11.01.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Frankfurter Rundschau"

Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Frankfurter Rundschau" (Donnerstags-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dr. RICHARD MENG. Zur Verwendung frei für Donnerstags-Ausgaben und bei Quellenhinweis.

Frage: Herr Westerwelle, wie finden Sie die Amerikapolitik der großen Koalition?

WESTERWELLE: Bisher kann man noch nicht erkennen, ob es eine solche überhaupt gibt. Wichtig ist, daß die Bundesregierung gegenüber unseren Freunden unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß sie sich, wenn sich ihre Vertreter in Deutschland aufhalten oder gegenüber deutschen Staatsangehörigen agieren, auch an unser Recht und Gesetz zu halten haben. Ich erwarte von der Bundesregierung, daß sie in den Vereinigten Staaten eindeutig für die Wahrung deutscher Souveränität eintritt, ebenso wie für die Menschenrechte weltweit.

Frage: Wie interpretieren Sie Angela Merkels bisheriges Auftreten in Richtung Washington: als neue Annäherung oder als kritische Distanz?

WESTERWELLE: Ein neues Vertrauensverhältnis, auch ein persönliches, ist dringend nötig. Aber das darf nicht dazu führen, daß die Achtung der Menschenrechte aus Rücksicht auf die transatlantischen Beziehungen zurückstehen muß.

Frage: Heute fährt Merkel erstmals als Kanzlerin nach Washington. Was wäre dort ein Erfolg für sie?

WESTERWELLE: Ein Erfolg wäre vor allem, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika sich offiziell dafür entschuldigen würden, einen deutschen Staatsangehörigen illegal verschleppt zu haben. Und wenn sie zusichern, daß etwas derartiges nicht wieder geschieht. Weder ein klares Fehlereingeständnis noch eine Entschuldigung sind bisher erfolgt. Das ist in gar keiner Weise akzeptabel, erst recht nicht unter Freunden in einer Wertegemeinschaft. Ich bin ein Transatlantiker seit vielen Jahren. Aber gerade deshalb kann ich mir nur allzu gut vorstellen, welchen Aufstand es in den USA geben würde, wenn ein amerikanischer Staatsbürger vom deutschen Geheimdienst verschleppt worden wäre.

Frage: Reicht Ihnen aus, was Merkel zum Gefangenenlager Guantanamo gesagt hat - nämlich nur, daß dies "auf Dauer" nicht akzeptabel sei. Also vorübergehend tolerierbar?

WESTERWELLE: Zunächst muß dieses Mißverständnis ausgeräumt werden. Aber ich will erst einmal positiv hervorheben, daß die Bundeskanzlerin die Schließung von Guantanamo anmahnt. Das ist eine Weiterentwicklung ihrer Haltung, denn derart klare Aussagen hat es von ihr bisher nicht gegeben. Frau Merkel schließt sich damit der Kritik der FDP an: Es darf keine rechtsfreien Räume geben. Aber diese Mahnung reicht natürlich nicht aus, wenn gleichzeitig mitgeteilt wird, daß deutsche Sicherheitsbeamte in Guantanamo an Verhören beteiligt gewesen sind. Wenn dieses Lager gegen das Menschen- und Völkerrecht verstößt, muß umgehend unterlassen werden, daß deutsche Beamte sich dort an Verhören beteiligen. Die Kanzlerin muß auch im eigenen Haus die Konsequenzen ziehen und Auslandsverhöre wie in Guantanamo untersagen.

Frage: Wann wird die Opposition entscheiden, ob es im Zusammenhang mit diesen Geheimdienstoperationen zu einem Untersuchungsausschuß im Bundestag kommt?

WESTERWELLE: Voraussichtlich noch in diesem Monat. Bisher sind immer noch die meisten Details ungeklärt, weil viele Antworten der Regierung neue Fragen aufgeworfen haben. Etwa die, warum, auf welche Anweisung hin und auf welcher Rechtsgrundlage deutsche Beamte an Verhören in Guantanamo und in einem syrischen Foltergefängnis beteiligt waren. Und der deutsche Außenminister außer Diensten, Joseph Fischer, wird sich auch durch Auswandern nach Amerika vor seiner Aufklärungspflicht nicht drücken können.

Frage: Was müßte die Regierung tun, um diesen Ausschuß noch zu vermeiden?

WESTERWELLE: Sie müßte sämtliche Fragen endlich ausführlich beantworten, nicht so lückenhaft wie bisher. Zeitlich kommt es dabei sicher nicht auf Tage an. Aber daß die Opposition nächste Woche, wenn der Bundestag wieder zusammen kommt, auf Antworten bestehen muß, ist doch selbstverständlich. Wenn nicht alles vollständig aufgeklärt wird, ist die Wiederholungsgefahr zu groß.

Frage: Der Kern des Problems hinter diesen Geheimdienstdebatten ist ja der Dissens in der Art der Terrorbekämpfung. Sehen Sie da in Washington irgendeine Art ernsthafter Gesprächsbereitschaft in der Sache?

WESTERWELLE: Ich kann nicht in Ferndiagnose beurteilen, ob Herr Bush und seine Administration sich von der deutschen Bundesregierung beeinflussen lassen. Aber die amerikanische Öffentlichkeit tut es ganz gewiß. In den Vereinigten Staaten gibt es ja eine identische Diskussion über das Verbot von Folter, den rechtlichen Status von Gefangenen und über die mangelnde Klugheit des militärischen Alleingangs im Irak. Nicht nur in der außerparlamentarischen Öffentlichkeit, auch im Kongreß selbst wird dies heftig diskutiert. Diese offene Debatte muß man stärken - deshalb ist es wichtig, daß wir Europäer mit unserer Meinung nicht hinter dem Berg halten.

Social Media Button