LINDNER-Interview für die "Berliner Zeitung"
Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab der "Berliner Zeitung" (Sonnabend- Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten STEPHAN HEBEL, DR. CHRISTIAN SCHLÜTER UND ANDREAS SCHWARZKOPF.
Frage: In dieser Woche ist es bei der Euro-Abstimmung für die Regierung noch einmal gut gegangen. Wann erleben wir das gleiche Schauspiel wieder, vielleicht mit anderem Ausgang? Doch wohl spätestens im Frühjahr bei der Verabschiedung des dauerhaften Rettungsschirms ESM.
LINDNER: Für Europa war das eine gute Abstimmung. Es ist klar, dass im Vorfeld intensiv diskutiert wurde. Wer hebt bei solchen Summen leichtfertig die Hand? Mit der Kanzlermehrheit hat die Koalition dann aber ihre Handlungsstärke bewiesen. Die FDP war innerhalb der Koalition die geschlossenste Formation. Die Rede des Kanzler-Kandidaten-Kandidaten Steinbrück wirkte dagegen recht dünn, weil er ja keine Vorschläge in der Sache unterbreiten konnte.
Frage: Zwischendurch versuchen es die Euro-Skeptiker in der FDP mit einer
Mitgliederbefragung. Was unternehmen Sie, wenn die Parteimitglieder die Abgeordneten beauftragen, den Rettungsschirm im Bundestag abzulehnen? Und wie verträgt sich das mit der Gewissensfreiheit des Abgeordneten auch gegenüber seiner eigenen Partei?
LINDNER: Wer den Mitgliederentscheid unterstützt, ist nicht sofort Euro-Skeptiker. Da will ich unsere Leute in Schutz nehmen. Ich nehme eher viel Besorgnis wahr, aber keine überzeugende Alternative. Ich habe in den vergangenen drei Wochen viele hundert Parteimitglieder getroffen. Die wollen keine Transferunion, aber auch keine Kernschmelze im Euro-Raum oder eine Isolation Deutschlands. Für unser Ziel, eine Wirtschaftsverfassung mit klaren Regeln und Sanktionen in Europa zu erreichen, gab es dagegen immer viel Applaus. Insofern würde ich im Mitgliederentscheid, wenn er denn kommt, am Ende sogar eine Chance sehen. Wenn das Volk nicht über den Weg Europas abstimmen kann, dann wenigstens die Parteibasis. Und für die Klugheit unserer Leute lege ich die Hand ins Feuer.
Frage: Würde das den Bruch für die schwarz-gelbe Koalition bedeuten?
LINDNER: Wie gesagt, dazu wird es nicht kommen. Wir werden nicht zulassen, dass mit Rot-Grün wieder diejenigen Macht bekommen, die Europa durch den Bruch des Stabilitätspakts in diese Schuldenkrise manövriert haben.
Frage: Erwarten Sie vor dem Frühjahr ein weiteres Paket oder Ausweitungen des vorhandenen? Und wie würde sich die FDP dazu verhalten?
LINDNER: Der Bundesfinanzminister hat in unserer Fraktion klargestellt, dass der von Deutschland übernommene Garantierahmen von 211 Milliarden Euro nicht ausgedehnt wird. Auf sein Wort verlassen wir uns.
Frage: Herr Lindner, Sie haben einmal gesagt: "Das Regierungshandeln ist die Wandfarbe, das Grundsatzprogramm die Grundierung." So wie die Regierung bröckelt, müsste ja viel Programm zu erkennen sein. Helfen Sie uns bitte mit einigen wenigen Stichworten, von denen Sie sagen würden: Deshalb braucht Deutschland die FDP.
LINDNER: Liberal zu sein heißt, politische Fragen mit einem bestimmten Stil zu beantworten. Eine Art politische Relativitätstheorie. Andere rechtfertigen mit dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit, Klimaschutz, Jugendschutz, polizeilicher Sicherheit ja nahezu jeden Eingriff in die private Entscheidungsfreiheit. Für Liberale heiligen die Zwecke dagegen nicht alle Mittel. Zum Zweiten braucht es eine politische Kraft, die den einzelnen Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit bestimmt und nicht den Staat oder die Tradition oder soziale Klassen oder die Umwelt oder irgendeine Interessengruppe. Beides zusammen, Wissen um Grenzen der Machbarkeit und Orientierung am Individuum, begründen eine Art liberale Methode.