06.01.2023FDPArbeitsmarkt

LINDNER-Rede auf dem Dreikönigstreffen 2023

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hielt auf dem diesjährigen Dreikönigstreffen der Freien Demokraten in Stuttgart folgende Rede:

Ein frohes neues Jahr Ihnen allen. Liebe Gäste, verehrte Anwesende, ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben Glück und Gesundheit für dieses Jahr und dass Sie all die Ziele erreichen mögen, die Sie sich vorgenommen haben. Wir sind in Zeiten großer Unsicherheit, in Zeiten auch eines tiefgreifenden Wandels. Deshalb sollten wir uns zu Beginn dieses Jahres gemeinsam daran erinnern, dass wir dennoch nicht Objekte des Schicksals sind, sondern dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen können. Und das wünsche ich Ihnen. Das wünsche ich uns. Das wünsche ich unserem Land, dass wir auch in diesem Jahr unser Leben in die Hand nehmen und unser Schicksal selbst bestimmen.

Auch euch [an die Störenden gerichtet]: Herzlich willkommen. Also in die Hitparade kommt ihr damit nicht. Aber ihr seid herzlich willkommen. Also wir haben Zeit, aber um ehrlich zu sein, würde ich es vorziehen, ihr würdet euch festkleben. Das ist jetzt mein Angebot an euch: Klebt euch fest. Nehmt viel Kleber. Denn wenn ihr hier klebt, könnt ihr niemanden sonst behindern. Ich hätte es übrigens begrüßt, neben der Gesangseinlage vielleicht auch ein politisches Argument oder zumindest eine Forderung zu hören. Leider liest man ja auf eurer Webseite auch nur die Forderung nach Tempolimit und 9-Euro-Ticket. Und ich muss sagen, wenn das die verbliebenen Forderungen der Klimabewegung, des Klimaprotests in Deutschland sein sollten, dann muss man sagen: Die Weltöffentlichkeit wird beeindruckt sein über das, was in Deutschland passiert. Aber ich habe einen guten Tipp für euch: Statt Festkleben und Veranstaltungen stören, wie wär’s ihr gründet eine Partei und sucht euch demokratische Mehrheiten für eure Position. So halten wir es nämlich in der Demokratie.

Liebe Gäste, meine Damen und Herren, die kleine Einlage hat eigentlich den besonderen Charakter dieser Kundgebung unterstrichen. Im vergangenen Jahr, Bijan [Djir-Sarai] hatte darauf hingewiesen, standen wir ja auch hier und haben auch viel über den Wert der Freiheit gesprochen. Aber nicht mit und zu Ihnen, sondern in die schwarze Öffnung einer Kamera, weil die Veranstaltung nur digital stattfinden konnte. Wir haben auch unsere Argumente vorgetragen. Es haben auch einige Medien darüber berichtet, aber es war trotzdem nicht dieselbe Veranstaltung, das war nicht derselbe Charakter. Ich kann sagen, das Wichtigste an dieser Kundgebung, das sind Sie. Das sind die Gäste, so wie auch das Wichtigste in unserem gesellschaftlichen Leben die Freiheit ist, sich zu bewegen und in Freiheit begegnen zu können. Das haben wir gelernt.

Und nun können wir wieder gemeinsam zusammenkommen, wir können uns wieder in Freiheit begegnen. Einen großen Anteil daran hat unser Freund Marco Buschmann als Bundesjustizminister. Marco Buschmann hat unser Land aus der Corona-Lockdown-Spirale herausgeführt, in die Frau Merkel, Herr Söder und Herr Spahn unser Land hinein geführt hatten. Er hat dafür teilweise harte Attacken erdulden müssen. Ich erinnere mich an manchen Hashtag auf Twitter, den ich gar nicht wiederholen will. Jetzt sind wir in eine endemische Lage gekommen, Dank ihm mit verhältnismäßigen, mit maßvollen Grundrechtseingriffen. Und das ist auch sein, das ist auch Verdienst der Freien Demokraten.

Wir sind in einer endemischen Lage, wie auch Virologen sagen. Deshalb müssen jetzt auch die Maßnahmen entfallen, die wegen und aufgrund der Corona-Pandemie eingeleitet worden waren. Grundrechtseingriffe müssen ja präzise begründet werden. Stattdessen höre ich aber Hinweise, es gebe jetzt ja auch andere Erkrankungen und deshalb wäre es ja vielleicht sinnvoll, die Beschränkungen und Schutzmaßnahmen wegen dieser anderen Erkrankungen fortzusetzen. Wer Maßnahmen, die wegen und gegen Corona eingeleitet worden sind, wegen anderer Erkrankungen verlängern will, der setzt das Vertrauen in unseren Rechtsstaat aufs Spiel.

Ich habe dieser Tage in den Medien, wie Sie vielleicht auch, gelesen, dass das Wort Freiheit angeblich die Floskel des vergangenen Jahres gewesen sei. Gerade die Erfahrungen der Corona-Pandemie und das Ringen um die richtigen, angemessenen, verhältnismäßigen Maßnahmen sollte doch eigentlich eine andere Lehre für dieses Land bringen. Freiheit ist zumindest für uns keine Floskel. Freiheit ist der grundlegende Wert unseres Zusammenlebens und im Übrigen auch ein Gebot unserer Verfassung. Keine Floskel!

