02.06.2016FDPFDP

STEINER-Interview: Machermentalität scheint in der Politik zu fehlen

Berlin. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied LENCKE STEINER gab der „Welt“ (Donnerstag-Ausgabe) und „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte ULRICH EXNER:

Frage: Frau Steiner, Sie sitzen jetzt seit einem Jahr mittendrin in der Politik – was ist Ihre wichtigste Erfahrung?

STEINER: Wenn man – aus einem Unternehmen kommend – in die Politik wechselt, gibt es erst einmal ein Brett vorn Kopf. Alles geht extrem langsam voran, das ist man als Unternehmerin nicht gewöhnt. Die Verfahren in der Politik sind derartig zäh. In Unternehmen ist man gewohnt, dass die Dinge zügig entschieden werden. Ein Thema kommt auf die Agenda, man spricht darüber, entscheidet, und dann geht's los. So eine Machermentalität scheint es in der Politik nicht zu geben.

Frage: Gab es einen Moment, in dem Sie gedacht haben, mein Gott, wo bin ich hier nur hingeraten?

STEINER: Ja, den gab es. Wenn Sie in der Bürgerschaft am Rednerpult stehen und dann beschimpft werden, wenn lauthals dazwischengebrüllt wird, da muss man sich schon erst einmal dran gewöhnen.

Frage: Ging das gegen Sie persönlich?

STEINER: Am Anfang war es schon hart. Da war ich, waren wir als neue Fraktion offenbar der Störfaktor im Parlament. Und es ging immer wieder ins Persönliche. Und da werde ich schon mal als „doof“ beschimpft.

Frage: Blond und doof vermutlich.

STEINER: Blond wäre noch charmant gewesen, das hätte ich als Kompliment aufgefasst. Aber es ging dann eher auf die Neidebene, Shitstorm inklusive. Da habe ich mich zwischendrin schon gefragt: Was tue ich mir denn da an? Aber das hat sich inzwischen gelegt. Es ist deutlich besser geworden.

Frage: So richtig gut angekommen in der Bremer Lokalpolitik sind Sie aber noch nicht, oder?

STEINER: Bremen ist für eine Oppositionspartei ein extrem schwieriges Pflaster. Hier hat sich seit 70 Jahren politisch kaum etwas verändert. Im Prinzip immer die gleichen Regierungskonstellationen, immer von der SPD angeführt. Wenn man in so ein festgefahrenes Machtgefüge als jemand hineinkommt, der nicht aus der Politik kommt, vielleicht auch noch mit unkonventionellen und frischen Ideen, wenn Sie dann noch anders reden als die anderen Politiker – dann kriegen Sie schnell gehörig Wind von vorn.

Frage: Und?

STEINER: Soll ich mich deswegen ändern? Nur weil im vergangenen Mai Bürgerschaftswahl war, bin ich doch kein anderer Mensch geworden.

Frage: Täuscht der Eindruck oder ist Ihnen die Bremer Landespolitik eher ein bisschen zu kleinteilig?

STEINER: Nein, nicht zu kleinteilig. Aber es ist schon so, dass man ziemlich breite Schultern braucht, um sich durch die Konventionen durchzukämpfen, die es in dieser Stadt gibt.

Frage: Haben Sie selbst den Eindruck, dass Sie als Oppositionspartei in den vergangenen zwölf Monaten schon etwas bewegen konnten?

STEINER: Ja, ich finde schon. Wir haben zum Beispiel das Thema Innere Sicherheit immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt, weil wir gemerkt haben, dass sich die Menschen in Bremen einfach immer unsicherer fühlen. Die Polizei ist hier vor Ort im Straßenbild einfach nicht hinreichend präsent. Wir haben eine Diskussion in der Bürgerschaft darüber eröffnet, was die Polizei in Zukunft leisten kann und muss.

Frage: Hat sich dadurch etwas verändert in der Stadt?

STEINER: Am Ende wurde die Zielzahl, also die Mindestanzahl der zur Verfügung stehenden Polizisten, dann eben doch nach oben gesetzt.

Frage: Kann sich die Stadt weiteres Personal überhaupt leisten?

STEINER: Sie muss jedenfalls Schwerpunkte setzen und es nicht überall laufen lassen. Wir haben hier bis heute keinen gültigen Haushalt für das Jahr 2016. So etwas wäre für einen Unternehmer überhaupt nicht denkbar, so arbeitet niemand in der Wirtschaft.

Frage: Haushalt ist ein gutes Stichwort. Haben Sie nach einem Jahr in der Bürgerschaft eigentlich den Eindruck, dass die desolate Bremer Finanzlage überhaupt noch in den Griff zu bekommen ist?

