22.08.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für das "Handelsblatt"

Berlin. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Handelsblatt" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten KLEMENS KINDERMANN, THOMAS SIGMUND und BERND ZIESEMER:

Frage: Herr Westerwelle, die CDU streitet um den wirtschaftspolitischen Kurs und sackt in den Umfragen ab. Rückt die Regierungsbank für die FDP nicht in weite Ferne, wenn der mögliche Koalitionspartner so schwächelt?

WESTERWELLE: Mit gefällt es überhaupt nicht, daß sich die Union selbst zerlegt. Wenn sie so weitermacht, verliert sie über kurz oder lang die Fähigkeit, Mehrheiten bei Wahlen einzufahren. Was mich aber besonders beunruhigt: Die Ursache dafür sind nicht taktische, sondern substanzielle Fehlentscheidungen.

Frage: Die da wären?

WESTERWELLE: Nehmen Sie die größte Steuererhöhung der Geschichte der Republik, obwohl wir endlich die Chance auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zugunsten neuer Arbeitsplätze hätten. Die guten Steuereinnahmen zeigen, daß die Mehrwertsteuererhöhung nicht nur ökonomisch falsch, sondern auch für die Staatsfinanzen nicht notwendig ist. Wenn die Bundesregierung schon nicht auf die FDP hört, sollte sie wenigstens dem Bundesbankpräsidenten Weber zuhören, der dasselbe sagt. Die Mehrwertsteuererhöhung muß mindestens ausgesetzt werden. Oder nehmen Sie die weiter wuchernde Bürokratie durch das Antidiskriminierungsgesetz. Das Gesetz wäre in der jetzigen Form gar nicht nötig gewesen, da die Grünen nicht mehr in der Regierung sind.

Frage: Was kann die FDP dagegen tun?

WESTERWELLE: Wir können als Opposition im Moment nur die ordnungspolitischen Kräfte bündeln, die einen anderen Weg wollen.

Frage: Da muß es Sie ja besonders ärgern, wenn die CDU als Ihr Koalitionspartner in NRW auf diesem Weg nicht mitgehen will?

WESTERWELLE: Die Reden von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in der CDU-Programmkommission beschäftigen mich weniger, als das praktische Handeln der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung spart den unpopulären Abbau von Steinkohlesubventionen nicht aus. NRW hat sich als erstes Bundesland gleich an die Abschaffung des Ladenschlußgesetzes gemacht. NRW hat auch nicht wie das schwarz-rot regierte Bremen die eigenen Landeskinder von Studienbeiträgen verschont. Diese schwarz-gelbe Landesregierung biete sich geradezu als Blaupause für den Bund an.

Frage: Sie stören sich also nicht am Inhalt der "Lebenslügen" von Herrn Rüttgers, wenn er vorträgt, niedrigere Steuern führen nicht zu mehr Wachstum?

WESTERWELLE: Inwieweit sich der stellvertretende CDU-Vorsitzende Rüttgers innerparteilich durch provozierende Interviews nach vorne arbeiten möchte, ist kein Thema für mich, solange die Ergebnisse in Düsseldorf stimmen.

Frage: Im konkreten Regierungshandeln schlägt sich ein sozialer Schwenk der CDU aber schon nieder. Wenn beispielsweise NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann für die Zeitarbeiter einen allgemein verbindlichen Mindestlohn vorschlägt. Beunruhigt Sie das nicht?

WESTERWELLE: Mich beunruhigt der Richtungskampf innerhalb der CDU. Vor allem, daß jetzt einige meinen, die Partei hätte durch die Ankündigung marktwirtschaftlicher Reformpolitik die Wähler verschreckt. Manche in der CDU tun jetzt so, als habe es die Beschlüsse auf dem Leipziger CDU-Parteitag nicht gegeben. Richtig ist aber, daß die Union ohne marktwirtschaftliches Profil erst recht verliert. Sie sollte sich an den schwarz-gelben Koalitionen in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen orientieren. Da wird hervorragende Arbeit geleistet.

Frage: Sind Sie von der Politik Angela Merkels enttäuscht?

WESTERWELLE: Das bin ich. Die Union attackiert jetzt den ordnungspolitischen Kurs meiner Partei, den wir vor der Wahl gemeinsam beschlossen hatten. Das ist schon seltsam. Angela Merkels Grundmelodie in ihren Reden als Oppositionschefin und sogar noch in ihrer ersten Regierungserklärung lautete "Mehr Freiheit wagen". Jetzt erleben wir genau das Gegenteil. Schauen Sie sich die Gesundheitsreform an. Das geplante Fondsmodell ist doch ein riesiger bürokratischer Murks. Die Bundeskanzlerin hat schon vorsorglich die Einführung dieses Fonds um einige Monate verschoben, weil sie ja um die Widersprüche weiß. Dann sollte sie besser gleich den Mut haben, einen anderen Weg zu wählen und den Fonds ad acta zu legen.

Frage: Ein Argument der Koalition ist, daß der Gesundheitsfonds für mehr Transparenz sorgt.

WESTERWELLE: Wollen wir weiter an Stellschrauben drehen, oder wollen wir unser Gesundheitssystem nicht endlich durch Wettbewerb zukunftsfest machen?

Frage: Zurück zur Machtperspektive der FDP. Wann rechnen Sie denn mit einem Scheitern der Koalition?

WESTERWELLE: Ich glaube nicht, daß die Koalition den regulären Wahltermin Herbst 2009 erreicht. Für den Fall, daß Schwarz-Rot vorzeitig scheitert, gibt es Neuwahlen oder der Bundespräsident erteilt den Auftrag, eine neue Regierung zu bilden.

Frage: Für welche Variante wären Sie?

WESTERWELLE: Wenn diese Regierung auseinander bricht, wäre ich für Neuwahlen, damit das Volk entscheiden kann.

Frage: Und wenn es nicht zu Neuwahlen, sondern zu einer neuen Regierungsbildung käme?

WESTERWELLE: Dann müßte eine neue Mehrheit aus Union, FDP und Grünen sondiert werden. Die ist ja auch schon nach der Bundestagswahl sondiert worden, aber leider nicht ernsthaft. Angela Merkel und ich haben diese Variante erwogen, sie ist aber an der CSU und den Grünen gescheitert.

Frage: Bei den Grünen gelten Sie aber als Reizfigur?

WESTERWELLE: Das nehme ich als Kompliment. Ich kann den Grünen auch gleich versprechen, daß ich ein schwieriger Gegner ihrer Dosenpfandideologie bleibe. Und um das klar zustellen: Die Grünen sind für uns kein strategischer Partner, sondern der politische Gegner.

Frage: Sollte sich die FDP aber nicht schon aus staatspolitischen Gründen für eine Jamaika-Koalition bei der anstehenden Landtagswahl in Berlin einsetzen? So zusagen als Testlauf für den Bund?

WESTERWELLE: Darüber entscheidet die Berliner FDP. Ich verfolge die Selbstfindung der Grünen mit Interesse. Die Partei hat jedoch ein Machtvakuum nach dem Weggang von Joschka Fischer. Sie weiß nicht, wohin sie will. Deshalb halte ich auch eine Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen nicht für ausgeschlossen.

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