WESTERWELLE-Interview für die "Passauer Neue Presse"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ANDREAS HERHOLZ und RASMUS BUCHSTEINER:
Frage: Sie sind seit 30 Jahren in der FDP und seit 14 Jahren im Bundestag. Träumen Sie nicht manchmal davon, etwas anderes zu machen als Politik?
WESTERWELLE: Es muss ja noch einige um die 50-jährige geben, die mit Freude und heißem Herzen weiter in der Politik bleiben wollen. Man sollte aufhören, wenn man nicht mehr mit Leidenschaft bei der Sache ist und nicht mehr brennt. Meinen Freunden zur Bestätigung, meinen Kritikern zum Ärger: Ich habe noch eine Menge vor in der Politik.
Frage: Werden Sie beim FDP-Parteitag im Mai 2011 wieder als Parteivorsitzender kandidieren?
WESTERWELLE: So etwas wird zunächst in den Gremien besprochen. Ich bin gerne Parteivorsitzender. Bei unserem Parteitag wurden die Ämter des Außenministers, des Vizekanzlers und des Parteivorsitzenden in eine Hand zu gelegt. Das war eine richtige Entscheidung, die uns als FDP Durchsetzungskraft gibt.
Frage: Welche Fehler hat der Parteichef Guido Westerwelle zuletzt gemacht?
WESTERWELLE: Die Koalition hat sich am Anfang zu viele Nebengeräusche erlaubt. Wir haben bei wichtigen Entscheidungen zu große Rücksicht auf den Wahlkalender genommen. Jetzt schauen wir nach vorn. Gerade hat die christlich-liberale Koalition mit einem ausgewogenen Energiekonzept gezeigt, dass sie handlungsfähig ist und gestalten kann.
Frage: Die Liberalen bleiben im Umfragetief, verharren bei vier bis sechs Prozent. Schafft sich die FDP allmählich selbst ab?
WESTERWELLE: Bei aller notwendigen Selbstkritik werden wir uns nicht durch Selbstbeschäftigung von der Arbeit ablenken lassen. Es geht darum, das Richtige für Deutschland zu tun. Die FDP geht derzeit durch ein Umfragetal. Umfragen sind aber nur Momentaufnahmen. Daran dürfen wir unsere Politik nicht ausrichten.
Frage: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hält Sie für "irreparabel beschädigt". Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vergleicht Angela Merkel mit einer "Barbie-Puppe". Ist das der neue Umgangston in der Koalition nach der Sommerpause?
WESTERWELLE: Der Umweltminister hat am Rande einer Veranstaltung etwas gesagt, wofür er sich entschuldigt hat. Damit ist die Sache erledigt. Und Philipp Rösler hat auf dem Gillamoos-Volksfest eine satirische Rede gehalten, in der er erst sich und dann uns hier in Berlin durch den Kakao gezogen hat. Als Rheinländer kenne ich den Unterschied zwischen einer politischen Rede und Satire sehr gut. Das Klima in der Koalition ist gut.
Frage: Nach der Einigung auf das Energiekonzept: Wie wollen Sie verhindern, dass Atommeiler länger als 14 Jahre laufen, wenn die Energiekonzerne die vereinbarten Reststrommengen über einen längeren Zeitraum strecken?
WESTERWELLE: Wir haben eine durchschnittliche Verlängerung von zwölf Jahren vereinbart. Dabei erhalten ältere Anlagen im Schnitt acht Jahre zusätzlich, neuere 14 Jahre. Unser Energiekonzept ist ein epochaler Durchbruch. Es ist eine gute Nachricht für unsere Umwelt, die Verbraucher und auch für die strategische Unabhängigkeit unseres Landes. Wir wollen nicht unsere außenpolitische Souveränität beeinträchtigen, indem wir uns einseitig von einzelnen Energielieferanten abhängig machen.
Frage: Die Opposition droht mit Klage in Karlsruhe. Was macht Sie so sicher, dass die Laufzeitverlängerung auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird?
WESTERWELLE: Das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium haben überzeugend dargelegt, dass unser Energiekonzept ohne Beteiligung des Bundesrates auf den Weg gebracht werden kann. Das ist sorgfältig geprüft worden. Die Opposition verschanzt sich jetzt hinter ihren Klagen. Schwarz-Gelb holt nach, was Rot-Grün versäumt hat, denn wir bauen eine stabile Brücke ins regenerative Zeitalter. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Regierung soviel für den Ausbau erneuerbarer Energien getan wie wir.
Frage: Thema Sicherheit: Werden die deutschen Atomkraftwerke künftig besser gegen Terrorangriffe aus der Luft geschützt?
