06.04.2020FDPFDP

TEUTEBERG-Interview: Durchhalteparolen reichen auf Dauer nicht

Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Peter.

Frage: Frau Teuteberg, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, hat angesichts der Einschränkungen in der Corona-Krise davor gewarnt, bald könnte eine Revolution in der Luft liegen. Was will die FDP uns damit sagen? Ist das wirklich ein angemessener Ton in dieser Lage?

Teuteberg: Die Corona-Krise bringt viele Menschen in existenzielle Nöte und geht psychisch an die Substanz. Wir wollen unsere Republik danach noch als offene Gesellschaft, liberalen Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft wiedererkennen und machen darauf auch zugespitzt aufmerksam.

Frage: Wie lange darf der weitgehende Shutdown des öffentlichen Lebens höchstens noch dauern?

Teuteberg: Es geht nicht darum, heute ein Datum zu nennen. Unsere Demokratie braucht die offene Debatte wie die Luft zum Atmen. Gerade wenn die Freiheit, sich physisch zu versammeln, eingeschränkt wird, brauchen wir die Auseinandersetzung und Verständigung in Wort und Schrift. Freiheitseinschränkungen sind kein Selbstzweck, sondern dienen dem Gesundheitsschutz. Gerade in schwierigen, ungewissen Situationen gilt es, Dilemmata offenzulegen und sich nicht von ihnen überwältigen zu lassen. Dass die Kanzlerin sich eine solche Debatte verbittet, finde ich weder überzeugend noch überraschend. Sie und ihre Bundesregierung können so leichter die Deutungshoheit behalten.

Frage: Diese Sicht der Dinge müssen Sie genauer erklären. Die Kanzlerin sagt doch lediglich, es sei zu früh, die Regeln wieder zu lockern.

Teuteberg: Es war richtig, dass die Kanzlerin an die Bürger appelliert hat, die Lage ernst zu nehmen und sich entsprechend zu verhalten. Durchhalteparolen reichen auf die Dauer aber nicht aus. Die Kommunikation der Bundesregierung muss dieser Ausnahmesituation gerecht werden. Das heißt, verlässliche amtliche Informationen zu geben, und nicht Andeuten und Antesten über Interviews des Kanzleramtsministers oder Tagesbefehle der Verteidigungsministerin.

Frage: Wie soll die Gesellschaft dann mit der Information umgehen?

Teuteberg: Jetzt die Geduld aufbringen, sich an die Kontaktbeschränkungen zu halten. Für die Akzeptanz dieser Maßnahmen ist es aber wichtig, den Menschen eine Perspektive aufzuzeigen. Freiheitssehnsucht und Rücksichtnahme sind kein Widerspruch. Entscheidend dafür ist, die Verhältnismäßigkeit tief greifender Freiheitseinschränkungen auch in einer Krisensituation fortwährend zu überprüfen. Das ist zum einen psychologisch wichtig, um das Vertrauen zu stärken, dass die Maßnahmen notwendig und zeitlich begrenzt sind. Und es ist zugleich ein Gebot praktischer Vernunft: Eine Normalisierungsstrategie ist nicht banal und hat Voraussetzungen, die wir zuvor schaffen müssen.

Frage: Haben Sie auch eine eigene Antwort auf die Frage nach Wegen zurück in die Normalität?

Teuteberg: Wir brauchen größere und schnellere Testkapazitäten. Nur so können wir wissen, wen wir wegen konkreter Infektionsrisiken isolieren müssen. Darüber hinaus brauchen wir verlässlichere Datengrundlagen. Das betrifft die Aktualität der Zahlen ebenso wie die Fragestellungen: Besonders wichtig ist die Rate der Infizierten, die ernsthafte ärztliche Hilfe benötigen. Schließlich müssen wir auch über risikovermindernde Vorkehrungen sprechen und deren Einsatz vorbereiten. Das kann beispielsweise die Fiebermessung an Flughäfen und Bahnhöfen sein.

Frage: Sieht die – für viele bittere – Wahrheit nicht so aus: Irgendwann werden die Einschränkungen für möglichst viele aufgehoben werden, aber Risikogruppen – Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen – müssen dann weiter zu Hause bleiben?

Teuteberg: Auch der verstärkte Schutz besonders gefährdeter Menschen wird Teil einer Ausstiegsstrategie sein, über die wir ehrlich reden müssen. Vor allem sollten wir die Zeit nutzen, um über weitere Ideen zu diskutieren, die Infektionsschutz und Freiheitsrechte bestmöglich in Einklang bringen und das Risiko von Rückschlägen minimieren. Dazu gehört auch, dass wir Prioritäten festlegen müssen, welche Einrichtungen zuerst wieder geöffnet werden.

Frage: Nur zu.

