WESTERWELLE-Interview für "Frau im Spiegel"
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Frau im Spiegel" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte PATRICIA LEßNERKRAUS:
Frage: Herr Westerwelle, wie finden Sie eigentlich den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier"?
WESTERWELLE: Diesen Film finde ich großartig.
Frage: Haben Sie derzeit das Gefühl, Sie spielen darin mit?
WESTERWELLE: Ich hatte zwar schon Déja Vu-Erlebnisse, aber nicht bezogen auf die Politik. Ein kluger Hirnforscher hat mir erklärt, dass dieses Déja Vu-Phänomen in Wirklichkeit nur eine Form von Unkonzentriertheit ist. Zum Glück kommt das bei mir nicht oft vor.
Frage: Fürchten Sie ein solches Déja Vu nicht für den Wahlabend des 27. September, wenn es für CDU/CSU und FDP zusammen vielleicht wieder nicht reicht?
WESTERWELLE: Die FDP hat augenblicklich einen großen Zulauf, der beflügelt und motiviert. Wenn es gut läuft, dann macht man seine Arbeit gerne und mit Ausdauer. Warum sollte das nicht auch vom Wähler belohnt werden?
Frage: Täglich zwei Groß- und mehrere kleine Veranstaltungen, etliche Interviews sowie Berge von Akten. Schafft Sie der Stress?
WESTERWELLE: Natürlich ist Wahlkampf hart .Vor allem momentan ist es nicht leicht, gegen diesen ganzen Linksrutsch eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft und der sozialen Gerechtigkeit zu machen. Aber ich tue das schließlich alles freiwillig. Politiker, die immer nur über ihr schweres Leben jammern, sind mir suspekt, weil sie keine Lust auf und keine Freude an ihrer Arbeit haben. Genau das braucht man aber wenn man gut sein will.
Frage: Sie kämpfen an allen Fronten beherzt um Stimmen, Ihre Wunschpartnerin Merkel führt eher einen sanften Wahlkampf. Kämpfen Sie für die Kanzlerin mit?
WESTERWELLE: Die CDU-Spitzenkandidatin macht ihren Wahlkampf, wir als FDP führen unseren. Bei der FDP wissen die Wähler, woran sie sind, wir sind geschlossen und machen klare Aussagen und stehen hinterher auch dazu. Das haben wir 2005 schon einmal bewiesen.
Frage: Was, wenn es im September wieder nicht zu einer christlich-liberalen Koalition reicht?
WESTERWELLE: Dann haben wir eine linke Mehrheit und somit vielleicht mit einer Übergangszeit von einem Jahr auch eine linke Regierung, angeführt zum Beispiel von Herrn Wowereit. Rot-Rot-Grün wird es dann immer und immer wieder geben. Und wer das nicht glaubt, soll sich bitte daran erinnern, dass SPD, Grüne und Linke schon in diesem Frühjahr versucht haben, unseren hoch angesehenen Bundespräsidenten Horst Köhler aus dem Amt zu bringen.
Frage: Es wäre dann zum zweiten Mal ein großer Traum von Ihnen geplatzt
.
WESTERWELLE:
trotzdem würde ich mich deswegen nicht schmollend in meinen geliebten Hunsrück zurückziehen und etwa Landwirtschaft betreiben. Nein, ich werde dorthin gehen, wohin mich der Wähler stellt und weiterhin meine Aufgabe für eine richtige Politik wahrnehmen. Ich bin voller Tatendrang und fühle mich vor allem auch durch mein ganz privates Umfeld ermutigt, mich nicht klein kriegen zu lassen.
Frage: Seit Sie 2001 das Amt als Parteichef übernahmen, hat die FDP bei fast allen Wahlen stetig zugelegt. Sind Sie stolz auf Ihren Erfolg?
WESTERWELLE: Natürlich freue ich mich über jeden Stimmenzuwachs der vergangenen Wahlen, aber das ist nicht der alleinige Maßstab für Erfolg in der Politik. Es geht nämlich nicht zuerst um die FDP, sondern um unser Land. Erst wenn wir in der Regierungsverantwortung zeigen können, dass wir wirklich unserem Land eine neue Richtung zugunsten der Mittelschicht, für bessere Bildung und für neuen Respekt vor den Bürgerrechten geben können, erst dann bin ich mit meiner Arbeitsleistung zufrieden. Ich will beweisen, was in uns und auch in mir steckt.
Frage: Sie sind unter 50, mit Bundeswirtschaftsminister Guttenberg hat ein noch jüngerer Politiker Verantwortung übernommen. Zeichnet sich da ein Generationswechsel ab?
