08.07.2014FDPAußenpolitik

KUBICKI-Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI schrieb für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Es ist eine politische Binsenweisheit: Vieles, was die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren getan oder unterlassen haben, hat den 11. September 2001 als Referenzpunkt. So ist auch der aktuelle Fall der deutsch-amerikanischen Doppelspionage hierauf zurückzuführen. Die terroristische Erschütterung im eigenen Land und die darauf folgenden, recht vielfältigen „Anti-Terror-Aktionen“ (inklusive Kanzlerinnenhandybespitzelung) gipfeln derzeit in einer bemerkenswerten Kommunikationsstrategie, die einerseits von Bedauern, andererseits von Rechtfertigungen geprägt ist.

So hat die gegenwärtig zwar politisch arbeitslose, nichtsdestotrotz machtpolitisch durchaus ambitionierte Hillary Rodham Clinton auf ihrem Deutschlandbesuch ein Paradebeispiel für die derzeitige US-amerikanische Geisteshaltung gegeben. Zum einen tue es ihr schon leid, so sagte sie in einem Interview, dass das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin Ziel des konkreten NSA-Interesses gewesen ist. Zum anderen sei aber keine generelle Aussage darüber möglich, ob gegenüber Deutschland der Einsatz von Doppelagenten eine unangemessene Vorgehensweise sei – um sogleich die rhetorische Frage nachzuschieben: „Was machen wir, wenn ein Fall eintritt, wo doch vorstellbar ist, dass so etwas in unserem oder Ihrem Interesse ist?“ – Ja, was eigentlich?

In einer Beziehung zwischen zwei Freunden würde man nach dem Bekanntwerden eines Vertrauensbruches – des ersten! – wahrscheinlich die Demutsgeste des Einen erwarten. Während zwischen zwei Menschen die logische Konsequenz der Wiederholungstat der möglichst rückstandsfreie Abbruch des Verhältnisses wäre, verhält es sich zwischen den beiden staatlichen „Kontrahenten“ etwas differenzierter. Da also der rückstandsfreie Abbruch der Beziehungen keine Alternative wäre, hätte eine gewisse Demut Washingtons Sinn und wäre gleichermaßen angemessen wie wünschenswert. Sonderlich wahrscheinlich ist sie allerdings nicht.

Zumindest eine terminologische Verschärfung konnten wir aufseiten der Bundesregierung feststellen. Merkels „Das geht gar nicht“ wurde so zum Seibert’schen „ernsthaften Vorgang“. Klar ist allen Beteiligten mittlerweile, dass im Gegensatz zur Handyspionage jetzt Konsequenzen gefordert werden (müssen). Die Frage ist nur: Welche?

Zunächst gilt es, nicht missverstanden zu werden: Allzu leicht unterliegen viele der Versuchung, diesen Fall zum billigen Anlass zu nehmen, in einen bald subtilen bald tumben Antiamerikanismus zu verfallen. (Die SPD-Generalsekretärin sprach ja nun düster von „Hintermännern“ in der US-Botschaft, die „belangt“ werden müssten.) Davor warne ich ausdrücklich. Gleichwohl müssen wir ebenso festhalten, dass es sich Washington seit „9/11“ mehr und mehr in einem national-sicherheitsbasierten Egoismus bequem gemacht hat. Im Zuge dieser selbstbezogener werdenden inneren Emigration haben die Bush- und Obama-Administrationen das Verhältnis zu den eigenen wichtigsten Verbündeten schwer beschädigt. Das Durchsetzen der Interessen der Vereinigten Staaten wurde nahezu grenzenlos und die für funktionierende Beziehungen zwischen gleichberechtigten Partnern notwendige Balance sträflich vernachlässigt. Das Verständnis, auch die Interessen der anderen Seite angemessen zu berücksichtigen, verkümmerte beim überseeischen Partner merklich.

Wenngleich das Szenario eines drohenden „Kalten Krieges“ zwischen Berlin und Washington nicht das realistischste ist, so ist es auch nicht rundweg von der Hand zu weisen. Washington hat mit seinem Agieren in der gesamten NSA-Affäre bewiesen, dass die Befindlichkeiten des „guten Freundes“ vernachlässigenswert sind. Die Bundesregierung sieht sich ihrerseits im Dilemma, einerseits nicht an der Nase herum geführt werden zu wollen. Andererseits meint sie, dass die transatlantische Harmonie – aus historischen, aber vor allem aus wirtschaftlichen Gründen – nicht zu sehr eingetrübt werden darf.

Gleichwohl ist es mit Protestnoten sicher nicht getan. Es bedarf deshalb aus meiner Sicht einer massiven Antwort, die für Washington schmerzhaft sein muss, aber – natürlich – im Ergebnis auch nicht schmerzfrei für die Bundesrepublik bleiben wird. Mit anderen Worten: Auch wir müssen einen Preis dafür bezahlen, wenn andere sich nicht an die Regeln halten und wir dies nicht hinnehmen wollen. Unser Preis sollte jedoch logischerweise niedriger sein.

Über die vom Bundesinnenminister in den Raum geworfene „360-Grad“-Gegenspionage durch deutsche Geheimdienste wird man im NSA-Hauptquartier sicher nur müde lächeln. Weit effektiver ist dagegen das Aussetzen der Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen. Es wäre im Lichte des massiven Flurschadens sinnvoll und angemessen, den Fortgang der Gespräche über TTIP mit einem Junktim zu versehen: Solange zwischen Washington und den Staaten der Europäischen Union keine Einigung auf ein No-Spy-Abkommen erfolgt ist, bleibt TTIP auf Eis. Auf eine Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit einem Partner, der uns misstraut, sollten wir im Sinne unserer Selbstachtung verzichten können.

Neben diesem wirtschaftspolitischen Aspekt muss ein symbolischer Punkt gesetzt werden: Die Amerikaner haben mit ihrem geheimdienstlichen Vorgehen jeden Grund verspielt, warum wir bei der Aufklärung der NSA-Affäre Rücksicht auf ihre Belange nehmen müssten. Weiteres Porzellan kann hier also nicht mehr zerschlagen werden. Deshalb müssen wir unseren Weg gehen, die Verästelungen dieser Affäre so gut wie möglich aufzuklären. Hierzu ist unerlässlich, dass alle Erkenntnisse, die wir zur Aufklärung benötigen, auf dem Tisch liegen. Eine Vernehmung von Edward Snowden ist vor diesem Hintergrund dringlich und unumgänglich. Auch deshalb, weil wir dann im europäischen Rahmen mittels technischer Aufrüstung zu entsprechenden Spionage-Abwehrmaßnahmen übergehen können.

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