06.11.2010FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Kieler Nachrichten"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab den "Kieler Nachrichten" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte FRANK LINDSCHEID.

Frage: Die Anti-Atom-Bewegung rüstet zum Protest. War es klug, mit Milliarden für die Atomindustrie einen Großkonflikt wiederzubeleben?

WESTERWELLE: Das Gegenteil ist der Fall. Die Energiekonzerne werden herangezogen, um die größte Investition in erneuerbare Energien, die eine Bundesregierung je veranlasst hat, mit zu finanzieren. Wir werden das Zeitalter der Erneuerbaren nur erreichen, wenn wir die Kernenergie als Übergangstechnologie nutzen.

Frage: Aber die Grünen haben mächtig Rückenwind…

WESTERWELLE: Der Protest der Grünen gegen den Castor ist scheinheilig. Grüne Castor-Transporte waren noch in Ordnung, heute soll das anders sein. Als Umweltminister saß Herr Trittin bei den Transporten doch quasi mit auf der Lok. Die Grünen werben für erneuerbare Energien, aber wenn es darum geht, den Strom in die Gebiete zu bringen, in denen er gebraucht wird, protestieren sie gegen den Bau der dafür notwendigen Stromleitungen. Das ist der grüne Geist, der stets verneint, um es mit Goethe zu sagen.

Frage: Ihr Landesverband im Norden lehnt eine pauschale Laufzeitverlängerung ab. Gehören auch die auch zur Nein-Sager-Republik?

WESTERWELLE: Die FDP im Norden ist sehr investitionsfreundlich, hat aber in der Kernenergie seit langem eine andere Auffassung. Aber die Mehrheit der Partei hat auf Parteitagen demokratisch und eindeutig entschieden. Diese Position wurde auch bei der Bundestagswahl bestätigt.

Frage: Ein Jahr nach Amtsübernahme bekommt Schwarz-Gelb in Umfragen erschütternd schlechte Noten. Warum profitiert die Regierung nicht vom Aufschwung?

WESTERWELLE: Eine verantwortungsvolle Regierung darf nicht auf kurzfristige Umfragen blicken, sondern muss das Richtige tun. Wir mussten im ersten Jahr bittere Medizin verordnen: Die Bundesregierung hat die Haushaltskonsolidierung mit Hochdruck angepackt. Das war notwendig und richtig. Und immer mehr Bürger erkennen das.

Frage: Selbst in der FDP glauben viele, dass es eher am Dauerkrach in der Koalition liegt. Wie richten Sie denn die Parteifreunde wieder auf?

WESTERWELLE: Natürlich hat das auch mit dem holprigen Start zu tun, aber die Phase ist überwunden. Die Bundesregierung packt heiße Eisen an, sie bringt das Land nach vorne. Deutschland steht heute besser da, als noch vor einem Jahr. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Staatsschulden werden endlich zurückgeführt. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und gerade auch die Euro-Stabilisierung haben einen wesentlichen Beitrag zur guten Lage geleistet. Ich bin zuversichtlich, dass schon im kommenden Jahr die FDP mit sehr soliden Wahlergebnissen wieder durchstarten kann.

Frage: Wolfgang Kubicki hat gerade das schwarz-gelbe Erscheinungsbild in Berlin mit "fünf minus" benotet. Hat er das nicht mitbekommen?

WESTERWELLE: Damit kann er nur das erste Schulhalbjahr gemeint haben, nicht die guten Leistungen seit dem Sommer.

Frage: Aber die Versetzung bleibt gefährdet, sieht man die Stimmung im Land, oder?

WESTERWELLE: Wir haben im Frühjahr bei der Eurokrise in einen Abgrund geblickt. Zu den richtigen Entscheidungen der Bundesregierung zählt die Stabilisierung unserer Währung. Wir sind weder jenen gefolgt, die den Haushaltssündern einen Blankoscheck ausstellen wollten, noch jenen, die überhaupt nicht helfen wollten. Nur weil die Bundesregierung konsequent geblieben ist, gibt es jetzt eine Politik der Haushaltskonsolidierung in Europa. Wäre es nach SPD und Grüne gegangen, stünde es heute schlecht um unsere gemeinsame Währung.

Frage: Die Staatseinnahmen sprudeln wieder. Trotzdem sieht die Kanzlerin null Spielraum für Steuersenkungen. Bleibt auch der FDP-Chef hart?

WESTERWELLE: Aufschwung und wachsende Steuereinnahmen belegen, dass wir mit unserer mittelstandsorientierten Wirtschaftspolitik und der Konsolidierung richtig liegen. Zu Beginn des Jahres wurden vor allem Familien und mittelständische Betriebe um mehr als 20 Milliarden Euro entlastet. Wegen der im Frühjahr zugespitzten Euro- und Finanzkrise musste die Konsolidierungspolitik aber erst einmal Priorität haben. Wenn wir im Laufe der Legislaturperiode feststellen, dass wir uns durch die Konsolidierung neue Spielräume erarbeitet haben, steht die weitere Entlastung der Mittelschicht, der kleineren und mittleren Einkommen, ganz oben auf der Tagesordnung. Ganz aktuell arbeiten wir mit Hochdruck an Steuervereinfachungen. Wir Liberale wollen die Möglichkeit schaffen, dass die Steuererklärung nur alle zwei Jahre abgegeben werden muss.

Frage: Worauf wird die FDP bei einer großen Steuerreform drängen?

WESTERWELLE: Erstens: Auf Steuervereinfachung. Zweitens: Auf die Abflachung des Mittelstandsbauches. Die überproportionale Belastung der Mittelschicht muss zurückgeführt werden. Drittens: Die kalte Progression muss angepackt werden, also die Tatsache, dass mehr an Brutto sofort durch einen höheren Steuertarif in weiten Teilen aufgefressen wird. Es wird durch die gute Wirtschaftslage endlich wieder Lohnsteigerungen geben. Die müssen beim Arbeitnehmer bleiben und dürfen nicht gleich wieder in weiten Teilen vom Steuerstaat vereinnahmt werden.

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