09.05.2015FDPFDP

STEINER-Interview: Menschen sehnen sich nach einer liberalen Stimme

Berlin. Die FDP-Spitzenkandidatin für die Bremer Bürgerschaftswahl LENCKE STEINER gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte MARTINA FIETZ:

Frage: Sie sind eine Seiteneinsteigerin in die Politik. Wie sieht Ihr Alltag jetzt aus?

STEINER: Im Wahlkampf verlasse ich mich beruflich ganz auf mein Team. Meine Kunden rufen mich zwar auch auf dem Handy an, doch die Umsetzung der Projekte übernehmen meine Leute. In den vergangenen Wochen war ich viel für die Freien Demokraten unterwegs – in Betrieben, Altenheimen, in Kindertagesstätten Dazwischen hatte ich immer wieder Kontakt zum Büro und musste manchmal versuchen, spontan etwas mit zu organisieren.

Frage: Zum Beispiel? Der Betrieb Ihrer Familie liefert Verpackungen.

STEINER: Ja, genau. Wir müssen gerade einen Weg finden, wie wir sechs Meter lange Rohre möglichst einfach verpacken können.

Frage: Sie stammen aus einer Unternehmerfamilie, sind Vorsitzende der Jungen Unternehmern. Was läuft aus Sicht der Wirtschaft derzeit falsch in Deutschland?

STEINER: Durch mein Engagement bei den Jungen Unternehmern habe ich in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Interessen der jungen Generation und der Unternehmer kaum Gehör finden. Für uns wird keine Politik gemacht.

Frage: Was heißt das?

STEINER: Es wird zunehmend mehr reguliert. Das Misstrauen wächst. Gerade kleineren Unternehmen und familiengeführte Betriebe werden mit immer neuen Aufgaben belastet, zum Beispiel Dokumentationspflichten, Betriebsstättenverordnung, Einschränkung der flexiblen Arbeitszeitmodelle, Entgeltgleichheitsgesetz. Auch die Rente mit 63 ist ein Problem aus Unternehmersicht. Denn vielfach gehen dadurch den Betrieben die qualifizierten und erfahrenen Mitarbeiter verloren. Und da setzt auch das Problem für die junge Generation an. Niemand macht sich Gedanken, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft gestaltet werden soll.

Frage: Sind Sie deshalb politisch aktiv geworden?

STEINER: Ja. Mir ist klar geworden, wenn man wirklich etwas bewegen will, muss man aktiv werden. Da kann man sich nicht auf andere verlassen. Das haben wir beispielsweise beim Rentenpaket gesehen. Da war die Junge Gruppe der Unionsfraktion auch erst gegen und hat dann mehrheitlich zugestimmt. Da traf es sich gut, dass die FDP mich gefragt hat, ob ich die Spitzenkandidatur übernehmen würde.

Frage: Haben Sie spontan zugesagt?

STEINER: Na ja, ich habe das schon mit meinem Mann und meiner Familie besprochen. Die Familie muss dahinterstehen.

Frage: Die FDP lag bei der letzten Wahl bei 2,4 Prozent. Was macht Sie optimistisch, dass Ihnen die Rückkehr in die Bürgerschaft gelingt?

STEINER: Mein Ziel sind acht Prozent. Man muss ehrgeizige Ziele haben. Und ich spüre, dass die Menschen sich nach einer liberalen Stimme sehnen. Viele hatten offensichtlich das Vertrauen in die FDP verloren, sehen aber jetzt, wohin es führt, wenn die liberale Kraft fehlt. Dass eine Partei fehlt, die den einzelnen stärken und nicht nur den Staat groß machen will. Wir wenden uns an die Menschen, die Chancengerechtigkeit und Eigeninitiative gut finden, die Verantwortung übernehmen wollen. Solche finde ich bei der CDU, aber auch bei den Grünen und der SPD – und natürlich auch bei vielen, die gar nicht mehr zur Wahl gegangen sind, weil sie glaubten, das verändere sowieso nichts.

Frage: Wenn Sie all diese Punkte bei der FDP gut vertreten sehen, warum sind Sie selbst nicht Parteimitglied?

STEINER: Ich wollte bewusst als Parteilose antreten, weil es viele Menschen gibt, die nicht per se der einen oder anderen Partei zugewandt sind. Diese Leute möchte ich mit Themen erreichen. Hinzu kommt meine berufliche Situation. Ich möchte zeigen, dass ich nicht von der Politik abhängig bin. Ich arbeite in unserem Familienunternehmen, habe selbst im vergangenen Jahr ein kleines Startup gegründet. Das zeigt doch, bei mir geht es nicht um eine Ämterjagd, sondern ich will wirklich etwas bewegen.

Frage: Was passiert, wenn Sie am Sonntag den Sprung in die Bürgerschaft schaffen? Werden Sie dann FDP-Mitglied?

STEINER: Ich denke, dass ich dann Mitglied werde.

Frage: Bremen ist nach Hamburg der zweite bedeutende Test für das Comeback der FDP. In Hamburg war mit Katja Suding eine attraktive Frau erfolgreich. Nun gehen Sie in Bremen an den Start. Wird das ein Modell für die Partei nach dem Motto, Frauen nach vorn?

