13.05.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Ostsee-Zeitung"

Berlin. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Ostsee-Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. REINHARD ZWEIGLER:

Frage: Herr Westerwelle, Duzen Sie Angela Merkel noch?

WESTERWELLE: Selbstverständlich bleibt es bei der persönlichen Verbundenheit. Aber die Politik der Bundeskanzlerin, das Abkassieren bei Bürgern und Unternehmen, kritisiere ich ausdrücklich.

Frage: Dabei werden Sie nicht müde, der Union, vor allem dem Schwermatrosen aus Bayern, die Schuld für das Scheitern von Schwarz-Gelb zuzuschieben?

WESTERWELLE: Daß die systematische Wählerbeschimpfung der Ostdeutschen massive negative Auswirkungen auf den Ausgang der Wahl, auf die Chance für einen Politikwechsel hatte, kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Übrigens sind die Begabungen über alle Landstriche Deutschlands flächendeckend verteilt.

Frage: Sie schließen Edmund Stoiber immer noch in jedes Abendgebet ein?

WESTERWELLE: Wenn Edmund Stoiber 2008 wiederum Spitzenkandidat der CSU werden sollte, sind die Chancen der Bayern-FDP wieder ein Stück größer. Leider sind CDU und CSU nicht wieder zu erkennen. Vor der Wahl hat sich die Union mit uns auf ein einfacheres und gerechteres Steuersystem sowie eine niedrigere Staatsquote festgelegt. Heute drückt die Union die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik durch. Schwarz-Rot schafft mehr Bürokratie, wenn ich nur an das Antidiskriminierungsgesetz denke. Das hilft Minderheiten nicht, sondern schadet ihnen in der Praxis, und es belastet den Mittelstand.

Frage: Wieso profitiert die FDP nicht von der großen Steuererhöhungskoalition?

WESTERWELLE: Mit Verlaub: Die FDP hat gerade bei der Bundestagswahl das beste Ergebnis seit der deutschen Einheit erzielt...

Frage: Aus zwei Landesregierungen ist ihre Partei rausgeflogen...

WESTERWELLE: Wir sind bei den drei Wahlen souverän in die Landtage eingezogen - als einzige Oppositionspartei. Ich lasse mir von Ihnen keine schlechte Laune einreden, wenn wir etwa in Baden-Württemberg das beste Wahlergebnis seit 40 Jahren erreichen konnten. Wahr ist, daß die Bürger die törichten Maßnahmen der Bundesregierung noch nicht im Portmonee spüren. Mit der Gemütlichkeit der sogenannten großen Koalition wird es vorbei sein, wenn die Bürger spüren, was von Schwarz-Rot zu ihren Lasten alles beschlossen wurde.

Frage: Gut gebrüllt Löwe, doch die Mehrwertsteuererhöhung wird die FDP nicht mehr über den Bundesrat stoppen können. Wie sehr wurmt Sie die Einflußlosigkeit der FDP?

WESTERWELLE: Ob sie mich wurmt, ist nicht so wichtig. Sie schadet Deutschland. Ich bedauere zutiefst, daß wir diese wirtschaftsschädliche und unsoziale Mehrwertsteuererhöhung nicht über den Bundesrat verhindern können. Die Kontrolle der riesigen schwarz-roten Mehrheit im Bundestag ist für uns Liberale schwerer geworden, das stimmt leider.

Frage: Warum will die FDP gegen die Reichensteuer von 45 Prozent in Karlsruhe klagen, wo doch zu Zeiten der Kohl-Regierung der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent lag?

WESTERWELLE: Es ging erstens um die am Anfang angekündigte Ungleichbehandlung von gewerblichen und freiberuflichen Einkünften. Für Freiberufler und Handwerker ist die Einkommenssteuer übrigens die Unternehmenssteuer…

Frage: …Ist die FDP die Interessenvertreterin von Spitzenverdiener?

WESTERWELLE: …Es geht uns zweitens nicht um einige wenige Reiche, sondern um die vielen Beschäftigten, deren Arbeitsplätze wegen solcher investitionsfeindlicher Maßnahmen ins Ausland gehen.

Frage: Bei 53 Prozent Spitzensteuer sind Investoren nicht scharenweise abgewandert?

