WESTERWELLE-Interview für die "Welt am Sonntag"
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Welt am Sonntag" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten THORSTEN JUNGHOLT und ULF POSCHARDT:
Frage: Herr Westerwelle, tun Sie uns den Gefallen und versetzen sich noch einmal in die Rolle des Oppositionsführers: Wie hätten Sie den Start der neuen Bundesregierung kommentiert?
WESTERWELLE: Ich hätte mich am Anfang etwas mehr zurückgehalten. Schließlich machen wir in der Regierung genau das, was wir vor der Wahl angekündigt haben. Wenn man der Regierung schon in den ersten sechs Wochen ihrer Amtszeit in einer rhetorischen Aufrüstungsspirale unterstellt, sie betreibe den Untergang des Abendlandes - was soll danach noch kommen? Man muss Regierung lernen, aber Opposition auch. Ich habe zurzeit den Eindruck, dass Opposition lernen länger dauert.
Frage: Ihr Nachfolger als Oppositionsführer, Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hat die Lehren der Diplomatie schnell vergessen. Er bewertet die Regierung, wir zitieren, als dilettantisch, kopflos, entscheidungsschwach
WESTERWELLE:
ja, ja, und der Kollege Ströbele von den Grünen hat im Bundestag für sich in Anspruch genommen, er spreche für die Mehrheit der Deutschen. Ich darf klarstellen: Der Mann spricht für 47 Prozent der Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg. Deutschland hat gerade erst eine klare Mehrheit im Bundestag gewählt. Und die ist nicht links, sondern bürgerlich.
Frage: Respekt, der Diplomat Westerwelle hat die Oppositionsrhetorik noch nicht verlernt!
WESTERWELLE: Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, was an Unsinn verzapft wird. Im Ausland bin ich zur Diplomatie verpflichtet. Zuhause gehöre ich weiter dem Verein zur klaren Aussprache an. Ich bin nicht gegen Kritik. Aber ich wehre mich gegen eine maßlose Dosierung dieser Kritik. Dahinter steckt in Wahrheit der Frust der Linken über das schlechte Wahlergebnis und mangelnder Respekt gegenüber dem Votum der Bürger.
Frage: Auch bürgerliche Wähler beklagen den Holperstart der Koalition. Von Steuern über Gesundheit bis zu Bürgerrechten gibt es Dissens zwischen FDP und Union.
WESTERWELLE: Wir sind ja auch nicht fusioniert, sondern wir koalieren. Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen und gerade in der Anfangszeit besteht ein gewisser Synchronisierungsbedarf. Die FDP will - mit dem besten Ergebnis ihrer Geschichte im Rücken - eine konsequente Ausrichtung der Regierungspolitik hin zur sozialen Marktwirtschaft. Im Übrigen gibt es die gute Sitte, einer neuen Regierung eine 100-Tage-Frist einzuräumen, um sich zu sortieren und Projekte auf den Weg zu bringen. Wir waren dabei sogar außergewöhnlich schnell: Nach gerade mal sechs Wochen haben wir ein entscheidendes Gesetz zur Entlastung der Familien und Stärkung des Mittelstandes auf den Weg gebracht. Und wir beseitigen die größten Ungerechtigkeiten bei Hartz IV, indem wir das Schonvermögen verdreifachen.
Frage: Wirtschaftsweise und Bundesrechnungshof haben sich gegen die geplanten Steuerentlastungen ausgesprochen. Irren die Experten?
WESTERWELLE: Ich glaube, dass die große Mehrheit der Bürger es überhaupt nicht lustig findet, dass gut situierte Intellektuelle und verbeamtete Experten geschwiegen haben, als Milliarden Euro per Abwrackprämie in alte Autos gesteckt oder zu General Motors getragen wurden. Wenn es nun aber zum ersten Mal seit Jahren um die Entlastung von Familien und die Stärkung des Mittelstandes geht, wird ein empörter Veitstanz aufgeführt. Da haben einige wohl vergessen, wer die Gehälter bezahlt, von denen sie nicht schlecht leben. Nämlich unser Volk. Und das muss entlastet werden, wenn es Wirtschaftswachstum geben soll.
Frage: Irrt auch die schwarz-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein, wenn sie auf die Schuldengrenze im Grundgesetz verweist und mit Blockade im Bundesrat droht?
