09.07.2022FDPEnergie

DJIR-SARAI-Interview: Ich würde Runden Tisch zur Versorgungssicherheit begrüßen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab „Spiegel Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Severin Weiland:

Frage: Eine neue Coronawelle läuft bereits, der Herbst bereitet vielen Menschen Sorgen. Warum wird nicht jetzt bereits an Schutzmaßnahmen und einem neuen Infektionsschutzgesetz gearbeitet?

Djir-Sarai: Es wird bereits daran gearbeitet – die Regierung plant, noch im Laufe des Monats ein Konzept vorzulegen. Zunächst war jedoch wichtig, dass die bisherigen Maßnahmen evaluiert werden. Denn ohne zu wissen, welche Maßnahmen wirkungsvoll sind und welche nicht, kann es keine vernünftige Pandemiebekämpfung geben. Klar ist: Uns wird nicht das passieren, was der Vorgängerregierung unterlaufen ist – Deutschland wird nicht unvorbereitet in eine neue Welle kommen.

Frage: Was heißt das konkret? Worauf wird die FDP Wert legen?

Djir-Sarai: Pauschale Schulschließungen und flächendeckende Lockdowns wird es mit uns nicht geben. Die Evaluation der Experten hat bestätigt, dass diese Maßnahmen unverhältnismäßig sind und mehr schaden als nutzen.

Frage: Die Frage zielte auch auf Schutzmaßnahmen. Wie sieht es etwa mit der Rückkehr zum verpflichtenden Tragen von Masken in Innenräumen aus, etwa in Supermärkten, in Restaurants, Hotels, kulturellen Einrichtungen?

Djir-Sarai: Das Maskentragen wird eine Rolle spielen im Herbst, klar. Aber wo konkret, das bleibt den Beratungen vorbehalten.

Frage: Fürchten Sie nicht das Bremser-Image?

Djir-Sarai: Fakt ist, dass wir uns als Koalition auf einen gemeinsamen Fahrplan geeinigt haben. Der sieht vor, dass wir im September im Bundestag ein neues Infektionsschutzgesetz verabschieden und jetzt nicht in hektischen Aktionismus verfallen. Dazu besteht kein Anlass. Ich habe kein Verständnis für diejenigen, die eine Verkürzung des Entscheidungsprozesses wollen.

Frage: Die Grünen werfen Ihrer Partei eine zögerliche Haltung vor, insbesondere Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Nervt Sie das?

Djir-Sarai: Ich habe starke Nerven. Ich finde es aber bemerkenswert, dass eine Bundestagsvizepräsidentin mit ihren Aussagen nahelegt, die Handlungsfähigkeit des Parlaments sei eingeschränkt. Das Gegenteil ist der Fall.

Frage: Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Finanzminister Christian Lindner haben sich darauf geeinigt, dass die Coronaschnelltests für die meisten Menschen nicht mehr kostenlos sind, sondern drei Euro kosten. Entsteht dadurch nicht eine soziale Schieflage – wer es sich leisten kann, testet sich, die anderen meiden es?

Djir-Sarai: Wir als FDP haben immer deutlich gemacht, dass der Schutz vulnerabler Gruppen Priorität haben muss. Dieser Schutz ist weiterhin durch kostenlose Tests gegeben. Zum anderen kann der Bund nicht langfristig für alles aufkommen. Das wäre kein effektiver Umgang mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

 Frage: Wird der Ton in der Koalition rauer, nicht nur in Sachen Corona?

Djir-Sarai: Wir sind eine Koalition, wir sind nicht fusioniert. Dass wir unterschiedliche Vorstellungen haben, ist nur natürlich. Der Koalitionsvertrag ist die Basis unserer Zusammenarbeit, schwierig wird es immer dann, wenn am laufenden Band Vorschläge kommen, die nicht im Einklang mit dem Koalitionsvertrag stehen. Das macht die Sache dann komplexer.

Frage: In der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 beschimpften sich CSU und FDP am Ende als »Gurkentruppe« und »Wildsau«. Manche in Ihrer Partei fürchten sich insgeheim, wieder in solche Muster zu verfallen.