Bijan Djir-Sarai hatte eben seine Premiere hier als Generalsekretär, hier zu uns zu sprechen, mit Publikum. Und dazu will ich dir ganz herzlich gratulieren. Hier zu sprechen ist etwas Außerordentliches, eine besondere Ehre, die einem zuteil wird, und du hast das ausgezeichnet gemacht. Ein herzlicher Glückwunsch an dich! Ich erinnere mich selber auch noch: Vor 13 Jahren auf den Tag genau habe ich hier zum ersten Mal das Wort an Sie richten dürfen. Da wurde mir diese Ehre vor 13 Jahren zum ersten Mal zu teil und man erinnert sich daran. Ich jedenfalls erinnere mich sehr gut an den 6. Januar 2010. Ich weiß auch noch ungefähr, über was ich gesprochen habe.

Ich habe gesprochen zum Beispiel über eine junge Frau, deren Lebenssituation mir seinerzeit in Düsseldorf bekannt geworden war. Es war eine aus dem ehemaligen Jugoslawien geflüchtete alleinerziehende Mutter, die mir berichtete, dass sie neben der Grundsicherung, neben Hartz IV, jetzt arbeiten wolle und auch einen Minijob habe, um sich etwas zu ermöglichen, um Schritt für Schritt wirtschaftlich unabhängiger zu werden und vor allen Dingen, um für ihre Tochter zusätzlichen Musikunterricht zu finanzieren. Und ich weiß noch sehr genau wie diese alleinerziehende Mutter, die ja unseren Sozialstaat noch gar nicht kannte, wie sie mir mit Verwunderung – aber es war mehr, es war nicht Verwunderung allein, es war geradezu Empörung – wie sie mir berichtet hat, dass sie als Grundsicherungsempfängerin, wenn sie daneben arbeitet, so wenig von dem, was sie sich erarbeitet hat, behalten darf, weil so viel verrechnet wird mit ihrer Sozialleistung. Und sie hat nicht verstehen können, dass dieser Staat, dass unser Sozialstaat ihre individuelle Anstrengung so wenig würdige. Mich hat dieser Gedanke nie losgelassen. Die Frage, wie wir dafür sorgen, dass individuelle Anstrengung sich lohnt.

Wir haben ja als Freie Demokraten großen Respekt vor den Menschen, die es im Leben schon zu etwas gebracht haben. Die durch ihre Leistung sich etwas aufgebaut haben. Aber unser Herz und unsere Leidenschaft, die gehören ja denjenigen, die überhaupt noch erst etwas erreichen wollen, die sich auf den Weg gemacht haben. Unser Herz und unsere Leidenschaft gehört ja den Einstiegs- und Aufstiegswilligen in unserem Land, denn diejenigen, die es schon geschafft haben, die brauchen im Zweifel nicht die FDP als Lobby. Die anderen, die brauchen uns.

Vor 13 Jahren haben wir uns mit dieser Frage beschäftigt. Und heute, 13 Jahre nachdem ich zum ersten Mal hier bei Dreikönig gesprochen habe, kann ich sagen: Wir haben etwas erreicht. In diesem Jahr nämlich, meine Damen und Herren, ändert sich etwas. Im letzten Jahr noch hat eine Auszubildende, die 800 Euro Ausbildungsvergütung hat und aus einer Hartz-IV-Familie kommt, die hat von den 800 Euro Ausbildungsvergütung nur gut 250 Euro behandeln können. Wie bei der alleinerziehenden Mutter aus Jugoslawien wurde der Rest mit der Sozialleistung der Familie verrechnet. Wie wollen wir aber gerade jungen Menschen die Motivation geben, sich anzustrengen, wenn auf der anderen Seite sich die individuelle Anstrengung für sie nicht auszahlt? Nun ändert sich etwas. Es kommt das Bürgergeld. Es stellt die Qualifikation ins Zentrum. Und es verbessert die Zuverdienstgrenze. Von der Auszubildenden mit ihren 800 Euro, von der sehen wir den Unterschied. Denn von den 800 Euro hat sie in diesem Jahr 600 Euro, die sie behalten kann.

Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, nach 13 Jahren haben wir dafür gesorgt, dass das Aufstiegsversprechen dieser Gesellschaft erneuert wird, dass sich individuelle Anstrengung lohnt. Hartz IV wird nicht ersetzt durch eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, sondern mit mehr Anerkennung für das Leistungsprinzip. Und das ist unser Anteil.

Und aus diesem Grund regieren wir in Deutschland. Um Schritt für Schritt, Tag für Tag unser Land voranzubringen. Das ist auch das, was diejenigen, die uns gewählt haben, von uns erwarten. Hier vorne sind ja diejenigen, die an die Zukunft glauben. Viele jüngere Menschen haben ja die Freien Demokraten gewählt. Sie haben uns bei der letzten Bundestagswahl nicht unterstützt, weil wir für den Status quo stehen würden. Diese junge Generation hat uns nicht unterstützt, weil wir für illusionäre politische Konzepte eintreten würden. Das ist eine junge Generation, die an die Zukunft glaubt und sie gestalten will. Die sind gewissermaßen das Gegenteil der pessimistischen „Letzten Generation“. Die sind das Gegenteil der „Letzten Generation“, sondern gewissermaßen sind das diejenigen, die die erste Generation eines moderneren, liberaleren Deutschlands sein wollen. Die nehmen uns in die Pflicht, für die gestalten wir Politik. Die wollten keine Politik der Bevormundung und des Verbots, sondern eine Politik von Freiheit und Fortschritt und das ist der Grund, warum wir jeden Tag für euch, warum wir jeden Tag für dieses Land gestalten.

