RÖSLER-Interview für den "Focus"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundeswirtschaftsminister, DR. PHILIPP RÖSLER, gab dem "Focus" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ANNETTE BEUTLER, ANDREAS NIESMANN und OLAF OPITZ:
Frage: Herr Rösler, was ist aus Ihrem Marshall-Plan für Griechenland geworden, den Sie vor knapp zehn Monaten in Athen versprochen hatten?
RÖSLER: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit bleiben entscheidend für Griechenland, um aus der Krise zu kommen. Gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft habe ich der griechischen Regierung damals vielfältige Unterstützung angeboten. Kaum eines unserer Angebote hat die griechische Seite genutzt.
Frage: Was hat Griechenland sich entgehen lassen?
RÖSLER: Um den griechischen Mittelstand zu fördern, wollten wir beim Aufbau einer Förderbank nach dem Vorbild der KfW helfen, so wie uns damals auch in Deutschland im Rahmen des Marshall-Plans geholfen wurde. Es gab dazu eine Vereinbarung, der damalige griechische Wirtschaftsminister war mehrfach in Berlin. Aber alle anschließenden Gespräche deuten darauf hin, dass die griechische Seite offenbar keine Kraft dazu oder kein Interesse daran hat.
Frage: Also ist der Marshall-Plan für Athen abgeblasen?
RÖSLER: Die Zusagen aus Athen sind weitgehend folgenlos geblieben. Die Zulassungsverfahren bei erneuerbaren Energien sollten zum Beispiel vereinfacht werden. Nichts ist passiert. Deutsche Photovoltaik-Hersteller, die in Griechenland investieren wollen, müssen noch immer bei unzähligen Stellen, die zudem noch unabgestimmt handeln, Anträge stellen. Das schreckt Investoren natürlich ab.
Frage: Sie klingen desillusioniert.
RÖSLER: Ich bin ernüchtert. Es gab feste Zusagen, auch andere Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die Privatisierung von Staatsvermögen wäre ein wichtiges Signal gewesen. Es gab gute Pläne, aber wie immer stockt es bei der Umsetzung.
Frage: Zuletzt klangen Sie schon sehr skeptisch, als Sie sagten, ein mögliches Ende des Euro in Griechenland hätte seinen Schrecken verloren. Ihr Außenminister warnt vor allzu lauten Tönen. Was gilt denn jetzt?
RÖSLER: In der FDP gibt es keine Misstöne. Anders als bei der CSU, dort klingt manches plump. Ich bin für Sachlichkeit und verweise deshalb auf die bekannten Prinzipien, die auch für Griechenland gelten. Es gibt keine Leistung ohne Gegenleistung. Das haben wir immer gesagt. Wer sich nicht an die Vereinbarungen hält, kann keine finanzielle Unterstützung mehr erwarten. Wer aber Reformen wie Spanien, Italien, Portugal und Irland umsetzt, hat die europäische Solidarität auf seiner Seite.
Frage: Inzwischen zweifelt selbst der Chef der Eurogruppe am Erfolg der Griechen.
RÖSLER: Ein bemerkenswerter Kurswechsel nach den zuvor anders lautenden Äußerungen von Herrn Juncker. Ein Auszug Griechenlands aus dem Euroraum ist nicht unser Ziel, aber, um die Worte von Herrn Juncker aufzugreifen, er wäre beherrschbar. Für uns alle gilt jedoch: Wir warten den Troika-Bericht ab. Entscheidend ist jetzt, dass Handeln und Haftung zusammenbleiben müssen, genauso wie Haftung und Kontrolle, aber auch Kontrolle und Konsequenz. Europa und der Euro dürfen nicht an Versäumnissen einzelner Mitgliedstaaten scheitern.
Frage: Die Kanzlerin managt die Euro-Krise, die FDP folgt im Windschatten. Wollen Sie
so Ihre Partei aus der Krise führen?
RÖSLER: Die Kanzlerin vertritt als Regierungschefin - auch im Scheinwerferlicht - unsere Position. Die entwickeln wir gemeinsam in der Koalition. Unser Kurs ist klar: Wir brauchen ein vereintes Europa mit einer starken Euro-Zone und einer stabilen Währung. Die Koalition hat dafür bereits viel erreicht. Auch dank der Standhaftigkeit der FDP gegen Eurobonds, als andere schon wackelten. Der Fiskalpakt und der Euro-Rettungsschirm ESM sind zwei tragende Säulen. Die vereinbarten Regeln müssen in Europa jetzt eingehalten werden.
Frage: Droht 2013 der nächste Konjunktureinbruch?
RÖSLER: Die Frühindikatoren zeigen, dass die deutsche Wirtschaft aktuell vorsichtig agiert. Sie bleibt robust, aber es wird eine Konjunkturabkühlung geben.
Frage: Was passiert dann?
RÖSLER: Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter stärken, gerade wenn es wirtschaftlich schwieriger wird. Dazu zählt: solide Haushalte, Ausbildung von Fachkräften, Sicherung von Rohstoffen. Energie muss bezahlbar bleiben. Und keine zusätzlichen sozialen Wohltaten auf Pump.
Frage: Zieht der Koalitionspartner mit?
RÖSLER: Manchmal habe ich da meine Zweifel. Die CDU-geführte Regierung Thüringens hat im Bundesrat einen Antrag zum Mindestlohn eingebracht. Die CDU-Regierungschefin des Saarlands sperrt sich gegen niedrigere Sozialbeiträge und damit auch gegen eine Absenkung der Lohnnebenkosten. Die Bundesarbeitsministerin tritt auf die Bremse, wenn es um Flexibilität am Arbeitsmarkt geht. Manches von dem, was wir von anderen EU-Ländern für mehr Wettbewerbsfähigkeit fordern, wird von der Union abgelehnt. Auch an dieser Stelle wird die FDP als Korrektiv zur Union gebraucht.
