24.09.2007FDP

WESTERWELLE-Interview für den "Deutschlandfunk"

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Deutschlandfunk" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN SPENGLER:

Frage: Was gilt nach dieser Woche? Die Koalition schlägt sich, die Koalition verträgt sich, oder sind wir doch Zeugen des Anfangs vom Ende?

WESTERWELLE: Die Koalition ist in ihrem Herbst angekommen, denn das war eine Woche der Zerrüttung. Und die Tatsache, dass die Bundeskanzlerin wegtaucht, das ist ja auch ein Zeichen dafür, dass ein Machtwort keine Wirkung mehr haben würde. So überzeugend die Bundeskanzlerin international auftritt, so ist es doch notwendig, dass sie auch in Deutschland für Ordnung sorgt. Und dieselbe Führungskompetenz, die die Bundeskanzlerin zu Recht international für sich in Anspruch nimmt, die müsste sie jetzt endlich auch mal in der Innenpolitik zeigen, denn man kann die Dinge so nicht laufen lassen. Die Weltpolitik ist das eine, aber in Deutschland ist Feuer unter dem Dach. Und wir brauchen nicht zwei Regierungen in einer, sondern eine Bundesregierung. Das sieht nämlich auch die Verfassung vor.

Frage: Wenn man solche Koalitionsfreunde hat, sagt der CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach, dann braucht man keine Opposition mehr. Es scheint so, als seien Sie überflüssig?

WESTERWELLE: Ja, man könnte es fast meinen, denn wenn man sich das anschaut, in welcher Schärfe sich auch die Koalitionsparteien auseinandergesetzt haben, das war ja weit unter der Gürtellinie mit persönlichsten Attacken. Das ist nicht die Art und Weise der parlamentarischen Auseinandersetzung, und daran beteiligen wir uns auch nicht. Unsere Aufgabe als Opposition ist, kenntlich zu machen, dass das, was von Minister Jung und von Minister Schäuble vorgeschlagen worden ist, eben nicht die richtige Richtung für Deutschland sein kann. Und dementsprechend haben wir als FDP ja auch unsere Arbeit im Deutschen Bundestag gemacht und das auf die Tagesordnung gesetzt. Dass überhaupt diese Parlamentsdebatte in dieser Woche stattfand, war ja das Ergebnis unseres parlamentarischen Wirkens. Also es ist schon notwendig, dass die Opposition hier diese Konflikte offenlegt.

Frage: Also in diesem aktuellen Streit, Herr Westerwelle, da stehen Sie ganz eindeutig auf der Seite der Sozialdemokraten, nicht auf der Seite Schäubles oder Jungs?

WESTERWELLE: Ich stehe auf der Seite des Bundesverfassungsgerichtes, und das hat klar gemacht, dass das Abschießen von zivilen Passagiermaschinen unzulässig ist und zwar nicht aus irgendwelchen gesetzestechnischen Gründen, sondern aus materiellen Gründen. Die Menschenwürde, das Recht auf Leben verbietet es dem Staat, auch Unschuldige gegeneinander abzuwägen und zu entscheiden du darfst leben, du musst sterben. Das sind Vorstellungen, die Gott sei Dank in unserer Verfassung nicht vorgesehen sind. Deswegen war es auch richtig, dass die FDP hier dem Bundesverteidigungsminister Einhalt geboten hat, dieses auf die Tagesordnung gesetzt hat, denn es kann natürlich nicht sein, dass die Staatsgewalt plötzlich Herrgott spielt und entscheidet, wer leben darf und wer sterben muss. Unschuldige und das Leben von Unschuldigen darf eben nicht gegeneinander abgewogen werden. Und als Rechtsstaatspartei wissen wir das natürlich.

Frage: Habe ich was überhört? Sie sagten irgendwie, die FDP hat Einhalt geboten. Ich habe aber noch nicht entnommen, dass der Bundesverteidigungsminister seine Äußerung zurückgenommen hätte.

WESTERWELLE: Na ja, zumindest ist es kenntlich geworden durch unser Wirken, dass dafür keine Mehrheit im Deutschen Bundestag vorhanden ist. Die Parlamentsdebatte, die wir durchgesetzt haben, hat ja klar gemacht - übrigens auch den Soldatinnen und Soldaten klar gemacht -, dass der Verteidigungsminister für sich spricht, aber eben nicht für das Parlament und auch nicht einmal für die Regierung.

Frage: Aber vor einer Entscheidung, ein Flugzeug vom Himmel zu holen, da würde er natürlich auch nicht vorher das Parlament fragen?

WESTERWELLE: Nein, aber es ist schon notwendig, dass unsere Soldatinnen und Soldaten wissen, das ist ein rechtswidriger Befehl, das wäre ein rechtswidriger Befehl, der nicht befolgt werden muss. Deswegen haben ja auch die Militärs - nehmen Sie allein den Bundeswehrverband - sich klar gegen den Verteidigungsminister gestellt.
Das wird übrigens auch noch ein parlamentarisches Nachspiel haben. Ich habe zum Wochenende für die FDP-Fraktion einen Missbilligungsantrag über die Äußerung des Verteidigungsministers im Deutschen Bundestag eingebracht. Darüber werden auch die Sozialdemokraten die Gelegenheit haben abzustimmen. Sie können also ihren Worten Taten folgen lassen. Und dann werden wir ja sehen, wie ernst es auch der sozialdemokratische Koalitionspartner mit der Verfassung meint, denn es ist schon eine arge Provokation des Bundesverfassungsgerichtes, nach so klarer Rechtsprechung das Leben von Unschuldigen gegeneinander abzuwägen und zur Disposition zu stellen, wie das der Verteidigungsminister mit seinen, wie er meint mutigen, Interviews getan hat.