Djir-Sarai: Konstruktiver Streit in einer Koalition ist grundsätzlich nicht falsch und bisweilen sogar sachdienlich. Beleidigungen sind etwas anderes, und die sollte es selbstverständlich nicht geben. Die Gefahr besteht auch nicht. Wir als FDP müssen unsere politischen Überzeugungen aber deutlich formulieren und Erfolge herausstreichen. Das haben die Ergebnisse der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW gezeigt, wo wir an Regierungen beteiligt waren, FDP-Erfolge aber von den Koalitionspartnern reklamiert wurden.

Frage: Gestritten wird in der Ampel auch über eine Verlängerung der Laufzeit für die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke. Sind Sie dafür?

Djir-Sarai: Die deutsche Energiewende war schon vor dem Krieg in der Ukraine eine enorme Herausforderung. Nun müssen wir angesichts des möglichen Engpasses bei den russischen Gaslieferungen, mit dem wir im Juli rechnen müssen, über alternative Möglichkeiten nachdenken. Dazu gehört insbesondere der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien, aber eben auch die Verlängerung der Laufzeiten für die drei Kernkraftwerke und die Frage, ob der Kohleausstieg tatsächlich 2030 stattfinden kann.

Frage: Ist das eine Kritik an der bisherigen Politik von Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen?

Djir-Sarai: Nein, aber bislang kann mir niemand erklären, wie wir ohne diesen Maßnahmenmix das Land vor einem Energieengpass bewahren können. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn der Wirtschaftsminister einen Runden Tisch zur Versorgungssicherheit mit allen relevanten Akteuren ins Leben ruft. Ich habe große Sorge, dass das fragile Kartenhaus, das das zuständige Ministerium in den vergangenen Monaten bei der Energieversorgung aufgebaut hat, in sich zusammenfallen könnte.

Frage: Der Wirtschaftsminister fordert angesichts der drohenden Gasengpässe die Deutschen zum Sparen auf, auch zum kürzeren Duschen. Haben Sie auch schon Ideen?

Djir-Sarai: Ich bin mir sicher, dass die Menschen bereits eigenverantwortlich schauen, wo sie Energie sparen können. Die Politik muss aber dafür Sorge tragen, dass mit einer richtigen Konzeption die Menschen nicht darüber nachdenken müssen, wie lange und mit welcher Temperatur sie duschen dürfen. Die gegenwärtige Diskussion läuft in die falsche Richtung, weil schon über Folgen gesprochen wird und nicht über die Ursachen. Noch haben wir es ja aber selbst in der Hand, tiefgreifende Einschnitte für Bürger und Unternehmen abzuwenden. Indem wir etwa ideologiefrei auch die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken ins Auge nehmen.

Frage: Finanzminister Christian Lindner hat erklärt, die Schuldenbremse 2023 einhalten zu wollen. Was passiert, wenn wir in eine Rezession geraten, die Energiepreise explodieren?

Djir-Sarai: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen, daher ist die Rückkehr zur Schuldenbremse eine aktive politische Maßnahme zur Inflationsbekämpfung. Das unterscheidet uns von unseren Koalitionspartnern – wir wollen den Menschen nicht das Geld wegnehmen und es danach verteilen, sondern wir wollen, dass sie von vornherein mehr zur Verfügung haben. Wir wollen entlasten, etwa durch die Abschaffung der kalten Progression. Es darf nicht sein, dass eine Lohnerhöhung komplett durch die Inflation aufgefressen wird.

Frage: Das klingt in der Theorie gut, was tun Sie aber, um Menschen und Unternehmen zu helfen, sollte sich die Energiekrise verschärfen?

Djir-Sarai: Wir haben bereits zwei milliardenschwere Entlastungspakete geschnürt, deren entlastende Maßnahmen nun erst einmal vollumfänglich greifen müssen. Klar ist: Der Staat kann nicht jede Kostenerhöhung in der Krise ausgleichen. Wir müssen mithilfe solider Finanzpolitik wieder auf den aufsteigenden Ast kommen.

Frage: Also wird Lindner in den kommenden Monaten als Neinsager in der Koalition zu einem der unbeliebtesten Minister?