WESTERWELLE: Dass bei Gesetzesberatungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen über einen Ausgleich der Interessen diskutiert wird, ist nichts Neues. Das ist im Föderalismus angelegt. Gerade Schleswig-Holstein steckt in finanzpolitischen Schwierigkeiten und versucht nun, ich sage es diplomatisch, die eigenen Stimmen strategisch einzusetzen. Das mag mir nicht gefallen, aber es gehört wohl zum Regierungsgeschäft dazu. Hauptsache, am Ende stimmt das Ergebnis.
Frage: Werden Sie die Stimmen also mit finanziellen Geschenken erkaufen?
WESTERWELLE: Ich gehe davon aus, dass wir die Länder genauso wie schon den Bundestag mit guten Argumenten überzeugen.
Frage: Wir stellen uns vor, dass man als neuer Außenminister eine Menge lernen muss
WESTERWELLE:
da sprechen sie ein wahres Wort gelassen aus!
Frage: Da Ihr Zeitbudget aber nicht gewachsen ist: Können Sie sich noch ausreichend um die Partei kümmern? Hinter vorgehaltener Hand war schon zu hören: Jetzt ist der Chef in der Welt unterwegs, alle haben neue Posten und keiner kümmert sich mehr ums Tagesgeschäft.
WESTERWELLE: Ich kann nicht bestreiten, dass die Zeit für die Partei am Anfang knapp war. Aber ich habe mir einen klaren Zeitplan gemacht. Ich wusste, dass die ersten Wochen mit all den Antrittsbesuchen bei unseren Partnern besondere Aufmerksamkeit für das Amt des Außenministers und Vizekanzlers verlangen. Partei und Fraktion wissen aber auch, dass ich ab Januar wieder mehr Zeit für meine innenpolitischen Verpflichtungen aufwenden werde. Und ich kann Ihnen versichern, dass mich die Bürger im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf wie stets auf den Marktplätzen und in den Hallen finden werden. Denn ich will verhindern, dass Kommunisten und Sozialisten in meinem Heimatland in einer Linksregierung etwas zu sagen haben.
Frage: Zumindest über den verwaisten Posten des Generalsekretärs hätten Sie zügiger entscheiden können.
WESTERWELLE: Ich habe ein Vorschlagsrecht für diesen Posten. Aber die innerparteiliche Demokratie gebietet es, damit sorgfältig umzugehen. Gewählt wird der Generalsekretär eigentlich von einem Bundesparteitag, aber der nächste ist erst im April 2010. Also ist der Bundesvorstand das Gremium, das den Parteitag vertritt. Dem werde ich am Montag meinen Vorschlag unterbreiten.
Frage: Die halbe Republik glaubt zu wissen, dass es Christian Lindner wird. Falsch?
WESTERWELLE: Es wäre respektlos, wenn der Vorstand meinen Vorschlag in der Welt am Sonntag lesen würde.
Frage: Den neuen Mann erwarten so einige Herausforderungen. Was muss der Generalsekretär einer mit 14 Prozent Wählerstimmen mittelgroßen Regierungspartei
WESTERWELLE: 14,6 Prozent, also 15, wenn Sie schon runden!
Frage:
einer fast 15 Prozent starken Regierungspartei leisten?
WESTERWELLE: Erstens: Er muss in einer Regierungsbeteiligung, die manchmal schmerzhafte Kompromisse erfordert, dafür sorgen, dass die Handschrift der FDP in der Öffentlichkeit unverwechselbar bleibt. Zweitens: Er muss dem Parteivorsitzenden im täglichen Geschäft den Rücken freihalten. Und drittens: Er muss die intellektuelle Programmdebatte der FDP moderieren, inspirieren und voranbringen.
Frage: Das geltende Programm, die Wiesbadener Grundsätze, haben Sie wesentlich mitformuliert. Was muss daran aktualisiert werden?
WESTERWELLE: Neben der Fortschreibung der klassischen Gesellschaftsaufgaben wird es vor allem darum gehen, Bildung und Forschung als Schlüssel für die Zukunft dieses Landes zu beschreiben. Und wir müssen dazu beitragen, dass sich Deutschland von seinem Kultur- und Zukunftspessimismus verabschiedet. Das Programm kann diese Debatte in Gang bringen - bei den Bürgern, aber ausdrücklich auch unter Intellektuellen.
