27.01.2017FDPInnen

KUBICKI-Gastbeitrag: Der Rechtsstaat ist stärker, als uns de Maizière und Maas glauben machen wollten

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Nach dem islamistischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz war es schon reichlich befremdlich, dass der politische Betrieb in Berlin nur wenige Stunden brauchte, um zumeist breitbeinig intonierte, konkrete Antworten auf die terroristische Gefahr zu liefern.

Selbstverständlich: Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Augen nach einem solch erschütternden Ereignis zunächst einmal auf die Politik richten. Einem verantwortungsvollen Politikverständnis hätte es allerdings eher entsprochen, nicht aus der hohlen Hand gesetzliche Veränderungen anzukündigen, um dem politischen Druck nachzugeben, sondern vielmehr zuerst zu verstehen, wo eventuelle Fehler und Schwächen in unserer Sicherheitsarchitektur liegen könnten.

Denn es sollte eigentlich einleuchten: Wer nicht genau weiß, was verändert werden muss, kann auch nicht sicher sein, dass er das Richtige tut, wenn er etwas verändert.

War die Bundeskanzlerin noch recht zart in ihrer Ankündigung aus der Neujahrsansprache – man wolle „dort, wo politische oder gesetzliche Veränderungen nötig sind, schnellstens die notwendigen Maßnahmen in die Wege leiten und umsetzen“ – gingen ihre Minister des Inneren und der Justiz wenig später in die Vollen.

Nach genauer Durchsicht der vorgestellten Maßnahmen konnten wir aber rasch feststellen, dass die Pose der Standhaften offensichtlich wichtiger war als die sachgerechte Reflexion des Geschehenen. Wir werden früher oder später erfahren, ob sich die zur Schau gestellte grimmige Entschlossenheit der Minister am Ende als populistische Schaumschlägerei entpuppt.

Es sieht allerdings schon jetzt danach aus. Denn übrig bleibt nach diesem großartigen PR-Auftritt die gewichtige Frage: Was passiert eigentlich, wenn die angekündigte parlamentarische Aufklärung zum Fall Anis Amri zutage bringt, dass es kein Gesetzes-, sondern ein massives Vollzugsdefizit gegeben hat – also wenn unsere bestehenden Gesetze ausgereicht hätten, um Amri zu stoppen?

Werden die Minister de Maizière und Maas dann pflichtschuldig an die Öffentlichkeit gehen und sagen: „Tut uns leid, dass wir vollkommen kopflos und ohne sachliche Grundlage vorgeprescht sind; wir nehmen die Gesetzesverschärfungen umgehend wieder zurück“? Mit Sicherheit nicht.

Nach Auskunft des Deutschen Richterbundes hat im Falle Amri wahrscheinlich ein Handlungsdefizit der deutschen Behörden vorgelegen. Entsprechend heftig war die Reaktion des Richterbundes auf die intellektuell beleidigenden Äußerungen des nordrhein-westfälischen Problemministers Ralf Jäger, man sei „bis an die Grenzen des Rechtsstaates“ gegangen: Jäger hätte vielmehr alle Möglichkeiten gehabt, so die Richter, den Tunesier monatelang in Abschiebehaft nehmen zu können.

Amri hatte in großem Stil Sozialhilfebetrug begangen, in kurzer Zeit 14 verschiedene Identitäten kumuliert, war mal Ägypter, hieß mal Ahmed Almasri (diese falsche Identität wurde mit einem Dokument der Behörden in Kleve übrigens wider besseres Wissen offiziell bestätigt), hat gegen die Residenzpflicht verstoßen, war in Gewalttätigkeiten verwickelt, war als Drogendealer aktiv und so weiter.

Abgesehen von tatsächlichen Rechtsbrüchen wurden mehrfach Äußerungen Amris dokumentiert, wonach er Tötungen von Ungläubigen ausdrücklich guthieß oder gar ankündigte – wahlweise mit einem Schnellfeuergewehr oder mit einem Sprengstoffgürtel. Am 30. Mai 2016 wurde Amris Asylbescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als unbegründet abgelehnt. Ab diesem Zeitpunkt war sein Aufenthalt in Deutschland asylrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. 203 Tage verstrichen nun, bis er den Anschlag verübte.

Nein, so viel scheint schon heute sicher: Bis an die Grenzen des rechtsstaatlich Möglichen sind Jägers Behörden nicht gegangen. Wenn aber klar wird, dass die bestehenden Gesetze schon nicht ausgeschöpft wurden, was helfen dann neue und schärfere Gesetze? Hier wird vor allem von Union und SPD unter dem Eindruck einer großen öffentlichen Debatte eine Kulisse aufgebaut, die Konsequenz und Durchsetzungsfähigkeit darstellen soll, die aber bei dem nächsten behördlichen Versagen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen wird.

Die richtige Konsequenz ist jetzt: Wir brauchen eine saubere, objektive und vor allem rückhaltlose Aufarbeitung dieses Falles. Wir brauchen aber zweifellos auch mehr Personal bei unseren Sicherheitsbehörden, um den Rechtsrahmen, den wir heute schon haben, auch wirklich ausschöpfen zu können.

Gerade der Fall Amri hat es noch einmal bestätigt, dass Terroranschläge in Europa zuallermeist nicht von gänzlich Unbekannten durchgeführt werden. In fast allen Fällen, ob bei den Anschlägen in Brüssel, Paris oder Kopenhagen, waren die Attentäter vorher polizeilich bekannt. Wenn es uns nicht gelingt, die gut 500 Gefährder in der Bundesrepublik in Schach zu halten, weil das Personal fehlt, dann heißt die Lösung nicht, neue Gesetze zu beschließen. Dann brauchen wir mehr qualifiziertes Personal.

Der Rechtsstaat ist schon heute stärker, als es uns die Minister Thomas de Maizière und Heiko Maas mit ihrem Auftritt glauben machen wollten. Es ist Ausweis ihrer politischen Schwäche, dass sie dies getan haben.

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