Frage: Sie beteuern laufend, dass Strom bezahlbar bleiben muss, aber der Strompreis steigt und steigt. Wer soll Ihnen noch glauben?
RÖSLER: Wir werden bis 2022 aus der Atomkraft aussteigen, daran rüttelt niemand. Aber wir müssen auf dem Weg dahin immer wieder überprüfen, ob Arbeitsplätze gefährdet sind und ob Energie bezahlbar bleibt. Wenn hier Risiken entstehen, müssen wir nachsteuern.
Frage: Die Belastung des Strompreises wegen des Ökostromausbaus sollte nicht über 3,5 Cent je Kilowattstunde steigen, versprach die Kanzlerin - jetzt geht jeder von bald fünf Cent aus. Wie erklären Sie das den Stromkunden?
RÖSLER: Die FDP hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Belastung durch die Milliardensubventionen für Solarstrom steigen wird. Im Herbst wird die Höhe der künftigen Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) berechnet. Den erwarteten Anstieg sollten wir für eine grundlegende Reform des Gesetzes nutzen. Wir brauchen bei den erneuerbaren Energien nicht nur eine Kürzung der Fördersätze, sondern ein neues System. Bei der Solarförderung gibt es bereits erstmalig eine Marktintegration. Das heißt, nicht mehr der gesamte Solarstrom wird zu festen Preisen abgenommen. Mehr Markt muss auch für andere Erneuerbare gelten. Wir wollen mehr erneuerbare Energien, aber der Ausbau muss wirtschaftlich vernünftig sein.
Frage: Ende August wird die Entwicklung des Strompreises auch Thema eines Gipfels im Kanzleramt zur Energiewende sein. Was wird Ihr Vorschlag sein?
RÖSLER: Die Reform der Ökostromförderung ist entscheidend. Die Phase, in der erneuerbare Energien Nischenprodukte waren und mit viel Geld gefördert werden mussten, ist vorbei. Wir haben jetzt die absurde Situation, dass der Gesetzgeber die Preise für Ökostrom bestimmt, weil er die Fördersätze festlegt. Bliebe es dabei, würde der Staat im Jahr 2050, wenn wir 80 Prozent Ökostrom erreichen wollen, die Preise zu 80 Prozent festlegen. Das wäre Stromsozialismus.
Frage: Die Industrie wird beim Strompreis großzügig entlastet und der Verbraucher darf zahlen.
RÖSLER: Deutschland muss Industriestandort bleiben. Strom ist heute gerade für den Mittelstand ein wesentlicher Kostenfaktor. Die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen sichern wir nur, wenn es bei den Erleichterungen bleibt. Wir brauchen unsere Industrieunternehmen, ihre Produkte und die Arbeitsplätze, die sie schaffen. Wer Arbeitsplätze gefährden will, trifft auf meinen entschiedenen Widerstand.
Frage: Verbraucherschützer fordern Gleichbehandlung und Ausnahmen für sozial Schwache.
RÖSLER: Das ist keine Lösung. Das eigentliche Problem ist das EEG. Da müssen wir ran. Auch energiewirtschaftlich ist der Vorschlag falsch, weil die Anreize zum sparsamen Umgang mit Energie geringer würden. Zudem müsste bei Ausnahmen für sozial Schwache die Mitte der Gesellschaft die Energiewende fast allein bezahlen. Die Akzeptanz dafür würde dann schwinden.
Frage: Wolfgang Kubicki hält Sie für ablösungsreif und empfiehlt schon Christian Lindner als Nachfolger. Geht Ihnen nach 15 Monaten im Amt schon die Energie aus?
RÖSLER: Wolfgang Kubicki weiß, wie man Wahlkampf macht - auch in eigener Sache. Ich gehe weiter meinen Weg.
Frage: Die FDP dümpelt bei fünf Prozent in den Umfragen. Wollen Sie Ihre Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen?
RÖSLER: Wir haben 2012 bewiesen, dass wir Wahlen gewinnen können. Auch in Niedersachsen werden wir erfolgreich sein. Dafür kämpfe ich. In meinem Heimatland werde ich mich auch um die Spitzenkandidatur auf der Landesliste zur Bundestagswahl bewerben.
Frage: Soll sich die FDP für eine Ampel- Koalition mit SPD und Grünen öffnen?
RÖSLER: Koalitionen folgen gemeinsamen Zielen. Gerade in der Euro-Debatte entfernen sich Sozialdemokraten und Grüne von der FDP. Sie setzen auf Eurobonds und wollen Deutschland für die Schulden anderer Länder haftbar machen. Das lehnt die FDP ab. SPD und Grüne sind für eine Schuldenunion. Wir wollen eine Stabilitätsunion in Europa. Wo ist da die Schnittmenge? Es gibt aktuell keine Grundlage für ein Ampelbündnis mit SPD und Grünen.
Frage: Ihre Popularitätswerte liegen im Keller. Hätten Sie sich das bei Ihrem Amtsantritt als Vorsitzender vorstellen können?
RÖSLER: Um die Beliebtheit habe ich mir damals keine Gedanken gemacht. Mir ging es um die Übernahme von Verantwortung. Die FDP war in einer schwierigen Lage.
Frage: Aber Sie schwammen oben auf der Sympathiewelle.
RÖSLER: Keine Übertreibung. Das "oben" ist ein wenig beschönigend, wenn ich mich recht erinnere. Am Ende zählt aber der Erfolg. Im letzten Jahr hatte die FDP fast keiner mehr auf dem Zettel. Das ist heute anders.