Das ist in einer Koalition fraglos nicht einfach. Kompromisse sind nötig. Entscheidungen müssen getroffen werden. Und an Entscheidungen und Kompromissen kann Kritik geübt werden, damit gehen wir um. Allerdings fand ich eines doch bemerkenswert, als ich heute in die Presseschau hineingeschaut habe. Da gab es einen Leitartikel, ich weiß nicht genau, in welcher Regionalzeitung, da sagte der Autor, das Problem der FDP sei, sie mache viele eigene Vorschläge in der Koalition, und das seien meistens – ich zitiere jetzt aus dem Kopf, nicht ganz wörtlich –  das seien meistens Vorschläge, die ja zu den Grünen nicht passten. Und viel besser wäre es doch, die FDP würde zukünftig nur Vorschläge machen, die zu den Grünen passen. Also eine putzige Vorstellung von der Rolle der FDP in einer Koalitionsregierung. Ich würde es eigentlich lieber anders machen. Die FDP sollte keine Vorschläge unterbreiten, die zu den Grünen passen, die FDP sollte weiter Vorschläge unterbreiten, die zur Realität passen. Und daran werden wir weiter festhalten, in fröhlicher Penetranz.

Niemand sollte sich übrigens der Illusion hingeben, dass mit der Union zu regieren einfacher wäre. Das wäre nur anders. Wir haben im Übrigen auch schon unter Beweis gestellt, dass wir bereit sind, in die Oppositionsrolle zu gehen, wenn wir unsere politisch-inhaltlichen Vorstellungen nicht hinreichend umsetzen können. Aber Opposition ist für die Freien Demokraten nie das Ziel, sondern höchstens nur eine Phase, um das eigentliche Ziel zu erreichen, nämlich das Land zu gestalten. Es ist unbefriedigend, nur die Parteilyrik der eigenen Rechtschaffenheit vorzutragen und dabei zu beobachten, wie andere das Land in eine Richtung führen.

Wir sind als Freie Demokraten immer eine Gestaltungspartei gewesen. Wir haben die Leidenschaft Deutschland voran zu bringen, allen Schwierigkeiten zum Trotz. Wenn man gut regieren kann, darf man die Verantwortung dafür nicht anderen überlassen. Unsere Aufgabe ist es nun, diese Gestaltungsrolle in diesem Jahr 2023 einzunehmen und nach dem Krisenjahr 2022 dieses Jahr zum Gestaltungsjahr zu machen. Das ist die Aufgabe.

Das letzte Jahr hat unsere Gegenwart und Zukunft fundamental verändert durch den schrecklichen Angriff von Putin auf die Ukraine. Unser Land ist solidarisch mit der Ukraine. Es ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit. Aber machen wir uns klar: Es ist mehr als nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit. In der Ukraine werden auch unsere Werte verteidigt. Die Ukraine verteidigt all das, was auch uns als Freien Demokraten heilig ist. Aus diesem Grund unterstützen wir die Ukraine und unterstützen wir sie weiter.

Putin hat sich hier getäuscht. Er hat sich zuerst getäuscht, als er die Tapferkeit der Ukrainer unterschätzt hat. Und er hat sich dann in uns getäuscht, weil er glaubte, dass er Energie zu einer Waffe machen kann, um unseren Wohlstand zu bedrohen, und dass wir dann unsere Werte vergessen würden, weil uns der Wohlstand wichtiger sein könnte als die Werte. Er hat sich getäuscht.

Meine Damen und Herren, er hat sich getäuscht. Freiheit mit weniger Wohlstand, das würden wir aushalten und uns neuen Wohlstand erarbeiten. Aber ein Wohlstand nur von Putins Gnaden, ohne Freiheit, ein solcher Wohlstand wäre wertlos. Politisch, logistisch, militärisch kann die Ukraine sich auch weiter darauf verlassen, dass wir an ihrer Seite stehen. Jetzt auch mit zusätzlichem militärischem Gerät, was im Kreis der Verbündeten besprochen worden ist. Ich finde diese Entscheidung richtig, obgleich ich uns rate, solche Entscheidungen zukünftig im Kreis der Verbündeten schneller herbeizuführen.

Denn wir tragen durch solche Entscheidungen eine Mitverantwortung für das weitere Schicksal der Ukraine. Die Durchhaltefähigkeit der Ukraine muss dauerhaft größer sein als die Grausamkeit von Putins Krieg. Und das ist unsere Mitverantwortung, meine Damen und Herren.

Dieser Krieg in der Ukraine hat auch über das Schlachtfeld hinaus die internationale Politik verändert. Auch hier hat Putin sich getäuscht. Er hat nicht damit gerechnet, dass die liberalen Demokratien auch eine neue Form des gemeinschaftlichen Wirkens, eine neue Kultur der Kooperation etablieren würden. Darauf können, darauf müssen wir nun aufbauen: Dieser neue Zusammenhalt in der Europäischen Union, in unserem westlichen Verteidigungsbündnis, der NATO, aber auch im Kreis von G7 und in den größten Teilen von G20. Das eröffnet auch eine neue Gelegenheit und ist ein Anlass, die internationale Politik neu zu vermessen.

Beginnen wir bei uns. Lange überfällig ist, dass Deutschland eine nationale Sicherheitsstrategie bekommt. Nun erarbeiten wir eine solche nationale Sicherheitsstrategie. Sie darf sich indessen aber nicht darin erschöpfen, dass wir noch einmal unsere Werte und Grundsätze aufschreiben, sondern diese nationale Sicherheitsstrategie wird sich an etwas anderem messen lassen müssen, nämlich an der Klarheit der Botschaft an unsere Partner und an unsere Rivalen, dass dieses Land seine Stärke nutzen wird, um Sicherheit, Recht und Freiheit in Europa und weltweit zu verteidigen.

