15.07.2017FDPAußenpolitik

LAMBSDORFF-Interview: Nicht direkt vergleichbar mit Incirlik

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Christine Heuer:

Frage: Wie sollte Deutschland aus Ihrer Sicht auf das Besuchsverbot für Konya reagieren, Graf Lambsdorff?

Lambsdorff: Mit kühlem Kopf und in der klaren Erkenntnis, dass es sich eben hier nicht um eine rein bilaterale deutsch-türkische Angelegenheit handelt, sondern der Abzug der Soldaten aus Konya wäre eben nicht ein Abzug aus der Türkei, sondern ein Abzug aus der NATO. Insofern ist hier das ganze Bündnis betroffen und ich glaube, es ist richtig, zunächst einmal das Gespräch zu suchen mit dem NATO-Generalsekretär und ihn zu bitten, dafür zu sorgen, dass diese Situation wieder zum Besseren gewendet wird.

Frage: Das heißt, die SPD agiert jetzt aus Ihrer Sicht jedenfalls deutlich zu schnell und ist viel zu undiplomatisch?

Lambsdorff: Also, ich glaube, dass, wenn Leute wie Frauke Petry oder die Vertreter der Linkspartei jetzt sofort nach einem Abzug schreien, dann sollte einem das schon mal zu denken geben. Ich glaube, dass einige besonnene Stimmen aus dem außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages und andere von Union und SPD genau richtig argumentiert haben, so argumentiert auch die FDP: Es hat keinen Sinn, sich von Erdogan ständig treiben zu lassen. Wenn es keine Lösung gibt am langen Ende, dann wird man Konsequenzen ziehen müssen, das ist gar keine Frage. Aber jetzt überstürzt aus einer entweder antitürkischen oder Anti-Nato-Haltung heraus, wie sie eben AfD und Linkspartei kennzeichnen, einen Abzug übers Knie zu brechen, das wäre ganz falsch.

Frage: Nun gibt es für Konya aber ja ein Vorbild, nämlich Incirlik. Und wir haben diesen ganzen Streit schon einmal durchexerziert mit der Türkei und da sah Deutschland eben lange, lange Wochen sehr, sehr – oder Monate sogar – schwach aus und am Ende haben wir dann unsere Soldaten doch abgezogen. Also, wir haben ja schon unsere Erfahrungen mit Ankara gemacht.

Lambsdorff: Ja, Frau Heuer, zwei Dinge dazu: Das eine ist, bei Incirlik hätte man viel schneller entscheiden können, es handelte sich um einen rein deutschen Einsatz. Zwar im Rahmen einer Operation mit Partnern, aber es war eine deutsche Entscheidung, von der die NATO-Partner nicht negativ betroffen gewesen wären. Das heißt, hier hat die Bundesregierung zu lange gezögert und herumgeeiert. Das ist das eine. Das Zweite haben wir ja gerade von Falk Steiner gehört, hier handelt es sich eben nicht um einen direkt vergleichbaren Fall, weil hier zehn bis 15 deutsche Soldaten – um mehr geht es gar nicht – als Teil von integrierten NATO-Besatzungen in den AWACS-Flugzeugen eingesetzt sind. Und das heißt, wenn man diese deutschen Soldaten abzöge, dann wäre das, wie gesagt, der Abzug aus der NATO. Die AWACS-Flugzeuge könnten jedenfalls von Konya aus dann nicht mehr operieren.

Frage: Kann die NATO das im Hintergrund lösen? Weil das ja offensichtlich ist, dass Präsident Erdogan auf Eskalation setzt!

Lambsdorff: Nun, das müssen wir hoffen. Ich meine, Diplomatie spielt sich nicht auf dem Marktplatz ab, Diplomatie macht man nicht mit dem Megaphon, sondern in der Tat in Gesprächen. Das können auch harte Gespräche sein, aber ohne Gesichtsverlust für die beteiligten Parteien. Ich ärgere mich auch über dieses Besuchsverbot, dass wir da uns nicht falsch verstehen! Aber Ärger ist eben kein guter Ratgeber, sondern es muss Ruhe und Besonnenheit hier walten. Am Ende des Tages geht es hier um eine Mission gegen eine der schlimmsten Bedrohungen für die westliche Zivilisation insgesamt, nämlich den IS. Und deswegen sind da überstürzte Reaktionen genau das Falsche.

Frage: Ja, nur, Graf Lambsdorff, wie soll denn die Lösung aussehen? Also, man hat ja Erfahrungen gemacht, wie gesagt, mit Präsident Erdogan, der gibt nicht so leicht nach. Sie sagen andererseits, es ist überhaupt kein möglicher Weg, die deutschen Soldaten aus Konya abzuziehen, da hat Jens Stoltenberg von der NATO eine ziemlich schwierige Aufgabe vor sich. Wie soll er die denn lösen?