WESTERWELLE: Es drängt ganz deutlich bei fast allen Parteien eine neue Generation in die Verantwortung. Wenn man Minister wird wie Herr zu Guttenberg, den ich übrigens als sehr angenehmen und intelligenten Menschen schätze, kann man dank der eigenen Bekanntheit auch besser die Bürger von sich überzeugen. Für die Talente in der Opposition ist dies etwas schwieriger, aber auch deren Chance kommt.
Frage: Sie haben als Politiker auch mal ungewöhnliche Wege beschritten, man denke nur an den Besuch im Big Brother Container, die 18 unter den Schuhsohlen oder das Guido-Mobil. Bereuen Sie diese Aktionen heute?
WESTERWELLE: Ich habe in meinen jungen Jahren schon mal daneben gelangt, aber man lernt ja auch aus seinen Missgriffen. Zum Beispiel würde ich mir garantiert nicht noch mal eine Zahl unter die Schuhsohlen malen. Das war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee. Aber es war nicht falsch, dass ich damals in umstrittene Fernsehsendungen gegangen bin wie Big Brother, wo ich in zwei Stunden politischer Diskussion sechs Millionen vorwiegend junge Zuschauer erreicht habe. Ich bereue nichts und weiß, dass ich heute erfahrener und gereifter bin, was sicher nicht nur mit Erfolgen, sondern auch mit Fehlgriffen zusammenhängt.
Frage: Ist das Thema Alter etwas, womit Sie sich persönlich auseinandersetzen?
WESTERWELLE: Ja, sicher. Letzten Sonntag wurde ich gerade Pate vom Nachwuchs eines alten Jungendfreundes. Er und seine Frau mussten lange auf dieses Wunschkind warten. Und wenn Sie dann bei der Taufe dieses wundervolle, lebhafte kleine Geschöpf sehen, wissen Sie, was Ihnen fehlt. Und das fehlt Ihnen umso mehr je älter Sie werden.
Frage: Ihnen fehlt wirklich ein Kind zum Glück?
WESTERWELLE: Das hat mein Leben nicht ergeben, denn jeder weiß, wie schwierig auch das deutsche Recht ist. Ich mag Kinder und glaube, dass mir alle Eltern zustimmen, wie viel Lebensfreude es bedeutet, den eigenen Nachwuchs aufwachsen zu sehen. Das erlebe ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, auch wenn diese immer wieder mal über schlaflose Nächte oder viele Sorgen klagen. Das verstehe ich gut. Aber es gibt schon die Momente, wo ich klar sage: Lasst uns tauschen.
Frage: Sie waren sieben als sich Ihre Eltern trennten und sind beim Vater aufgewachsen. Wie war das?
WESTERWELLE: Vier Jungs und ein allein erziehender Vater, da war schon was los. Da wurde auch gerauft, immerhin ganz klar nach Regeln, aber nach außen standen wir immer zusammen. Für meine politische Arbeit habe ich aus dieser Zeit viel gelernt: mich durchzusetzen, und genauso mich zu arrangieren, Kompromisse zu schließen und auch mal andere vor zu lassen.
Frage: Haben Sie damals unter der Scheidung gelitten?
WESTERWELLE: Für Kinder ist so eine Situation nie leicht. Doch aus heutiger Sicht sage ich: Vermutlich war die Trennung meiner Eltern besser als ein Eheleben, in dem sie ihren Kindern tagtäglich ihr wohl damals empfundenes persönliches Unglück vorgelebt hätten. Aus meinen drei Brüdern und mir sind jedenfalls fröhliche, unbefangene und lebensbejahende Menschen geworden.
Frage: Was haben Sie Ihrem Vater zu verdanken?
WESTERWELLE: Ihm verdanke ich einen unbändigen Kämpferwillen. Und meiner Mutter verdanke ich, ihn gut im Zaum zu halten.
Frage: Heißt dass, Sie sind eher ein Heißsporn?
WESTERWELLE: Temperamentvoll, forsch würde ich es nennen. In meiner Jugend war ich bisweilen auch zu vorlaut, aber ich habe durch meine Mutter und ihre Familie gelernt, mein Temperament zu lenken. Heute gehen die Pferde eigentlich nur noch sehr selten mit mir durch.
Frage: Was haben Ihre Eltern Ihnen fürs Leben mitgegeben?
WESTERWELLE: Beide sind wundervolle Menschen, die es im Leben nie leicht hatten. Sie sind beide Jahrgang 1930, haben den Krieg erlebt und am eigenen Leib erfahren, was Hungern bedeutet. Später sind sie als Freiberufler erfolgreich ihren eigenen Weg gegangen. Dabei habe ich von ihnen gelernt, dass Fleiß, Anstrengung, Disziplin und Leistungsbereitschaft immer zum Erfolg dazu gehören. Den wenigsten fällt der Erfolg in den Schoß. Ich selbst zähle zu denjenigen, die hart dafür arbeiten mussten.