Mit praktischen Konsequenzen: Unsere Landes- und Bündnisverteidigung darf niemals mehr so vernachlässigt werden, wie in den vergangenen Jahren und vielleicht sogar Jahrzehnten. Dazu trägt das Sonderprogramm für die Bundeswehr bei, jene 100 Milliarden Euro für Investitionen. Ich bin stolz darauf, dass die Freien Demokraten es mit initiiert haben. Aber das ist keine Stärkung unserer Fähigkeiten auf Dauer. Wir werden uns also der Mühe unterziehen müssen, den Verteidigungsetat auf Dauer an das anzupassen, was die veränderte Sicherheitslage von uns verlangt. Finanzmittel alleine genügen aber nicht. Auch Strategie, Struktur und Führung der Bundeswehr bedürfen dringend eines Upgrades.

Jetzt ist auch die Zeit reif dafür, mehr Kooperation in Verteidigungs- und in Fragen der Wehrtechnik und der Rüstung in Europa und in unserem westlichen Bündnis einzugehen. Zu oft scheitern Projekte doch an Deutschland, zu oft können große, wichtige Vorhaben nicht realisiert werden, weil andere zögern bei deutscher Beteiligung. Weil wir zu oft eigene Wege gehen. Und weil wir uns in diesen Fragen nicht abstimmen wollen.

Verehrte Anwesende, liebe Gäste! Wenn Deutschland Führungsverantwortung übernehmen will, dann kann es nicht auf Dauer Alleingänge machen. Zur Führungsverantwortung gehört nämlich auch auf andere zuzugehen und nicht nur die eigenen Standards und ethischen Maßstäbe für allein allgemeingültig zu erklären, sondern auch die Entscheidungen unserer Verbündeten und Partner zu respektieren.

Es kommt zur richtigen Zeit, wahrlich nicht zu früh, dass wir auch das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada endlich ratifiziert haben. Das ist nicht das Ende, sondern das sollte der Beginn einer Initiative für mehr freien Handel sein.

Verehrte Anwesende, liebe Gäste, unsere Vision ist die Weltfreihandelszone der liberalen Demokratien, denn Wertepartner sollten auch bevorzugte Handelspartner werden. Freilich ist das so utopisch nicht. Deutschland ist es im vergangenen Jahr im Zuge unserer G7-Präsidentschaft ja gelungen, einen offenen Klima-Club zu etablieren, in dem sich in klimapolitischen Fragen die G7-Nationen verstärkt miteinander austauschen können. Das zeigt, dass Multilateralismus unter Wertepartnern funktioniert, aber er braucht eben auch Visionen, die ihn immer wieder mit neuen Ambitionen ausstatten. Mit den Vereinigten Staaten von Amerika werden wir natürlich in diesen Tagen die intensivsten Gespräche zu führen haben. Die USA haben, wie Sie wissen, einen Inflation Reduction Act beschlossen, ein Paket von unterschiedlichen Subventionen und bedauerlicherweise auch protektionistischen Maßnahmen.

Aus mancher europäischen Hauptstadt und auch aus Teilen der deutschen Innenpolitik hörte ich dann so ein "Wie du mir, so ich dir". Davor kann man nur warnen. Wenn USA und Europäische Union eintreten in einen Subventionswettlauf oder einen Wettlauf eröffnen, nach dem Motto: "Wer hat die schärfsten Beschränkungen für den bilateralen Handeln? Wer hat am schnellsten Zölle erhöht?", dann werden wir am Ende nur erleben, dass es zwei Verlierer gibt diesseits und jenseits des Atlantiks und einen Gewinner: Die Volksrepublik China. In diesen Zeiten brauchen wir nicht Handelskrieg über den Atlantik, sondern wir brauchen Handelsdiplomatie über den Atlantik.

Ich habe das Stichwort genannt: Volksrepublik China. Wir erarbeiten eine neue China-Strategie. Unsere Souveränität, Menschenrechte und das Völkerrecht müssen wir gegenüber Peking und der Kommunistischen Partei bei jeder Gelegenheit ansprechen. Auch dann, wenn die Kameras aus sind. Aber ich warne vor Naivität und einem gesinnungsethischen Überschuss, der gelegentlich zu hören und zu beobachten ist. Die Bedeutung des chinesischen Marktes für uns ist beachtlich. Und wir haben durchaus ein Interesse, diesen Markt nicht anderen zu überlassen. Ein schlichtes Abkoppeln Deutschlands vom chinesischen Markt entspräche nicht den Interessen dieser Exportnation und nicht den Interessen der damit verbundenen Arbeitsplätze in unserem Land. Eine reife und durchdachte China Strategie sieht anders aus.

Eine reife und durchdachte China-Strategie, die sorgt doch zunächst dafür, dass die Chinesen ihrerseits weiter von unserer Spitzentechnologie abhängig bleiben, weil sie nichts Vergleichbares haben. Und im gleichen Zeitraum sorgen wir dafür, dass schrittweise andere Märkte und dynamisch wachsende Weltregionen für uns wichtiger werden. Nicht Entkopplung, sondern souveräne Interessenwahrnehmung ist das Gebot der Stunde. Und das, meine Damen und Herren, kann sich nicht alleine nur auf China beziehen. Eine China Strategie ist gut. Aber was wir eigentlich brauchen als Exportnation ist eine Außenwirtschafts-Strategie, die alle Weltregionen, alle Abhängigkeiten und alle bilateralen Beziehungen insgesamt in den Blick nimmt. Die China-Strategie, die wir erarbeiten, das kann nur der Nukleus sein für all das, was danach noch kommt, damit diese Exportnation auf Dauer erfolgreich bleibt.