Frage: Und neue Wähler bescheren? Oder hat die FDP mit ihren 14,6 Prozent ihren Höchststand erreicht?
WESTERWELLE: Seit einer Zahl unter meinen Schuhsohlen bin ich von der Versuchung zu konkreten Prozent-Vorgaben geheilt. Aber ich will mit meiner lebensklugen, leider schon verstorbenen Großmutter antworten: Stillstand ist Rückschritt.
Frage: Zurück zur Regierung: Wie schnell der Ruf unter hohen Erwartungen schrumpfen kann, hat auch Barack Obama erfahren. Am Donnerstag hat der US-Präsident den Friedensnobelpreis erhalten. War das eine kluge Entscheidung des Komitees, da Obama nun gerade 30.000 zusätzliche Soldaten in den Afghanistankrieg schickt?
WESTERWELLE: Präsident Obama hat richtigerweise sehr bescheiden auf die Verleihung des Nobelpreises reagiert. Weil das in der Tat viel mit Erwartung zu tun hat. Er muss im eigenen Land im Moment einiges durchstehen. International hat er vieles in Bewegung gebracht. Seine Rede von Prag mit der Vision einer Welt ohne Atomwaffen hat auch mich persönlich noch entschlossener gemacht, Abrüstung wieder ganz nach oben auf die außenpolitische Agenda zu setzen.
Frage: Sie haben Obama auch schon des Öfteren für seinen multilateralen Ansatz gelobt. Aber wo liegt eigentlich der Unterschied zu George Bush und seiner Koalition der Willigen im Irak? Mit seiner neuen Afghanistan-Strategie stellt Obama die Verbündeten doch letztlich auch nur vor die Frage: Entweder mitmachen oder verweigern.
WESTERWELLE: Der Unterschied ist: Die amerikanische Regierung weiß um die Bedeutung der internationalen Afghanistankonferenz Ende Januar in London, die von Frankreich, Großbritannien und Deutschland initiiert worden ist. Das hat mir Außenministerin Clinton bestätigt.
Frage: Na ja, Obamas Sonderbeauftragter Richard Holbrooke hat gerade gesagt: Der Krieg wird nicht auf Konferenzen entschieden, sondern in den Wüsten und Bergen Afghanistans. Die US-Strategie werde nach London ganz sicher nicht mehr umgeschrieben.
WESTERWELLE: Präsident Obama hat sich vernünftigerweise Zeit für seine Strategie genommen, so machen wir das auch. Und wir sind bis zur Konferenz ja nicht untätig. Es hat bereits Gespräche in der Spitze der Regierung gegeben.
Frage: Andere Nato-Partner, 25 an der Zahl, haben Obama längst Unterstützung zugesagt. Auch mehr Soldaten.
WESTERWELLE: Ich hielte es auch für einen Fehler, die Afghanistanpolitik nur auf die Truppenstärke zu reduzieren. Erst geht es um die Ziele, dann um die Strategie, dann um die instrumentellen Schlussfolgerungen. Das ist die richtige Reihenfolge. Wir haben unser Kontingent im letzten Jahr übrigens von 3500 auf 4500 Soldaten erhöht.
Frage: Nicht alle Regierungspartner halten sich daran. CSU-Chef Horst Seehofer hat sich schon festgelegt, keine zusätzlichen Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Die Obergrenze von 4500 deutschen Soldaten sei ausreichend.
WESTERWELLE: Die Mitglieder der Bundesregierung erarbeiten zurzeit eine Strategie. Die werden wir eng und intensiv abstimmen: mit dem Bundestag, mit Europa, mit unseren Bündnispartnern
Frage:
und mit Bayern?
WESTERWELLE: Bayern fällt mir morgens immer als erstes ein. Aber im Ernst: Es macht doch wenig Sinn, eine Strategie auf einer Konferenz zu diskutieren, wenn man die Ergebnisse schon vorwegnimmt.
Frage: Über Soldaten wollen Sie nicht reden, mehr Polizeiausbildung haben Sie Obama dagegen schon zugesagt. Sind Polizeiausbilder der Öffentlichkeit leichter zu vermitteln als Soldaten?