Frage: Inwiefern?
WESTERWELLE: Bis zur mittleren Reife war ich auf der Realschule, danach erst bin ich aufs Gymnasium gewechselt. Deswegen will ich heute auch eine Bildungspolitik, die einerseits junge Menschen fördert aber gleichzeitig auch fordert. Für mich ist Leistungsbereitschaft, egal ob an Schulen, Unis oder in Ausbildungsberufen keine Körperverletzung sondern eine positive Haltung zum Leben.
Frage: Ohne Fleiß kein Preis
WESTERWELLE:
ist ein abgedroschenes Sprichwort mit einer ziemlichen Wahrheit.
Frage: Als Schüler wollten Sie gerne Künstler werden, warum?
WESTERWELLE: Schon auf der Realschule hatte ich einen Werkkundelehrer, der mein künstlerisches Interesse geweckt hat. Und auf dem Gymnasium bekam ich einen unglaublich begabten Kunstlehrer, der meinen Horizont in Sachen Kunst und Kultur mit einer Engelsgeduld ungemein erweitert hat. Damals habe ich selbst sehr gerne gemalt und gezeichnet. Heute sammele ich Kunst, denn für die eigene Künstlerkarriere hatte ich nicht genügend Talent.
Frage: Was fasziniert Sie so an Kunst?
WESTERWELLE: Es ist die Gegenwelt, auch meine ganz persönliche Gegenwelt zum nüchternen, manchmal auch harten Kampf in der Politik. Es ist ein Kontrastprogramm zum rationalen und politischen Leben. In der Kunst muss man nicht darauf achten welche Ergebnisse sie bringt, sondern die Kunst hat einen Wert an sich. Da geht es nicht um Zweck oder Nutzen, sondern um die Bereicherung unserer Seele und unseres Geistes, um Horizonterweiterung. Deswegen kaufe ich auch nie Bilder nach dem Gesichtspunkt der hängenden Aktie. Ich kaufe, was mir gefällt, beschränke mich aber nur auf ein Thema.
Frage: Aus finanziellen Gründen?
WESTERWELLE: Geld und Platz spielen schon eine Rolle, doch es gibt noch einen anderen Grund. Der große Kunstsammler und Mäzen Erich Marx besuchte uns vor vielen Jahren in unserer Berliner Wohnung, schaute sich bei den Bildern um und sagte: Bei Ihnen hängen schon ein paar sehr respektable Bilder. Jetzt müssen Sie sich entscheiden, ob Sie eine Sammlung oder eine Ansammlung haben wollen. Das fand ich sehr klug und habe mein Thema auf junge, zeitgenössische deutsche Maler festgelegt. Aber manchmal schaue ich trotzdem links und rechts an diesem Wegesrand vorbei. Zuletzt mit dem Erwerb der kleinen Skulptur "Mauerläufer" von Stefan Balkenhol, auf die ich sehr stolz bin.
Frage: Wenn Sie bei der Kunst nicht aufs Geld achten müssten, dann
WESTERWELLE:
hätte ich Spaß an einer eigenen Galerie und dem Aufbau einer eigenen Sammlung. Das könnte tatsächlich eine richtige Leidenschaft sein.
Frage: Galerist statt Berufspolitiker?
WESTERWELLE: Nein, Galerist zu sein ist ein sehr hartes Brot, für das man Talent und eine Trüffelnase benötigt. Dafür bin ich nicht gut genug.
Frage: Gibt es ein Bild, das Sie ungeachtet des Preises gerne hätten?
WESTERWELLE: Eines der Werke von August Macke, dem rheinischen Expressionisten. Er hat zum Beispiel die Kirche, die ich aus meinem Fenster in der Bonner Altstadt von der einen Seite sehen konnte, von der anderen Seite aus seinem Fenster gemalt. Damit hat man natürlich einen ganz persönlichen Zugang zu einem solch großen Kunstwerk.
Frage: Malen Sie heute immer noch?
WESTERWELLE: Nein, gar nicht, ich kritzele nur noch ab und zu. Doch ich habe mir zwei Dinge für später fest vorgenommen: ich möchte noch mal wieder mit einem guten Lehrer anfangen zu malen und zu zeichnen. Und ich würde gerne ein Instrument lernen, am liebsten Klavier, aber die nächsten Jahre habe ich dafür hoffentlich keine Zeit.