16.01.2020FDPFDP

LINDNER-Interview: Klimaschutz muss mit und nicht gegen Rechtsstaat und Demokratie erreicht werden

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Rheinischen Post“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Kristina Dunz und Gregor Mayntz.

Frage: Im vergangenen Jahr schwärmten Sie von der sozialliberalen Koalition vor 50 Jahren – war das nur Nostalgie?

Lindner: Das war kein Koalitionsangebot an die SPD von heute. Anlass war der 50. Jahrestag der Regierungsbildung von Willy Brandt und Walter Scheel. Es ging um eine historische Koalition, die mit neuer Ostpolitik, Bildungsexpansion und einer liberalen Gesellschaftspolitik das Land grundlegend erneuerte. Inhaltlich ist die SPD, die von Sozialismus, Enteignung und neuen Steuern spricht, heute nicht attraktiv. Wir wollen ja mehr Freiheit, weniger Bürokratie und endlich Entlastung. Wenn selbst der SPD-Mittelstandsbeauftragte und Unternehmer Harald Christ aus seiner Partei austritt, spricht das für sich. Die SPD entfernt sich von der arbeitenden Mitte unseres Landes. Diese ist zunehmend heimatlos.

Frage: Würden Sie in neue Jamaika-Verhandlungen eintreten, wenn die Groko platzt?

Lindner: Wir haben stets gesagt: Wir sind gesprächsbereit, wenn es um Projekte geht, die das Land voranbringen. In der politischen und personellen Konstellation von 2017 war eine Erneuerung des Landes nicht möglich. Jetzt sehen wir durchaus Bewegung bei der Union. Beispielsweise ist die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages seinerzeit am kommissarischen Finanzminister Peter Altmaier und der CDU gescheitert, jetzt wird es von dort anders intoniert. Dennoch liegt bei der Union vieles im Unklaren, was den Kurs betrifft. Es gäbe viel zu besprechen. So würden wir eine Klimapolitik nicht mittragen, die sich gegen individuelle Mobilität richtet und Hunderttausende Arbeitsplätze in der Autoindustrie mutwillig aufs Spiel setzt. Die einseitige Fixierung auf Elektromobilität blendet gute Alternativen aus.

Frage: Haben Sie ein schärferes Profil der FDP für die Zwanziger Jahre?

Lindner: Unser Profil ist klar: Wir setzen uns ein für den einzelnen Menschen und die arbeitende Mitte im Land. Nehmen Sie zum Beispiel die Millionen irritierten Berufspendler, die Hunderttausenden verunsicherten Beschäftigten der Autoindustrie. Deutschland muss zum einen die Chancen des autonomen Fahrens mit eigenen Pionierleistungen besser nutzen und dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Zum anderen bilden synthetische Kraftstoffe und grüner Wasserstoff den Schlüssel für eine klimaschützende Nutzung des Verbrennungsmotors. Stattdessen konzentriert sich die Bundesregierung auf den batterieelektrischen Antrieb und den damit verbundenen Arbeitsplatzabbau. Wir brauchen Technologieoffenheit und nicht eine Verengung auf eine bestimmte Technik.

Frage: Hat die Automobilindustrie nicht selbst wichtige Trends verpasst?

Lindner: Es gibt individuelles Fehlverhalten in der Autoindustrie. Aber auf der ganzen Welt wird die Frage nach den Qualitätsführern mit „die Deutschen“ beantwortet, nur wir sind diejenigen, die unsere Automobilindustrie künstlich klein, schlecht und kaputt reden. Ich sehe auch einen Kulturkampf gegen das Auto, wenn etwa die Grünen die Innenstädte komplett autofrei machen wollen. Da geht es nicht mehr um einen fairen Wettbewerb der Verkehrsträger, sondern da wird gegen individuelle Mobilität und Technologie gearbeitet.

Frage: Was ist Ihre Antwort darauf?

Lindner: Dass wir auf andere Weise mehr für den Klimaschutz erreichen. Das Paradoxe ist doch: Wenn wir einen alten Opel, Baujahr 1997, mit synthetischen Kraftstoffen aus erneuerbaren Energien betanken, ist der klimafreundlicher als ein neuer Tesla, der gebaut und hierher gebracht werden muss und der dann mit Strom geladen wird, der aus einem polnischen Kohlekraftwerk kommt. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert jetzt wieder ein Verbot des Verbrennungsmotors. Das zeigt, dass es ihm nicht um Klimaschutz geht, sondern um einen Kampf gegen das Auto. Denken wir doch einfach mal groß, bauen wir mit den vielen Milliarden des Green Deals von Ursula von der Leyen in der Sonne Südeuropas Kapazitäten für die Produktion synthetischer Kraftstoffe oder von grünem Wasserstoff auf. So könnten wir bis 2035 im Weltmaßstab Pionier sein.

Frage: Was halten sich vom Angebot von Siemens-Chef Joe Kaeser, die Umweltaktivistin Luisa Neubauer in den Aufsichtsrat aufzunehmen?

Lindner: Wenn der Siemens-Chef einen Platz im Aufsichtsrat anbietet, finde ich es bedauerlich, wenn dieses Angebot nicht angenommen wird. Ich hätte es interessant gefunden, wenn sich diese Bewegung auch auf unternehmerischer Ebene mit dem Klimaschutz auseinandersetzen würde. Ich finde die Debatte aber insgesamt überreizt. Gesinnung darf doch nicht wichtiger werden als das reale Ergebnis. Ich fürchte, aus Sicht von Millionen Menschen hat sich die Debatte von ihrer Wahrnehmung abgekoppelt.

Frage: Inwiefern?

Lindner: Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe. Aber er kann nicht die einzige Aufgabe sein. Individuelle Lebens und Entwicklungschancen haben auch ihre Berechtigung. Selbst für den Klimaschutz können wir nicht einfach unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung opfern. Manche Klimaaktivisten träumen ja davon, dass zufällig zusammengesetzte Ökoräte Wahlen und Abstimmungen des Volkes ersetzen. Das ist nicht progressiv, das ist ökoautoritär. Bei allem Verständnis für das Anliegen des Protests, dem müssen wir entschieden widersprechen. Das muss mit und nicht gegen Rechtsstaat und Demokratie erreicht werden. Und übrigens auch nicht gegen Wohlstand, sonst gehen uns irgendwann die Leute von der Fahne.

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