Meine Damen und Herren, hinter uns liegt ein außerordentlich schwieriges Jahr in wirtschaftlicher Hinsicht. Wie viele Menschen hatten Sorgen, das eigene Leben nicht mehr bezahlen zu können aufgrund der Inflation und der ruinös steigenden Energiepreise, wie viele Existenzen waren bedroht, welche Strukturbrüche haben wir in unserem Land befürchten müssen. Diese Entwicklungen und diese Sorgen muss man außerordentlich ernst nehmen. Putin will ja gerade, dass das in Frage gestellt wird, was die Menschen in diesem Land sich teilweise über Jahrzehnte aufgebaut haben. 2023 ist nicht 1923, aber wir Freie Demokraten kennen dennoch die Lehre der Geschichte. Der Erhalt der wirtschaftlichen Substanz dieser Gesellschaft muss deshalb weiter oberste Priorität haben.

Deshalb haben wir gehandelt. Die Menschen, die bedürftig sind, die erhalten Unterstützung durch das Wohngeld plus das Bürgergeld oder zahlreiche Einmalzahlungen zum Beispiel für Studierende. Wer aber denkt in diesen Zeiten auch an die anderen, die auch unter der Inflation leiden, aber vielleicht nicht bedürftig sind, sondern im Gegenteil, die ihre Miete und ihre Gasrechnung selbst bezahlen und diesen Staat darüber hinaus auch noch mit Steuern und Sozialabgaben tragen? Wer denkt an die? Wer hat an die gedacht im vergangenen Jahr? Das waren wir.

Wir haben an die Bedeutung der arbeitenden Mitte in unserem Land erinnert. Wir haben Sozialdemokraten, Grüne und den Bundesrat für unser Inflationsausgleichsgesetz gewonnen - für 48 Millionen Deutsche eine spürbare und wichtige Entlastung. Eine vierköpfige Familie mit 55.000 Euro jährlichem Einkommen wird dadurch im Jahr 2023 um 800 Euro entlastet. Eine echte, spürbare Entlastung der Mittelschicht. Meine Damen und Herren, wer den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft erhalten will, der muss auf der einen Seite solidarisch sein gegenüber den Menschen, die Hilfe brauchen. Aber er muss den Menschen, die hart arbeiten und viel abgeben ebenfalls Fairness zuteilwerden lassen. Das haben wir getan.

Wir haben einen wirtschaftlichen Abwehrschirm mit 200 Milliarden Euro bereitgestellt. Daraus finanzieren wir unter anderem die Strom- und die Gaspreisbremse. Ich gestehe offen, die Größenordnung dieser Schuldenaufnahme war und ist mir nicht geheuer. Das macht man nicht leichtfüßig. Aber dennoch war die Entscheidung richtig. Ich stehe voll dahinter. Wir müssen unsere wirtschaftliche Stärke nutzen, damit wir nicht in Krisenjahren die Betriebe, die Strukturen und die Existenzen verlieren, die unser Land für seine weitere Zukunft braucht. Deshalb war das notwendig.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir haben Existenzen erhalten, Strukturbrüche so gut es geht abgewendet. Natürlich bleiben Sorgen. Aber in vielen Familien konnten die Maßnahmen, die wir mit auf den Weg gebracht haben, die Sorgen der Menschen lindern. Bei aller Kritik und bei all dem, was auch in so einer Situation unvollkommen sein muss, wir haben unser Land bisher gut durch diese besondere Krisenzeit geführt.

Beispielsweise hat auch der Economist, eine sehr renommierte internationale Zeitschrift, vor einigen wenigen Ausgaben konstatiert, die deutsche Bundesregierung habe das Land bisher auch im internationalen Vergleich gut durch diese Krise geführt. Das ist es, worauf es ankommt. Einzelne Kritik, tagespolitische Unruhe, diese oder jene Schlagzeile sind das eine. Das andere aber ist, dass die Freien Demokraten ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden, Schaden von diesem Land abzuwenden. Das zählt auch vor dem Auge der Geschichte.

Jetzt sehen wir die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Die Rezession scheint weniger scharf zu werden als befürchtet, aber wir kommen auch weniger dynamisch aus dieser Situation heraus. Die weiteren Wachstumsprognosen unserer Volkswirtschaft sind beklagenswerterweise eher ernüchternd. Für die nächsten Jahre kein dynamisches Wachstum, sondern eher bescheidene Wachstumsraten, immer noch steigende Preise, zugleich hohe Kosten auch für die alte Staatsverschuldung. Das beschreibt einen schleichenden Verlust von gesellschaftlichem Wohlstand. Das ist kein neues Phänomen. Auch in bestimmten Phasen der Pandemie und auch vor der Pandemie haben wir erkannt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften eine gewisse Wachstumsschwäche hat. Niemanden kann das überraschen. Die frühere CDU-geführte-Bundesregierung hat sich doch nicht nur darauf verlassen, dass Putin Gas liefert, China Autos kauft und die USA unsere Sicherheit garantieren. Die frühere CDU-geführte-Bundesregierung hat sich doch auch darauf verlassen, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von alleine einstellt und die letzte verbliebene Aufgabe der Politik die Verteilung von Wachstumsdividenden ist. Deshalb muss nach der Zäsur in der Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Jahr die Zäsur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik folgen, meine Damen und Herren! 

