung für die Freiheit diskutiert. Die FDP-Politiker Otto Fricke und Stefan Ruppert sowie Rabbiner Walter Homolka zogen eine Bilanz vom Antisemitismus-Bericht bis zur Augstein-Broder-Kontroverse. Ihr Fazit: Die Antwort auf zunehmende Judenfeindlichkeit müsse nicht vom Staat, sondern aus der Bürgergesellschaft kommen.

Das kontroverse Israel-Gedicht von Günter Grass, der Angriff auf einen Rabbiner in Berlin, der Publizisten-Streit zwischen Henryk M. Broder und Jakob Augstein und die Beschneidungsdebatte: Das Jahr 2012 bot reichlich Anlässe, sich mit Antisemitismus in Deutschland auseinanderzusetzen. Im selben Jahr stellte die Bundesregierung auch ihren ersten Antisemitismusbericht vor, der davon ausgeht, dass etwa jeder fünfte Deutsche als latent antisemitisch einzustufen ist.

Jüdische Gemeinschaft: Zuversicht oder neue Angst?

Wie geht die Jüdische Gemeinschaft damit um? Zuversichtlich, zurückhaltend, gar mit neuer Angst? Dieser Frage haben sich die Friedrich-Naumann-Stiftung, das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) und die FDP-Bundestagsfraktion in einem Diskussionsabend mit Stipendiaten angenähert. Durch die Veranstaltung führte Martin Krebbers vom ZDF.

Der ELES-Vorstandsvorsitzende und Rabbiner Walter Homolka stellte klar, dass nicht jede Kritik an Israel als antisemitisch anzusehen ist, sondern die Diskriminierung der Juden als Gruppe. Der religionspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, beschrieb den im Regierungsbericht verwendeten Begriff des latenten Antisemitismus als die zumeist unreflektierte Verwendung von mit dem Judentum verbundenen Stereotypen.

Publizistenstreit: Augstein hat bewusst provoziert

Auf die Macht sprachlicher Bilder verwies der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Otto Fricke. Schon der Einsatz bestimmter Begriffe führe dazu, dass sich Schubladen in den Köpfen öffneten. Publizisten und Politiker müssten daher "ganz vorsichtig" in ihrer Wortwahl sein, wenn es um Israel und die Juden geht. Fricke unterstellte "Spiegel"-Kolumnist Augstein, er habe mit der Sprache seiner Kommentare zur israelischen Politik eine "bewusste Provokation" im Sinn gehabt.

Gleichzeitig sei Augstein-Widersacher Broder damit gescheitert, dem Publizisten mit seinen Antisemitismus-Vorwürfen einen Maulkorb zu verpassen, sagte Rabbiner Homolka. Auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum habe unglücklich agiert, als es Augstein zu einem der weltweit führenden Antisemiten erklärte. Homolka befürchtet, dass die Angriffe auf den "Spiegel"-Autor eher dazu geführt hätten, dass sich viele deutsche Bürger in ihrer Kritik an Israel bestärkt sehen.

Antisemitismusbericht: Staatliche Programme können das Problem nicht lösen

Wie soll sich nun die Politik verhalten? Nach der Veröffentlichung des Antisemitismusberichtes habe es parteiübergreifend eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema und einen weitgehenden Konsens über die Befunde gegeben, sagte FDP-Religionspolitiker Ruppert. Seiner Ansicht nach ist der Bericht zwar "stark in der Analyse", weniger überzeugt hätten ihn jedoch die Handlungsempfehlungen der Autoren.

Ruppert bezweifelte, dass eine Ausweitung von staatlichen Programmen gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit eine geeignete Antwort wäre. In einer Bürgergesellschaft könne das Problem des Antisemitismus letztlich nicht vom Staat gelöst werden. "Jeder ist betroffen", stellte Ruppert klar.

Das Judentum gehört zur Mitte der Gesellschaft

Auch Rabbiner Homolka betonte, das von ihm geleitete Bildungswerk ELES setze auf ein aktives zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus. Das Judentum sei in der Mitte der deutschen Gesellschaft verankert und dürfe sich daraus nicht verdrängen lassen, darin sei er sich mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, einig. "Die Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland kann sonst nicht gelingen."

In der Diskussion berichteten nicht nur der Rabbiner, sondern auch die Stipendiaten im Publikum von Reaktionen ihres Umfeldes auf das Bekenntnis zum jüdischen Glauben und von Erfahrungen mit alltäglicher Diskriminierung in Deutschland. Es gebe immer auch einzelne Bürger, die öffentliche Anfeindungen von Juden nicht hinnehmen, sagte einer der Teilnehmer. Genauso wichtig sei es aber, dass die Umstehenden denjenigen applaudierten, die gegen Diskriminierung aufstehen. Dafür gab es große Zustimmung unter den Anwesenden.

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