FDPBKA-Gesetz

Jeder hat ein Recht auf Privatsphäre

Wolfgang KubickiWolfgang Kubicki
21.04.2016

Das Bundesverfassungsgericht hat das BKA-Gesetz teilweise für verfassungswidrig erklärt. Wolfgang Kubicki macht im Interview mit dem "Deutschlandfunk" deutlich: "Es gibt Bereiche, in die der Staat unter keinen Umständen eindringen darf." Daran müsse der Gesetzgeber gelegentlich erinnert werden, dass die Verteidigung des Landes verfassungsrechtliche Grenzen habe, erklärte der stellvertretende FDP-Vorsitzende.

Auch Terroristen hätten ein Recht darauf, sich einem Priester anvertrauen zu dürfen oder von einem Arzt behandeln zu lassen, führte Kubicki aus. Er machte deutlich, dass das Urteil die Verfolgung von Terroristen nicht erschwere, wie von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) behauptet. Denn das Bundesverfassungsgericht habe nicht Überwachungsmaßnahmen per se für unzulässig erklärt, sondern lediglich einen konkreten Verdacht als Grundlage für Überwachungsmaßnahmen fordert.

Die bisherige Herangehensweise des Bundeskriminalamts reiche nicht mehr aus, weil der Grundrechtseingriff derart massiv sei, betonte Kubicki. Würden Berufsgeheimnisträger und die verfassungsmäßig verbriefte Privatsphäre jedes einzelnen nicht ausreichend geschützt, "dann haben wir die totale Überwachungsmöglichkeit des Staates gegenüber Privatpersonen". Das sei in einer Demokratie wie in Deutschland schlicht und ergreifend von Verfassungswegen unzulässig, stellte Kubicki klar.

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Frage: Herr Kubicki, war das ein guter Tag für Terroristen und Dschihadisten?

KUBICKI: Das glaube ich nicht, weil das Bundesverfassungsgericht ja nicht grundsätzlich Überwachungsmaßnahmen auch zur Gefahrenabwehr verworfen hat, sondern nur den Gesetzgeber gelegentlich daran erinnern muss – das ist ja nicht die erste Entscheidung dieser Art –, dass die Verteidigung der Menschen dieses Landes und die Verteidigung des Grundgesetzes auch verfassungsrechtliche Grenzen hat: beispielsweise das Eindringen in die absolut geschützte Privatsphäre, in den Intimbereich, oder das Eindringen in das Vertrauensverhältnis von Berufsgeheimnisträgern, beispielsweise bei Priestern. Stellen Sie sich mal die Überwachung eines Beichtstuhles vor. Das ist grundsätzlich untersagt. Es gibt keinen Anlass, keine Maßnahme, die das rechtfertigen würde, außer man habe konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Berufsgeheimnisträger in entsprechende Planungen oder Taten selbst verwickelt seien.

Frage: Das heißt, auch Terroristen haben ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre?

KUBICKI: Ja. Auch Terroristen haben ein Recht darauf, dass sie sich einem Priester anvertrauen dürfen. Auch Terroristen haben ein Recht darauf, oder potenzielle Terroristen haben ein Recht darauf, einen Anwalt zu konsultieren, nicht um sich beraten zu lassen, die Taten durchzuführen, sondern möglicherweise Einsicht und Einkehr zu finden. Auch Terroristen haben einen Anspruch darauf, ärztlich behandelt zu werden, ohne dass die Gespräche zwischen ihnen und dem Arzt dann der Staatsmacht zugänglich sind. Das ist übrigens in der Strafprozessordnung auch so geregelt. Das gilt selbstverständlich auch für die Gefahrenabwehr. Mich als Strafverteidiger hat dieses Urteil nicht überrascht, denn es folgt konsequent der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes.

Frage: Aber der Bundesinnenminister, der sagt, der Kampf gegen die Terroristen, der wird jetzt nicht unbedingt leichter.