Dennoch sprechen manche unverändert lieber über das Verteilen. Das ist aber alter Text, die Verteilung des Wohlstands zum allein prioritären Problem zu machen, das ist von den ökonomischen Realitäten, von einer ökonomischen Zeitenwende längst überholt. Wir müssen die Frage danach stellen: Wo und wie wird eigentlich der notwendige soziale Ausgleich finanziert, wenn dieses Land – wir teilen das Ziel – klimafreundlich sein will? Woher kommen eigentlich die dafür notwendigen Mittel? Wer kann sich dann ein klimafreundliches Leben überhaupt noch leisten? Wenn dieses Land also seine sozialen Ansprüche weiter erfüllen will, wenn dieses Land vorne mitspielen will bei der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, dann müssen wir zuerst die wirtschaftlichen Grundlagen dafür wieder schaffen. Festkleben war gestern, Anpacken ist jetzt das Gebot der Stunde!

Und dafür brauchen wir ein Wachstumspaket, das in der ganzen Breite schaut, wie unser Land wieder auf den wirtschaftlichen Erfolgskurs geführt werden kann. Bettina [Stark-Watzinger], du hast mich zitiert. Vor acht Jahren habe ich bei meiner Dreikönigsrede gesagt, dass unsere liberale Erzählung nicht mit dem Steuerrecht beginnt, sondern mit Bildung und der Emanzipation eines jeden Einzelnen. Jetzt habe ich als Finanzminister natürlich einen gewissen Zug zum Tor, wenn es um die Steuerpolitik geht. Aber unverändert halte ich diese liberale Grundüberzeugung für richtig, mit den Lebenschancen des Einzelnen zu beginnen. Denn das ist ja der Grund, warum es uns gibt, weil wir an den Einzelnen glauben. Weil wir die Menschen in die Lage versetzen wollen, das Beste aus ihren Anlagen, Talenten und Wünschen zu machen. Und deshalb muss die liberale Erzählung genau mit diesen Lebenschancen einer und eines jeden Einzelnen beginnen. Praktische Lebenstüchtigkeit im Alltag, eine beruflich verwertbare Qualifikation, kultureller Horizont und ich füge hinzu: Auch eine finanzielle Grundbildung sind nötig, damit Menschen ihre Lebenschancen entfalten können. Gerade als Wissensnation muss unser Anspruch sein, dass die nächste Generation immer mehr kann, dass die nächste Generation immer mehr weiß, als die letzte Generation. Da ist mir übrigens gerade ein zufälliges Wortspiel gelungen.

Bettina [Stark-Watzinger], du hast die Bedeutung der Bildung hervorgehoben. Und ich glaube, wenn wir in Bildung investieren, ist das die beste Vorsorge dagegen, dass Menschen ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit verlieren. In Bildung zu investieren bedeutet, dass auch die Notwendigkeit sozialen Ausgleichs und Umverteilung sich reduziert, da Menschen eben selbst in die Lage versetzt werden, sich etwas aufzubauen. Unser Anspruch! Und dennoch ist Umverteilung in unserer Gesellschaft regelmäßig Gegenstand von Debatten.

Ich denke gerade an die immer wieder von links ins Gespräch gebrachte Idee eines staatlichen Grunderbes. Haben Sie das auch schon gelesen? Jetzt vor einigen Tagen kam beim Handelsblatt nochmal neu ein Beitrag, da plädierte jemand für ein Grunderbe, 20.000 Euro vom Staat für jeden, der volljährig wird. 20.000 Euro für jede und jeden 18-Jährigen vom Staat als Beitrag dazu, dass unsere Gesellschaft gerechter wird. Jetzt sind 20.000 Euro fraglos sehr viel Geld, zumal für jemanden am Beginn auch seines weiteren, insbesondere beruflichen Lebens. Aber auf der anderen Seite: Der Lottomillionär Chico hat gezeigt, dass man auch wesentlich größere Summen durchbringen kann, wenn man keine Bildung hat. Und deshalb ist mein Vorschlag: Kein 20.000 Euro Grunderbe am 18. Geburtstag, sondern lieber staatliche Investitionen in die Bildung bis zum 18. Geburtstag!

Bettina [Stark-Watzinger] hat hier viele Ideen vorgetragen, beispielsweise die Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung. Uli Rülke hat gesagt, das Handwerk beispielsweise hat goldenen Boden. Das ist absolut richtig, welche exzellenten Karrieren dort möglich sind, welchen beruflichen Erfolg man da erzielen kann. Mehr zu tun für die berufliche Bildung, hat aber für unser Land auch geradezu eine systemische Bedeutung. Denn in unserem Land steht ja viel an. Man kann nicht nur für Klimaschutz demonstrieren, irgendjemand muss ihn auch montieren können. Deshalb müssen wir mehr tun für die Akzeptanz der beruflichen Bildung!

Und Bettina [Stark-Watzinger], du hast das Startchancenprogramm erwähnt. Dass wir 4.000 Schulen insbesondere in Stadtteilen mit besonderen sozialen Aufgaben verstärkt unterstützen wollen, damit auch dort unabhängig von der Herkunft junge Menschen ihre Talente entfalten können.

