24.11.2013FDPArbeitsmarkt

LINDNER-Interview für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten RALPH BOLLMANN und RAINER HANK:

Frage: Herr Lindner, als Apo-Opa Christian Ströbele bei Edward Snowden saß, haben Sie da gedacht: So eine spektakuläre Aktion hätte von der FDP kommen müssen?

LINDNER: Offensichtlich hat Herr Ströbele bessere Verbindungen in den Kreml, als es einem Liberalen möglich wäre.

Frage: Als Waffe für die FDP außerhalb des Parlaments empfehlen Ihnen Parteifreunde Machete statt Florett, Stammtisch statt Feuilleton. Sind Sie gerüstet?

LINDNER: Ich empfehle Substanz statt Effekte. Im Bundestag gibt es nur noch eine linksgrüne Opposition. Wenn die große Koalition mehr Staat beschließt, wird sie noch mehr Staat fordern. Die eigentliche Opposition ist also die marktwirtschaftliche FDP außerhalb des Parlaments. Deshalb brauchen wir Klarheit, aber auch Seriosität im Auftreten.

Frage: Seriosität heißt: Sie bleiben beim „Säusel-Liberalismus“?

LINDNER: Im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf haben wir gesagt: Lieber riskieren wir Neuwahlen, als dass wir einem Haushalt mit neuen Schulden zustimmen. Das zeigt, wie ich die FDP verstehe: als eine konsequent liberale Partei, die den Konflikt in der Sache nicht scheut – etwa, wenn es gegen Gefälligkeitspolitik auf Pump geht.

Frage: Was ist dann bei der Wahl vor zwei Monaten schiefgegangen?

LINDNER: Bis zu dreißig Prozent der Deutschen sagen im Umfragen: Es braucht eine liberale Partei. In der FDP haben sie diese Partei offenbar nicht erkannt. Deshalb müssen wir unser Profil in seiner ganzen Bandbreite schärfen, von ordoliberaler Wirtschaftspolitik über die Verteidigung der Privatsphäre bis zu fairen Chancen in der Bildung.

Frage: Vor vier Monaten haben Sie erklärt, Ihre Rückkehr in die Bundespolitik sei ausgeschlossen. Nun lassen Sie sich zum FDP-Vorsitzenden wählen.

LINDNER: Noch vor vier Monaten dachte ich, das Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag sei definitiv ausgeschlossen. Nun gilt: „Alle Mann an Deck.“

Frage: Nicht nur in dieser Frage fällt es uns schwer zu erkennen, woran wir bei Christian Lindner sind.

LINDNER: 8,6 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens haben die Positionen jedenfalls unterstützt, die ich als Spitzenkandidat vertreten habe.

Frage: Womöglich hatten Sie Erfolg, weil Sie Ihre Positionen mit schönen Worten in der Schwebe halten?

LINDNER: Warum sprechen wir nicht über konkrete Sachfragen? Dann können Sie sich ein Bild machen.

Frage: Dann sagen Sie uns bitte: Wessen Partei soll Ihre neue FDP sein?

LINDNER: Wir wenden uns an die liberal denkenden Menschen, die unser Lebensgefühl teilen. Die nach Unabhängigkeit streben und Autor ihrer eigenen Biographie sein wollen. Die Verantwortung übernehmen, Toleranz leben und Freude an den Ergebnissen ihrer Schaffenskraft haben – egal, aus welcher Einkommens- oder Berufsgruppe. Dieses Milieu lebt. Sonst würden SPD oder Grüne nicht ständig behaupten, sie wollten auf einmal zur Partei der Freiheit werden.

Frage: Womöglich bedauert Angela Merkel jetzt, dass sie mit der SPD koalieren muss. Gehen wir doch mal durch, wie ein Koalitionsgespräch mit der FDP verlaufen würde: Was wäre mit dem Mindestlohn?

LINDNER: Der käme so nicht. Ich betrachte das aus der Perspektive des 24-Jährigen aus Ostdeutschland, der nach drei abgebrochenen Berufsausbildungen einen Aushilfsjob als Einstieg in den Arbeitsmarkt gefunden hat – für vielleicht 7 Euro pro Stunde. Wenn seine Chance durch einen starren Mindestlohn zerstört würde, dann wäre das unsozial.

Frage: Mit der Lohnuntergrenze der FDP wäre es nicht sozialer.

LINDNER: Doch. Nach unserem Modell entscheiden die Tarifpartner vor Ort – also diejenigen, die ein Interesse am Erhalt der Arbeitsplätze haben.

Frage: Zweiter Streitpunkt: Wie halten Sie es mit der Energiewende?

LINDNER: Das war die Chance, uns durch eine rationale und marktwirtschaftliche Energiepolitik gegen alle Mitbewerber zu profilieren. Es ist unverzeihlich, dass wir sie nicht genutzt haben. Die Subventionsmaschine EEG und das Tempo sind aberwitzig. Dadurch haben wir die größte Umverteilung von unten nach oben: Rentner und Bafög-Empfänger finanzieren die Solarstromproduzenten. Das muss radikal geändert werden. Das Tempo muss an das physikalisch Mögliche angepasst werden. Wettbewerb muss Subventionen ersetzen. Und statt deutscher Sonderwege brauchen wir europäisches Denken.

Frage: Thema Rente: Gibt es ein Problem mit armen Rentnern und mit Müttern, die bei Erziehungszeiten ungerecht behandelt wurden?

LINDNER: Momentan verbieten sich neue Ausgaben. Bei allem Verständnis für die Debatte ist das größte Problem der demographische Wandel, der sich spätestens zu Beginn des nächsten Jahrzehnts bemerkbar macht. Unsere Sozialsysteme sind noch nicht demographiefest.

