LINDNER-Interview für das "Handelsblatt"
Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab dem "Handelsblatt" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten THOMAS SIGMUND und DIETRICH CREUTZBURG:
Frage: Ist die Politik in der Euro-Krise eigentlich noch Herr der Lage?
LINDNER: Die Lage ist kompliziert und ernst, aber die Regierungen haben den Schlüssel zur Bewältigung der Situation in der Hand. Die Politik sollte nicht jeden Marktausschlag kommentieren, sondern unbeeindruckt die jüngsten Beschlüsse der Regierungen der Euro-Zone umsetzen. Die Märkte riechen doch Angst und reagieren durch Spekulation.
Frage: In der FDP wird der Ruf nach einer Sondersitzung des Bundestags laut. In der CDU gibt es die Forderung nach einem Sonderparteitag. Ist das Ruhe bewahren?
LINDNER: Blinder Aktionismus wäre ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Das Vertrauen an den Märkten wächst nicht durch weitere Sitzungen und Parteitage, sondern nur durch richtiges Handeln.
Frage: Wie bewerten Sie das politische Krisenmanagement der letzten Tage zwischen Ferienquartieren und Telefonkonferenzen?
LINDNER: Zur Koordination ist ein intensiver Austausch ja wichtig. Leider waren einige Äußerungen nicht geeignet, Vertrauen an den Märkten zu schaffen. Die waren eher Kategorie Hühnerhaufen.
Frage: Wen meinen Sie?
LINDNER: Es hat nicht nur die Märkte verunsichert, dass Kommissionspräsident Barroso zwei Wochen nach einem Sondergipfel dessen Ergebnisse quasi amtlich in Zweifel zieht. Er sollte sich darauf konzentrieren, den beschlossenen Stabilitätspakt zu konkretisieren. Und die Regierungserklärung von Herrn Berlusconi zur Haushaltspolitik war nicht eben eine Empfehlung, in seine Staatspapiere zu investieren. Die war eher gespenstisch als beruhigend. Dabei hätte Italien prinzipiell die Kraft, durch eine entschlossene Reduzierung des Defizits selbst seine Probleme in den Griff zu bekommen.
Frage: Wo ist der vielbeschworene Primat der Politik?
LINDNER: Die Politik bestimmt die Regeln des Spiels, die Marktordnung. Man kann aber niemanden zwingen, Staatsanleihen zu kaufen. Wer von einer Investition nicht überzeugt ist, kauft woanders oder fordert höhere Zinsen. Die Staaten haben sich selbst vom Finanzmarkt abhängig gemacht, weil sie mangelhafte Wettbewerbsfähigkeit und überdehnte Wohlfahrtspolitik durch Schulden ausgleichen wollten.
Frage: Was kann die Bundesregierung tun, um verlorenes Vertrauen wieder herzustellen?
LINDNER: Deutschland muss weiter am Abbau der Neuverschuldung arbeiten. Griechenland braucht Hilfe dabei, auf dem Weltmarkt wieder erfolgreich zu werden. Die Forderung von SPD, Grünen und Linken nach Euro-Bonds würde dagegen die Krise verschärfen. Die Vergemeinschaftung der Schulden würde Deutschlands Kredite um Milliarden jährlich verteuern und anderen Euro-Ländern zugleich den Anreiz für Reformen nehmen.
Frage: Während Sie das sagen, kauft die Europäische Zentralbank gerade italienische und spanische Staatsanleihen auf. Wie war das noch mit der Verantwortung der Schuldenländer?
LINDNER: Die EZB fällt in eine Politik zurück, die ich nicht für empfehlenswert halte. Die Notenbank darf nicht Partei werden. Ich halte die von der Bundesbank dem Vernehmen nach geäußerte Kritik daher für berechtigt.
Frage: Was kann die Bundesregierung dagegen tun?
LINDNER: Die EZB ist unabhängig in ihren Entscheidungen.
Frage: Soll man den Rettungsfonds EFSF aufstocken?
LINDNER: Der steht gegenwärtig nicht zur Debatte, weil ja die alten Beschlüsse noch nicht einmal wirksam sind. Jetzt müssen die überschuldeten Staaten die strukturellen Krisenursachen lösen.
Frage: Wie sieht diese Lösung konkret aus ?
LINDNER: Eine vertrauenswürdige und tragfähige Haushaltspolitik braucht verbindliche Grenzen für die Staatsverschuldung. Für eine stabile Währung und eine Ende der Krisen-Feuerwehr sollten alle Euro-Staaten eine Schuldenbremse in ihre Verfassung aufnehmen. Das beschleunigt die Konsolidierung.
Frage: Ist eine Konsolidierung verantwortbar, wenn etwa in den USA eine Rezession droht?
LINDNER: Ja, denn die Märkte beurteilen sofort die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Konsolidierungsprogramms. Wir haben doch alle das Gefühl, dass zum Beispiel in den USA die parteipolitischen Probleme größer als die strukturellen sind. Der Vorschlag von Präsident Obama für eine Kombination aus Einsparungen und der Rücknahme bestimmter Steuerprivilegien erschien mir jedenfalls plausibel.
Frage: Und Deutschland senkt die Steuern auf Pump?
LINDNER: Eine gezielte Entlastung ist eine Investition in die Binnenkonjunktur. Da kann man aus der Vergangenheit lernen. Die Reform der Einkommensteuer von Gerhard Schröder hat die Wirtschaft so belebt, dass es nach kurzer Zeit zu Mehreinnahmen kam. Seitdem leidet die Mittelschicht aber unter neuen Belastungen wie der von der Großen Koalition erhöhten Mehrwertsteuer und der wie eine Steuererhöhung wirkenden kalten Progression. Das würgt die Nachfrage im Inland ab.
Frage: Das gilt auch, wenn alle anderen Länder sparen sollen?
LINDNER: Die einmalig niedrigen Zinsen für Deutschland zeigen ja, dass die Märkte unserem Weg vertrauen. Wir reduzieren das Haushaltsdefizit deutlich schneller, als von der Großen Koalition geplant. Für die FDP haben die Entschuldung des Staates und die Stabilität der Währung oberste Priorität. Maßvolle Entlastungen sichern aber das Wachstum und damit die Staatseinnahmen. Man darf eben die Kuh nicht schlachten, die man noch melken will.