29.04.2009FDP

KOCH-MEHRIN-Interview für die "Ruhr-Nachrichten"

Brüssel/Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Spitzenkandidatin zur Europawahl, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab den "Ruhr-Nachrichten" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten BENJAMIN LEGRAND und CHRISTOPH KLEMP:

Frage: Die EU profilierte sich bei den Bürgern zuletzt mit Verbraucherschutz: die Senkung von Roaming-Gebühren für Handys oder transparenten Preisen bei Billig-Flügen. Sind Sie mit der Verbraucherpolitik der EU zufrieden?
KOCH-MEHRIN: Es ist sinnvoll für den Verbraucher, dass da gemeinsame Standards eingeführt werden. Auf der anderen Seite muss man aber auch kritisch anmerken, dass es unter der Überschrift Verbraucherpolitik sehr weitgehende Eingriffe gibt, die dann mehr politische Ideologie als Hilfe für den Verbraucher sind.

Frage: Zum Beispiel?
KOCH-MEHRIN: Zum Beispiel das Thema Salz im Brot. Ohne Frage wurde damit vorher viel Reibach gemacht, allerdings ist es aus unserer Sicht falsch, dass die Kommission den Verbrauchern vorschreiben will, wieviel Salz im Brot für sie gesund ist.

Frage: Die Finanzkrise wird noch weitreichende Folgen haben. Ihre Wähler werden auf den Wahlplakaten der SPD als "Geldhaie" tituliert.
KOCH-MEHRIN: Mir macht Sorge, dass das Unternehmertum an sich in Haftung genommen wird. Jetzt wird unter der Überschrift "Manager" einfach ein Vorurteil bedient. Die hart arbeitenden Menschen, gerade im Mittelstand, auch das sind Manager. Das sind unsere Wähler. Die Entwicklungen am Finanzmarkt bezeichnen wir als Staatsversagen. Ein Markt macht immer das gleiche: Über Angebot und Nachfrage bilden sich Preise. Dort muss der Staat aber die richtigen Rahmenbedingungen setzen: Kontrollmechanismen und Überwachung einführen.

Frage: Auch Sie stehen da also für mehr staatliche Regulierung?
KOCH-MEHRIN: Wir treten für eine andere staatliche Regulierung ein. Mehr ist nicht besser. Mehr heißt auch nicht, dass Krisen verhindert werden können. Denn es geht nicht darum, dass man was macht oder wie viele Kontrollmöglichkeiten da sind, sondern darum, dass es die richtigen sind. Wir müssen weg von nationalen, sehr unterschiedlichen Aufsichtsstrukturen, hin zu einer gemeinsamen europäischen Finanzaufsicht. Schließlich ist das Bankwesen längst international.
Frage: Als Antwort auf die Wirtschaftskrise gilt vielen Parteien eine gemeinsame europäische Sozialpolitik. Warum sagen Sie, dass die Sozialpolitik niemals vereinheitlicht werden sollte?
KOCH-MEHRIN: Die Situationen in den europäischen Ländern sind für eine einheitliche Sozialgesetzgebung viel zu unterschiedlich. Für mich ist wichtig, dass es einen gemeinsamen Binnenmarkt gibt: Daraus resultiert Wachstum und Wohlstand und daraus entsteht sozialer Ausgleich.
Frage: Laut Umfragen geht nur jeder dritte EU-Bürger zur Europawahl am 7. Juni. Woran liegt das?
KOCH-MEHRIN: Die Europäische Union befindet sich noch im Übergangsstadium hin zur Demokratie. Es gibt keine klare Trennung von Regierung und Opposition. Das ist ein großes Problem, wenn man nicht genau benennen kann, wer sind die Verantwortlichen in Europa. Das kritisiere ich.
Frage: Aber die Strukturen stehen jetzt nicht zur Wahl.
KOCH-MEHRIN: Das ist richtig, aber ich bin der Meinung, dass sich das Parlament laut beschweren muss und noch viel ehrgeiziger und lauter sagen, dass wir eine parlamentarische Demokratie für Europa wollen. Wenn nicht wir, wer soll es denn dann tun? Für die Regierungen und die Kommission ist es bequemer, so wie es jetzt ist. Es ist die Aufgabe der Parlamentarier für die Rechte des Parlaments und der Bürger einzutreten.
Frage: Sie sind bekannt für Ihre Attacken auf den EU-Apparat. Verstärkt das nicht noch die Europa-Skepsis der Bürger.
KOCH-MEHRIN: Was man in Europa immer wieder erlebt, ist, dass man vor eine moralische Wand gestellt wird und gesagt wird: Jede Kritik an einzelnen absurden Zuständen in der EU ist eine Kritik an der Europäischen Union insgesamt. Natürlich ist meine harte Kritik ein Stilbruch. Aber diejenigen, die Kritik an Europa nicht zulassen, schaden der EU mehr, als die, die ihren Mund aufmachen.

Frage: Ihre Kollegen kritisieren, dass Sie diese Kritik aber nicht im Parlament, sondern in Boulevard-Zeitungen äußern.
KOCH-MEHRIN: Das sagt wohl eher etwas über die Lesegewohnheiten der Kollegen aus.
Frage: Liegen die Ursachen für das mangelnde Interesse an Europa nur in Brüssel?

KOCH-MEHRIN: Nein, ich glaube, vielen ist hierzulande nicht bewusst, dass ganz Europa immer wartet, was Deutschland macht. Dass im September der Bundestag gewählt wird, weiß man überall in Europa. Bis dahin werden auch in Europa viele Entscheidungen auf die lange Bank geschoben, weil die Bundesministerien in gewissen Fragen sich nicht schnell genug einigen können. Die Bundesregierung muss Europa viel ernster nehmen, sich in die Entscheidungen in Brüssel mehr einbringen. Wenn wir als FDP in der neuen Bundesregierung beteiligt sein sollten, wird es einen Politikstil-Wechsel geben.
Frage: Würden Sie sich da mehr Führung von Kanzlerin Merkel wünschen?
KOCH-MEHRIN: Deutschland hat in Europa eine sehr verantwortungsvolle Rolle. Dieser wird sie leider nicht immer so gerecht, wie die europäischen Partner es sich von uns erhoffen.

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