FDPCorona-Maßnahmen

Experiment mit offenem Ausgang

Volker WissingVolker Wissing würde lieber auf einen effektiven Schutz von Risikogruppen setzen als einzele Branhen zu bestrafen
03.11.2020

Die Corona-Pandemie hat Deutschland weiter fest im Griff. Am Montag begann in ganz Deutschland der Teil-Lockdown, den die Regierungschefs von Bund und Ländern vergangene Woche verabredet haben. Er bedeutet massenhafte Grundrechtseingriffe von hoher Intensität. "Ja, wir müssen alles tun, die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen, aber wir können das im Einklang mit unserer Verfassung erreichen", hält FDP-Generalsekretär Volker Wissing die Maßnahmen für einen Ritt auf Messers Schneide. Er fordert, dass die Begründungen der Grundrechtsbeschränkungen präziser werden müssen. "Die Situation ist eine große Herausforderung für alle. Was gegenwärtig stattfindet, ist ganz offensichtlich ein Experiment mit offenem Ausgang", so Wissing am Rande von Gremiensitzungen seiner Partei.

Es zeige sich erneut, "dass die Debatte der Entscheidung hätte vorausgehen sollen, denn die Diskussionen über diese Maßnahmen, die jetzt in Kraft gesetzt werden, die reißen nicht ab", so Wissing. "Es wäre klug gewesen, man hätte die Debatte geführt und hätte erklärt, was man warum mit welcher Zielsetzung auf den Weg bringt, anstatt zu entscheiden und dann erst darüber zu sprechen."

Im SWR-Interview hatte er schon zuvor die Vorgehensweise kritsiert: "Was die Regierungschefs beschlossen haben, ist eine Summe massivster Grundrechtseingriffe. Und das Grundgesetz, unsere Verfassung, gilt uneingeschränkt auch in dieser Pandemie. Wenn man so schwere Grundrechtseingriffe vornimmt, dann müsste es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass diesen Maßnahmen eine breite, umfassende parlamentarische Debatte vorweggeht. Politik heißt abwägen und abwägen heißt, alle Argumente für und wider, verschiedene Vorschläge, all das mit in den Prozess mit einzubeziehen." Ihn stört, dass man so tut, als sei das jetzt das einzig Richtige: "Es gibt keine Erkenntnis dafür, dass das wirklich wirkt, und es gibt begründete Zweifel, dass das funktionieren kann."

Seiner Ansicht nach wäre es "dringend erforderlich, dass wir bei weiteren Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie, die uns mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über den Jahreswechsel hinaus begleiten werden, künftig anders vorgehen." Die Freien Demokraten würden dabei bleiben: "Wir haben erhebliche Zweifel an der Verfassungskonformität der jetzt getroffenen Maßnahmen und hoffen, dass die Stringenz der Regulierung wieder eintritt. Wir brauchen einen effektiven Schutz vulnerabler Gruppen, wir brauchen mehr Tests der Betroffenen. Aber wir können uns nicht als Politikerinnen und Politiker einzelne Branchen heraussuchen und diese schließen, ohne erklären zu können, warum beispielsweise Gastronomie und Kultureinrichtungen geschlossen werden, aber der gesamte Handel geöffnet ist."

Mit Blick auf die Nothilfen, die Bund und Länder angekündigt haben, unterstreicht Wissing: "Dass der Staat in einer solchen Krise handlungsfähig ist, ist enorm wichtig". Jetzt müsse man aber auch so schnell wie möglich wieder zu soliden Haushalten zurückkommen: Wir müssen die Schuldentragfähigkeit Deutschlands auch für die Zukunft sichern. Denn so schwierig und so herausfordernd diese Pandemie ist, sie wird ja mit Sicherheit nicht die einzige Herausforderung des Status in den nächsten Jahrzehnten sein."

Die Zukunft sichern will er auch für die Solo-Selbstständigen. Hier weist er daraufhin, dass die Unternehmer beim letzten Lockdown nur Betriebsausgaben erstattet bekommen haben und die Solo-Selbstständigen vielfach gar keine solchen Betriebsausgaben haben. "In dieser Runde kündigen jetzt ja Finanz- und Wirtschaftsminister an, dass sie den Unternehmen, den betroffenen Unternehmen die Umsätze erstatten, die Umsatzausfälle erstatten. Und da ist auch der Unternehmerlohn enthalten. Deswegen muss es jetzt auch ein vergleichbares Programm für Solo-Selbstständige geben."

Ganz grundsätzlich macht sich Wissing Sorgen über die Entwicklung unseres Industrie- und Wirtschaftsstandortes: "Wir müssen viele Ziele in Deutschland und in Europa in den nächsten Jahren erreichen. Wir wollen Klimaschutzziele erreichen. Wir wollen die Transformation der Fahrzeugindustrie und die Dekarbonisierungsziele erreichen. Wir können diesen Zielen aber nicht andere bedeutsame Ziele unterordnen, beispielsweise die Sicherung unseres Sozialstaates und die Sicherung des Industriestandortes und auch der Beschäftigung."

Ihm kommt in der politischen Debatte die Aufgabe der Beschäftigungssicherung und der Sicherung des Industriestandortes zu kurz. "Wir brauchen beides: Klimaschutzziele und eben auch industriepolitische Ziele und Beschäftigungssicherungsziele. Unsere Gesellschaft wird nur dann zusammenhalten können, wenn der Sozialstaat finanzierbar bleibt. industriepolitischem Erfolg und hoher Beschäftigung zusammen. Und deshalb ist die FDP Partner auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer."

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