08.09.2010FDP-Fraktion

HOMBURGER-Interview Stuttgarter Zeitung

BERLIN. Die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Birgit HOMBURGER gab der Stuttgarter Zeitung heute folgendes Interview. Die Fragen stellte Thomas Maron, Andreas Müller und Barbara Thurner-Fromm:

FRAGE: Frau Homburger, böse Zungen behaupten, Sie hätten sich bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten von den Konzernen über den Tisch ziehen lassen. Was sagen Sie?

HOMBURGER: Zum ersten Mal gibt es in Deutschland ein Konzept, mit dem wir das Zeitalter der Erneuerbaren Energien erreichen können. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass mit verlängerten Laufzeiten Investitionen in die Erneuerbaren Energien vorangetrieben werden, etwa in die Speichertechnologie oder die Netzintegration. Das kriegen wir jetzt hin. Wir werden 58 Prozent der zusätzlichen Gewinne abschöpfen. Bei den Energieversorgungsunternehmen hat da keiner gejubelt, zumal wir auch weitere Sicherheitsauflagen beschlossen haben.

FRAGE: Energieexperten sagen, die Konzerne kämen gut weg. Höchstens 30 statt der angekündigten 50 Prozent aller Erlöse würden für Erneuerbare Energien abgeschöpft. Und der Ertrag aus der Brennelementesteuer soll deutlich niedriger sein als die zur Haushaltssanierung eingeplante Nettosumme von 2,3 Milliarden Euro jährlich…

HOMBURGER: Ich habe davon gesprochen, dass wir 58 Prozent der zusätzlichen Gewinne abschöpfen. Damit ist nicht gesagt, für was. In der Tat fließt nicht die volle Summe in die Förderung Erneuerbarer Energien, das war aber auch nicht vorgesehen. Ein Teil geht in die Haushaltskonsolidierung. Gleichwohl werden wir in den nächsten Jahren einen zweistelligen Milliardenbetrag für die Förderung Erneuerbarer Energien erlösen. Ein solches Programm hat es so noch nie gegeben.

FRAGE: Aber die 2,3 Milliarden aus der Brennelementesteuer sind nicht wie vom Finanzminister vorgesehen netto, sondern brutto. Am Ende wird es weniger sein, weil die Konzerne den Betrag absetzen können…

HOMBURGER: Wolfgang Schäuble wird mit dem Ergebnis sehr gut leben können. Er hat mit 2,3 Milliarden Euro brutto geplant.

FRAGE: Sind die Beschlüsse nicht ein Förderprogramm für die Grünen?

HOMBURGER: Das sehe ich nicht so. Unsere Position findet durchaus Unterstützung. Laut Umfragen sind über 70 Prozent der Bürger für eine Verlängerung der Laufzeiten, wenn dadurch Geld für die erneuerbaren Energien erwirtschaftet wird.

FRAGE: Fürchten Sie das Veto des Bundesverfassungsgerichts? Mehrere Länder und die Opposition wollen klagen, weil sie den Bundesrat nicht einschalten.

HOMBURGER: Den brauchen wir auch nicht. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist da mal wieder zu großmäulig unterwegs. Der Kompromiss wird vor den Verfassungsrichtern Bestand haben.

FRAGE: Die älteren Meiler sollen jetzt nicht zusätzlich, wie Norbert Röttgen es wollte, gegen Terrorattacken aus der Luft geschützt werden. Sind sie deshalb jetzt unsicherer?

HOMBURGER: Nein. Entweder ein Kernkraftwerk ist sicher, dann muss man es betreiben dürfen. Oder es ist nicht sicher, dann muss es sofort abgestellt werden. Rot-Grün und Schwarz-Rot haben in ihren Regierungszeiten die Kernkraftwerke ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen laufen lassen. Offensichtlich waren sie also der Meinung, dass die Kernkraftwerke sicher sind. Zumal im Luftverkehr international zwischenzeitlich viele Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden. Das Ziel, einen Terrorangriff aus der Luft zu vermeiden, kann man auch durch Vernebelung erreichen. Die meisten älteren Anlagen haben einen Antrag auf eine solche Anlage gestellt oder bereits, wie Phillipsburg, genehmigt bekommen.

