WESTERWELLE-Interview für die "Berliner Zeitung"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Berliner Zeitung" (Sonnabend-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SIGRID AVERESCH und BETTINA VESTRING.
Frage: Herr WESTERWELLE, der Deutsche KHALED EL-MASRI wurde von der CIA verschleppt. Die frühere Bundesregierung erfährt davon und schweigt. Darf sie sich so verhalten?
WESTERWELLE: Jede Bundesregierung hat einen Schutzauftrag für jeden deutschen Staatsbürger. Wenn ein ausländischer Geheimdienst - irrtümlich oder nicht - einen Deutschen verschleppt, ist das ein Verbrechen. Kein früherer und kein heutiger Minister wird sich vorwerfen lassen wollen, billigend und schweigend daran mitgewirkt zu haben.
Frage: Wie die Berliner Zeitung berichtete, tragen die deutschen Geheimdienste womöglich eine Mitverantwortung, weil sie Informationen über MASRI an die USA weitergegeben haben.
WESTERWELLE: Wenn der deutsche Geheimdienst die CIA mit Materialien über einen Deutschen versorgt, der daraufhin von der CIA entführt wird, kann ich mir schwer vorstellen, daß der deutsche Nachrichtendienst von der Verschleppung nichts weiß. Die nächste Frage ist, ob der zuständige Minister informiert wurde.
Frage: Was erwarten Sie von der Regierung?
WESTERWELLE: Eine lückenlose Aufklärung. Geschieht das nicht, bedeutet dies: Jeder in unserem Land kann der Nächste sein, vielleicht durch einen Computerfehler, oder weil ein Beamter jemanden verwechselt. Aufklärung ist keine parlamentarische oder persönliche Neugier, sondern die Verpflichtung aus dem Rechtsstaat. Jetzt nicht aufzuklären hieße, Wiederholungsfälle sehenden Auges in Kauf zu nehmen.
Frage: Was muß die Regierung aufklären?
WESTERWELLE: Ich möchte wissen, wir wollen wissen, wer in der Bundesregierung informiert wurde, und ob dies während der Verschleppung oder erst nach der Freilassung des Deutschen geschah. Dies ist für die strafrechtliche Bewertung außerordentlich wichtig. Jeder, erst recht ein Minister, hat die Pflicht, ein Verbrechen anzuzeigen, von dem er Kenntnis hat, damit es beendet und geahndet werden kann. Darüber hinaus wird die neue Regierung dem Parlament Rede und Antwort stehen müssen, was konkret gegenüber den USA unternommen wurde.
Frage: Reicht die Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums?
WESTERWELLE: In keiner Weise. Das ist ein Akt der Verschleierung, weil das Gremium zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet ist. Man stelle sich vor, ein US-Bürger wäre vom deutschen Geheimdienst entführt und mißhandelt worden. Dort würde selbstverständlich volle Öffentlichkeit verlangt. Wir wollen Aufklärung in den regulären Ausschüssen. Wenn wir die nicht bekommen, müssen wir einen Untersuchungsausschuß einsetzen.
Frage: Dafür brauchen sie auch die Stimmen von Grünen und Linkspartei...
WESTERWELLE: Es kann doch wohl nicht sein, daß die Grünen, weil sie Teil der alten Regierung waren, die Aufklärung behindern wollen. Das wäre ja quasi ein Akt der Vetternwirtschaft. Aber auch die Kollegen von Union und SPD werden Aufklärung wollen. Hier geht es nicht um eine Konfrontation zwischen Regierung und Opposition, sondern um die Verteidigung des Rechtsstaats und den Schutz unserer Staatsangehörigen. Kaum ein Abgeordneter wird sich dem verschließen wollen.
Frage: Und dann? Was folgt nach der Aufklärung?
WESTERWELLE: Die weiteren Schritte sind Sache der deutschen Justiz. Eine Entführung ist eine Straftat, und gegen Straftäter müssen die Ermittlungsbehörden vorgehen. Notfalls muß es einen internationalen Haftbefehl geben, egal ob die Täter CIA-Agenten waren oder nicht. Außerdem möchte ich wissen, ob die USA ihre Praxis von Verschleppungen und Mißhandlungen beenden. Aus den Erklärungen aus US-Regierungskreisen nach dem Besuch der US-Außenministerin in Berlin, diese habe keine Fehler eingeräumt, schließe ich, daß die USA ihre rechtswidrige Praxis fortsetzen wollen. Das können wir Deutsche nicht akzeptieren.
Frage: Haben Sie den Eindruck, daß von der früheren Regierung alles Nötige unternommen wurde?
WESTERWELLE: Im Gegenteil. Die Staatsanwaltschaft München hat erklärt, bisher keine wesentliche Unterstützung von der Regierung erhalten zu haben. Eineinhalb Jahre nach der Verschleppung ist dies ein weiterer Vorgang, der nach Aufklärung schreit.
Frage: Außenminister STEINMEIER sagt, er habe einen Brief des MASRI-Anwalts an die Münchner Staatsanwaltschaft weitergegeben und die Ermittlungen in Gang gesetzt...
WESTERWELLE: Das sind Widersprüche, denen wir nachgehen müssen. Dasselbe gilt für Ex-Innenminister SCHILY. Wenn er nun sagt, er sei kein Ermittlungsgehilfe der Staatsanwaltschaft und brauche diese nicht über sein Wissen zu informieren, verkennt er seine Aufgabe als Verfassungsminister. Er muß für den Rechtsstaat einstehen. Ein Ehrenwort gegenüber dem US-Botschafter ist keine Entschuldigung.
Frage: Muß STEINMEIER zurücktreten?
WESTERWELLE: Mir geht es erst einmal um Aufklärung, bevor ich über Konsequenzen spreche.
Frage: Der frühere Außenminister war ebenfalls informiert. Wie bewerten Sie das?
WESTERWELLE: Das Schweigen von Herrn FISCHER ist sehr beredt. Damit wird er nicht durchkommen, denn das Parlament kann ihn zur Auskunft zwingen. Die bisherigen Angaben der Grünen-Spitze sind nun ebenfalls widerlegt.
Frage: Werden Sie auch den damaligen Kanzler SCHRÖDER befragen?
WESTERWELLE: Ich schließe nichts aus.