WESTERWELLE-Interview für die "Bunte"
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Bunte" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten KERSTIN JÄCKEL und TOBIAS LOBE:
Frage: 34 Grad und Wahlkampf - wie bewahren Sie einen kühlen Kopf?
WESTERWELLE: Wahlkampf mit diesem Rückenwind macht Spaß, und Hitze kann ich gut vertragen. Ich mache viel Sport und habe deswegen eine ganz gute Kondition. Und es gibt diese herrliche Regel: Ab 30 soll man Sport machen - ab 40 muss man Sport machen.
Frage: Keine Hitzewallungen?
WESTERWELLE: Noch nicht ein Mal. Es gibt ein paar Wallungen, die ich bekommen habe, aber eher aus Ärger. Ich finde, dass der Wahlkampf zwischen den beiden Regierungsparteien sehr niveaulos geführt wird. Man überschüttet sich mit Häme, Spott und Jauche. Dabei sollte der Wahlkampf ein Wettbewerb der Konzepte über die Zukunftsfragen unseres Landes sein.
Frage: Woran denken Sie jetzt?
WESTERWELLE: Wenn die SPD sagt, der Kanzlerin sei das Schicksal der Arbeitslosen gleichgültig - dann ist das ein Verlust an demokratischer Kultur.
Frage: Würden Sie dazu auch die Angriffe von Herrn Seehofer zählen, der Sie als Sensibelchen bezeichnet hat?
WESTERWELLE: Ich werde kein Foul durch ein Gegenfoul beantworten. Und ich glaube, dass Herr Kollege Seehofer auch schnell erkannt hat, dass die Wähler es gar nicht gut finden, wenn jemand, der mit uns regieren will, so spricht.
Frage: Ihre Umfragewerte steigen ständig, Sie werden als nächster Vizekanzler gehandelt ...
WESTERWELLE: Langsam. Allein die Wähler entscheiden. Mir reden in der CSU schon zu viele über Posten. Da ist überhaupt noch gar nichts gewonnen!
Frage: Merken Sie jetzt in Zeiten des Erfolges, dass die Freunde mehr werden?
WESTERWELLE: Ich habe mich auch in den letzten Jahren nie über mangelnde Sympathie und Zuwendung politischer Art beklagen müssen. Aber es ist sicherlich so, dass Erfolg anziehend wirkt, viele wollen bei den möglichen Gewinnern dabei sein.
Frage: Und privat? Als Rheinländer sagt man doch: "Echte Fründe ston zesamme."
WESTERWELLE: Ich bin mit dem Wort Freundschaft sehr vorsichtig. Wenn man fünf echte Freunde hat, dann zählt man schon zu den reichsten Menschen der Welt. Echte Freunde sind die, die mit einem durch Dick und Dünn gehen. Die einem nicht nur auf die Schulter klopfen, wenn es gut läuft, sondern die auch zu einem stehen, und zwar ohne Wenn und Aber, wenn es einem richtig schlecht geht.
Frage: Wie viele echte Freunde haben Sie?
WESTERWELLE: Ich habe das Glück, dass ich diese Handvoll wirkliche Freundschaften habe.
Frage: Haben Sie auch schon mal herbe Enttäuschungen mit Freunden erlebt?
WESTERWELLE: Nein. Noch nicht einmal. Ich habe schon Menschen in der Politik vertraut, die mich hintergangen haben. Aber ich habe noch nie erlebt, dass einer meiner wirklichen persönlichen Freunde mich enttäuscht hätte.
Frage: Und umgekehrt?
WESTERWELLE: Auch nicht. Wer meine Zuneigung, meine Freundschaft hat, der weiß, dass er sich auch darauf verlassen kann.
Frage: Sie sind heute immer piekfein, wie aus dem Ei gepellt. Stimmt es, dass Sie als Jugendlicher lange Haare und Parka trugen?
WESTERWELLE: Ja, die Phase gab es auch mal in meinem Leben. Mit 14, 15, 16, 17 probiert man eine Menge aus. Und dazu zählen auch Haartrachten, die Lehrer ärgern. Ich habe mir dieses leicht verschlampte Äußere problemlos dadurch abgewöhnen können, dass sich zu meinem Ärger meine Eltern nicht darüber geärgert haben. Und das fand ich eine Frechheit: Ich wollte sie provozieren, und sie haben sich nicht provozieren lassen.
Frage: Wie waren Sie eigentlich als Kind? Eher unangepasst?
