09.09.2009FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"/"Badische Zeitung"

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Stuttgarter Zeitung" und der "Badischen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten BÄRBEL KRAUSS und ARMIN KÄFER:

Frage: Am Wochenende gab es in Berlin die größte Antiatomkraft-Demonstration seit langem. Die Kernkraftgegner waren auch auf der Straße, weil sie wissen wollen, wie es mit der Suche nach einem Atomendlager weiter geht. Mit welcher Position geht die FDP in den Wahlkampf?

WESTERWELLE: Wir wollen, dass das Zeitalter der regenerativen Energien, vor allem der Solartechnologie, kommt. Aber wir brauchen erst einmal eine Brücke dahin. Deshalb halten wir es für falsch, auf saubere Kohlekraftwerke und die Nutzung der bestehenden sicheren Kernkraftwerke als Brückentechnologie zu verzichten.

Frage: Beim Endlager hat sich seit 2001 nichts bewegt. Bis 2010 gilt der Erkundungsstopp in Gorleben - wie soll es weiter gehen?

WESTERWELLE: Es gibt eine politische Festlegung der niedersächsischen Landesregierung, dass die Erforschung von Gorleben fortgesetzt werden soll. Gleichzeitig höre ich aus dem Bundesumweltministerium Bemerkungen über juristische Schwierigkeiten, die ich per Ferndiagnose aus der Opposition heraus aber nicht bewerten kann.

Frage: Sie sind ja auch Jurist.

WESTERWELLE: Aber die Stuttgarter Zeitung ist nicht meine Mandantin.

Frage: Gleichwohl: Juristische Risiken, die den Bau gefährden, wird es geben bis das Endlager fertig ist. Ist das nicht allein ein Grund, mehrere Alternativen zu prüfen, damit man nicht in einer späten Phase des Verfahrens wieder am Nullpunkt steht?

WESTERWELLE: Die niedersächsische Landesregierung hat eine andere Haltung eingenommen. Auch da gibt es kluge Juristen. Auf die juristische Debatte, die Herr Gabriel angezettelt hat, lasse ich mich nicht ein. Ein Umweltminister, der drei Wochen vor einer Bundestagswahl angebliche Skandalakten an die Öffentlichkeit bringt, die 25 Jahre alt sind und ein Fehlverhalten der Regierung Kohl dokumentieren sollen, weckt Zweifel in mir.

Frage: Die Umfragen zeigen seit Wochen einen stabilen Trend für Schwarz-Gelb. Allerdings ist der Vorsprung knapp. Wo sehen Sie noch die Risiken?

WESTERWELLE: Ich habe die Landtagswahlen am vorletzten Sonntag nicht gebraucht, um zu wissen, dass das Rennen noch nicht gelaufen ist. Seit Monaten appelliere ich ja auch an die Damen und Herren von der CSU, nicht länger aufs falsche Tor zu schießen, sondern zu begreifen, dass es darum geht, eine Linksregierung zu verhindern. Es ist gut, wenn man mit Rückenwind in eine Wahl geht. Ich sehe hervorragende Chancen für Schwarz-Gelb. Natürlich beflügelt mich, dass die FDP einen Zulauf hat wie seit der deutschen Einheit nicht mehr. Aber gelaufen ist das Rennen nicht.

Frage: Welchen Anspruch leiten Sie daraus ab?

WESTERWELLE: Die FDP wird mit drei Eigenschaften mittlerweile anerkannt: Sie ist erstens klar. Bei uns weiß man, woran man ist. Die FDP ist zweitens geschlossen, und sie ist drittens glaubwürdig. Die Bürger wissen, dass wir zwar regieren wollen, aber eben nicht um jeden Preis. Das haben wir 2005 im Bund bewiesen und später in Schleswig-Holstein und in Hessen.

Frage: Wenn es am 27. September für Schwarz-Gelb reicht - bei Kräfteverhältnissen, wie sie sich derzeit in den Umfragen spiegeln - würde eine schwache Union mit einer starken FDP koalieren. Was heißt das für die Regierung?

WESTERWELLE: Die Union ist zur Zeit etwa so stark wie beim letzten Mal. Die FDP hat hinzu gewonnen. Ich kämpfe für eine starke FDP, weil wir dann viel durchsetzen können. Ein Beispiel: Die Union will den bürokratischen Gesundheitsfonds von Ulla Schmidt fortsetzen. Wir wollen ihn beenden, weil diese Planwirtschaft alles teuer und nichts besser macht. Wir halten an der freien Arzt- und Versicherungswahl fest. Und je mehr Muskeln uns die Wähler geben, desto mehr können wir durchsetzen.

