16.03.2003FDP-FraktionInnenpolitik

GERHARDT: Bundestag muss unverzüglich mit Awacs-Einsätzen befasst werden

BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang GERHARDT, fordert den Bundeskanzler in einem Schreiben dazu auf, unverzüglich eine Abstimmung des Deutschen Bundestages über die Beteiligung deutscher Soldaten bei Awacs-Einsätzen in der Türkei zu beantragen. Der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

in der aktuellen Diskussion um die Irak-Politik wird nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion ein wichtiger Punkt zu wenig beachtet, dessen grundsätzliche Behandlung wir für dringend geboten halten.
Die Türkei hat bei der NATO am 10. Februar 2003 gemäß Artikel 4 des NATO-Vertrages um Unterstützung nachgesucht, unter anderem durch den Einsatz von AWACS-Flugzeugen über türkischem Hoheitsgebiet zum Schutz gegen mögliche irakische Luftangriffe. Der NATO-Rat hat dieser Anforderung am 19. Februar 2003 Folge geleistet. Vier AWACS-Flugzeuge wurden daraufhin am 25. Februar 2003 in die Türkei verlegt. Etwa ein Drittel der Besatzungen dieser AWACS-Flugzeuge sind Soldaten der Bundeswehr.
Auf Grund der aktuellen politischen Lage im Irak, die die Grundlage der türkischen Anforderung war, handelt es sich nicht nur um Routineüberwachungsflüge der AWACS-Flugzeuge, wie sie in der Vergangenheit nie einer besonderen Anforderung bedurften.
Die Hauptrolle der NATO-AWACS-Flotte ist zwar die Luftraumüberwachung, aber sie ist auch ein effizientes Instrument des Bündnisses zur Sicherstellung der Leitung und Fernmeldeunterstützung für Luftkampfeinsätze. Diese umfassen ausdrücklich die Bekämpfung gegnerischer Luftstreitkräfte sowie Luftnahunterstützung für Bodentruppen. Das AWACS-Radar schafft zweifelsfrei die Möglichkeit, tieffliegende gegnerische Flugzeuge über jedem Gelände zu erfassen und zu verfolgen sowie die im gleichen Gebiet operierenden NATO-Flugzeuge zu identifizieren und ins Ziel zu leiten. Diese Fähigkeit wurde ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht am 8. April 1993 festgestellt. In seiner Begründung zur Ablehnung einer einstweiligen Anordnung führte es damals zu den Fähigkeiten der AWACS-Flugzeuge unter anderem aus: "Mit diesen Flugzeugen werden Flugbewegungen aus großer Höhe erfasst; sie können zugleich als Feuerleitstand für den Einsatz von Jagdflugzeugen gegen gegnerische Flugzeuge dienen."
Eine Teilnahme deutscher Soldaten an einem Einsatz von AWACS-Flugzeugen, der zu einer aktiven Beteiligung dieser Aufklärungs-, Frühwarn- und Feuerleitsysteme an Kampfhandlungen führen kann, bedarf der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages. Exakt so äußerte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 (BVerfGE 90, 286), indem es feststellte: "Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die " grundsätzlich vorherige " konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Die Bundesregierung hat gegen dieses Gebot verstoßen, indem sie auf Grund ihrer Beschlüsse vom 15. Juli 1992, 2. April 1993 (Beteiligung deutscher Soldaten am AWACS-Einsatz über Bosnien-Herzegowina im Rahmen der UN-Resolution 781) und 21. April 1993 bewaffnete Streitkräfte eingesetzt hat, ohne vorher die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen."
Dabei ist es, ebenfalls nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, unerheblich, ob ein Einsatz auf oder über dem Bündnisgebiet stattfindet oder nicht. So heißt es in der oben angeführten Urteilsbegründung hierzu: "Gegenstand einer Parlamentsbeteiligung sind die Einsätze bewaffneter Streitkräfte. Im Fall eines Angriffs auf einen Bündnispartner hat das Parlament der Beistandsverpflichtung zwar schon in Form des nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlichen Gesetzes zugestimmt und damit grundsätzlich gebilligt, daß deutsche Streitkräfte bei Eintritt des Bündnisfalles zum Einsatz kommen. Auch in diesem Fall bedarf es jedoch noch der " regelmäßig vorhergehenden " parlamentarischen Entscheidung über den konkreten Einsatz nach Maßgabe der bestehenden Bündnisverpflichtung."
Eine Beschränkung des Einsatzes der AWACS-Flugzeuge ausschließlich auf deren Frühwarnfunktion ist eher theoretischer Natur, da der Ausschluß der unbestrittenen Fähigkeiten dieser Systeme zur Feuerleitung, das heißt zur direkten Heranführung eigener Flugzeuge an die des Gegners zum Zwecke deren Ausschaltung, nicht ausgeschlossen werden kann und insbesondere bei der hier in Rede stehenden Anforderung der Türkei im Falle eines bewaffneten Konflikts im Irak sogar als eher wahrscheinlich angenommen werden muß.
Nach Überzeugung der Bundestagsfraktion der FDP ist die Bundesregierung verpflichtet, die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages für die Beteiligung deutscher Soldaten an den AWACS - Einsätzen über der Türkei zu beantragen. Mindestens muß sie darauf vorbereitet sein, einen solchen Antrag unverzüglich im Falle eines bewaffneten Konflikts zu beschließen und dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorzulegen.
Ich wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, dankbar, wenn Sie mich über Ihre diesbezügliche Bewertung, in die Sie auch gerne den Sachverhalt der Stationierung und die Problemlage des Auftrags für die Fuchs-Spürpanzer einbeziehen mögen, unterrichten könnten. Die Bundestagsfraktion der FDP hat die Absicht, sich in ihrer nächsten Sitzung mit der parlamentarischen Behandlung des Vorgangs zu befassen.

Mit freundlichen Grüßen

Susanne Bühler - Telefon (0 30) 2 27-5 57 36 - pressestelle@fdp-bundestag.de

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