Verehrte Anwesenden, meine Damen und Herren, dass Bettina Stark-Watzinger mich persönlich anspricht, bei dieser Gelegenheit in aller Öffentlichkeit, und ihre guten Ideen pitched, das kann kein Zufall sein. Ich glaube, das hängt mit meinem Beruf als Behördenleiter in Berlin zusammen. Ich glaube, Sie sind gerade Zeuge geworden des Beginns der Haushaltsberatungen 2024. Und Bettina [Stark-Watzinger], ich habe deine Worte gehört. Und du hast recht. Dieses Land muss mehr tun für Bildung und für Forschung. Und deshalb werde ich mit dir und mit den Freien Demokraten gemeinsam mich auch genau dafür einsetzen. Meine Damen und Herren, damit das wirklich einen Unterschied macht, brauchen wir in jedem der nächsten Jahre, in jedem Jahr eine zusätzliche Bildungsmilliarde, die wir in die Zukunftschancen der jungen Generation investieren. Eine Bildungsmilliarde!

Die Haushaltsspielräume sind eng, ich will Sie da gar nicht mit Kummer behelligen. Wir werden auch konsolidieren müssen. Nicht alles, was wünschenswert ist, wird sofort bezahlbar sein. Aber ein Versprechen müssen wir uns als Gesellschaft gegenseitig geben: An allem kann gespart werden, überall kann konsolidiert werden. Aber dieses Land sollte niemals sparen an den Bildungschancen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, zu einem Wachstumspaket gehört unser Arbeitsmarkt. Wie viele gute Projekte können nicht umgesetzt werden, weil Fachkräfte, auch teilweise Hilfskräfte, fehlen. Deshalb muss unser Arbeitsmarkt flexibler werden. Deshalb brauchen wir eine andere Einwanderungspolitik. Es muss schwerer werden, in den Asylsozialstaat zuzuwandern und es muss leichter werden, in den Arbeitsmarkt einzuwandern. Wir brauchen für Mütter und Väter die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und wir müssen darauf achten, dass es weiter starke Anreize gibt, eine Arbeit aufzunehmen. Bei all dem, was ansteht, auch an neuen sozialen Leistungen, zum Beispiel bei der auch von uns befürworteten Kindergrundsicherung, müssen wir darauf achten, dass es weiter einen Anreiz gibt, zu arbeiten. Die Kassiererin im Supermarkt darf niemals den Eindruck gewinnen, dass sie arbeitet, und andere dasselbe oder gar mehr erhalten, wenn sie nicht arbeiten.

Wir haben viel Know-how, wir haben viel Kapital, wir haben viele Ideen, aber zu wenig davon wird tatsächlich in unserem Land noch umgesetzt. Weil wir uns bürokratisch gefesselt haben. Jetzt werden die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt. Marco Buschmann und Volker Wissing haben dafür Vorschläge gemacht. Die Verwaltung wird digitalisiert. Dann haben wir erstmals eine Digitalstrategie einer Bundesregierung. Das Belastungsmoratorium war und ist richtig. In diesen Zeiten machen zusätzliche bürokratische Belastungen für die Betriebe keinen Sinn. Deutschland stand sich lange selbst im Weg, meine Damen und Herren. Eine gute Botschaft. Denn wenn ein Land sich selbst im Weg steht, dann kann es sich ja auch selbst den Weg freigeben! Dafür brauchen wir nur Mut und Freiheit. Und wenn andere zu wenig davon haben, geben wir ab.

Bettina [Stark-Watzinger] hat ein faszinierendes Plädoyer für die Technologiefreiheit gehalten. Auch ich bin begeistert von der Perspektive der Kernfusion. Es gibt andere bahnbrechende Innovationen, wie die Genschere, die überwiegend woanders jetzt vorangetrieben werden und nicht bei uns. Es gibt auch viele bereits etablierte Technologien, die bei uns nicht genutzt werden. Aus Missverständnis, Skepsis oder auch teilweise Bequemlichkeit. Vorsichtig deutet sich allerdings eine Trendwende an. Der Kollege Robert Habeck war jetzt in Norwegen und hat sich dort geöffnet für Carbon Capture and Storage, also die Speicherung von CO2. Und er hat sich geöffnet für den blauen Wasserstoff, also jenen, der aus Erdgas gewonnen wird. Das sind richtige Tendenzen, denn wir können nicht zu wählerisch sein in dieser Situation, in der wir sind, angesichts der Notwendigkeit und der Dimension der Transformationsaufgaben. Die Öffnung für CCS und für blauen Wasserstoff ist wichtig. Synthetische Kraftstoffe könnte man hinzufügen. Michael Theurer hat sie angesprochen, und auch andere Farben des Wasserstoffs. Aber eine Frage bleibt offen: Wenn es immerhin diese vorsichtige Bewegung und diese Öffnung für CCS und für blauen Wasserstoff gibt, warum dann wieder nur in Norwegen und nicht bei uns? Warum wieder nur woanders und nicht bei uns?

Wir haben eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages eingesetzt, Expertinnen und Experten, die 2021 gesagt haben, die Förderung von Schiefergas in Deutschland durch die Frackingmethode ist verantwortbar. Das Verbot könnte also fallen. Dann könnte auch im Inland blauer Wasserstoff aus dieser Quelle produziert werden. Uli Rülke hat auf die weitere Notwendigkeit hingewiesen. Stattdessen kaufen wir vom Weltmarkt zu höheren Preisen. Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, bei diesen Technologien dürfen wir uns nicht in neue Abhängigkeiten begeben. Und selbst Freunden wie den Norwegern sollten wir nicht wesentliche Bestandteile der Wertschöpfung exklusiv überlassen. Deshalb braucht dieses Land der Ingenieure und Techniker jetzt ein Technologiefreiheitsgesetz, damit all das, was möglich ist, auch bei uns entwickelt werden kann. Nicht jede dieser Technologieoptionen wird am Ende erfolgreich und bahnbrechend sein. Aber die Technologien, die Erfolg versprechen, die dürfen nicht nur woanders etabliert werden, sondern die sollen auch bei uns stattfinden können.