WESTERWELLE: Mit unserem Konzept werden die deutschen Atomkraftwerke sicherer sein als sie es zu rot-grünen Zeiten je waren, denn wir erhöhen die Sicherheit. Ein Konzept mit Standards und konkreten Maßnahmen wird gerade mit den Ländern und den AKW-Betreibern abgestimmt. Wir haben das Thema Energie umfassend angepackt, vom Stromsparen bis zur Sicherheit unserer Atomanlagen. Ich freue mich, dass dieses Konzept auch die Handschrift der Liberalen trägt. Das ist ein persönlicher Erfolg des Wirtschaftsministers Rainer Brüderle, zugleich war das Ergebnis eine hervorragende Teamarbeit der gesamten Koalition.
Frage: Von der Energiepolitik zur Integrationsdebatte: Thilo Sarrazin erhält mit seinen umstrittenen Thesen viel Zustimmung aus der Bevölkerung. Wie erklären Sie sich das?
WESTERWELLE: Ein solches Buch muss Deutschland aushalten. Er hat aber mit seinen Äußerungen zu den besonderen Genen von Juden und Basken für mich eine rote Linie überschritten. Wir brauchen in unserem Land eine ernsthafte Diskussion über das Thema Integration. Die multikulturelle Wertebeliebigkeit, die in Deutschland über Jahre und Jahrzehnte gepflegt wurde, lehne ich ab. Solche Romantisierungen haben Fehlentwicklungen bis hin zum Entstehen von Parallelgesellschaften begünstigt. Leider stimmt die Balance zwischen Integrationsangeboten und Integrationsbereitschaft häufig nicht.
Frage: Konkret: Welches Maß an Integrationsbemühungen sollte der Staat einfordern?
WESTERWELLE: Wer auf Dauer in Deutschland leben will, muss unsere Verfassung und unsere Werteordnung akzeptieren. Hinzu kommt die Sprache, denn das ist der Schlüssel für erfolgreiche Integration. Wer eingeschult wird, muss Deutsch sprechen, verstehen und dem Unterricht folgen können.
Frage: Hat Thilo Sarrazin mit seinem Hinweis Recht, viele Migranten seien gar nicht bereit, sich zu integrieren?
WESTERWELLE: Die Wirklichkeit widerlegt diese pauschale These. Hier lebenden Kindern mit Migrationshintergrund generell den Aufstiegs- und Integrationswillen abzusprechen, ist unzutreffend. Viele haben gerade den Ehrgeiz, dass sie in Sport, Kultur, Medien, Wirtschaft oder Politik vorne mit dabei sind. Darauf kann Deutschland stolz sein.
Frage: Erst viel Aufregung, am Ende kaum ein greifbares Ergebnis - droht die Integrationsdebatte nicht schon wieder nach dem üblichen Muster zu verlaufen?
WESTERWELLE: Nein. Es ist ja nicht so, dass uns erst dieses Buch zum Handeln bringt. Diese Bundesregierung hat beim Thema Integration eine klare Linie. Wir machen Angebote, aber wir fordern auch Integrationsbereitschaft ein. Die Politik muss diese Probleme konsequent anpacken. Die Bundesregierung wird noch in diesem Herbst zu einem weiteren Integrationsgipfel einladen. Wir brauchen beim Thema Integration immer wieder eine genaue Bestandsaufnahme.
Frage: Wo hapert es besonders bei der Integration?
WESTERWELLE: Wer auf Dauer in Deutschland leben will, muss sich ernsthaft bemühen, unsere Sprache zu erlernen. Es ist gar nicht lange her, da wurde man für eine solche Ansicht noch von Rot-Grün heftig attackiert. Das Erlernen der deutschen Sprache ist der Schlüssel zur Integration.
Frage: Zur Außenpolitik: Beim Wirtschaftstag der Botschafter in Berlin haben Sie angekündigt, ökonomische Interessen Deutschlands offensiver im Ausland zu vertreten. Ein neuer Stil?
WESTERWELLE: Die deutsche Außenpolitik ist nicht nur werteorientiert, sondern auch interessensgeleitet. Beides gehört zusammen. Das Auswärtige Amt versteht sich mit unseren Auslandsvertretungen auch als Türöffner für deutsche Unternehmen, und zwar nicht klammheimlich, sondern offensiv. Die meisten EU-Mitglieder tun dies auch. Das ist Teil der Mittelstandspolitik, für die die Bundesregierung steht. Große Unternehmen können sich mit Auslandsbüros ferne Märkte öffnen. Die vielen kleinen mittelständischen Unternehmen benötigen die professionelle Unterstützung unserer Außenwirtschaftsförderung. Das ist ein wichtiger Teil meiner Außenpolitik, und zwar nicht mit spitzen Fingern, sondern ganz bewusst.