WESTERWELLE: Die Welt ist die letzten Jahre über nicht stehen geblieben, nur weil Rot-Grün regierte. Während Österreich ein einfacheres und niedrigeres Steuersystem einführte und nur noch sechs Prozent Arbeitslosigkeit hat, freut sich die Bundesregierung schon über 1,5 Prozent Wachstum, die hoffentlich erreicht werden, und eine Arbeitslosigkeit von elf, in Mecklenburg-Vorpommern über 20 Prozent. Gleichzeitig wächst die EU-Wirtschaft um über zwei oder die der USA um gut vier Prozent. Wir schließen nicht auf. Wir verlieren
weiter den Anschluß.

Frage: Sie gefallen sich in der Rolle des Miesmachers der Nation?

WESTERWELLE: Kassandra hat sich auch nicht gefreut, daß sie Recht behalten hat. Sie hätte viel lieber Troja blühen gesehen.

Frage: Spekulieren Sie auf das Scheitern von Schwarz-Rot?

WESTERWELLE: Ich bin Staatsbürger und sogar deutscher Patriot. Ich freue mich nicht, wenn eine falsche Politik gemacht wird, sondern bedauere es, wenn die Renten nicht sicher bleiben, wenn die Wirtschaft abschmiert, wenn es keine Bildungschancen für junge Leute gibt. Deutschland kann mehr, als Schlußlicht in Europa zu sein: Mehr an Innovation, mehr an Chancen, mehr an Wohlstand.

Frage: Setzen Sie auf Ihre Kanzlerschaft, oder wie will die 9,8-Prozent-Oppositions-FDP die Politik umkrempeln?

WESTERWELLE: Bringen sie mich nicht ins Träumen. Wir setzen auf ein Bündnis mit dem Bürger, werden landauf landab um neue Verbündete werben. Die sozialste Politik ist nun mal die, die für die Menschen Arbeit schafft.

Frage: Gehören zu Ihren Verbündeten auch Grüne und Linkspartei, mit denen ein Untersuchungsausschuß installiert wurde, der die Arbeit der Geheimdienste erschwert?

WESTERWELLE: Das sagen diejenigen, deren Arbeit wir im Interesse von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kontrollieren wollen. Es geht nicht um die Kontrolle von zwei nachgeordneten BND-Beamten in Bagdad, sondern darum, daß ein deutscher Staatsbürger durch den CIA verschleppt und mißhandelt worden ist. Darüber sollte auf Empfehlung der Bundesregierung der Mantel des Schweigens gedeckt werden. Aber nicht mit uns. Was glauben Sie, welchen Aufstand es in den USA gegeben hätte, wenn ein deutscher Geheimdienst einen Amerikaner entführt hätte.

Frage: Was haben Sie gegen eine Gaspipeline durch die Ostsee, die Deutschlands Energieversorgung sichern hilft?

WESTERWELLE: Ich habe nichts gegen Versorgungssicherheit. Ich warne jedoch vor Abhängigkeit und Erpreßbarkeit, wenn man sich so einseitig an einem russischen Staatskonzern orientiert. Und was ich unappetitlich, fast schamlos finde, ist der Seitenwechsel des Altbundeskanzlers nach dem Ausscheiden aus dem Amt.

Frage: Wenn Gerhard Schröder im Pipeline-Aufsichtsrat deutsche Interessen vertritt, ist das doch gut?

WESTERWELLE: Herr Schröder vertritt nicht die Interessen Deutschlands, sondern die seines Portmonees.

Frage: In Bayern bzw. Mecklenburg-Vorpommern ist die FDP seit Jahren nicht mehr in den Landtagen vertreten. Warum sollte es 2008 bzw. 2006 bei den Wahlen anders ausgehen?

WESTERWELLE: In Bayern haben wir bei den Bundestagswahlen 2005 zehn Prozent erreicht. Ich sehe gute Chancen, daß meine bayerischen Freunde 2008 stark in den Landtag einziehen werden. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir bei den Bundestags- und Kommunalwahlen jeweils über sechs Prozent erreicht. Da besteht nun die Chance auf mehr.

Frage: Der FDP-Spitzenkandidat Michael Roolf nörgelt über den geplanten Besuch von Präsident Bush in Stralsund: Wahlkampfhilfe für die CDU. Sie
auch?

WESTERWELLE: Daß Präsident Bush auf Einladung von Angela Merkel wenige Wochen vor der Landtagswahl kommt, dürfte kein Zufall sein. Trotzdem finde ich diesen Besuch gut. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die es etwa in Bezug auf das US-Gefangenenlager Guantanamo gibt, ist es besser, miteinander zu sprechen als übereinander.

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