Lambsdorff: Na ja, es gibt zwei Möglichkeiten, Frau Heuer. Die eine Möglichkeit besteht darin, dass, wenn es tatsächlich keine Einigung gibt, die deutschen Soldaten abgezogen würden. Aber das ist eine Sache, die wir sicher nicht übers Knie brechen sollten. Das Zweite ist aber, dass man, während man miteinander redet, der NATO auch die Gelegenheit gibt, Operationen gegen den IS von einer anderen Luftwaffenbasis zu planen, zu konzipieren, ohne den laufenden Einsatz von Konya aus zu unterbrechen. Also, ich glaube, dass hier die Zeit ein entscheidender Faktor ist, die NATO ein entscheidender Faktor ist und wir für die NATO auch die Zeit bereitstellen müssen, dafür zu sorgen, dass diese Anti-IS-Operation ununterbrochen weitergehen kann. Denn das muss sie, es ist eine der wichtigsten sicherheitspolitischen Operationen, die wir zurzeit haben.

Frage: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, die NATO soll aus Ihrer Sicht den Plan so öffentlich anlegen oder vorbereiten, dass die Türkei einlenkt?

Lambsdorff: Ob sie das öffentlich tut oder nicht, sei dahingestellt. Aber auf jeden Fall sollte der Türkei deutlich gemacht werden, dass, wenn es gar nicht anders geht, die NATO auch von einer anderen Forward Operating Base diese Flüge durchführen kann. Ich würde das sehr bedauern, es würde die Mission schwieriger machen, die Flugzeiten würden sich verlängern, die Einsatzzeiten der Flugzeuge würden sich entsprechend verkürzen. Es wäre also mit anderen Worten ein Schaden für die Mission, deswegen hoffe ich, dass es noch gelingen kann, dass ein Besuch möglich wird für die deutschen Bundestagsabgeordneten.

Frage: Graf Lambsdorff, es wäre aber auch ein Schaden für die NATO, wenn der Konflikt, den wir jetzt zwischen Ankara und Berlin erleben, wenn der in dieser Vehemenz dann nämlich herangetragen würde in das Verteidigungsbündnis!

Lambsdorff: Genauso ist es, und deswegen ist es eben nicht direkt vergleichbar mit Incirlik. Das ist auch ein Vorgang, der das Verhältnis der Türkei zur NATO und zu allen anderen Bündnispartnern berührt. Denn vergessen wir nicht, es sind ja nicht nur deutsche Soldaten auf den AWACS-Flugzeugen, sondern Soldaten aus zahlreichen anderen Ländern, die von dieser Entscheidung indirekt auch betroffen wären und bei einem Abzug auch direkt betroffen wären. Also, insofern haben Sie völlig recht, das ist eine völlig andere Dimension jetzt.

Frage: Ja, aber wie kann man das verhindern, dass dieser Streit eskaliert? Die Türkei ist ja nun sehr wichtig für die NATO. Droht nicht am Ende einer Entwicklung, wenn das alles nicht so gut läuft, wie Sie sich das gerade erhoffen mit uns allen zusammen, droht da nicht, dass die Türkei möglicherweise, dass die NATO auf irgendeinem Weg die Türkei verlieren kann?

Lambsdorff: Es gibt Spannungen im Verhältnis der NATO zur Türkei, das ist gar keine Frage, es sind zahlreiche englischsprachige Offiziere aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel abgezogen worden und durch Offiziere ersetzt worden, deren Englisch NATO-Standards nicht entspricht, das ist ein Problem, die NATO blockiert die Teilnahme Österreichs am PfP-Programm, also Partnership for Peace, wir haben jetzt einen dritten Vorgang, bei dem die Türkei die Beziehungen zur NATO erneut belastet. Insgesamt ist es eine sehr schwierige Situation. Aber ich will es noch einmal sagen: Wir müssen hier vor dieser Herausforderung durch den IS wirklich uns davor hüten, irgendwelche Entscheidungen übers Knie zu brechen. Sondern worum es geht, ist, der Türkei einen Weg einzuräumen, wieder zu, ich sage mal, runterzuklettern von der Palme, auf die sie sich da begeben hat. Denn am Tages, die Sicherheitsgarantie der NATO ist auch für die Türkei in ihrem eigenen nationalen Interesse.

Frage: Kurz möchte ich mit Ihnen, Graf Lambsdorff, noch sprechen über den Jahrestag des Putschversuchs. Da fordert die FDP, der Türkei jetzt sofort den Geldhahn zuzudrehen. Warum genau?

Lambsdorff: Weil wir der Meinung sind, dass es an der Zeit ist, den Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union zu beenden und ihn zu ersetzen durch einen Grundlagenvertrag. Ich glaube, es gibt niemanden mehr in Brüssel, Berlin oder Ankara, der noch an diesen Beitritt glaubt. Und dann sind natürlich Vorbeitrittshilfen sinnwidrig, denn einen Beitritt, den es nicht gibt, muss man auch nicht finanzieren. Man kann die Türkei unterstützen, man sollte sie auch unterstützen bei der Bewältigung der Kosten, die in der Folge der Flüchtlingskrise entstanden sind, wir müssen und sollten auch mit der Türkei weiter zusammenarbeiten auf anderen Politikfeldern, der Energiepolitik, der Wirtschaftspolitik, der Vertiefung der Zollunion. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die man gemeinsam tun kann, aber Beitrittshilfen zu zahlen für einen Beitritt, den es nicht gibt, das ist widersinnig.

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