WESTERWELLE: Absolut. Wir sind nach der Scheidung meiner Eltern in den 60er Jahren in ein Altstadthaus nach Bonn gezogen. Unten war die Kanzlei meines Vaters, oben waren unsere Zimmer und die Küche, wo sich eigentlich alles abspielte. Fast wie in Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Mein Vater war alleinerziehend und als Rechtsanwalt und selbständiger Freiberufler natürlich unglaublich eingespannt. Er hatte wirklich ganz wenig Zeit. Wir Jugendliche waren uns eher selbst überantwortet, haben uns als Geschwister oft genug auch gegenseitig erzogen. Ich hatte oft aufgeschlagene Knie, habe jeden Mist gemacht, war oft frech, richtig vorlaut.
Frage: Haben Sie Ihrem Vater Kummer gemacht?
WESTERWELLE: Nein. Wenn ich mal davon absehe, dass ich den einen oder anderen Nachbarn zur Weißglut getrieben habe mit Steinchen ans Fenster werfen und Kirschen aus dem Garten stibitzen.
Frage: Denken Sie an diesen Kirschbaum in Nachbars Garten, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?
WESTERWELLE: Nein. Bei mir sind es Pferde. Pferde, Hunde, Weiden. Anfang der 70er Jahre hat mein Vater im Hunsrück eine winzig kleine alte Wassermühle erworben und dort Pferde gehalten. Das ist das, woran ich immer denke: an die Gerüche im Stall, an die Schwalben, die ihre Nester gebaut haben, an heiße Sommer, an eine Wanderung durch den Schnee, wie ich als Kind dort in den Verwehungen bis zur Hüfte einsank.
Frage: Vermissen Sie das heute?
WESTERWELLE: Ja. Mein Lebensgefährte Michael Mronz und ich haben unsere Wohnung im Rheinland, wo man so wunderschön ins Grüne blickt, und wir haben unsere Wohnung hier in Berlin. Das ist alles wunderbar. Aber dieses Naturerlebnis, das mich als Junge geprägt hat, vermisse ich. Man kann sich nicht vorstellen, was für ein Glücksgefühl es ist, ein Pferd gestriegelt zu haben, einen Stall ausgemistet zu haben, auch wenn man danach rein geruchlich keinen großen Unterschied mehr zu dem Misthaufen hat.
Frage: Auch CSU-Wirtschaftsminister zu Guttenberg ist beim alleinerziehenden Vater in einer reinen Männerwirtschaft aufgewachsen.
WESTERWELLE: Das wusste ich nicht. Ich habe Herrn zu Guttenberg natürlich schon oft getroffen und finde, dass er ein intelligenter Mann mit angenehmen Umgangsformen und übrigens einer wunderschönen, charmanten Frau ist.
Frage: Haben Sie ihm schon mal einen FDP-Aufnahmeantrag zugeschickt?
WESTERWELLE: Also: Wenn wir mit Herrn zu Guttenberg in der nächsten Regierung - gleich an welcher Stelle - einen guten Verbündeten haben, umso besser. Er kann doch zur Zeit kaum etwas bewirken, weil er immer vor die Wand der schwarzen und roten Sozialdemokraten rennt. Er muss sich auch mal durchsetzen, damit die Soziale Marktwirtschaft erneuert wird und diese Planwirtschaft endet, die Union und SPD in den letzten vier Jahren gemacht haben, denken Sie an den Murks mit dem Gesundheitsfonds.
Frage: In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie die persönliche Haftung von Managern.
WESTERWELLE: Das wollen wir durchsetzen. Im Mittelstand ist das doch eine Selbstverständlichkeit. Hier haftet jeder Unternehmer persönlich mit jedem Hosenknopf für seine Entscheidungen, und ich glaube, diese Verantwortungskultur brauchen wir auch wieder in der gesamten Wirtschaft. Es geht dabei nicht zuerst um die Gehälter. Wer viel zu entscheiden hat, soll auch gut verdienen. Aber dann soll er natürlich auch für seine Entscheidungen gerade stehen. Wir haben Vorgänge erlebt, die doch kein Mensch mehr nachvollziehen kann. Wenn jemand ein riesiges Unternehmen in den Sand gesetzt hat, wird er abgefunden und muss sein furchtbares Schicksal unter der heißen Sonne von Mallorca ertragen. Mittelständler kriegen statt Subventionen vom Staat einen Bescheid vom Gerichtsvollzieher.
Frage: Wer würde von dem Einkommenssteuerkonzept der FDP mit 10, 25, 35 Prozent am Meisten profitieren?
WESTERWELLE: Zuerst die Familien, und zwar gerade die mit den kleineren und mittleren Einkommen. Wir sorgen dafür, dass eine durchschnittliche vierköpfige Familie erst ab 40.000 Euro Einkommen im Jahr überhaupt Steuern zahlen muss, indem die Kinder denselben steuerlichen Grundfreibetrag bekommen wie die Erwachsenen. Heute haben Kinder ja einen geringeren Grundfreibetrag als Erwachsene. Dahinter steckt die absurde Annahme, Kinder würden in der Lebensführung weniger kosten. Ich habe zwar keine Kinder, aber ich brauche mich da nur in meinem Freundeskreis umzusehen, um zu wissen, dass das Unsinn ist.