Frage: Herr Westerwelle, es sind ja nicht die einzigen Äußerungen - jetzt der Abschuss von Passagierflugzeugen, das Spekulieren über nukleare Anschläge -, die wir in den letzten Monaten erlebt haben und die Anstoß erregt haben. Ich erinnere an die in Fragestellung der Unschuldsvermutung, an die Diskussion über Tötung auf Verdacht. Was steckt denn eigentlich hinter dieser ganzen Reihe?

WESTERWELLE: Ich bin Ihrer Auffassung. Das ist nicht eine zufällige Äußerung, sondern dahinter steckt ja System. Die Unschuldsvermutung infrage zu stellen, dann das Töten auf Verdacht zu erörtern, jetzt diese Warnungen vor einem terroristischen Nuklearangriff zu verbreiten und zu verbinden mit der Bemerkung, bis dahin solle man sich das Leben noch schön machen, das ist ja alles geeignet, um das öffentliche Klima anzuheizen, um daraus dann das parteipolitische Süppchen zu kochen. Das ist, wie wir finden, nicht seriös. Die Innen- und Rechtspolitik, auch ausdrücklich die Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus, das ist viel zu ernst, als dass man es als Instrument einsetzt zur Disziplinierung des Koalitionspartners SPD. Hier soll die SPD von der Union gedrängt und geführt werden. Sie soll in die Enge gedrängt werden, um dann am Schluss Projekte durch den Deutschen Bundestag durchzubringen, wofür es keine Mehrheit bisher gibt.

Frage: Also steckt da nur Parteipolitik hinter, oder könnte auch die Absicht sein, zum Beispiel die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, dass man das vorbereiten möchte?

WESTERWELLE: Das ist ja die Parteipolitik, denn jeder weiß ja, der Politik beobachtet, es gibt im Deutschen Bundestag keine Mehrheit dafür, die Bundeswehr zu einer Art regelmäßigen Hilfspolizei im Inland zu machen. Dieses Vorhaben der Unionsparteien soll durchgebracht werden, indem das innenpolitische Klima auch mit Sorgen und mit Ängsten aufbereitet wird. Das finden wir nicht seriös, und man spielt auch nicht mit den Ängsten von Menschen, um Politik durchzusetzen. Das sollte die Union endlich beherzigen.

Frage: Jetzt plant die Große Koalition, also CDU und SPD, zusammen einen Personalausweis im Scheckkartenformat mit Foto, mit Fingerabdrücken und mit PIN für jeden Bürger. Wo bleibt da der Aufschrei der Liberalen?

WESTERWELLE: Wir haben ja, was Rechtstaatlichkeit angeht, immer wieder auch darauf aufmerksam gemacht, dass man ein vernünftiges Verhältnis braucht zwischen Freiheit und Sicherheit. Man kann ja die Freiheit der Bürger nicht schützen, indem man sie aufgibt. Wir wissen aber noch nicht, wie genau das aussehen soll, was jetzt von der Regierung durchgebracht wird oder was jetzt am Wochenende erörtert wurde. Wir nehmen zur Kenntnis, dass jedenfalls der Bundesdatenschutzbeauftragte davor bereits gewarnt hat. Und deswegen werden wir mit kritischer Distanz an solche Fragen herangehen. Aber wir werden alles, was von der Regierung seriös vorbereitet wird und vorgelegt wird, selbstverständlich auch seriös prüfen und nicht mal eben aus der Hüfte heraus dann von Vornherein ablehnen.

Frage: Herr Westerwelle, ist für Sie denn prinzipiell ein zentrales Fingerabdruckregister aller Bundesbürger denkbar?

WESTERWELLE: Nein! Das ist natürlich nicht denkbar. Wenn es darauf hinausläuft, dass wir quasi jeden Bürger erkennungsdienstlich behandeln, so wie man früher Verbrecher behandelt hat, und jeden Bürger dann in eine erkennungsdienstliche Datei geben, dann wird ja auch jeder Bürger quasi unter Generalverdacht gestellt. Man stelle sich mal vor: Vom Verkehrsdelikt über die Steuerdelikte bis eben dann zur tatsächlichen großen Kriminalität wird jeder Bürger erst einmal verdächtigt. Das ist doch nicht das Klima, und das ist auch nicht die Art und Weise in einem Land, wie wir leben wollen.

Frage: Sind wir auf dem Weg in den Rundum-Überwachungsstaat?

WESTERWELLE: Jedenfalls müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten sechs, sieben Jahren die Bürgerrechte abgebaut worden sind, wie noch in keiner Phase der Bundesrepublik Deutschland zuvor. Denn das hat angefangen mit den berühmten Paketen Schily I. Jetzt wird es fortgesetzt von Schwarz-Rot. Ich mache mir deswegen große Sorgen, weil man erkennt, wie leichtfertig doch auch mit wesentlichen Verfassungsprinzipien mittlerweile in der Politik umgegangen wird. Deswegen hat ja auch die FDP mehrfach das Bundesverfassungsgericht angerufen, und wenn Sie allein daran denken an das Luftsicherheitsgesetz, wirklich auf ganzer Linie Recht bekommen. Ich bin deswegen andererseits optimistisch, weil ich weiß, dass das Bundesverfassungsgericht sich von diesen Debatten nicht beeindrucken lässt und so wie es bislang für Rechtstaatlichkeit gesorgt hat, so wird das auch in Zukunft der Fall sein.

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