11.01.2010FDP

LINDNER-Interview für die "Neue Westfälische"

Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab der "Neuen Westfälischen", Bielefeld (heutige Ausgabe), das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS SEIM:

Frage: Herr Lindner, Schwarz-Gelb kommt, so scheint es nicht so richtig in Tritt. Woran hakt das christlich-liberale Projekt?

LINDNER: Die ersten Ergebnisse zeigen kein Haken, lediglich manche Diskussion. Ich nenne etwa die Entlastung für Familien und Mittelstand, die am Jahresanfang bereits wirksam geworden ist. Ansonsten zeigt der aktuelle Meinungsaustausch den Bürgern, wer wofür in der Koalition steht. Die FDP zum Beispiel steht für faire Entlastungen, an denen wir festhalten wollen.

Frage: Der Bundesfinanzminister wird gelegentlich anders verstanden.

LINDNER: Der ja nun bislang nicht der FDP nahe stehende Philosoph Peter Sloterdijk hat dieser Tage darauf hingewiesen, dass die "fiskalische Feuerkraft" der nur 25 Millionen Steuerzahler in Deutschland erhalten bleiben muss. Das ist ein richtiger Hinweis. Es kann nicht sein, dass der Staat über mehr Spielräume verfügt als die Bürger selbst.

Frage: Aber ist nicht gerade jetzt das Bewusstsein der Steuerzahler eher so, dass Politik es für eine Sanierung der Staatsfinanzen nutzen könnte?

LINDNER: Die FDP will nicht die Konsolidierung und die Entlastung gegeneinander ausspielen. Mitunter kommt es mir so vor, als sei zur Zeit eine Form von "Orwellscher Gedankenpolizei" am Werk. Es gibt ja zum Beispiel regelmäßig Hinweise des Bundesrechnungshofs oder des Bundes der Steuerzahler über das Subventionsunwesen. Das wird aber jetzt völlig ausgeblendet.

Frage: Die Union spricht vom Neustart der Koalition. Ein Gipfeltreffen der Parteichefs soll dazu führen. Sehen Sie das auch so?

LINDNER: Nein. Ein Gedankenaustausch zwischen den Spitzen der Koalition ist selbstverständlich.

Frage: Also kein Neustart?

LINDNER: Ich sehe in der Sache keinen Grund für einen solchen Neustart. Ich kann allerdings auf das politische Bodenturnen verzichten, das gelegentlich aus München gezeigt worden ist.

Frage: Was sind die wichtigsten Politikfelder, auf die sich die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und FDP verständigen müssen?

LINDNER: Wir haben uns mit dem Koalitionsvertrag schon auf einen Fahrplan verständigt.

Frage: In der Union mehren sich die Stimmen, die mehr Führung von der Kanzlerin fordern. Wie steht es aus FDP-Sicht um die Führung der Bundesregierung?

LINDNER: Wir haben keinen Anlass, an der Bundeskanzlerin oder an dem Bundesfinanzminister Kritik zu üben. Alle Verabredungen sind im Gegenteil bislang präzise eingehalten worden. Und die Diskussionen innerhalb der Union beobachte ich schweigend.

Frage: Der politische Diskurs in Deutschland scheint sich vom Umweltthema wieder mehr der Sozialpolitik zuzuwenden. Wie sieht die FDP die sozialen Herausforderungen im Land?

LINDNER: Ich nenne exemplarisch drei Herausforderungen der Sozialpolitik: Erstens müssen wir alle Menschen, auch jene mit geringerer Qualifikation, in den Arbeitsmarkt zurückführen. Das kann nicht für alle in einem Schritt gelingen. Deshalb sind wir für ein Bürgergeld, das die schrittweise Rückkehr über Teilzeit- und Leichtlohnarbeit belohnt. Dann müssen wir dafür sorgen, dass wir die - ich nenne sie mal: - digitale Trennlinie in unserer Gesellschaft aufheben und neue Medien für alle nutzbar machen. Drittens: Chancengerechtigkeit im Bildungssystem.

Frage: Was bedeutet das für das Schulsystem?

LINDNER: Die FDP grenzt sich ab von den Bildungskonservativen, die auf Biegen und Brechen am gegliederten Schulsystem festhalten wollen, obwohl die Hauptschule vielerorts stark an Schülern verliert. Wir grenzen uns auch ab gegen Grüne, SPD und Linkspartei, die unser Schulsystem durch eine Einheitsschule ersetzen wollen, die unsere Gesellschaft spalten würde. Denn wer eben kann, würde seine Kinder dann auf Privatschulen geben. Wir wollen dagegen, dass es auf freiwilliger Ebene möglich wird, Haupt-, Real- und Gesamtschule in einer zweiten Säule neben dem Gymnasium zusammenzufassen.

Frage: NRW-Ministerpräsident Rüttgers hat erneut eine Art Revision der Hartz-Reformen gefordert. Wie sehen Sie das?

LINDNER: Es gibt viele Stellen, an denen die Agenda 2010 nicht abgeschlossen ist, obwohl ihr Zieldatum erreicht ist. Wir haben keine klare Organisationsform für die Arbeitsgemeinschaften der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit. Es gibt noch große Gerechtigkeitslücken, die wir schließen, indem wir etwa die Summen für das Schonvermögen erhöhen. Und die Aufnahme von einer Teilzeitarbeit neben dem Arbeitslosengeld als Schritt Richtung Selbstverantwortung lohnt sich zu oft nicht.

Frage: Die FDP regiert in Ländern und Bund fast ausschließlich mit der Union. Ist das der geborene Partner der FDP?

LINDNER: Ich finde Lagerdenken gestrig. Es gibt eine große sozialliberale Tradition in Deutschland. In diesen Phasen ist viel erreicht worden. Aber wir hatten es zu diesen Zeiten mit einer anderen SPD zu tun, in der Führungspersönlichkeiten wie Helmut Schmidt Verantwortung trugen. Es gab auch in NRW eine Phase, in der das vorstellbar war. Unter Wolfgang Clement etwa. Jeder weiß, Clement gehört der SPD nicht mehr an und hat vor der letzten Bundestagswahl die FDP empfohlen. Die SPD, wie sie heute Politik macht, ist für uns kein attraktiver Partner.

Frage: Hat die FDP denn ein Interesse daran, eine Alternative zur Union zu haben wie zu sozialliberalen Zeiten in Rheinland-Pfalz?

LINDNER: Die Voraussetzung ist, dass die SPD sich programmatisch erneuert. Man kann nicht Koalitionen um der Vielfalt und der Taktik willen gründen. Das ist eine Frage der inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Die gibt es gegenwärtig kaum. Und mit ihrem neuen Hamburger Programm hat die SPD sich weiter entfernt.

Frage: Da scheint Union und Grünen in NRW die Annäherung leichter zu fallen.

LINDNER: Das sehe ich gelassen. Der Landesvorsitzende der Grünen hat die Öffentlichkeit im Blick auf politische Bündnisse wissen lassen, dass er sich der Linkspartei in NRW näher fühlt als der FDP. Soviel zur realistischen Einschätzung von Spekulationen über Schwarz-Grün oder Jamaika.

Social Media Button