Frage: Hätten Sie eigentlich gern selbst Kinder?
WESTERWELLE: Ja.
Frage: Gibt es denn schon Heiratspläne mit Ihrem Lebensgefährten Michael Mronz?
WESTERWELLE: (lacht) Ich habe Ihnen doch schon mal gesagt, dass ich es Ihnen verrate, wenn sich was ändert. Es bleibt dabei, dass mein Privatleben meine Privatsache ist.
Frage: Wie unterstützt Ihr Partner Sie im Wahlkampf?
WESTERWELLE: Wenn ich daran denke, was er selber als erfolgreicher Sportmanager alles schultern muss: vorbildlich.
Frage: Er hatte im Mai erzählt, er habe seinen FDP-Aufnahmeantrag abgegeben. Ist er mittlerweile in die Partei aufgenommen?
WESTERWELLE: Ja, das ist er. Er hat´s mir vorher nicht verraten. Köstlich fand ich seine Begründung gegenüber der BUNTEN, nach hundert Reden des Vorsitzenden sei er jetzt endlich überzeugt. Das fand ich schlagfertig, auch wenn ich annehmen darf, dass es ein Scherz war.
Frage: Wen würden Sie denn auf eine einsame Insel mitnehmen: Barack Obama oder Vladimir Putin?
WESTERWELLE: Vermutlich Vladimir Putin, denn den Fotos nach zu urteilen wäre er der bessere Jäger. Und satt werden will man ja auch auf einer einsamen Insel.
Frage: Und bei den Damen? Angela Merkel oder Carla Bruni?
WESTERWELLE: Angela Merkel. Weil sie Deutsch reden kann.
Frage: Also müssen wir uns keine Sorgen um die Freundschaft zwischen Guido Westerwelle und Angela Merkel machen?
WESTERWELLE: Wir sind uns ja unverändert freundlich verbunden. Aber Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst. Und ich kann nicht darüber hinweg sehen, dass die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik und gleichzeitig diese wahnsinnige Schuldenaufnahme nicht nur von der SPD, sondern auch von der Union gemacht wurde. Zu viele in der Union setzen auf die Fortsetzung der großen Koalition.
Frage: Würden Sie gern mit ihr noch mal Cabrio fahren?
WESTERWELLE: Ich glaube, dass man der Kanzlerin dies aus Sicherheitsgründen gar nicht mehr zumuten dürfte. Aber wir treffen uns regelmäßig, essen auch gerne gemütlich bei einem guten Wein und unterhalten uns über Politik, aber auch über Privates. Gehen Sie davon aus: Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und mir ist so vertrauensvoll, dass wir eine sehr gute Regierung miteinander bilden könnten. Und da muss Herr Seehofer auch nicht eifersüchtig sein.
Fragebogen:
Frage: Ein guter Tag beginnt für mich mit ...
WESTERWELLE:... dem Aufstehen.
Frage: Abschalten kann ich am besten...
WESTERWELLE:... den Fernseher.
Frage: Schwach werde ich bei...
WESTERWELLE: Wenn ich jetzt "Pralinen" sagen würde, wäre das gelogen. Daher beantworte ich diese Frage nicht ohne meinen Anwalt.
Frage: Mein letzter Lustkauf war...
WESTERWELLE: Eine kleinere Version von Stephan Balkenhols "Mauerläufer", dessen Original-Skulptur vor dem Springer-Hochhaus steht.
Frage: Das Unvernünftigste, was ich je getan habe, war...
WESTERWELLE:... dass ich mich bereit erklärt habe, diesen Fragebogen auszufüllen.
Frage: Diesen Traum will ich mir noch erfüllen...
WESTERWELLE: Einmal durch das Mittelmeer segeln. Die Orte meiner Jugend, bei denen ich als Jugendlicher zelten gewesen bin, noch mal besuchen. Aber das wird nichts. Herr Mronz wird zu schnell seekrank.
Frage: Ich bringe meinen Partner zur Weißglut
WESTERWELLE: ... wenn ich hier erzählte, was ihn zur Weißglut bringt.
Frage: Liebe ist für mich
WESTERWELLE:... wenn sie erwidert wird der Himmel auf Erden.
Frage: Glück bedeutet
WESTERWELLE:... wenn Chance auf Vorbereitung trifft.
Frage: Als Kind wollte ich ...
WESTERWELLE: mal Kunst studieren und Künstler werden - bis mir mein Kunstlehrer gesagt hat: "Wohl besser Kunstgeschichte."