03.10.2010FDP

WESTERWELLE-Interview für die "B.Z. am Sonntag"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "B.Z. am Sonntag" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte FRIEDEMANN WECKBACH-MARA:

Frage: Entsinnen Sie sich noch, wie das heute vor 20 Jahren war?

WESTERWELLE: Schon bei der Rede von Hans-Dietrich Genscher in der Prager Botschaft vor Flüchtlingen aus der DDR standen mir Tränen in den Augen. Als die Wiedervereinigung dann vollendet wurde, waren wir atemlos vor Glück. Ich wurde 1961 geboren. In dem Jahr wurde die Mauer als Instrument der Unterdrückung gebaut. Bevor ich 30 war, haben mutige Männer und Frauen die Mauer vom Osten her eingedrückt. Ein Triumph der Freiheit, mit dem ich ganz persönliche Erinnerungen verbinde.
Frage: Welche?
WESTERWELLE: Als 13jähriger fuhr ich mit meinem Vater nach Berlin. Ich stand auf einer Plattform nahe dem Reichstag, sah Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen. Mein Vater erklärte mir, dass darunter Minen lägen, um Menschen zu töten, die zu ihren Verwandten wollen. So fing ich an, über die Einheit nachzudenken. Dabei wurde ich bald auf die große publizistische Persönlichkeit Axel Springer aufmerksam. Er ist eine Ermutigung in unseren Zeiten, das als richtig Erkannte zu verfolgen und sich nicht vom Weg abbringen zu lassen.
Frage: Dennoch sind Regierung, FDP und Sie ganz persönlich im Umfragetief. Wie wollen Sie da herauskommen?
WESTERWELLE: Unsere Politik zur Stärkung von Familien und Mittelstand hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass wir heute in einer so guten wirtschaftlichen Lage sind. Es ist gut möglich, dass die Arbeitslosigkeit schon bald unter drei Millionen liegt. Um dieses Ziel zu erreichen, waren schwierige, auch unbequeme Entscheidungen nötig. Ich bin sehr kritisiert worden für meine Haltung, dass jemand der arbeitet, mehr haben muss als jemand, der nicht arbeitet. Aber wir haben es jetzt in der Koalition genauso vereinbart.
Frage: Bleibt es bei der Steigerung um fünf Euro?
WESTERWELLE: Ja, denn die Berechnung erfolgte jetzt erstmals verfassungskonform. Dabei werden wir vor allem den Kindern bessere Bildungschancen geben. Und was die Abstimmung im Bundesrat angeht: Die Bundesländer sind keine Befehlsempfänger von SPD, Grünen und Linkspartei, sondern entscheiden nach dem Wohle ihrer Länder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Steuern für Berufstätige erhöhen wollen, damit Ausgaben für Alkohol und Tabak wieder in die Berechnung von Hartz-IV-Sätzen einfließen.
Frage: Besonders FDP-Wähler haben auf eine Steuerreform mit Steuersenkung vertraut. Kommt die überhaupt noch?
WESTERWELLE: Zum 1. Januar 2010 haben wir die Familien entlastet. Allein das höhere Kindergeld bringt einer vierköpfigen Familie 480 Euro mehr im Jahr. Im Frühjahr kam die große Euro-Finanzkrise. Deshalb müssen wir jetzt zunächst der Haushaltskonsolidierung Vorrang geben. Wir werden aber in den nächsten Wochen eine Steuervereinfachung vorschlagen mit Dutzenden einzelner Maßnahmen. Wenn dann wieder Spielraum entsteht, steht die Steuerentlastung, besonders für die Mittelschicht, auf der Tagesordnung ganz oben.
Frage: Zum Außenminister. Wann und wie kann die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen?
WESTERWELLE: Ein genaues Datum kann ich Ihnen dafür nicht nennen. Wir wollen aber die Perspektive für einen Abzug noch in dieser Legislaturperiode erarbeiten. Dazu gehört, dass die Afghanen die Verantwortung für die Sicherheit bis 2014 übernehmen. Mit der Übergabe in einzelnen Regionen werden wir schon nächstes Jahr beginnen. Das habe ich in der zurückliegende Woche noch einmal mit meiner Kollegin Clinton in Washington besprochen, genau wie die Probleme in Nahost.
Frage: Wann steigen dort endlich die Friedenschancen?
WESTERWELLE: Das sind wichtige Stunden und Tage für Nahost. Am Sonntag berät das israelische Kabinett, genau wie Palästinenser und arabische Staaten in den nächsten Tagen. Ich appelliere an alle in der Region, jetzt nicht den historischen Fehler zu begehen, die Friedensgespräche abzubrechen. Wir wollen die Zweistaatenlösung mit Israel in sicheren Grenzen in friedlicher Nachbarschaft mit einem eigenen lebensfähigen palästinensischen Staat. Das Einfrieren der Siedlungsaktivitäten wäre dazu ein wichtiger Beitrag.
Frage: Trotz der Probleme sehen Sie zufrieden aus. Sind Sie seit der Heirat glücklicher?
WESTERWELLE: Privat ist privat. Aber natürlich ist es wie bei jedem anderen auch: Wenn es zu Hause stimmt, kann man draußen viel besser arbeiten.

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