Also: Bildung, Forschung, Technologiefreiheit, Einwanderung, Bürokratieabbau, Planungsbeschleunigung, das sind Elemente eines Wachstumspakets, das unser Land jetzt braucht, um wieder als Standort attraktiv zu sein. Aber man darf die Bedeutung der Steuerpolitik nicht unterschätzen. Gerade weil die alte Gleichung – vergleichsweise günstige Gas- und Energiepreise, hohe Steuern gleich Wettbewerbsfähigkeit – so in Zukunft nicht mehr aufgeht. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen. Um uns herum tut sich was. In den USA gibt es jetzt “tax credits”, also Steuergutschriften für die Wirtschaft. Frankreich hat eine erhebliche Reduzierung der Steuerlast für die Betriebe in Vorbereitung. Interessanterweise nennen die das "grüne Angebotspolitik" statt Subvention. In Frankreich sind also erhebliche Steuerentlastungen in Vorbereitung. Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen aus Europa und im G7-Kreis: Die haben Ähnliches vor. Bei uns aber wird tatsächlich gesprochen über zusätzliche Belastungen für Fachkräfte, Führungskräfte, für diejenigen, die unternehmerische Risiken eingehen für Arbeitsplätze, oder die in die private Zukunft investieren wollen. Meine Damen und Herren, ein Land, das im Standortwettbewerb wieder in die Offensive finden will, ein solches Land erhöht nicht die Steuerlast. Ein solches Land reduziert die Steuerlast!

Ich bin mir sicher, dass ich Sozialdemokraten und Grüne und gewiss auch den Bundesrat für ambitionierte zusätzliche Abschreibungen gewinnen kann, für Verbesserung der Forschungsförderung, Verbesserung der Möglichkeiten der Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Ich bin sicher, dass auch andere Elemente einer Unternehmensteuer möglich sein werden. Das traue ich mir, das traue ich der Koalition zu. Ein Dissens wird aber bleiben. Ich glaube, vieles spricht dafür, dass wir in den nächsten Jahren auch über die effektive Gesamtbelastung sprechen müssen. Gerade vor dem Hintergrund der genannten Veränderungen in den USA und in Frankreich. Das bleibt ein Dissens, aber irgendjemand muss die Debatte eröffnen.

Mir ist nur eines klar: Wenn die Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine Wiederwahlchance haben will, dann wird das nur gelingen, indem wir unser Land auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zurückführen. Wenn die Fach- und Führungskräfte, Mittelstand, Handwerk, die Beschäftigten in der Industrie den Eindruck haben, eine Koalition, eine Bundesregierung beschäftigt sich nur mit der Verteilungspolitik, obwohl es auf der anderen Seite ans wirtschaftlich Eingemachte geht, eine solche Koalition würde nicht eine Wiederwahlchance erhalten. Deshalb: Sie wissen es noch nicht, aber SPD und Grüne müssen geradezu ein Eigeninteresse daran haben, dass zumindest die FDP in der Steuerpolitik das Denken nicht eingestellt hat.

Liebe Freundinnen und Freunde, vor uns liegt auch als Partei ein Jahr, in dem wir gemeinsam in vier Wahlen gehen werden. Wir werden unterstützen Sebastian Czaja, der ja hier einen exzellenten Auftritt hatte, bei der Abgeordnetenhauswahl von Berlin. Wir kommen dann nach Bremen zu Thore Schäck und wollen dort in die Bürgerschaft wieder einziehen und auch Verantwortung übernehmen. Und dann mit Martin Hagen und Stefan Naas in Bayern und in Hessen geht es ebenfalls darum, dem Land eine neue Richtung zu geben.

Bei diesen Landtagswahlen geht es natürlich zunächst und zumeist um die Landespolitik. Aber jede Wahl ist auch eine Werteentscheidung, meine Damen und Herren. Bei jeder Wahl geht es auch um die grundlegenden Werte, die die Menschen in der Politik stärken können. Es mag sich vieles wandeln, aber eins bleibt in Deutschland leider seit Jahrzehnten gleich: eine Werteauseinandersetzung zwischen dem Wert der Freiheit und dem Wert der Gleichheit, zwischen der Bedeutung des Individuums und dem Zug hin zum Kollektivismus, dem Vorrang vor Privatverantwortung, oder einer gewissen Staatsfixiertheit. Diese Werteauseinandersetzung, diese Werteentscheidung begleitet uns seit Jahren: Freiheit, Gleichheit, Privatverantwortung, Staatsfixiertheit und Individuum oder Kollektiv. Vieles hat sich verändert. Vieles ist auch im Wandel. Eines aber bleibt gleich und darauf können die Menschen sich verlassen, egal in welchem Land oder im Bund, egal ob in Regierungsverantwortung oder in der notwendigen Oppositionsrolle: Die Freien Demokraten, sie sind die Kraft der Freiheit und des Fortschritts.

Alles Gute! Ein gutes neues Jahr!

Social Media Button