Frage: Nächster Punkt: Infrastruktur. Da würden Sie auch Geld in die Hand nehmen?

LINDNER: In Nordrhein-Westfalen hat die rot-grüne Landesregierung zum Beispiel beschlossen, dass sie hundert Kilometer neue Radwege bauen will, die vier Meter breit sind und nachts beleuchtet werden. Dieses Geld wäre besser angelegt, um marode Brücken und Schlaglöcher instand zu setzen.

Frage: Weiter geht’s: Was sagen Sie zur Frauenquote in Aufsichtsräten?

LINDNER: Als ob das größte Problem von Frauen ihre Präsenz in Aufsichtsräten wäre! Ich wundere mich, wie die Union als bürgerliche Partei über Privateigentum und Vertragsfreiheit hinweggeht. Die vielen hochqualifizierten Frauen, die heute ihre Laufbahn beginnen, brauchen familienfreundliche Rahmenbedingungen, um an die Spitze zu finden, aber keine Quote.

Frage: Kommen wir zur Europapolitik: Da war bislang nicht viel Eigenständiges von Ihnen zu hören.

LINDNER: Ich habe die stabilitätsorientierte Krisenstrategie unterstützt: Hilfen gegen Reformen. Das Ziel war stets, die finanzielle Eigenverantwortung der Euro-Staaten wiederherzustellen. Ich bin in Sorge, ob dieser Weg fortgesetzt wird. Der Finanzminister hat gerade in Brüssel zugestimmt, dass künftig einzelne Banken aus dem Rettungsfonds ESM finanziert werden können. Auch im Zuge der Bankenunion könnten deutsche Sparer für südeuropäische Banken haften. Das wäre durch die Hintertür eine Transferunion – die will die FDP nicht.

Frage: Täuscht der Eindruck, dass Ihre Tonlage mit Blick auf die anstehenden Europawahlen zunehmend euroskeptischer wird?

LINDNER: Ja, er täuscht. Ich halte Europa für eine große Chance. In Sachen Datenschutz, Energie und Finanzmarktordnung wünsche ich mir mehr europäische Initiativen. Damit Europa Zukunft hat, muss es aber marktwirtschaftlicher, bürgernäher und demokratischer werden.

Frage: Diese kritischen Töne sind eine Reaktion auf den Wahlerfolg der AfD, oder?

LINDNER: Ich habe eine realistische Haltung zu Europa, keine kritische. Diese sogenannte Alternative für Deutschland ist dagegen eine rückwärtsgewandte Partei, die nationalökonomische Bauernfängerei versucht. Schauen Sie sich die Entwicklung in Griechenland oder Irland an, da gibt es enorme Fortschritte. Es wäre töricht, aus ideologischen Gründen neue und riskante Turbulenzen zu provozieren.

Frage: Bundesbankpräsident Jens Weidmann ist da weniger optimistisch.

LINDNER: Die Entwicklung der Leistungsbilanzen ist eindeutig. Manche seiner Kritikpunkte kann ich aber gut nachvollziehen.

Frage: Welche?

LINDNER: Mir leuchtet Weidmanns Kritik an der aktuellen Niedrigzinspolitik sehr ein. Ich halte die Unabhängigkeit der Notenbanken für essentiell. Die Europäische Zentralbank hat ihre Unabhängigkeit gegenüber der Tagespolitik inzwischen zu weit aufgegeben.

Frage: Wo wird Europa enden?

LINDNER: Nochmals: Wir haben seit 2010 eine stabilitätsorientierte Krisenpolitik formuliert, weil die damaligen Alternativen für unser Land nur Nachteile gebracht hätten. Das Ziel muss aber bleiben, die finanzpolitische Eigenständigkeit der Euro-Staaten im Sinne des Maastricht-Vertrages wiederherzustellen. In Deutschland halten wir ja auch an der Haushaltsautonomie der Bundesländer fest.

Frage: Wollen Sie den Eurokritiker Frank Schäffler, der fürs FDP-Präsidium kandidieren will, aus der Partei werfen?

LINDNER: Nein. In der FDP ist Platz für Wirtschaftsliberale, Bürgerrechtsliberale und auch die kleine Gruppe der Libertären um Frank Schäffler. Aber die Kritiker sollten ihre Alternative benennen: Staaten in die Zahlungsunfähigkeit zu entlassen, um anschließend deren Banken aufzufangen – wie soll das funktionieren? Und mit einem System konkurrierender Privatwährungen, wie es Herr Schäffler vorschlägt, ist kein Staat zu machen.

Frage: Schon vor dem Start sind viele Leute mit der großen Koalition unzufrieden. Warum kann die FDP davon nicht profitieren?

LINDNER: Die FDP ist noch in der Phase der Neuaufstellung. Der Parteitag wird das Fundament legen, auf dem wir die Partei neu aufbauen. Ein solcher Prozess dauert länger als acht Wochen. Unser Ziel ist der Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag im Jahr 2017.

Frage: Mit wem wollen Sie dann koalieren?

LINDNER: Wir sind mehr denn je eine eigenständige liberale Partei, die sich nicht durch die Nähe oder Distanz zu anderen definiert.

Frage: Vor zwei Jahren haben Sie den FDP-Vorsitz mit Hinweis auf Ihre Jugend abgelehnt. Mit 34 Jahren fühlen Sie sich jetzt alt genug?

LINDNER: Ich habe damals einen anderen für geeigneter gehalten. Jetzt haben wir eine neue Lage. Ich traue mir die Führung dieser Partei zu.

Frage: Der andere hieß Philipp Rösler. Haben Sie zu ihm noch Kontakt?

LINDNER: Ja. Wir sind eine bürgerliche Partei und gehen fair miteinander um.

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