STARK-WATZINGER-Gastbeitrag: Wir brauchen biotechnologisch veränderte Pflanzen.
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger schrieb für das "Handelsblatt" und für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Laut Welthungerhilfe stirbt alle dreizehn Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger. Weltweit liegt die Zahl der Hungernden bei mehr als 800 Millionen Menschen. Gleichzeitig bedrohen Klimawandel und Extremwetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen Ernteerträge – auch in Deutschland. Was könnte da näherliegen, als mit Forschung und Innovation zu helfen?
Um höhere Ernteerträge zu erzielen und Pflanzen resistenter zu machen, wird schon seit Jahrhunderten das Erbgut von Pflanzen durch Züchtung verändert. Seit Jahrzehnten werden hierfür auch Chemikalien oder radioaktive Strahlung in der konventionellen Züchtung eingesetzt.
Heute ermöglichen moderne biotechnologische Züchtungsverfahren, die sogenannten Neuen Züchtungstechniken, eine wesentlich schnellere, effizientere und präzisere Entwicklung neuer Pflanzen. Denn diese Technologie ermöglicht mithilfe der Genschere Crispr/Cas zielgenaue genomische Veränderungen, indem ausgewählte Genabschnitte ein- oder ausgeschaltet bzw. entfernt oder ersetzt werden können.
Die Technologie, um sicher und schnell höhere Ernteerträge zu erzielen und Pflanzen resistenter zu machen, ist also vorhanden. Umso bizarrer ist, dass sie in Deutschland seit Jahrzehnten von Aktivisten geradezu militant bekämpft wird. Felder wurden gezielt zerstört, sogar die von Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die Erkenntnisse der Wissenschaft und der Welthunger interessieren hier offenbar nicht.
Dabei halten wir mit den Neuen Züchtungstechniken den Schlüssel für die großen Herausforderungen der Menschheit in der Hand. Apfelsorten, die mittels Crispr/Cas-Eingriff resistent gegen Feuerbrand gemacht wurden; Reben, die resistent gegen Mehltau sind; oder Weizen mit reduziertem Glutengehalt: All das ist mit den Neuen Züchtungstechniken in kurzer Zeit machbar.
Jetzt liegt es an uns, diese Chance zu ergreifen. Konventionelle Pflanzenzüchtung ist ein zeit- und ressourcenintensives Geschäft. Wir dürfen und können es uns einfach nicht erlauben, dass veraltete Regeln verhindern, dass mit den Neuen Züchtungstechniken zeitsparende und sichere Technologien genutzt werden.
Warum die Neuen Züchtungstechniken noch nicht im großen Stil eingesetzt werden? Im Juli 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass durch Genomeditierung erzeugte Organismen ohne Fremd-DNA den gleichen strengen Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften unterliegen wie gentechnisch veränderte Organismen mit Fremd-DNA. Deshalb unterliegen Pflanzen, die mittels Neuer Züchtungstechniken erzeugt wurden, bislang einem aufwendigen und teuren Bewilligungsverfahren. Auch, wenn sie sich genetisch nicht von solchen Pflanzen unterscheiden, die mittels konventioneller Züchtungsmethoden erzeugt wurden und keine fremd-DNA enthalten. Mit anderen Worten: Gleiches wird ungleich behandelt, zum Nachteil aller.
Für Juli 2023 erwarten wir einen Entwurf der EU-Kommission für eine Novellierung des Rechtsrahmens für Neue Züchtungstechniken. Denn der bisherige ist völlig veraltet und wissenschaftlich überholt – wie viele politische Positionen zur Gentechnik übrigens auch.
Die Position der Wissenschaft hingegen ist klar: Die aktuellen Regelungen zu Neuen Züchtungstechniken sind mit dem heutigen Kenntnisstand der Wissenschaft nicht vereinbar. Folgt die EU-Kommission mit der Novellierung dem Stand der Wissenschaft und lockert die bisherigen Vorschriften, würde dies der Pflanzenforschung und der Züchtung klimaangepasster Pflanzen einen deutlichen Schub geben.
Das wäre in doppelter Hinsicht ein wichtiger Erfolg: Wir hätten dem Hunger in der Welt und dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen und würden zugleich Deutschland einen Spitzenplatz in der grünen Biotechnologie sichern.
Andere Länder, außerhalb Europas machen es vor – etwa die USA. Dort ist der Einsatz der neuen Züchtungsmethoden seit Jahren gang und gebe und nicht reguliert. Wenn wir die Regelungen nicht an den Stand der Wissenschaft anpassen, droht die Forschung aus Deutschland und der EU abzuwandern, und wir werden die zukünftigen Standards für diese Technologie nicht mitgestalten.