Teuteberg: Schulen werden den Anfang machen müssen, wenn es um die Rückkehr zur Normalität geht. Unter dem Unterrichtsausfall leiden doch gerade die Schüler und deren Bildungschancen besonders, deren Eltern sie nicht selbst unterrichten und eine Hausbibliothek vorhalten können. Auch Produktion, Handel und Dienstleistungen müssen oben auf der Liste stehen. Unsere Wirtschaft muss so schnell wie möglich wieder atmen können. Nur so können wir auf Dauer auch unsere medizinische Versorgung finanzieren. Hochautomatisierte Produktion birgt zum Beispiel geringe Infektionsrisiken. Reine Freizeitvergnügen werden am ehesten warten müssen. Eine solche Strategie muss lebensnah und anpassungsfähig sein.

Frage: Der Besuch im Fußballstadion muss also noch lange Zeit ausfallen, oder?

Teuteberg: So schmerzlich das für Fans ist: Ein Fußballspiel im Stadion ansehen zu können ist ein Freizeitvergnügen und hat nicht oberste Priorität, wenn es um die Rückkehr zur Normalität geht. Ich vertraue darauf, dass die Menschen das verstehen.

Frage: Aus liberaler Sicht: Ist eine Pflicht, Schutzmasken in der Öffentlichkeit zu tragen, vorstellbar – um damit mehr gesellschaftliches Leben und wirtschaftliche Tätigkeit zu ermöglichen?

Teuteberg: Das halte ich für denkbar. Aus liberaler Sicht hätte ich kein Problem mit einer gut begründeten Regel, die besagt: Jeder muss fürs Erste einen Mund-Nasen-Schutz tragen, damit wir uns in diesem Land wieder freier bewegen können.

Frage: Die große Koalition hat auf die ökonomische Bedrohung schnell reagiert, es gibt einen Hunderte Milliarden schweren Rettungsschirm für die Wirtschaft. Müssen da nicht auch Sie als FDP-Generalsekretärin sagen: Danke, große Koalition?

Teuteberg: Danken müssen wir den Bürgern und Unternehmen, die durch ihre Leistung und Steuerzahlungen die Einnahmen ermöglicht haben, auf die der Steuerstaat jetzt zurückgreift, um in der Krise helfen zu können. Es muss nun aber darum gehen, dass die Liquidität auch schnell bei den Betrieben ankommt. Dafür haben wir vonseiten der FDP eine negative Gewinnsteuer vorgeschlagen. Das heißt: Wenn jemand einen Umsatzeinbruch hat, könnte das Finanzamt im letzten Jahr gezahlte Steuern zurückerstatten. Das wäre sowohl schnell und unbürokratisch als auch passgenau. Ohne den langwierigen Flaschenhals über Antragsverfahren und Banken.

Frage: Der Nachtragshaushalt sieht mehr als 150 Milliarden Euro zusätzliche Schulden vor. Brauchen wir nach der Krise einen Corona-Soli, um die Lasten wieder abzutragen?

Teuteberg: Nach der Krise brauchen wir einen Kassensturz. Das Land muss seine Prioritäten neu setzen. Die große Koalition hat Projekte beschlossen, die schon in Vor-Corona-Zeiten als teuer und ineffektiv erkennbar waren. Die Grundrente zum Beispiel wird Jahr für Jahr Milliardenbeträge kosten, ohne dadurch die so wichtige zielgenaue Bekämpfung von Altersarmut zu gewährleisten. Vor allem brauchen wir nach der Krise dringend eine Politik, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes stärkt. Sparen wird notwendig sein, aber nicht ausreichen.

Frage: Italien und Spanien verfügen nicht über dieselben Mittel wie Deutschland, stecken aber noch tiefer in der Krise. Müssen wir ihnen jetzt mit Euro-Bonds helfen?

Teuteberg: Bei dieser historischen Herausforderung ist die Frage für uns nicht das Ob, sondern das Wie europäischer Solidarität. Euro-Bonds sind auch unter der Überschrift Corona-Bonds keine gute Idee. Sie bedeuten eine gesamtschuldnerische Haftung aller Euro-Staaten, verändern die Stabilitätsarchitektur dauerhaft und setzen Fehlanreize zur übermäßigen Verschuldung. Handeln und Haften gehören aber zusammen. Es gibt bessere Instrumente.

Frage: Sie wollen also über Solidarität sprechen, aber nicht dafür zahlen.

Teuteberg: Ich schlage vor, einen gemeinsamen europäischen Fonds zu bilden, in den die stärkeren Mitgliedsländer jetzt Geld für medizinische Nothilfe in den wirtschaftlich schwächeren EU-Staaten einzahlen. Das bedeutet konkrete Solidarität und ein starkes Signal für europäische Gemeinsamkeit in der Corona-Krise.

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