WESTERWELLE: Es geht um die Frage, wie wir eine selbsttragende Sicherheit in Afghanistan erreichen, damit in den nächsten vier Jahren eine Abzugsperspektive in Sicht kommt. Dafür brauchen wir Polizei- und Ordnungsstrukturen. Das ist keine Erkenntnis, die ich als Außenminister gewonnen habe, sondern seit Jahren - insbesondere nach meinem ersten Afghanistanbesuch noch in der Opposition - vertrete. Als Regierungsmitglied werde ich sie nun umsetzen.
Frage: Polizeigewerkschafter sagen, sie wollen sich nicht als Lückenbüßer fürs Militär missbrauchen lassen.
WESTERWELLE: Diese Befürchtung kann ich zerstreuen. Mein Bruder ist selber Polizist, auf solche Ideen käme ich nicht.
Frage: Parlament und Öffentlichkeit beschäftigen sich derzeit weniger mit der Strategiefrage als mit der Aufarbeitung des Luftangriffs von Kundus. Haben Sie Sorge, dass die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses die Mehrheit im Bundestag für ein neues Bundeswehrmandat nach der Afghanistankonferenz erschweren?
WESTERWELLE: Ich begrüße, dass die SPD ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht geworden ist, als sie diese Woche für die Verlängerung des ISAF-Mandats gestimmt hat - übrigens als einzige Oppositionsfraktion. Ich weiß, dass das nicht populär ist. Aber es ist richtig. Deshalb will ich die Haltung der Sozialdemokraten unter Frank-Walter Steinmeier nachdrücklich anerkennen. Wir haben es in der Opposition genauso gehalten.
Frage: Wie bewerten Sie selbst den Luftangriff? Immerhin ist das Auswärtige Amt für das Wiederaufbauteam in Kundus verantwortlich.
WESTERWELLE: Ich habe mein Haus gebeten, die Unterlagen zusammenzustellen, die dem Auswärtigen Amt im Zusammenhang mit dem Luftschlag vorlagen. Die werden dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Verfügung gestellt. Ich kann aus eigener Anschauung nicht sagen, wann das Auswärtige Amt über was genau informiert worden ist. Ich bin am 28. Oktober Außenminister geworden, der Einsatz war am 4. September. Unabhängig davon muss die Frage der militärischen Angemessenheit durch das zuständige Ministerium beantwortet werden.
Frage: Immerhin hat der Fall Kundus einem Ihrer Kabinettskollegen das Amt gekostet. Fürchten Sie weitere Verwerfungen? Die Linke hat schon den Rücktritt von Verteidigungsminister Guttenberg gefordert.
WESTERWELLE: Ich kann nur sagen, dass nicht nur die Opposition, sondern auch die Regierungsfraktionen ein fundamentales Interesse an umfassender Aufklärung haben.
Frage: Immerhin hat Guttenberg jetzt keine Zeit mehr, als Neben-Außenminister mit Ihnen zu konkurrieren
WESTERWELLE: Uns ist da ein Wettbewerb unterstellt worden, den ich zu keiner Sekunde gesehen habe. Ich habe ein Interesse an dem gemeinsamen Erfolg der Regierung, deshalb wünsche ich jedem Minister alles erdenklich Gute - ob sie nun der FDP oder der Union angehören.
Frage: Es hat Sie nicht gestört, dass Guttenberg Ihnen als weltgewandter Transatlantiker gegenüber gestellt wurde?
WESTERWELLE: Es hat mich gewundert, wie teilweise über meine Antrittsbesuche der ersten Wochen berichtet worden ist. Ja, es war etwas völlig Neues für mich, plötzlich in den Hauptstädten der Welt über rote Teppiche zu gehen. Natürlich will man keinen Fehler machen, wenn man zum ersten Mal eine Ehrengarde abschreitet. Mir ist nicht in die Wiege gelegt worden, im Palast des französischen Staatspräsidenten mit Prunk begrüßt zu werden. Ich bin ganz bürgerlich in einem Stadthaus in Bonn groß geworden. Warum sollte ich also behaupten, ich hätte das alles ganz cool hinter mich gebracht? Diese Wochen waren kraftraubend, aber sie zählen zu den spannendsten in meinem Leben.