Frage: Muss sich die Stärke der FDP nicht auch in ihrer Stärke im Kabinett abbilden?

WESTERWELLE: Es geht nicht darum, wer was wird, sondern darum, was aus unserem Land wird. Jeder wird an der Stelle in der Regierung zu arbeiten haben, wo er dem Land am besten dienen kann.

Frage: Jetzt hat die Union vier Jahre regiert und ist immer noch auf dem schwachen Wert von damals. Was macht sie falsch?

WESTERWELLE: Ich bin nicht der Wahlkampfberater der Union. Aber viele Bürger sind dankbar, dass wir auch in der Wirtschafts- und Finanzkrise die Fahne der sozialen Marktwirtschaft hoch gehalten haben. Man sieht ja, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist und erst recht nicht der bessere Banker. Gerade die Staatsbanken sind ja in Schwierigkeiten geraten, weil sie ohne seriöses Geschäftsmodell in der Welt herum- und sich verspekuliert haben.

Frage: Sie müssten sich aber doch ärgern, wenn es wieder nicht klappt mit Schwarz-Gelb, weil die Union ihr Publikum nicht mobilisieren kann.

WESTERWELLE: Die FDP wird ausgleichen, was die beiden Regierungsparteien verlieren. Zu uns kommen ja nicht nur frühere Unionswähler, die uns als Anwalt der Mittelschicht sehen. Wir haben Zulauf von früheren Rot-Grün-Wählern, die deren Linksrutsch und deren Bündnispolitik mit Sozialisten und Kommunisten nicht mitmachen wollen. Außerdem gewinnen wir Menschen, die zuletzt gar nicht gewählt haben.

Frage: Wie groß schätzen Sie das Risiko ein, dass die FDP Unionswähler verprellt, die ausgesprochen froh sind, dass ihre Partei ein bisschen nach links gerutscht ist?

WESTERWELLE: Die FDP kämpft für Leistungsgerechtigkeit und Toleranz. Die schwarz-gelbe Sockenkampagne, die einige Gewerkschaftsfunktionäre loszutreten versuchen, verfängt nicht.

Frage: Nachdem Sie im Wahlkampf die Mittelschicht so stark umwerben, sind die Liberalen doch ein geradezu natürlicher Bündnispartner für die SPD, die sich auch immer als Aufsteigerpartei definiert hat. Warum machen Sie da die Schotten dicht?

WESTERWELLE: Zwischen allen demokratischen Parteien gibt es Schnittmengen. Aber die Programme von SPD und Grünen laufen auf eine empfindliche Mehrbelastung besonders der Mittelschicht hinaus. Und beim Thema Steuererhöhung bin ich mittlerweile auf beiden Ohren taub.

Frage: Spüren Sie nicht auch eine staatspolitische Verantwortung, eine Ampel zu bilden, um Rot-Rot-Grün zu verhindern, falls es für Schwarz-Gelb nicht reicht?

WESTERWELLE: Das ist doch nicht die staatspolitische Verantwortung. Wenn es keine bürgerliche Mehrheit gibt, gibt es eine linke Mehrheit im Bundestag. Vielleicht haben wir dann noch eine Übergangsphase mit einer großen Koalition bis zu den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Frühjahr 2010 - aber danach werden wir auch eine linke Regierungsbildung erleben. Frau Nahles und Herr Wowereit warten nur darauf. Wir Liberalen werden nicht die nützlichen Idioten im Sinne Lenins machen und dafür auch noch ein Treppchen hinstellen.

Frage: Verraten Sie uns die wichtigsten drei Schritte aus Ihrem Hundert-Tage-Programm, wenn die Wahl für Sie gut ausgeht und Sie mit der Union auf dem Siegertreppchen stehen?

WESTERWELLE: Als erstes wollen wir gleiche Steuerfreibeträge für Erwachsene und Kinder, denn Kinder kosten in der Lebensführung nicht weniger als Erwachsene. Bei unserem Modell muss eine vierköpfige Familie erst ab einem Jahreseinkommen von 40000 Euro überhaupt Steuern zahlen. Gleich am Anfang kann man auch die kalte Progression angehen und zugunsten der mittleren und kleinen Einkommen verbessern. Außerdem wollen wir die gröbsten Schnitzer der Gesundheitsreform korrigieren. Die Planungen von Schwarz-Rot sehen ja vor, dass dort allein im nächsten Jahr 12 Milliarden Euro Steuergelder versenkt werden.