STEINER: Dazu fällt mir echt nichts mehr ein. Es gefällt mir nicht, auf das Frausein reduziert zu werden. Auch andere Parteien haben attraktive Frauen, Ilse Aigner etwa oder Yasmin Fahimi. Nur bei der FDP wird das zum Thema gemacht. Wir können die Menschen nur mitnehmen, wenn wir gute Inhalte haben.

Frage: Sie haben aber die weibliche Karte auch ausgespielt zu Beginn des Wahlkampfs, als sie mit einem provokanten Plakat auf sich aufmerksam machten. Da stand drauf: „Champagner für alle? Cabrios im Nahverkehr? Grundrecht auf Mode? - Was will die eigentlich?“

STEINER: Wir hatten doch null Chancen, wahrgenommen zu werden. Die Medien haben uns gesagt: Ihr seid nicht in der Bürgerschaft, wir müssen Euch behandeln wie die Piraten, also im Grunde gar nicht. Darum mussten wir provozieren. Gleichzeitig wollten wir aber sofort eine Diskussion über Inhalte und eben nicht über Beine oder das Äußere. Das Plakat hatte ja auch sofort ein Auflöser-Plakat dabei. Da stand drauf „Wachstum statt Armut. Fließender Nahverkehr. Grundrecht auf Bildung. Das will ich.“

Frage: Das alles wird sich nicht leicht umsetzen lassen. Bremen gilt bereits als Deutschlands Griechenland. Wie wollen Sie das Land wieder flott machen?

STEINER: Klar ist doch, dass die Schulden, die in 70 Jahren aufgehäuft wurden, nicht in vier Jahren einer Legislaturperiode abgebaut werden können. Aber man muss endlich einmal damit anfangen. In Bremen übersteigen die Ausgaben noch immer die Einnahmen. Zuallererst muss man an die Verwaltung ran. 30 Prozent sind da mit dem Verwalten der Verwaltung beschäftigt. Der Apparat muss effizienter werden, beispielsweise durch das Zusammenlegen von Ressorts. Warum siedelt man das Verkehrsressort nicht beim Wirtschaftsressort an? Kitas werden im Sozialressort verwaltet, die Grundschulen im Bildungsressort. Das ist nicht sinnvoll, will man eine gute aufeinander aufbauende Bildung. Wir wollen Synergieeffekte mit den Metropolregionen von Oldenburg bis Hannover oder Hamburg nutzen.

Frage: Was heißt das?

STEINER: Wir könnten bei den Landesämtern oder Zulassungsstellen zusammenarbeiten. Auch bei den Schulen sind Kooperationen möglich. Beim öffentlichen Nahverkehr lässt sich viel tun. Bei der Polizei arbeiten Bremen und Bremerhaven bislang nicht zusammen. Das hat alles keinen Sinn.

Frage: Ein Schwerpunkt Ihres Wahlkampfs lag bei der Bildung. Bessere Bildung fordern alle.

STEINER: Wir brauchen mehr Chancengerechtigkeit. Die entsteht bereits in der Kita. Dort sollte der Fokus auf der Sprachkompetenz liegen. Denn hier muss man schon Ungleichheiten abbauen, damit die Kinder in der Grundschule gleich stark an den Start gehen können. Außerdem muss etwas gegen den Stundenausfall in den Schulen geschehen. 100.000 ausgefallene Stunden pro Jahr sind nicht hinnehmbar. Wir müssen darauf achten, dass die Grundfächer Mathematik, Deutsch und Englisch durchgängig und gut unterrichtet werden. Es muss nicht jeder studieren. Aber wir müssen die Jugendlichen so schulen, dass sie ausbildungsfähig sind, dass sie im Handwerk oder in einem kaufmännischen Beruf erfolgreich arbeiten können. Wir müssen dafür sorgen, dass auch die Fachkräfte für das Handwerk von morgen ausgebildet werden können. Wir fordern Wirtschaft und Politik als Pflichtfach.

Frage: Das klingt alles gut. Nur wie soll das umgesetzt werden?

STEINER: Wir haben als ersten Schritt bereits eine Petition mit der Forderung nach zusätzlichen Lehrern unterschrieben. Aber auch das lässt sich natürlich nicht von heute auf morgen umsetzen. Dann wollen wir Sozialpädagogen verstärkt in den Schulen einsetzen, um die Integration möglichst früh zu fördern.

Frage: Und die Wirtschaft bekommen Sie durch Deregulierung flott?

STEINER: Wir brauchen unbedingt eine Gründerszene in Bremen. Das kann aber nur gelingen, wenn wir hier einen Inkubator haben, wenn wir es schaffen, eine Plattform zu gründen, die bislang nicht genutzte Patente zur Verfügung stellt. Wir brauchen einen Innovations-Fonds, in dem private wie öffentliche Mittel sind. Darüber hinaus müssen bezahlbare Flächen für Gewerbe bereitgestellt werden. Und wir brauchen ein modernes Mobilitätskonzept, etwa für mehr Möglichkeiten von Car- und Bike-Sharing.

Frage: Zu erwarten steht, dass am Sonntag die rot-grüne Koalition bestätigt wird. Als Opposition haben Sie da wenig Chancen …

STEINER: Wenn es wieder Rot-Grün gibt, werden wir unsere Themen aus der Opposition heraus vertreten, dafür werben und hoffentlich dafür begeistern. Denn auch Rot-Grün muss erkennen, dass Bremen alle Chancen hat – sie müssen nur genutzt werden.

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