WESTERWELLE-Interview für das Magazin "Markt und Mittelstand"
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem Magazin "Markt und Mittelstand" (September-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte GERD MISCHLER:
Frage: Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit dem zweiten Quartal wieder
im Abschwung. Sind wir auf die schwierigeren Zeiten vorbereitet, die auf uns
zukommen, Herr Westerwelle?
WESTERWELLE: Nein. Wir hatten drei Jahre lang ein sehr robustes Wachstum. In
dieser Zeit wäre es die heilige Aufgabe der Bundesregierung gewesen, das Land durch entsprechende Strukturreformen auf Zeiten vorzubereiten, in denen das konjunkturelle Umfeld wieder schlechter wird.
Frage: Welche Reformen wären was gewesen?
WESTERWELLE: Die Mutter aller Reformen ist für mich ein einfacheres und gerechteres Steuersystem mit niedrigeren Steuersätzen. Wir werden deshalb im kommenden Jahr nur dann einen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn darin eine entsprechende Steuerreform vereinbart ist.
Frage: Wieso ist das für Sie so wichtig?
WESTERWELLE: Weil wir in der Steuerpolitik endlich für eine Entlastung der Mittelschicht in Deutschland sorgen müssen. Wir haben in den vergangenen drei Jahren unter Schwarz-Rot die größten Steuererhöhungen in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt. Da war nicht nur die dreiprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Koalition
hat auch die Versicherungssteuer erhöht, die sogenannte Reichensteuer eingeführt und bei Pendlerpauschale, Sparerfreibetrag und Eigenheimzulage gekürzt. Der Finanzminister kassiert bei der Energie ab wie nie zuvor vom Spritpreis beispielsweise gehen fast zwei Drittel direkt an ihn. Und für viele Betriebe kommt nach den Verschlechterungen durch die Unternehmenssteuerreform, die ja nur Kapitalgesellschaften begünstigt hat, nun auch noch eine dramatisch schlechtere Situation bei der Erbschaftsteuer hinzu.
Frage: Eine einfachere Einkommensteuer entlastet diese Betriebe aber nicht.
WESTERWELLE: Doch. Denn für jeden Mittelständler, der als Personengesellschaft firmiert, ist die Einkommensteuer, die er zahlt, seine Unternehmenssteuer. Deshalb hat die FDP ein einfaches Steuersystem beschlossen, das bei privaten wie bei geschäftlichen Einkünften für Entlastung sorgt.
Frage: Wie soll das aussehen?
WESTERWELLE: Wir werden Unternehmen, egal in welcher Rechtsform sie firmieren, steuerlich gleich behandeln und künftig nur noch zwei Steuersätze anlegen nämlich zehn und 25 Prozent. Und wir entlasten Familien, indem Kinder endlich den gleichen Freibetrag wie ihre Eltern bekommen.
Frage: Ist das finanzierbar?
WESTERWELLE: Die Behauptung, wir könnten uns in Deutschland Steuersenkungen
nicht leisten, weil die Staatskassen leer seien, ist Unfug. Der Staat hat Geld wie Heu. Er setzt es leider nur allzu oft für Konsumausgaben ein und kürzt die Investitionen. Für niedrigere Steuern sei leider kein Geld mehr da, heißt es dann immer. Diese Einstellung ist fatal. Wir haben daher 400 konkrete Vorschläge gemacht, wie die Bundesregierung sofort sparen könnte auch im Abschwung.
Frage: Nämlich wie?
WESTERWELLE: Es gibt viele Ausgaben, die früher vielleicht einmal gerechtfertigt waren, heute aber nicht mehr. Wenn wir beispielsweise China nach wie vor rund 200 Millionen Euro Entwicklungshilfe allein in diesem Jahr zahlen, obwohl wir uns mit diesem Land einen heftigen Wettstreit darüber liefern, wer 2008 als Exportweltmeister abschließt, dann ist das so, als würde jemand seinem größten Konkurrenten im Sport direkt vor der Ziellinie noch persönlich die Doping- spritze verabreichen. Ein anderes Beispiel: Auch
bei der Bürokratie ließe sich enorm viel einsparen. Wenn wir die Effizienz unserer Verwaltung steigern würden, würden wir dadurch nicht nur die Kosten des Staates senken, sondern auch die Wirtschaft von einer wahren Würgeschlinge befreien.
Frage: Wo würden sie dabei ansetzen?