Frage: Sehen Sie ein prägendes Thema, das die nächste Legislaturperiode überwölben kann?

WESTERWELLE: Die Bildungspolitik muss so weit nach oben rücken, dass
sie wieder zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wird. Unser Ziel ist es, die besten Schulen, die besten Berufsausbildungen und die besten Hochschulen zu schaffen. Das muss die]geistige Wendemarke dieser Republik in der nächsten Legislaturperiode werden. Und wenn immer behauptet wird, der Bund habe dafür keine Kompetenzen, muss man eben den öffentlichen Druck erhöhen. Ich plädiere für eine nationale Konferenz, bei der alle, die in der Bildung Verantwortung tragen, an einen Tisch geholt werden, damit die Politik bei diesem wichtigen Thema endlich wieder die Meinungsführerschaft in Deutschland übernimmt. Es ist eine historische Fehlentscheidung gewesen, dass der Bund das letzte bisschen Restkompetenz für die Bildung bei der Föderalismusreform hergegeben hat.

Frage: Haben Sie ausgerechnet, wie viel die Steuerentlastung der Familien kostet?

WESTERWELLE: Das ist für jedermann im Internet nachlesbar. Unser gesamtes Entlastungspaket hat ein Volumen von 35 Milliarden Euro.

Frage: Und die Entlastung der Familien als Einzelposten?

WESTERWELLE: Das ist leichter zu stemmen, als die Konkurrenz gerne behauptet.

Frage: Wir halten Ihr Steuerkonzept für die Achillesferse des FDP-Programms, weil es nicht finanzierbar ist.

WESTERWELLE: Da sieht man, was elf Jahre rot-grüne und schwarz-rote Gehirnwäsche anrichten. Dauernd wurde behauptet, die Staatsfinanzen seien schlecht, weil die Steuern zu niedrig seien. Das ist falsch! Die Staatsfinanzen sind schlecht, weil wir ein unfaires Steuersystem haben und zu viel Geld verplempern.

Frage: Sind die Kassen nicht auch deshalb leer, weil es viel Geld gekostet hat, die Finanzkrise abzufedern?

WESTERWELLE: Unbestritten. Aber wie kommen wir raus aus schlechten Staatsfinanzen? Indem wir endlich bei den Ausgaben anpacken und gleichzeitig dafür sorgen, dass sich Arbeit wirklich lohnt. Eine Regierung, die praktisch aus dem Nichts fünf Milliarden Euros für alte Autos übrig hat, hat schlechte Argumente. 350 Milliarden Euro werden jedes Jahr in der Schwarzarbeit ausgegeben - das ist mehr als der gesamte Bundeshaushalt. Würde man nur zwanzig Prozent davon zurückholen in die reguläre Volkswirtschaft, dann wäre die Frage der Staatsfinanzen weitgehend beantwortet.

Frage: Woher stammt diese unglaublich hohe Zahl?

WESTERWELLE: Das Finanzministerium verwendet sie selber.

Frage: In jedem Fall wird damit das Gesamtvolumen der Schattenwirtschaft beziffert und nicht das Steueraufkommen, das dem Staat verloren geht.

WESTERWELLE: Das kann man doch ausrechnen. Wenn ich mal von unserem 20-Prozent-Ziel ausgehe, holen wir Einkommen in Höhe von 70 Milliarden Euro zurück in die Legalität. Wenn wir die Steuer- und Abgabenquote bei zwischen einem Drittel und der Hälfte ansetzen, dann kommen da gut 20 bis knapp 35 Milliarden Euro für den Fiskus heraus. Dass das nicht einfach ist, weiß ich auch. Ich habe nie bestritten, dass das eine Herkulesaufgabe ist. Aber elf Jahre ist versucht worden, durch Steuererhöhungen die Staatskasse zu gesunden. Wir werden zeigen, dass es mit Steuersenkungen geht.

Frage: Sie sagen das so einfach. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln geht von 158 Milliarden Euro Einkommen aus Schwarzarbeit aus. Es hat ausgerechnet, dass dem Staat damit nur ungefähr fünf Milliarden Euro an Einkommensteuern und zwölf Milliarden Euro Sozialabgaben flöten gehen. Das reicht nicht aus zur Sanierung des Staatshaushalts.

WESTERWELLE: Wir haben andere Fakten und andere Ergebnisse. Ob einige Damen und Herren in diesen Instituten jetzt behaupten, für Steuersenkungen sei kein Geld vorhanden, ist nicht entscheidend. Diese Behauptungen werden nämlich Jahr für Jahr widerlegt.

Social Media Button