KUBICKI: Das mag der Bundesinnenminister so sehen, weil er ja eine Schlappe vor Gericht verantworten muss, weil er sich hat sagen lassen müssen, dass viele der Normen, die er beziehungsweise sein Vorgänger auf den Weg gebracht haben, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind und sehr intensiv nachgebessert werden müssen. Jemand, der Verfassungsminister des Landes ist, der hört das natürlich nicht gerne, aber es war absehbar, jedenfalls in den Bereichen, wo es ausgeurteilt worden ist, und die Schlamperei des Bundesinnenministers kann man nicht den Verfassungsrichtern vorwerfen, sondern das liegt schlicht und ergreifend beim Bundesinnenminister selbst.

Frage: Das ist sicher nicht nur ein Urteil des Bundesinnenministers selbst. Man kann ja sicher festhalten, dass nach diesem Urteilsspruch heute die Arbeit des BKA bei der Terrorbekämpfung erschwert wird. Das muss man ja, glaube ich, so eingestehen, oder?

KUBICKI: Das muss man so nicht eingestehen, weil immer die Überlegung dahintersteht, dass wir es mit Terroristen zu tun haben, die im Zweifel dumm sind. Wenn wir uns mal anschauen, dass die Terroristen, die die Anschläge in Paris verübt haben, über die normalen Kommunikationswege, die überwacht werden sollen, gar nicht kommuniziert haben, sondern das Internet genutzt haben und über eine Spielekonsole kommuniziert haben, dann ist die Behauptung, man müsse Verdächtige, die einen gewissen Grad an Verdachtsmomenten schon liefern müssen, mit der vollen Bandbreite überwachen, nachvollziehbar. Aber wenn dabei unbeteiligte Kontakt- und Begleitpersonen ins Visier geraten, oder Anwälte, Geistliche, Ärzte, Journalisten beispielsweise, dann ist das von Verfassungswegen schlicht und ergreifend nicht zulässig, und ich bin sehr froh, dass immer dann, wenn es diesen sogenannten Beifang gibt bei entsprechenden Maßnahmen, jetzt das Verfassungsgericht erklärt hat, bevor überhaupt ausgewertet werden darf, muss ein Kontrollgremium vorher sichten, ob Privatsphäre berührt ist ja oder nein, und dass sie auch erklärt haben, bei Kontakt- oder Begleitpersonen ist Wohnraumüberwachung grundsätzlich unzulässig, es sei denn, sie stehen selbst in Verdacht, oder die Person, um die es geht, hält sich zum Zeitpunkt der Erörterung in der Wohnung eines Dritten auf, der bisher unbeteiligt ist.

Frage: Sie haben jetzt gerade gesagt, Herr Kubicki, dass eigentlich Terroristen sich in der Vergangenheit nie dieser Kommunikationswege bedient haben, und das ist ja auch ein Argument, was wir immer häufiger hören, dass eigentlich die Terrorbekämpfung, so wie wir sie kennen, irgendwie an der Realität vorbeigeht. Aber es gibt ja zumindest diesen einen Fall, die Düsseldorfer Zelle, die wurde ja im Zuge dieser Maßnahmen dieses neuen BKA-Gesetzes auch zumindest dingfest gemacht.

KUBICKI: Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht erklärt, dass Überwachungsmaßnahmen unzulässig sind, sondern es hat nur erklärt: Wenn es einen konkreten Verdacht gibt im Hinblick auf eine konkrete Person oder einen konkreten Anschlag, dann sind die Überwachungsmaßnahmen erlaubt. Aber die bisherige Herangehensweise beispielsweise, kriminalistische Erfahrung oder allgemeine Intuition, legen nahe, dass es sinnvoll ist, eine bestimmte Person zu überwachen, sie reichen nicht mehr aus, weil der Grundrechtseingriff derart massiv ist, dass man dafür die Voraussetzungen beachten muss, die seit geraumer Zeit vom Bundesverfassungsgericht aufgestellt worden sind. Das Verfassungsgericht hat ja nichts anderes gemacht, als seine bisherige Rechtsprechung zu konkretisieren und zu dokumentieren, dass es einen gemeinsamen Überbau gibt. Es gibt Bereiche, in die der Staat unter keinen Umständen eindringen darf. Es gibt Beziehungen, die grundsätzlich geschützt sind, wo nur eingegriffen werden darf, wenn die beteiligten Personen insgesamt entsprechender Taten verdächtigt sind. Der Gesetzgeber hat das schlicht und ergreifend zu beachten. Und noch einmal: Keine Terrortat der Vergangenheit ist deshalb ungeschehen gewesen, weil die Gesetze nicht gestimmt haben, sondern die entscheidende Frage ist, sind unsere Sicherheitsbehörden personell und sachlich richtig ausgestattet, und da habe ich meine großen Zweifel. Dauernd neue Gesetze helfen uns nicht weiter. Aber grundsätzlich ist die Überwachung von Personen online, Wohnraum, Telefon, Telekommunikationsüberwachung erlaubt, aber es bedarf bestimmter Voraussetzungen, um diese Erlaubnis erteilen zu können.