WESTERWELLE: Zum einen würden wir aus den Antrags- und Genehmigungsverfahren, wie wir sie heute haben, Anmeldeverfahren machen. Danach meldet jemand, der etwas unternehmen will, dies bei der zuständigen Behörde an. Wenn diese nicht binnen einer festgesetzten Zeit reagiert, gilt das, was angemeldet wurde, automatisch als genehmigt. In anderen Ländern ist dieses Verfahren längst üblich. Ich glaube außerdem, dass es an der Zeit ist, die Flut an Gesetzen und Verordnungen einzudämmen, indem wir jede
Vorschrift von vornherein mit einem Verfallsdatum versehen. Dann müsste künftig der, der ein Gesetz verlängern will, begründen, warum dies nötig ist und nicht der, der die Vorschrift abschaffen will.
Frage: Was müsste noch in einer Koalitionsvereinbarung mit der FDP stehen?
WESTERWELLE: Für Bedingungen ist es zu früh, aber bekannt ist, dass wir bei der Energie einen vernünftigen Mix ohne ideologische Scheuklappen brauchen und dass wir
die sozialen Sicherungssysteme auf Vordermann bringen müssen, weil wir nur so die Lohnzusatzkosten in Deutschland in den Griff bekommen werden. Es sind vor allem diese Kosten, die Arbeit in Deutschland teuer machen. Wer vor diesem Hintergrund ein bürokratisches Monster wie den Gesundheitsfonds einführt, vernichtet Wohlstand und Arbeitsplätze. Ich fordere die Koalitionsparteien daher dazu auf, mit der Einführung des Gesundheitsfonds mindestens bis nach der Wahl abzuwarten, damit die Bürger darüber abstimmen können, ob sie diesen bürokratischen Unfug wirklich zulassen wollen.
Frage: Die Union will den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf drei Prozent senken. Was halten Sie von dieser Idee?
WESTERWELLE: Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag, der von der FDP schon vor längerer Zeit gemacht wurde. Wenn wir die Mittelschicht und die Betriebe entlasten wollen, müssen wir alle vorhandenen Potenziale zur Beitragssenkung in vollem Umfang nutzen. Das Geld, das die Bundesagentur für Arbeit einnimmt, gehört ihr schließlich nicht. Es gehört auch nicht dem Staat. Es gehört den Beitragszahlern und muss diesen zurückgegeben werden, wenn es nicht gebraucht wird. Aus unserer Sicht ist sogar eine Beitragssenkung unter drei Prozent möglich.
Frage: Was würde die FDP in der Bildungspolitik tun, wenn sie 2009 eine Regierungsbeteiligung eingehen könnte?
WESTERWELLE: Wir würden das Bildungswesen durchlässiger machen, weil die
Globalisierung mittelfristig nicht nur über den Wettbewerb der Steuersysteme, sondern auch über den Wettbewerb der Bildungssysteme entschieden wird. Wenn Deutschland da nicht ins Hintertreffen geraten will, kann es sich nicht erlauben, auch nur ein einziges Talent zu verlieren. Nun gibt es aber unter Kindern Frühstarter und Spätentwickler, genauso wie es eher intellektuell und eher praktisch begabte Kinder gibt. Manchmal ändert sich das auch im Lauf der Schulzeit. Wenn wir uns alle Talente zu Nutze
machen und dafür sorgen wollen, dass sich junge Menschen aus eigener Anstrengung von ganz unten nach ganz oben arbeiten können, muss der Wechsel zwischen einzelnen Schularten leichter möglich sein.
Frage: Wo würden sie ansetzen, um diese Durchlässigkeit herzustellen?
WESTERWELLE: Die beste Antwort auf dieses Problem wäre, die Kultusministerkonferenz aufzulösen und den Bildungseinrichtungen selbst mehr Entscheidungsfreiheit zu geben.
Frage: Was wäre der ideale Wahlausgang, um diese Forderungen durchzusetzen?
WESTERWELLE: Wir werden unsere Koalitionsaussage vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr machen. Es ist aber bekannt, dass ich die schwarz-gelben Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg nicht nur erfolgreich finde, sondern auch zur Nachahmung auf Bundesebene empfehle. Wir wollen klare Mehrheiten für bürgerliche, an der Mittelschicht orientierte, wirtschaftsfreundliche Politik denn nur die ist auch sozial.
Frage: Sie haben jüngst auch eine Ampelkoalition nicht ausgeschlossen. Geschah
das aus der Überlegung, eine Regierung von SPD und Linkspartei zu verhindern?
WESTERWELLE: Deutschland braucht keine aufgewärmten sozialistischen Experimente. Deshalb wollen wir verhindern, dass Oskar Lafontaine und die Kommunisten für unser Land Verantwortung tragen. Das tun wir, indem wir uns für klare Verhältnisse und eine bürgerliche Mehrheit einsetzen.