FRAGE: Sie sind in Baden-Württemberg zurückgefallen, vielleicht auch wegen ihrer Position zu Stuttgart 21. Ziehen Sie Konsquenzen?

HOMBURGER: Ich halte Stuttgart 21 nach wie vor für ein zentrales Projekt für die Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs. Die Anbindung des Wirtschaftsstandorts an die Schnellbahntrasse Paris-Budapest ist notwendig. Davon profitiert ganz Baden-Württemberg. Wir sprechen von 10.000 zusätzlichen, dauerhaften Arbeitsplätzen. Der Park wird größer, es werden mehr Bäume gepflanzt, als je dort standen. Das Areal über dem Bahnhof kann gestaltet werden, mit vielen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Das ist eine Riesenchance für Stuttgart. Die Befürworter dürfen sich nicht verstecken, sondern müssen ihre Argumente offensiv ins Feld führen.

FRAGE: Ihr Parteifreund Jens Hagen hat sich kritisch geäußert. Bleibt Ihre Partei auf Kurs?

HOMBURGER: Die FDP Baden-Württemberg hat sich auf mehreren Parteitagen klar für Stuttgart 21 ausgesprochen Dass es auch bei uns andere Meinungen gibt, ist normal. Die FDP bleibt bei ihrer Haltung.

FRAGE: Haben die Landesregierung und die Stadt Stuttgart Fehler gemacht?

HOMBURGER: Alle Beteiligten haben Fehler gemacht, vor allem in der Kommunikation. Man hätte viel offensiver mit dem Thema umgehen müssen. Man hat den Gegnern zu lange widerspruchslos das Wort gelassen und sich weg geduckt. Ich glaube, dass das Gesprächsangebot des Ministerpräsidenten ein richtiger Schritt war. Es ist schade, dass es ausgeschlagen wurde.

FRAGE: Über was will man reden, wenn Ihre Position ist: wir ziehen das durch und Schluss?

HOMBURGER: Man kann sich auch dann in Gesprächen annähern, wenn die Grundpositionen die gleichen bleiben. Das führt zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und ermöglicht einen respektvollen Umgang. Wenn die Gegner des Projektes aber der Meinung sind, sie hätten durch solche Gespräche die Chance, jetzt noch mal alles zu kippen, dann ist das illusorisch.

FRAGE: Wir werden einen harten Landtagswahlkampf erleben. Haben Sie mit Ulrich Goll eigentlich den richtigen Kandidaten? Er mag Wahlkampf nicht, er pflegt spezielle Hobbys, und er mag nicht mal sagen, ob er noch fünf Jahre in der Politik bleibt…

HOMBURGER: Natürlich haben wir den richtigen Spitzenkandidaten. Uli Goll ist ein profilierter Landespolitiker, der in seinem Fachgebiet bundesweit hohes Ansehen genießt und inhaltlich vieles durchgesetzt hat, beispielsweise in der Bildungs- und Integrationspolitik. Er brennt auf den Wahlkampf.

FRAGE: Also freuen Sie sich auf den Wahlkampf?

HOMBURGER: Na klar. Ich weiß, dass die Situation für die FDP zurzeit nicht gerade komfortabel ist. Entscheidend ist, dass der Gegenwind aus Berlin aufhört. Die Streitereien müssen ein Ende haben. Wir werden im Herbst Handlungsfähigkeit beweisen. Wenn wir die Entscheidungen dann gemeinsam vertreten, wird am Ende des Jahres die Stimmung eine andere sein.743-homburger-interviewstuttgarterzeitung_0.pdf

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