Frage: Und das heißt, es muss sehr viel genauer hingeschaut werden und es muss im Zweifelsfall mehr richterliche Kontrolle eingeholt werden.

KUBICKI: Das ist doch in einem Rechtsstaat nahezu selbstverständlich, dass wir massive Grundrechtseingriffe nicht einfach so geschehen lassen, weil jemand glaubt, damit ein wirksames Mittel in der Hand zu haben, Terrorismus zu bekämpfen. Wir lassen auch Folter nicht zu, um das mal zu sagen, weil wir nicht glauben, dass das eine sinnvolle Maßnahme ist und weil das auch gegen unsere Verfassung, gegen die Menschenwürde verstoßen würde. Und dass das Bundesverfassungsgericht den Sicherheitsbehörden mitteilen muss, dass sie Daten nicht überliefern dürfen an Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen geschehen, die Menschenwürde sozusagen mit Füßen getreten wird, dass das überhaupt nötig ist, das ist schon ein starkes Stück.

Frage: Herr Kubicki, Sie stellen das jetzt alles so dar als eine sehr logische Entscheidung, an der eigentlich heute kein Weg vorbeigeführt hat. Aber es waren ja immerhin drei der acht beteiligten Richter gegen diese Entscheidung heute. Es war also ein denkbar knappes Votum in Karlsruhe. Gibt Ihnen das zu denken?

KUBICKI: Nein, weil von Gesetzes wegen eine Verfassungsgerichtsentscheidung, wenn sie getroffen worden ist, alle bindet. Dass man darüber natürlich diskutieren kann, das ist selbstverständlich. Das gibt es bei vielen Entscheidungen. Ich erinnere mich an die Frage der Veröffentlichung beispielsweise von Nebeneinkünften bei Abgeordneten. Da war es eine vier zu vier Entscheidung und trotzdem ist die Entscheidung wegen des Antrages zu respektieren, die das Verfassungsgericht eigentlich im Patt getroffen hat. Das ist in einem Rechtsstaat schlicht und ergreifend so. Aber die Tatsache, dass die Entscheidung so gefallen ist, war vorhersehbar. Einige der ablehnenden Richter haben nur bemängelt die, sagen wir mal, dezidierte Urteilsbegründung – die geht ja bis in Einzelheiten hinein – und haben erklärt, der Gesetzgeber habe einen viel größeren Gestaltungsspielraum, als ihm nach dieser Entscheidung jetzt noch möglich wäre. Aber vom Grundsatz her besteht Übereinstimmung, dass in die tiefe Privatsphäre, in die Intimsphäre von Menschen unter keinen denkbaren Gesichtspunkten eingedrungen werden darf, und besonders erfreulich ist, dass sie die Berufsgeheimnisträger mit einem besonderen Schutz ausgestattet haben. Wo soll man denn noch Vertrauensverhältnisse aufbauen und unterhalten können, wenn Berufsgeheimnisträger überwacht werden können, Gespräche mit diesen? Dann in der Tat haben wir Orwell. Das heißt, dann haben wir die totale Überwachungsmöglichkeit des Staates gegenüber Privatpersonen. Das ist in einer Demokratie wie in Deutschland schlicht und ergreifend von Verfassungswegen unzulässig.

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