Djir-Sarai: Es ist die ureigene Aufgabe eines Finanzministers, auf das Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger achtzugeben und es effektiv einzusetzen. Der Finanzminister muss gerade in dieser Koalition, in der einige Partner das Geld mit vollen Händen ausgeben wollen, für finanzpolitische Solidität stehen. Genau das tut Christian Lindner. Nehmen Sie nur die staatlichen Zinskosten, die weiter steigen, wenn wir nicht zur Schuldenbremse zurückkehren. Höhere Zinsen wären eine enorme Belastung für unseren Haushalt, zudem würde die Bonitätsbewertung Deutschlands auf den Kapitalmärkten sinken. Am Ende hätte das auch Auswirkungen auf Investitionen und Arbeitsplätze hierzulande.

Frage: Wie bewerten Sie als Außenpolitiker im Moment den Kriegsverlauf in der Ukraine?

Djir-Sarai: Ich mache mir große Sorgen wegen des Vormarschs der russischen Streitkräfte. Die Ukraine kämpft gegen eine für sie militärische Übermacht, deswegen müssen wir alles tun, um das Land weiter mit Waffen zu unterstützen.

Frage: Kann die Ukraine diesen Krieg noch gewinnen?

Djir-Sarai: Was wir derzeit sehen, ist ein Zermürbungskrieg der Russen im Osten des Landes, der noch lange dauern könnte. Wenn Putin seine ursprünglichen Kriegsziele erreicht hätte, wäre nun kein Land in Europa mehr sicher vor den imperialen Plänen des Kreml. Die Ukraine darf nicht scheitern. Wir dürfen die Ukraine nicht fallen lassen – die Folgen für das Land und den gesamten Westen wären katastrophal. Deswegen steht die FDP auch nach wie vor hinter der Lieferung schwerer Waffen und anderen Unterstützungsmaßnahmen. Wir müssen die Ukraine in eine Position bringen, in der sie im Falle diplomatischer Lösungen auch auf Augenhöhe mit Russland verhandeln kann. Diplomatie, auch von deutscher Seite, muss irgendwann wieder eine Rolle spielen, eine Lösung jedoch immer mit Kiew gemeinsam abgestimmt sein.

Frage: Soll der Westen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eines Tages auch wieder in Präsenz reden?

Djir-Sarai: Im Moment ist das nicht realistisch. Bei der Vielzahl der von russischer Seite begangenen barbarischen Kriegsverbrechen in der Ukraine liegt eine Zusammenkunft westlicher Politiker mit Putin außerhalb meiner Vorstellungskraft.

Frage: Muss Deutschland schon jetzt über den Krieg hinausdenken und eine Strategie entwickeln, wie mit Moskau in Zukunft umgegangen wird?

Djir-Sarai: Russland wird weiter alles versuchen, um die Ukraine und Europa zu destabilisieren – darauf müssen wir schon jetzt Antworten entwickeln. Deutschland und Europa brauchen eine langfristige strategische Perspektive, wie mit Russland und dem Regime Putins umgegangen werden soll. Idealerweise gehen Berlin und Paris diesen Weg gemeinsam und sind dabei Impulsgeber. Die Naivität, die in den Beziehungen zu Russland in der Vergangenheit eine große Rolle spielte, muss endgültig aufhören.

Frage: Derweil gerät das Ringen um ein Atomabkommen mit Iran in den Schatten. Sie kritisieren in dieser Sache den Westen. Warum?

Djir-Sarai: Der Iran ist kurz davor, eine Atombombe bauen zu können. Das Regime in Teheran will eine verdeckte Atommacht werden, es ist seine Lebensversicherung. Der Westen hat bis jetzt keine Antwort darauf gefunden, wie das verhindert werden soll. Das parallel laufende Raketenprogramm Irans bedroht zudem auch Europa. Sollte Iran eine Atombombe entwickeln, wird es auf ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten hinauslaufen. Weder Israel noch Saudi-Arabien werden das zulassen können.

Frage: Aber Teheran will doch weiterverhandeln.

Djir-Sarai: Ich sehe nicht, wie der Westen Teheran ernsthaft von der weiteren Urananreicherung abhalten will. Es gibt hier keine klaren Stoppschilder gegenüber Iran. Man pflegt leider weiter die Illusion, mit Hardlinern zu einem Ausgleich zu kommen oder auf sogenannte Reformer in einem brutalen Regime zu hoffen. Hier wird leider ähnlich naiv agiert wie einst gegenüber Moskau.

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