03.04.2011FDP

KOCH-MEHRIN-Interview für die "B.Z."

Berlin. Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab der "B.Z." (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ULRIKE RUPPEL:

Frage: Was muss die FDP tun, um ihr Tief zu überwinden?
KOCH-MEHRIN: Wir haben schon vor den Wahlergebnissen gesagt, dass wir auf dem Bundesparteitag Mitte Mai inhaltliche und personelle Entscheidungen treffen werden. Es wird definitiv personelle Veränderungen geben.
Frage: Hat Außenminister Westerwelle Deutschland durch das Libyen-Veto isoliert?
KOCH-MEHRIN: Herr Westerwelle hat im Sicherheitsrat die Haltung der ganzen Regierung formuliert. Wie die Kanzlerin jetzt versucht, sich da rauszudrehen, finde ich unmöglich. Inzwischen hat die Bundesregierung mehrfach klar gemacht, dass sie hinter dem Votum des Sicherheitsrates steht. Das haben unsere europäischen Partner wahrgenommen. Deutschland steht nicht völlig isoliert.
Frage: Sie gehören zu einem Kreis liberaler Frauen, die die FDP mittels Quote weiblicher machen wollen. Wieso?
KOCH-MEHRIN: Sicher würden die Frauen ihren Weg irgendwann auch ohne Quoten machen. Aber es würde zu lange dauern und kostet zu viel Energie. In der Partei bin ich ganz dezidiert für eine Quote. Vor 30 Jahren hatte die FDP die meisten weiblichen Mitlieder, heute liegen wir mit gut 20 Prozent hinten.
Frage: Wie ist das anderswo?
KOCH-MEHRIN: Alle anderen Parteien haben eine Quote. Sie sind verpflichtet, Frauen aufzustellen, um Frauen zu werben. Für die Bundestagswahl 2013 peilen wir FDP-Frauen bei der Kandidatenaufstellung für die Fraktion eine Quote von 40 Prozent an. Überall, wo Wahlen anstehen, sollten wir versuchen, dieses Verhältnis zu erreichen.

Frage: Was halten Sie von Quoten in der Wirtschaft?
KOCH-MEHRIN: Im Mittelstand gar nichts. Da sind bereits 30 Prozent Frauen in Führungspositionen. Was die börsennotierten Unternehmen betrifft, ist die EU auf dem richtigen Weg. Wenn diese großen Unternehmen bis 2012 keine überzeugenden Vorschläge für 40 Prozent Frauen in Führungspositionen vorlegen, erarbeitet die EU ein Gesetz, das 2015 gelten kann. Ich vertraue darauf, dass die Wirtschaft dem mit Selbstverpflichtungen zuvorkommt.
Frage: Sind Frauen selbst schuld, dass sie es selten nach oben schaffen?
KOCH-MEHRIN: Dazu gehören immer mehrere. Es stimmt aber, dass sich Frauen bei Widerständen schneller sagen: "Karriere ist mir nicht so wichtig", während Karriere von einem Mann traditionell erwartet wird.
Frage: Welche Widerstände haben Sie erlebt?
KOCH-MEHRIN: Als Politiker wird man oft persönlich angegangen. Als Frau sowieso, weil Kritik stärker mit Kompetenzfragen und Äußerlichkeiten verbunden wird. Da hilft nur: Augen zu und durch.
Frage: Was erleben Sie als typisch männliche Verhaltensweisen?
KOCH-MEHRIN: Frauen erwarten oft, dass Männer Spannungen oder Probleme erahnen. Aber Männer spüren so etwas selten. Deshalb muss man die Dinge drastisch ansprechen - und zwar nicht im Sinne von "ich denke", sondern "es ist so und so". Männer brauchen Fakten. Und Rituale nach dem Motto: Wir sind eine Gemeinschaft, also machen wir zusammen Unsinn.
Frage: Unsinn?
KOCH-MEHRIN: Ja. Frauen finden es eher doof, wenn Männer zum Beispiel eine Carrera-Bahn aufbauen oder gemeinsam zum Fußball gehen. Aber so etwas ist für die Gemeinschaftsbildung nicht zu unterschätzen. Außerdem werden dabei auch wichtige Dinge besprochen.
Frage: Wie wichtig ist der Lebenspartner für die Karriere einer Frau und Mutter?
KOCH-MEHRIN: Absolut zentral. Mit "helfen" oder "Listen abarbeiten" ist es aber nicht getan. Mein Mann fühlt sich genau wie ich voll verantwortlich und weiß über alles Bescheid - von den Kleidungsgrößen über Arzttermine bis zu den Namen der Freundinnen meiner drei Töchter (7, 5, 3 Jahre alt). Für Alleinerziehende oder berufstätige Eltern sind belgische Verhältnisse ideal: Alle Schulen und Kitas sind ganztags.
Frage: Sie haben sich 2005 hochschwanger im nackten Bauch fotografieren lassen. Im Rückblick richtig?
KOCH-MEHRIN: Ja. Ich wurde damals angegriffen, weil ich gleich nach meiner Wahl ins EU-Parlament schwanger wurde. Die einen sagten: Jetzt macht sie sich einen Lenz auf Steuerzahlerkosten, die anderen fanden es unverantwortlich, in so einem Job ein zweites Kind zu bekommen. Ich wollte darauf reagieren. Auch weil andere Frauen so etwas ebenfalls erleben.
Frage: Welche Tipps geben Sie der jungen Mutter Andrea Nahles und der schwangeren Ministerin Kristina Schröder?
KOCH-MEHRIN: Ich würde mich freuen, wenn sie offensiv mit dem Thema umgehen und klar sagen: Ich gehe jetzt um 17 Uhr nach Hause, weil ich mein Kind noch wach sehen möchte. Kinder sind ein 24-Stunden-Job, der die gleiche Berechtigung hat wie der Beruf.
Frage: Sie machen das auch?
KOCH-MEHRIN: Ja. Aber wenn ich früher gehe, heißt es ja nicht, dass ich an diesem Tag nicht mehr arbeite. Vieles kann man zuhause effizienter erledigen. Große US-Firmen wissen das längst.

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