STEINER: Ich denke schon. Wir bräuchten allerdings eine klare Aufgabenkritik. Wir müssten uns auf die Kernaufgaben konzentrieren, die Verwaltung neu aufstellen und deren Prozesse optimieren; wenn wir dann noch auf ideologisch motivierte Entscheidungen wie den Bau des Offshore-Terminals verzichteten und das Geld stattdessen in Erfolg versprechendere Projekte investierten, wäre schon sehr viel gewonnen. Dann kriegen wir das auch hin.

Frage: Müsste man vielleicht auch einmal anfangen, darüber nachzudenken, ob eine 500.000-Einwohner-Stadt wie Bremen tatsächlich einen eigenen Verfassungsschutz braucht?

STEINER: Bremen ist nun einmal ein eigenes Bundesland.

Frage: Vielleicht ist genau das das Grundproblem?

STEINER: Ich bin aus Überzeugung für die Eigenständigkeit Bremens. Diese Unabhängigkeit nutzt unserer Wettbewerbsfähigkeit. Und es ist gut, dass auch eine Stadt dieser Größenordnung im Bundesrat mitsprechen kann. Aber es ist durchaus sinnvoll, dass wir mit Niedersachsen noch enger zusammenarbeiten – gerade im Bereich Polizei und Justiz.

Frage: Neben dem Dauerbrenner Haushaltssanierung hat in ihrem ersten Parlamentsjahr vor allem die begrenzte Freigabe von Cannabis für Schlagzeilen gesorgt. Haben Sie die schon ausgenutzt?

STEINER: Wenn Sie es ganz genau wissen wollen: Ich habe noch nie gekifft. Und ich bin persönlich bei diesem Thema auch anderer Meinung als meine Partei und meine Fraktion. Für medizinische Zwecke gerne, aber generell bin ich als Privatperson eher gegen eine Freigabe.

Frage: Wie ist Ihr politisches Engagement eigentlich Ihrer Firma bekommen? Läuft der Laden?

STEINER: Alles entspannt. Unsere Leute halten mir wunderbar den Rücken frei. Und wir haben das große Glück, dass unser Unternehmen bisher Jahr für Jahr eine positive Entwicklung genommen hat. Das ist auch im zurückliegenden Jahr so geblieben.

Frage: Bleibt es eigentlich bei einem Ausflug in die Politik? Oder wollen Sie sich hier festsetzen?

STEINER: Die große Frage, die sich stellt, lautet: Was passiert 2017? Berlin: Ja oder Nein?

Frage: Sie wollen also gleich weiter in den Bundestag?

STEINER: Das kann ich Ihnen heute noch nicht endgültig beantworten. Fakt ist aber, dass wir auch für Bremen einen aussichtsreichen Kandidaten aufstellen werden.

Frage: Wie viel Prozent müsste die FDP in Bremen holen, damit der Kandidat tatsächlich in den Bundestag kommt?

STEINER: Etwa achteinhalb, neun Prozent.

Frage: Schaffen Sie das?

STEINER: Wenn ich antrete, dann ist das natürlich mein Minimalziel. Aber mal ernsthaft: Neun Prozent sind für die FDP in Bremen schon sehr ambitioniert.

Frage: Neulich haben Sie ja schon mal geübt für eine künftige Karriere im Bund und sich in die Merkel-Erdogan-Böhmermann-Debatte eingemischt. Warum?

STEINER: Warum?! Weil ich es eine Farce fand, wie Frau Merkel mit dem Freiheitsgedanken umgeht und den Erdogan gefühlt in Deutschland mitregieren lässt. Das geht doch gar nicht.

Frage: Mit welchen Themen sollte die FDP in den Wahlkampf ziehen?

STEINER: Rente und Generationengerechtigkeit sind für uns ein Riesenthema. Wir haben jüngst auf unserem Bundesparteitag ein Konzept für ein flexibles Renteneintrittsalter vorgelegt. Ohne Hinzuverdienstgrenzen. Das ist doch der größte Unfug, dass Leute, die ihre Rente durch Arbeit aufstocken wollen, dafür bestraft werden. Daneben beschäftigen mich die Themen Start-ups und Gründerkultur natürlich besonders intensiv.

Frage: Und mit wem sollte die FDP koalieren?

STEINER: Wenn überhaupt, dann ist entscheidend, dass wir uns nicht unter Wert verkaufen und möglichst viele eigene Inhalte umsetzen. Das ist unser neues Selbstverständnis.

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