Frage: Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat heftige Kritik geerntet, als er die Sicherung von deutschen Handelsrouten zur Aufgabe der Bundeswehr erklärt hatte. Müssen auch die Streitkräfte einen Beitrag zur Sicherung der ökonomischen Interessen Deutschlands leisten?
WESTERWELLE: Horst Köhler ist fälschlicherweise unterstellt worden, dass er dies auf Afghanistan bezogen hätte. Gemeint hat er zum Beispiel den Einsatz am Horn von Afrika. Natürlich dient die Bekämpfung der Piraterie neben der Sicherung der humanitären Hilfe dem Schutz der internationalen Handelsrouten und damit auch der deutschen. Dazu kommt der Schutz deutscher Schiffe und ihrer Besatzungen. Das liegt im Interesse einer Exportnation wie Deutschland.
Frage: Unwetterkatastrophen in Pakistan - droht das Land jetzt im Chaos zu versinken?
WESTERWELLE: Die Entwicklung in Pakistan macht mir große Sorge. Durch das Hochwasser hat sich die ohnehin schwierige Lage noch einmal verschärft. Für ihre Spendenbereitschaft bin ich den Bundesbürgerinnen und -bürgern sehr dankbar. Neben der weiter benötigten Nothilfe müssen wir dafür sorgen, dass die pakistanische Wirtschaft nicht völlig zusammenbricht, nachdem ganze Landstriche unter Wasser standen. Deshalb habe ich in Brüssel eine Initiative gestartet, damit Pakistan einen besseren Zugang zum europäischen Markt erhält. Wir werden der pakistanischen Regierung beim Wiederaufbau helfen, aber auch weiter auf Reformen drängen. Denn die Stabilisierung in Pakistan spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Nachbarlandes Afghanistan.
Frage: Immer neue schlechte Nachrichten aus Afghanistan. Jetzt auch noch der drohende Zusammenbruch des Finanzsystems. Steht das Land am Scheideweg?
WESTERWELLE: Wir müssen die Nachrichten sehr ernst nehmen. Wir erwarten von der afghanischen Regierung ein entschiedenes Vorgehen gegen Korruption. Grundsätzlich gibt es in Afghanistan Erfolge zu verzeichnen, aber auch bittere Rückschläge. Die Sicherheitslage hat sich in einigen Regionen deutlich verschlechtert. Aber es gibt auch Erfolge beim Wiederaufbau, etwa beim Schulbesuch von Mädchen oder der Berufsausübung von Frauen. Der geplante Friedensrat könnte ein wichtiger Schritt in Richtung innerer Aussöhnung werden. Denn die militärische Absicherung und der wirtschaftliche Aufbau bleiben wichtige Säulen, aber die entscheidende dritte Säule einer dauerhaften Stabilisierung ist eine tragfähige politische Lösung.
Frage: Zieht sich die internationale Staatengemeinschaft aus der
Verantwortung?
WESTERWELLE: Wir werden auch über die für 2014 geplante Verantwortungsübergabe in Afghanistan engagiert sein. Doch es ist klar, dass Frieden in Afghanistan nur von den Afghanen selbst geschlossen werden kann. Deshalb unterstützen wir den Prozess der Aussöhnung und Reintegration.
Frage: Neuer Anlauf für einen Frieden in Nahost - warum sollte es ausgerechnet diesmal gelingen?
WESTERWELLE: Die Widerstände gegen den Frieden sind sehr groß, deshalb bin ich nur vorsichtig optimistisch. Dass die Gespräche in Washington überhaupt stattgefunden haben, ist dennoch ein enorm wichtiger Schritt, den wir begrüßen. Ich appelliere an beide Seiten, ein Umfeld dafür zu schaffen, dass diese Friedensverhandlungen erfolgreich sein können. Sie sollten alles unterlassen, was diese historische Chance in Gefahr bringt, auch bei Entscheidungen über die Siedlungspolitik. Vor allem aber verurteilen wir mit Nachdruck die Gewaltakte durch die Hamas.
Frage: Wie kann die Bundesregierung hier zu einem Erfolg beitragen?
WESTERWELLE: Unsere Rolle ist es, die moderaten Kräfte in der Region zu unterstützen. Ich habe mich von Anfang an stark engagiert. Wir haben eine besondere Verantwortung und Verbundenheit mit Israel. Auf der anderen Seite tun wir viel dafür, damit in den palästinensischen Gebieten die Voraussetzungen für den Aufbau eines eigenen Staates entstehen, zum Beispiel durch die Einrichtung eines deutsch-palästinensischen Lenkungsausschusses.